Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.07.2010, Az. 20 F 8/10

Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO | REWIS RS 2010, 4462

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Gegenstand

Zur Schwärzung von Aktenteilen in Zusammenhang mit der Partei "Die Linke"


Gründe

I.

1

Der Antragsteller, Abgeordneter des Deutschen [X.]es, begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht von der Antragsgegnerin umfassende Auskunft über die zu seiner Person erhobenen Daten. Das [X.] hatte dem Antragsteller im Verwaltungsverfahren einige über ihn vorliegende Erkenntnisse mitgeteilt, eine vollständige Auskunft der weiteren vorliegenden Einzelinformationen, die im Zusammenhang mit Datenerhebungen angefallen sind, jedoch zum Schutz der den [X.] übertragenen Aufgabenerfüllung, zum Schutz von [X.] und zum Quellenschutz verweigert. Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren mit Beschluss vom 21. November 2008 verpflichtet, die Personenakte des Antragstellers vorzulegen. Daraufhin hat der Beigeladene als oberste Aufsichtsbehörde des [X.] unter dem 19. Oktober 2009 eine "geschwärzte Fassung" der über den Antragsteller gesammelten Erkenntnisse vorgelegt und zugleich eine Sperrerklärung abgegeben. Danach werden zahlreiche nach [X.] der [X.] bezeichnete Dokumente nur mit teilweisen Schwärzungen, gar nicht oder in Form von Austauschblättern vorgelegt.

II.

2

Der gegen die Sperrerklärung gerichtete Antrag des Antragstellers ist unbegründet. Die Weigerung des Beigeladenen, dem Verwaltungsgericht die von ihm angeforderten und zur Entscheidungsfindung benötigten Akten uneingeschränkt vorzulegen, ist rechtmäßig.

3

1. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 5), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 = [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10, vom 3. März 2009 - BVerwG 20 F 9.08 - juris Rn. 7 und vom 2. Juli 2009 - BVerwG 20 [X.] - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8).

4

Gemäß § 15 Abs. 1 BVerfSchG erteilt das [X.] dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltliche Auskunft, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Gemäß § 15 Abs. 2 BVerfSchG unterbleibt die Auskunftserteilung, wenn einer der dort genannten [X.] vorliegt. Wird der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht und beabsichtigt die oberste Aufsichtsbehörde, die Vorlage der vom Verwaltungsgericht zum Zweck der Sachverhaltsaufklärung angeforderten Akten gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wegen [X.] ganz oder teilweise zu verweigern, so genügt es nicht, dass sie in ihrer Erklärung gegenüber dem Gericht auf die [X.] des [X.] verweist. Die oberste Aufsichtsbehörde hat vielmehr neben der [X.] der Akten zusätzlich (gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO) in den Blick zu nehmen, dass das angerufene Gericht der Hauptsache auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu kommen. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO überlässt der obersten Aufsichtsbehörde die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer [X.] zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. Insofern ist die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten [X.] eine prozessrechtliche Spezialnorm (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 23. März 2009 a.a.[X.] Rn. 6 m.w.N.). Das bedeutet, dass der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt ist, in denen das [X.] der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt.

5

2. In der Sperrerklärung vom 19. Oktober 2009 hat der Beigeladene das ihm eingeräumte Ermessen erkannt. So hat er ausgeführt, dass bei der gebotenen Güterabwägung nicht nur das Interesse an einer lückenlosen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das private Interesse des Antragstellers an der begehrten Auskunft zu berücksichtigen sei. Dabei seien alle Aspekte des Einzelfalls, namentlich die Aktualität der in Rede stehenden Angaben und der jeweilige Grad einer möglichen Gefährdung für die zukünftige Aufgabenerfüllung des [X.] im Falle ihrer Offenlegung, die Folgen der Zurückhaltung dieser Aktenbestandteile für die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung als eines wesentlichen Elements des Rechtsstaatsprinzips und die Individualinteressen des Antragstellers zu berücksichtigen (Abschnitt [X.] und 2 der Sperrerklärung, S. 5).

6

Bei seiner Abwägung ist der Beigeladene unter Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten des Einzelfalls nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip verfahren und hat zunächst nach verschiedenen Geheimhaltungsinteressen geordnete Gruppen gebildet, innerhalb derer die Zurückhaltung der Information jeweils durch denselben Geheimhaltungsgrund gerechtfertigt ist (Abschnitt [X.] der Sperrerklärung, S. 6 ff.). Dabei ist es - wie der [X.] bereits wiederholt entschieden hat (vgl. nur Beschlüsse vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - Rn. 6 f. und vom 23. März 2009 a.a.[X.] Rn. 8) - nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene in der Sperrerklärung die Gesichtspunkte Aktenzeichen, [X.] und Arbeitstitel (Abschnitt [X.] a), Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter (Abschnitt [X.] b), [X.], Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise (Abschnitt [X.] c), Hervorhebungen und Unterstreichungen (Abschnitt [X.] d) sowie Schutz der Kommunikationswege (Abschnitt [X.] f) als für eine Geheimhaltung der Akten sprechend berücksichtigt hat. Diese Informationen sind grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen (Beschluss vom 23. März 2009 a.a.[X.] Rn. 9 m.w.N.). Ferner ist nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene, sofern er kein vorrangiges Aufklärungsinteresse des Antragstellers feststellen konnte, die Namen von in den Akten genannten anderen Personen unkenntlich gemacht hat, über die das [X.] Informationen sammeln könnte (Abschnitt [X.] e). Dies dient dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und - insbesondere bei Unterstreichungen und Hervorhebungen von Namen - der Vermeidung von Rückschlüssen auf weitere Beobachtungsobjekte, die Arbeitsweise und den Erkenntnisstand des [X.]. Auch der Antragsteller anerkennt diesen Schutz im Grundsatz, meint aber, dass eine Schwärzung nicht geboten sei, soweit es um Namen von Mitgliedern der [X.] "[X.]" gehe, weil deren Beobachtung durch die [X.] ohnehin bekannt sei. Dem vermag der [X.] nicht zu folgen. Weder ist allgemein bekannt, ob oder welche Mitglieder der [X.] wann und in welcher Weise durch [X.] beobachtet worden sind, noch entfiele solchenfalls der Schutz der Betroffenen vor einer Bekanntgabe der gewonnenen Informationen, mit denen ihre Namen gegebenenfalls in einem Zusammenhang stehen. Der Beigeladene hat auch erkannt, dass dem öffentlichen Interesse an der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung wie auch dem privaten Informationsinteresse des Antragstellers zumindest teilweise dadurch Rechnung getragen werden konnte, dass als milderes Mittel zu einer Schwärzung der Austausch von Seiten vorgenommen wurde.

7

Weiter ist nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene darüber hinaus im Rahmen von Einzelfallabwägungen (Abschnitt [X.], [X.] ff. der Sperrerklärung) weitere Seiten der Akte ganz oder teilweise zurückgehalten hat, weil sie - mitunter zusätzlich zu den bereits angesprochenen formalen Aspekten - Informationen enthalten, deren Sperrung dem Quellenschutz dient, Methoden der operativen Arbeit des [X.] oder der Zusammenarbeit mit anderen Behörden offenbaren oder Rückschlüsse auf die interne Arbeits- und Verfahrensweise des [X.] ermöglichen würden (Deckblattberichte, Vermerke zur Aktenverwaltung, Schriftverkehr mit anderen Behörden, Gesprächsdokumentationen). Das gilt auch für (nunmehr) allgemein oder jedenfalls einem größeren Kreis zugängliche Dokumente, die aber wegen des Zeitpunkts der Kenntniserlangung im kleinen Personenkreis oder der Art ihrer Zusammenstellung Rückschlüsse auf die Quelle erlauben können.

8

Soweit der Antragsteller geltend macht, es bestehe kein Grund, den Austausch zwischen den [X.] zu schützen, weil dieser schon auf Grund der bestehenden Gesetzeslage offensichtlich und daher nicht geheimhaltungsbedürftig sei, wird nicht beachtet, dass es nicht um die Tatsache geht, dass sich [X.] überhaupt austauschen. Wie auch der Beigeladene dargelegt hat, geht es vielmehr um die konkrete Art und Weise der Zusammenarbeit unterschiedlicher Behörden, die wiederum Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des [X.] sowie der [X.] der Länder erlaubt.

9

Der [X.] hat die dem Verwaltungsgericht vorgelegte "geschwärzte Fassung" der Personenakte des Antragstellers und das ihm vorgelegte Original im Einzelnen durchgesehen und miteinander verglichen. Dabei hat sich ergeben, dass der Beigeladene keine Eintragungen zurückgehalten hat, die nicht den oben aufgeführten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind. Dies gilt auch für die in der Sperrerklärung nicht gesondert erwähnten und in der geschwärzten Fassung nicht durch [X.] kenntlich gemachten Aktenvorblätter, die den eigentlichen Aktenbestandteilen jeweils vorgeheftet sind und - ähnlich etwa der Beschriftung von [X.] - ausschließlich formale Merkmale zum Zwecke der Aktenführung enthalten. Selbst wenn man diese Vorblätter zum Akteninhalt rechnete, was hier dahinstehen kann, erfüllen sie zweifelsfrei die genannten [X.] für Aktenzeichen, [X.] und Arbeitstitel.

Auf die im Hauptsacheverfahren zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG auf die Informationen beschränkt ist, die (gezielt) zu dem Antragsteller gespeichert und in der ihn betreffenden Personenakte zusammengeführt sind oder auch solche Daten erfasst, die in Sachakten oder den Personenakten Dritter über den Antragsteller gespeichert sind (vgl. dazu OVG Münster, Beschluss vom 13. Februar 2009 - [X.] 844/08 - NVwZ-RR 2009, 505 zu [X.], Urteil vom 13. Dezember 2007 - 20 K 6242/03 -), kommt es für dieses Zwischenverfahren nicht an. Der [X.] hat nur darüber zu entscheiden, ob die Sperrerklärung des Beigeladenen rechtmäßig ist, welche sich allein auf die vom Verwaltungsgericht angeforderte Personenakte des Antragstellers bezieht. Aus diesem Grund kommt es auch nicht darauf an, ob - wie der Antragsteller vorträgt - ein Vertreter des [X.] öffentlich erklärt hat, dass nachrichtendienstliche Mittel gegen Abgeordnete der Fraktion im [X.] "[X.]" nicht eingesetzt würden. Wie in der Sperrerklärung im Einzelnen angeführt ist und die Durchsicht auch bestätigt hat, befinden sich auf den jeweiligen Seiten sogenannte Deckblattmeldungen ("Deckblätter"), die Angaben zu operativen Maßnahmen enthalten. Diese Angaben sind nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit der Verfassungsschutzbehörde, sondern vor allem auch aus Gründen des Quellenschutzes geheimhaltungsbedürftig. Feststellungen des [X.] dazu, welchen Anlass die Deckblattmeldungen hatten, verbieten sich unter dem Gesichtspunkt des Geheimhaltungsschutzes (§ 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO).

Meta

20 F 8/10

23.07.2010

Bundesverwaltungsgericht Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO

Beschluss

Sachgebiet: F

vorgehend VG Köln, 21. November 2008, Az: 20 K 3095/07, Beschluss

§ 99 Abs 1 S 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.07.2010, Az. 20 F 8/10 (REWIS RS 2010, 4462)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4462

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvE 6/08, 2 BvR 2436/10

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