Bundessozialgericht, Urteil vom 19.10.2023, Az. B 1 KR 16/22 R

1. Senat | REWIS RS 2023, 10191

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

Die Revision der klagenden Person gegen das Urteil des [X.] vom 29. Juni 2022 wird zurückgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der klagenden Person auf Kostenübernahme für eine beidseitige Mastektomie (operative Brustentfernung) als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]).

2

Die klagende Person wurde 1997 als Frau geboren. Sie ist bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) gesetzlich krankenversichert. Unter der Rubrik Geschlecht ist für sie im Personenstandsregister seit Oktober 2019 "ohne Angabe" eingetragen. Am 4.12.2019 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Mastektomie beider Brüste und stützte sich dafür auf einen Arztbrief, der eine transidentitäre Geschlechtsidentitätsstörung diagnostizierte. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, das Vorliegen eines manifestierten Transsexualismus sei nicht belegt (Bescheid vom 5.12.2019). Im Widerspruchsverfahren legte die klagende Person ein Indikationsschreiben ihrer Psychotherapeutin sowie ein Attest ihrer Hausärztin vor und teilte mit, sie leide an einer Geschlechtsidentitätsstörung; die Diagnose Transsexualismus treffe auf sie als [X.] Person nicht zu. Der von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung ([X.]) kam zu dem Ergebnis, es bestünden eine Störung der Geschlechtsidentität, nicht näher bezeichnet (F64.9), sowie Anpassungsstörungen (Gutachten vom 2.3.2020). Außer bei Transsexualität gebe es keine Grundlage für eine geschlechtsangleichende [X.]. Am 28.5.2020 ließ die klagende Person die Mastektomie stationär durchführen und zahlte dafür 5305,32 Euro. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 22.10.2020).

3

Das [X.] hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 14.4.2021): Der Anspruch transgeschlechtlicher Personen auf [X.]en am gesunden Körper gelte unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes auch für [X.] Personen. Das L[X.] hat das [X.]-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen: Ansprüche auf Behandlungsmaßnahmen, die die Uneindeutigkeit der äußeren Geschlechtsmerkmale erhöhten, seien ausgeschlossen. Die klagende Person wolle ihren Körper an ihre [X.] Identität angleichen, für die aus der Sicht eines verständigen Betrachters kein Erscheinungsbild eines phänotypisch angestrebten Geschlechts existiere. Die Entscheidung des [X.] vom 10.10.2017 (1 BvR 2019/16) betreffe allein die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung und nicht Leistungsansprüche in der [X.]. Aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG und Art 3 Abs 3 Satz 1 GG ergebe sich kein Anspruch auf Änderung von Geschlechtsorganen bei transidentitärer Geschlechtsidentitätsstörung. Es verstoße gegen den Gleichheitssatz, Menschen mit einer Geschlechtsidentitätsstörung einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen [X.]en zu eröffnen (Urteil vom 29.6.2022).

4

Mit ihrer Revision rügt die klagende Person eine Verletzung von § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 und § 27 [X.]B V. Nach der S3-Leitlinie "Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung und Behandlung" solle der Begriff Trans sowohl Menschen berücksichtigen, die eindeutig als Frau oder [X.] lebten (zB transsexuell, transident) als auch [X.] Personen, die sich weder männlich noch weiblich identifizierten (zB genderqueer, agender). Die vom B[X.] entwickelten Grundsätze zum Bestehen und der Reichweite eines Krankenbehandlungsanspruchs transidenter Menschen seien auf den Fall der revisionsführenden Person mit [X.]r Geschlechtsidentität anzuwenden.

5

Die klagende Person beantragt,
das Urteil des [X.] vom 29. Juni 2022 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts [X.]heim vom 14. April 2021 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte verurteilt wird, an die klagende Person 5305,32 Euro zu zahlen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält das L[X.]-Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der klagenden Person ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Das [X.] hat das Urteil des [X.] im Ergebnis zu Recht aufgehoben und die Klage abgewiesen.

9

Die statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage der klagenden Person auf Erstattung der ihr entstandenen Kosten für die Mastektomie ist unbegründet. Die Voraussetzungen des [X.] sind nicht erfüllt, weil die klagende Person eine Mastektomie nicht als Naturalleistung beanspruchen konnte (dazu 1.). Bei der ambulanten Diagnostik nebst Behandlungsplanung und der sich anschließenden stationären Behandlung eines durch Geschlechtsinkongruenz bedingten Leidensdrucks durch irreversible chirurgische Eingriffe (hier: durch Mastektomie) handelt es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode iS des § 135 Abs 1 Satz 1 [X.]B V. Auf diese besteht ein Anspruch erst, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss ([X.]) eine entsprechende Empfehlung abgegeben hat (dazu 2.). Einer der insoweit anerkannten Ausnahmefälle liegt hier nicht vor (dazu 3.).

1. Die Voraussetzungen für die Erstattung der Kosten einer Krankenbehandlung gemäß § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 iVm § 27 Abs 1 Satz 1 [X.]B V liegen nicht vor.

Hat die [X.] eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der [X.] in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die [X.]n allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr; vgl B[X.] vom [X.] KR 7/22 R - [X.] 4-2500 § 2 [X.] RdNr 9; B[X.] vom 10.3.2022 - [X.] KR 2/21 R - juris Rd[X.]; B[X.] vom 2.9.2014 - [X.] KR 3/13 R - B[X.]E 117, 1 = [X.] 4-2500 § 28 [X.], Rd[X.]5).

Zur [X.] bestand kein Anspruch der klagenden Person auf Durchführung einer beidseitigen Mastektomie zu Lasten der [X.].

a) Das [X.]B V sieht (bislang) keinen eigenständigen, vom Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Krankheit unabhängigen, Anspruch von [X.] auf körpermodifizierende Behandlungen vor, wie ihn etwa § 27a [X.]B V für die künstliche Befruchtung regelt (vgl dazu, dass § 27a [X.]B V einen eigenständigen Versicherungsfall der ungewollten Kinderlosigkeit regelt, B[X.] vom 3.4.2001 - [X.] KR 22/00 R - B[X.]E 88, 51 = [X.] 3-2500 § 27a [X.] = juris Rd[X.]7; zur Verfassungsmäßigkeit [X.] vom [X.] - 1 BvL 5/03 - [X.]E 117, 316, 326 ff = [X.] 4-2500 § 27a [X.] Rd[X.]3 ff). Der Begriff der Krankheit ist im Hinblick auf den ständig voranschreitenden medizinischen Forschungs- und Erkenntnisstand sowie den fortlaufenden Wandel der gesellschaftlich-kulturellen Anschauungen wertungsoffen (vgl zB BT-Drucks 11/2237 [X.] und unten b). Die Bestimmung des Leitbildes des gesunden Menschen bedarf daher - gerade in Grenz- und Zweifelsfällen - einer wertenden Einordnung und einer am Demokratieprinzip orientierten Entscheidung, ob ein Zustand regelwidrig ist, dh, vom Leitbild abweicht. Im Grenzbereich zwischen Krankheit im Sinne der [X.] und der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG geschützten geschlechtlichen Identität (vgl [X.] vom 10.10.2017 - 1 BvR 2019/16 - [X.]E 147, 1 Rd[X.]7 ff mwN) obliegt es daher zuvörderst dem parlamentarischen Gesetzgeber, die Leistungsansprüche der [X.] unter Berücksichtigung der vorherrschenden gesellschaftlich-kulturellen Anschauungen für bestimmte körperliche oder psychische Zustände zu regeln. Eine solche Regelung existiert für geschlechtsangleichende Behandlungen bislang nicht (vgl zu entsprechenden Planungen den Koalitionsvertrag der Regierungsparteien "Mehr Fortschritt wagen" vom 7.12.2021 S 95).

b) Nach § 27 Abs 1 Satz 1 [X.]B V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.

Unter "Krankheit" im Rechtssinne versteht die Rechtsprechung einen regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (stRspr; vgl nur B[X.] vom [X.] KR 5/10 R - [X.] 4-2500 § 27 [X.] Rd[X.] mwN; B[X.] vom 19.2.2003 - [X.] KR 1/02 R - B[X.]E 90, 289, 290 = [X.] 4-2500 § 137c [X.] RdNr 4 = juris Rd[X.] mwN). Auf eine Legaldefinition dieses Begriffs wurde seit jeher verzichtet (vgl bereits das Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom [X.], [X.], die Reichsversicherungsordnung vom 19.7.1911, [X.] und schließlich das [X.]B V, eingeführt mit dem [X.] vom 20.12.1988, [X.] 2477). In Abwesenheit konkreter gesetzlicher Regelungen zu Leistungsansprüchen bei bestimmten körperlichen oder geistigen Zuständen ist es Aufgabe der Rechtsprechung, die oben (unter a) beschriebenen Wertungsspielräume bei der Auslegung des Begriffs der Krankheit iS des § 27 Abs 1 Satz 1 [X.]B V zu füllen. Die Interpretation des [X.] durch Auslegung erfolgt bei normativen Begriffen - wie hier dem der Krankheit - regelmäßig teleologisch, dh, mit Blick auf den mit der Norm verbundenen Zweck (vgl hierzu allgemein zB [X.], Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl 2001, § 5 S 39 f; zum Krankheitsbegriff: [X.] in [X.]/[X.], [X.]B V, Stand Febr[X.]r 2022, § 27 Rd[X.]8; [X.] in [X.], Stand 1.3.2021, § 27 [X.]B V RdNr 9; [X.], Der Begriff der Krankheit in der gesetzlichen Krankenversicherung, in Festschrift für [X.] zum 66. Geburtstag, [X.] ff, im Erscheinen).

c) Nach der Rechtsprechung des [X.]s setzt der Anspruch auf eine Versorgung, die mit einem Eingriff in ein gesundes Organ verbunden ist, eine besondere Rechtfertigung voraus. Dabei sind Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die [X.] gegeneinander abzuwägen (vgl zB B[X.] vom 6.10.1999 - [X.] KR 13/97 R - B[X.]E 85, 56, 60 = [X.] 3-2500 § 28 [X.] = juris Rd[X.]0; B[X.] vom 19.2.2003 - [X.] KR 1/02 R - B[X.]E 90, 289, 291 = [X.] 4-2500 § 137c [X.] Rd[X.] = juris Rd[X.]2; zuletzt B[X.] vom 22.6.2022 - [X.] KR 19/21 R - B[X.]E 134, 172 = [X.] 4-2500 § 275 [X.], Rd[X.]0). Allein der Wunsch, sein äußeres Erscheinungsbild zu verändern, genügt nicht. Das subjektive Empfinden eines Versicherten allein kann die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht begründen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der vom Gesetzgeber zum Maßstab erklärte allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 Satz 3, § 28 Abs 1 Satz 1 [X.]B V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit B[X.] vom 7.11.2006 - [X.] KR 24/06 R - B[X.]E 97, 190 = [X.] 4-2500 § 27 [X.]2, Rd[X.]3 mwN). Auch ein durch das äußere Erscheinungsbild verursachter Leidensdruck und das Bedürfnis nach Behebung oder Linderung einer hieraus resultierenden psychischen Störung rechtfertigen nach der Rechtsprechung des [X.]s für sich genommen noch keinen Anspruch auf einen Eingriff in ein gesundes Organ. Maßgeblich ist insoweit die wissenschaftliche Bewertung der generellen psychotherapeutischen Eignung chirurgischer Eingriffe (vgl B[X.] vom 28.2.2008 - [X.] KR 19/07 R - B[X.]E 100, 119 = [X.] 4-2500 § 27 [X.]4, Rd[X.]8; B[X.] vom [X.] KR 5/10 R - [X.] 4-2500 § 27 [X.]0 Rd[X.]4). Erforderlich ist hier auch eine klare Grenzziehung zu Schönheitsoperationen, für deren Kosten die Versichertengemeinschaft gerade nicht aufkommen soll (vgl B[X.] vom 10.2.1993 - 1 RK 14/92 - B[X.]E 72, 96, 99 = [X.] 3-2200 § 182 [X.]4 S 65 = juris Rd[X.]9; B[X.] vom 19.10.2004 - [X.] KR 3/03 R - B[X.]E 93, 252 = [X.] 4-2500 § 27 [X.], RdNr 9 = juris Rd[X.]7 f; B[X.] vom 10.3.2022 - [X.] KR 3/21 R - B[X.]E 134, 13 = [X.] 4-2500 § 27 [X.]1, Rd[X.]2).

d) Das B[X.] hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zu geschlechtsangleichenden Operationen bei Transsex[X.]lismus eine behandlungsbedürftige psychische Krankheit angenommen (vgl zum Ganzen: B[X.] vom [X.] KR 5/10 R - [X.] 4-2500 § 27 [X.]0 Rd[X.]5; B[X.] vom 11.9.2012 - [X.] KR 3/12 R - B[X.]E 111, 289 = [X.] 4-2500 § 27 [X.]3, Rd[X.]2 f; B[X.] vom 11.9.2012 - [X.] KR 9/12 R - juris Rd[X.] f; B[X.] vom 11.9.2012 - [X.] KR 11/12 R - juris Rd[X.] f). Voraussetzung dafür war, dass psychiatrische und psychotherapeutische Mittel das Spannungsverhältnis zwischen dem körperlichen Geschlecht und der seelischen Identifizierung mit einem anderen Geschlecht nicht zu lindern und zu beseitigen vermögen (B[X.] vom 10.2.1993 - 1 RK 14/92 - B[X.]E 72, 96, 100 = [X.] 3-2200 § 182 [X.]4 S 66 = juris Rd[X.]; B[X.] vom [X.] KR 28/04 B - juris Rd[X.]; vgl bereits unter Geltung der [X.] B[X.] vom 6.8.1987 - 3 RK 15/86 - B[X.]E 62, 83, 84 = [X.] 2200 § 182 [X.]6 S 230 f). Der [X.] hat sich dabei [X.] darauf gestützt, dass die Rechtsordnung den sog Transsex[X.]lismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit anerkennt. Der Gesetzgeber hatte bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz <T[X.]> vom 10.9.1980, [X.] 1654, geändert durch Beschluss des [X.] vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - [X.] 224 = [X.]E 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsex[X.]lismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (vgl zB B[X.] vom [X.] KR 5/10 R - [X.] 4-2500 § 27 [X.]0 Rd[X.]5; B[X.] vom 11.9.2012 - [X.] KR 3/12 R - B[X.]E 111, 289 = [X.] 4-2500 § 27 [X.]3, Rd[X.]3 mwN). Weiter hat sich der [X.] auf die ausdrückliche Nennung des "Transsex[X.]lismus" in § 116b Abs 1 Satz 2 [X.] Buchst i [X.]B V zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung gestützt (B[X.] vom 11.9.2012 - [X.] KR 3/12 R - B[X.]E 111, 289 = [X.] 4-2500 § 27 [X.]3, Rd[X.]). Anknüpfend an die Wertungen des T[X.] hat er bei einem behandlungsbedürftigen Transsex[X.]lismus ausnahmsweise einen Anspruch auf Operationen an für sich genommen gesunden Organen angenommen, wenn diese der Annäherung an einen "regelhaften Zustand" im Sinne eines männlichen oder weiblichen Phänotyps dienten (vgl B[X.] vom [X.] KR 5/10 R - [X.] 4-2500 § 27 [X.]0 Rd[X.]6; ausführlich zum Ganzen unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des [X.] vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - [X.]E 128, 109 auch B[X.] vom 11.9.2012 - [X.] KR 3/12 R - B[X.]E 111, 289 = [X.] 4-2500 § 27 [X.]3, Rd[X.]8 ff).

e) Der [X.] hält hieran nicht mehr fest. Der Rechtsprechung des [X.]s zu Operationen an gesunden Organen ausschließlich zur Angleichung an das weibliche oder das männliche Geschlecht (vgl Rd[X.]6) steht einerseits die neuere Rechtsprechung des [X.] zum [X.] entgegen. Danach ist auch die geschlechtliche Identität von Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG sowie dem Diskriminierungsverbot des Art 3 Abs 3 Satz 1 GG geschützt ([X.] vom 10.10.2017 - 1 BvR 2019/16 - [X.]E 147, 1 Rd[X.]8 ff). Andererseits spricht viel dafür, dass die bislang angenommene Beschränkung auf zwei biologische Geschlechter im binären System nicht mehr dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Dies legt jedenfalls die aktuelle [X.] "Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung und Behandlung" nahe (im Folgenden [X.]; vgl zur Maßgeblichkeit der wissenschaftlich gesicherten Erkenntnis: [X.] vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - [X.]E 128, 109, 124 = juris Rd[X.]6 f; zur Bedeutung von Leitlinien der [X.] als eine wichtige medizinische Erkenntnisquelle für die Bestimmung der Leistungsansprüche im Rahmen der [X.] vgl B[X.] vom 13.12.2005 - [X.] KR 21/04 R - [X.] 4-2500 § 18 [X.] Rd[X.]3; B[X.] vom [X.] - [X.] KR 18/20 R - B[X.]E 133, 24 = [X.] 4-2500 § 2 [X.]7, Rd[X.]5; jeweils mwN; vgl auch [X.] vom 15.4.2014 - [X.] - juris Rd[X.]7). Die [X.] richtet sich ausdrücklich gleichermaßen an die medizinische Versorgung von Personen mit einer weiblichen, männlichen oder non-binären Geschlechtsidentität und verweist auf die im Mai 2013 veröffentlichte 5. Fassung des Diagnostischen und Statistischen Man[X.]ls Psychischer Störungen ([X.]), die neben dem traditionellen Begriff des "Gegengeschlechts" weitere Geschlechtsformen ("alternative gender") in die Diagnostik einer Geschlechtsdysphorie einschließt ([X.] S 6, 10). Die [X.] geht davon aus, dass eine Transidentität bzw Geschlechtsinkongruenz, bei der das eigene Geschlechtsempfinden nachhaltig in Widerspruch zu dem nach den Geschlechtsmerkmalen zugeordneten Geschlecht steht, an sich keine "Krankheit" in Form eines behandlungsbedürftigen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes darstellt. Sie sieht für die Bestimmung des Umfangs der erforderlichen Behandlung aber den durch die Geschlechtsinkongruenz begründeten, klinisch-relevanten Leidensdruck als maßgeblich an ([X.] S 6 ff, 23; vgl bereits zum Transsex[X.]lismus B[X.] vom 6.8.1987 - 3 RK 15/86 - B[X.]E 62, 83, 84 = [X.] 2200 § 182 [X.]6 S 231; B[X.] vom [X.] KR 28/04 B - juris Rd[X.]; B[X.] vom 11.9.2012 - [X.] KR 3/12 R - B[X.]E 111, 289 = [X.] 4-2500 § 27 [X.]3, Rd[X.]0).

Ob bei der klagenden Person ein durch Geschlechtsinkongruenz bedingter Leidensdruck vorlag, zu dessen Heilung, Linderung oder Verhütung der Verschlimmerung die streitgegenständliche Mastektomie unter Berücksichtigung des für Eingriffe in ein gesundes Organ geltenden - strengen - Maßstabes (siehe oben Rd[X.]6) notwendig war, kann der [X.] auf Grundlage der Feststellungen des [X.] nicht abschließend entscheiden. Dies kann hier jedoch offenbleiben. Denn ein Anspruch scheidet derzeit jedenfalls mangels Empfehlung durch den [X.] nach § 135 Abs 1 Satz 1 [X.]B V aus (dazu sogleich).

2. Bei der Diagnose und Behandlung eines durch Geschlechtsinkongruenz verursachten Leidensdrucks handelt es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die dem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt nach § 135 [X.]B V unterfällt.

§ 135 Abs 1 Satz 1 [X.]B V bestimmt:

        

"Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen … Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der [X.] … in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B V Empfehlungen abgegeben hat über

        

-       

die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung ([X.]),

        

-       

die notwendige Q[X.]lifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Q[X.]litätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern ([X.]), und

        

-       

die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung ([X.])."

22

Einer solchen Richtlinie nach § 92 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B V bedarf es auch in Fällen wie dem vorliegenden. Denn die Mastektomie zur Behandlung eines durch eine Geschlechtsinkongruenz verursachten Leidensdrucks ist untrennbarer Bestandteil einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode (dazu a), für deren Wirkprinzip der in der vertragsärztlichen Versorgung liegende Leistungsanteil wesentlich ist (dazu b). An einer solchen Richtlinie fehlt es. Eine ambulante spezialfachärztliche Versorgung nach § 116b Abs 1 Satz 2 [X.] Buchst i [X.]B V hat vorliegend nicht stattgefunden.

a) Der Begriff der "Behandlungsmethode" beschreibt eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet, und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (stRspr; vgl B[X.] vom 23.7.1998 - [X.] KR 19/96 R - B[X.]E 82, 233, 237 = [X.] 3-2500 § 31 [X.] S 19 = juris Rd[X.]7; zuletzt B[X.] vom 26.5.2020 - [X.] KR 21/19 R - [X.] 4-2500 § 13 [X.]4 Rd[X.]4; B[X.] vom 18.12.2018 - [X.] KR 11/18 R - B[X.]E 127, 188 = [X.] 4-2500 § 137e [X.], Rd[X.]6 mwN; ausführlich zum Begriff der Behandlungsmethode vgl B[X.] vom [X.] KR 5/14 R - [X.] 4-2500 § 33 [X.] Rd[X.]2).

(1) Die Prüfung und Bewertung durch den [X.] hat dabei nicht einzelne ärztliche Maßnahmen zum Gegenstand, die nur Bestandteil eines methodischen Konzepts sind, sondern bezieht sich auf [X.] methodische Konzepte, die auf ein bestimmtes diagnostisches oder therapeutisches Ziel ausgerichtet sind (B[X.] vom 19.10.2004 - [X.] KR 27/02 R - B[X.]E 93, 236 = [X.] 4-2500 § 27 [X.], Rd[X.]2 = juris Rd[X.]9; vgl zB [X.] in jurisPK-[X.]B V, 4. Aufl 2020, Stand 15.6.2020, § 135 Rd[X.]). Das theoretisch-wissenschaftliche Konzept einer Methode beschreibt die systematische Anwendung bestimmter auf den Patienten einwirkender Prozessschritte (Wirkprinzip), die das Erreichen eines diagnostischen oder therapeutischen Ziels in einer spezifischen Indikation (Anwendungsgebiet) wissenschaftlich nachvollziehbar erklären kann (vgl etwa 2. Kapitel § 31 Abs 3 VerfO [X.] oder § 3 Abs 3 der Verordnung über die Voraussetzungen für die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse nach § 137h [X.]B V <Medizinproduktemethodenbewertungsverordnung - [X.]> vom 15.12.2015, [X.] 2340).

Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist eine Behandlungsmethode "neu", wenn sie (bisher) nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen ([X.]) enthalten ist oder wenn sie zwar im [X.] aufgeführt ist, deren Indikation aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren hat (B[X.] vom [X.] - [X.] KR 12/05 R - [X.] 4-2500 § 27 [X.] Rd[X.]0 mwN). Sinn und Zweck der [X.] nach § 135 Abs 1 [X.]B V bestehen vor allem darin, Wirksamkeit und Q[X.]lität der vertragsärztlichen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen vor ihrer Anwendung sicherzustellen und dadurch die Gesundheit der Patienten und die Beiträge der Versicherten zu schützen (B[X.] vom [X.] - B 6 KA 73/00 R - [X.] 3-2500 § 135 [X.] S 110 f; [X.] in [X.], Stand 1.9.2020, § 135 [X.]B V RdNr 4). Nach diesem Schutzzweck ist es Aufgabe des [X.] als fachkundig besetztem Gremium, Methoden auf Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu bewerten. Seine Aufgabe ist es auch, die sachgerechte Anwendung der neuen Methode durch die Aufstellung von Q[X.]lifikationsanforderungen zu sichern. Der [X.] bürgt nach der Konzeption des Gesetzes für die erforderliche Verbindung von Sachkunde und interessenpluraler Zusammensetzung. Dies rechtfertigt es, diesem Gremium im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben die für jede untergesetzliche Normsetzung kennzeichnende Gestaltungsfreiheit zukommen zu lassen (ausführlich B[X.] vom 15.12.2015 - [X.] KR 30/15 R - B[X.]E 120, 170 = [X.] 4-2500 § 34 [X.]8, Rd[X.]3 ff, 43 ff; vgl dazu auch B[X.] vom [X.] KR 8/21 R - juris Rd[X.]4; B[X.] vom 11.5.2017 - B 3 KR 17/16 R - juris Rd[X.]9).

Das Gesetz überträgt dem [X.] dabei nicht nur die Kompetenz zur Entscheidung über die Methodenanerkennung, sondern gibt ihm zugleich auf, die notwendigen Q[X.]lifikationsregelungen zu treffen. Die Notwendigkeit der mit § 135 [X.]B V verfolgten Q[X.]litätssicherung kann sich aus einer ne[X.]rtigen, bisher nicht erprobten Wirkungsweise einer Behandlung, aus der Komplexität des Ablaufs oder aus dem Vorliegen unbekannter, bisher nicht ausreichend erforschter Risiken ergeben (vgl B[X.] vom 11.5.2017 - B 3 KR 6/16 R - [X.] 4-2500 § 33 [X.]1 Rd[X.] ff). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass vielfach die Eignung eines neuen Diagnose- bzw [X.] nicht unabhängig davon beurteilt werden kann, welcher Arzt mit welcher Q[X.]lifikation diese Leistung erbringen soll. Die Entscheidung darüber, ob eine neue Methode auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der [X.]n erbrachten Methoden wirtschaftlich ist, kann davon abhängen, wie hoch nach den bisherigen Erfahrungen die Wahrscheinlichkeit von Fehldiagnosen ist. Dies wiederum wird auch davon beeinflusst, über welche Erfahrungen und Kenntnisse die Ärzte verfügen müssen, die das neue Verfahren anwenden (vgl B[X.] vom [X.] - B 6 KA 73/00 R - [X.] 3-2500 § 135 [X.] S 111 - juris Rd[X.]3 ff, insbesondere Rd[X.]6). Die Notwendigkeit einer (Über-)Prüfung nach § 135 Abs 1 [X.]B V kann sich aber auch aus geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen ergeben, die ein von der Rechtsprechung - wie hier - ohne Einbeziehung des [X.] im Grundsatz gebilligtes bisheriges Untersuchungs- und Behandlungskonzept in der bisherigen Form nicht mehr zulassen (vgl dazu bereits oben Rd[X.]8).

(2) Die Diagnostik und Behandlung von durch [X.] verursachtem Leidensdruck stellen danach eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar.

Der [X.] geht dabei davon aus, dass die ärztliche Praxis sich an dem in der aktuellen [X.] zusammengetragenen wissenschaftlichen Erkenntnisstand orientiert, der einem theoretisch-wissenschaftlichen Konzept folgt, das die systematische Anwendung bestimmter auf den Patienten einwirkender Prozessschritte (Wirkprinzip) zur Erreichung eines diagnostischen oder therapeutischen Ziels in einer spezifischen Indikation (Anwendungsgebiet) wissenschaftlich nachvollziehbar erklärt. Aufgrund der aufgezeigten geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen und der neueren medizinischen Bewertungen, wie sie insbesondere in der [X.] beschrieben sind, kann die Behandlung nicht mehr ausschließlich an normativ vorgegebenen Phänotypen (männlich/weiblich) ausgerichtet werden. Die bisherige B[X.]-Rechtsprechung zu sog Transsexuellen basierte aber auf den klar abgrenzbaren Phänotypen des weiblichen und männlichen Geschlechts - anknüpfend an die darauf basierenden gesetzlichen Regelungen im T[X.] und in § 116b [X.]B V zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung. Die jeweilige Behandlung ([X.] und [X.]) war damit der Bewertung anhand eines objektiven Maßstabs zugänglich.

Die Diagnostik und Behandlung von durch [X.] jedweder Art verursachtem Leidensdruck stellen deshalb zwangsläufig auch eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar. Die aktuelle wissenschaftliche Bewertung, wie sie insbesondere in der [X.] referiert wird, bezieht die Vielfalt aller - auch non-binärer - Geschlechtsidentitäten ein, ohne dass auf einen normativ vorgegebenen Phänotyp, der mit der Behandlung angestrebt werden soll, zurückgegriffen werden könnte. Stattdessen müssen sowohl die Geschlechtsinkongruenz individuell festgestellt, als auch das darauf aufbauende Behandlungskonzept und das jeweilige Behandlungsziel unter Berücksichtigung des bestehenden Leidensdrucks (siehe oben Rd[X.]8) individuell festgelegt werden. Die aktuelle [X.] greift insoweit auf das Konzept der "partizipativen Entscheidungsfindung" zurück (vgl hierzu allgemein etwa [X.], et al, Partizipative Entscheidungsfindung ([X.]) - Patient und Arzt als Team, [X.], 66: 195 ff; [X.], et al, Patientenbeteiligung bei medizinischen Entscheidungen, [X.] 2007, [X.] ff). Die [X.] sollen gemeinsam mit den Behandelnden alle Vor- und Nachteile abwägen und ihre Entscheidungen für oder gegen einzelne Behandlungen oder Behandlungsschritte im Austausch mit den Behandelnden treffen. Falls eine gemeinsame Entscheidung nicht möglich ist, sollen die zugrundeliegenden Gründe offen besprochen werden ([X.] S 10). Darüber hinaus geht die [X.] davon aus, dass den Behandelnden in Bezug auf die Diskrepanz zwischen Gender (Geschlechtsidentität, Geschlechterrolle) und Zuweisungsgeschlecht keine objektiven Beurteilungskriterien zur Verfügung stehen und die Feststellung daher zunächst von der behandlungsbedürftigen Person selbst getroffen wird ([X.] S 23). Dies beschreibt ein Konzept, das Patient und Arzt nicht nur gleichberechtigt in die Diagnosestellung und Behandlung einbindet, sondern darüber hinaus der behandlungsbedürftigen Person eine Schlüsselrolle dahingehend zuweist, dass diese in Ermangelung objektiver Kriterien zwingend zunächst selbst die Feststellung der [X.] vorzunehmen hat. Schon deswegen weicht das Konzept methodisch von anderen Behandlungsverfahren ab. Die Kriterien für die medizinische Notwendigkeit einer geschlechtsangleichenden Operation sind danach nicht nach objektiven - einem Sachverständigengutachten zugänglichen - Maßstab vorgegeben. Vielmehr wird Behandler und Patient ein gemeinsamer Entscheidungsspielraum zugestanden.

Das Fehlen objektiver Kriterien führt dazu, dass dem methodischen Vorgehen bei dem beschriebenen Zusammenwirken zwischen Arzt und Patient entscheidende Bedeutung zukommt. Die Bestimmung des [X.] wirft dabei insbesondere bei non-binären [X.] grundsätzliche Fragen auf. Denn es geht hier nicht zwingend um die Annäherung an das äußere Erscheinungsbild eines normativ vorgegebenen Geschlechts. Die negative Abgrenzung von einem bestehenden Zustand, wie hier die Abwendung vom weiblichen Geschlecht, beantwortet nicht die Frage, welcher Zustand erreicht werden soll und muss, um den bestehenden Leidensdruck zumindest zu mindern. In Anbetracht der (in der Regel) irreversiblen Folgen von geschlechtsangleichenden Eingriffen und der Komplexität des Diagnose- und [X.] kommt der institutionellen Q[X.]litätssicherung durch den [X.] eine besondere Bedeutung zu. Nach dem oben beschriebenen Schutzzweck des § 135 [X.]B V ist es hier Aufgabe des [X.] als fachkundig besetztem Gremium, die Behandlung von durch [X.] verursachtem Leidensdruck mittels dauerhaft den Körper verändernder Eingriffe und das methodische Vorgehen im Rahmen der partizipativen Entscheidungsfindung im vorliegenden Kontext auf Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu bewerten. Dieser Erkenntnisstand ist nicht zwingend vollständig und umfassend in der [X.] abgebildet ist. Der [X.] hat ihn zu bewerten und die sachgerechte Anwendung der neuen Methode durch die Aufstellung von Q[X.]lifikationsanforderungen zu sichern.

b) Der Anwendbarkeit des § 135 Abs 1 [X.]B V steht nicht entgegen, dass hier um Kostenerstattung für eine Mastektomie und damit einen stationär durchgeführten Eingriff, gestritten wird. Denn der Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs 1 Satz 1 [X.]B V gilt auch für Methoden, die auf einer Kombination mehrerer Komponenten beruhen, die nur in ihrer Zusammenschau das Wirkprinzip der Krankenbehandlung beschreiben und für den Erfolg der Therapie verantwortlich sind. Der Schutzzweck des § 135 Abs 1 [X.]B V gebietet die Einbeziehung in den [X.]svorbehalt auch in Fällen, in denen die ambulant erbrachte Komponente einen für das Wirkprinzip der Krankenbehandlung wesentlichen Leistungsanteil hat. So hat das B[X.] etwa Hilfsmittel in den [X.]svorbehalt einbezogen, deren Anwendung zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung ein Behandlungskonzept zugrunde liegt, bei dem Anlass zur Beurteilung durch den [X.] besteht (vgl B[X.] vom [X.] KR 8/21 R - juris Rd[X.]5 mwN; vgl zu "[X.]" bereits B[X.] vom 19.10.2004 - [X.] KR 27/02 R - B[X.]E 93, 236 = [X.] 4-2500 § 27 [X.], Rd[X.]3 = juris Rd[X.]0 ff mwN <Visudyne>; vgl hierzu auch [X.], Arzneimittel und Methoden im [X.]B V - Visudyne 2.0, in Festschrift für [X.] zum 66. Geburtstag, [X.] ff, im Erscheinen). So liegt der Fall hier.

Die vertragsärztliche Diagnostik und ihre über den ambulanten Bereich hinausweisende Behandlungsplanung ist bei [X.] (sowohl bei non-binären als auch binären Personen) untrennbar mit den angedachten - auch stationären - Behandlungsmaßnahmen verbunden. Die vorgreiflichen Entscheidungen im ambulanten Bereich steuern maßgeblich die gesamte Behandlung. Die Gesundheitsversorgung für [X.] im Zuge einer Transition findet entweder zentral an einem Klinikum oder im vertragsärztlichen Bereich in Schwerpunktpraxen niedergelassener Ärzte und psychologischer Psychotherapeuten statt ([X.] S 5). Der therapeutische Prozess zur Entwicklung des gewünschten [X.] ist den Einzelmaßnahmen (zB Hormonbehandlung, Epilation, Logopädie, Phonochirurgie, Adamsapfelkorrektur, Perücken und andere Hilfsmittel, Genitaloperationen oder eben Brustoperationen) konzeptionell vorgeschaltet. Zentraler Ausgangspunkt ist das Behandlungskonzept als Ganzes, aus dem sich die Indikation für einzelne Maßnahmen ableitet. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die chirurgische Umsetzung der im Hinblick auf das Behandlungsziel geplanten Eingriffe für sich betrachtet (hier: die isoliert betrachtete Mastektomie) bereits dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.

c) Eine danach erforderliche Richtlinie des [X.] nach § 92 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B V liegt (bislang) nicht vor, so dass die Beklagte die hier streitige Leistung für die klagende Person nicht erbringen durfte.

3. Ein Kostenerstattungsanspruch der klagenden Person ergibt sich auch weder unter dem Gesichtspunkt des sog [X.] (dazu a), noch liegt ein [X.] (dazu b) vor.

a) Ungeachtet des in § 135 Abs 1 [X.]B V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann eine Leistungspflicht der [X.]n ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem [X.] trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (sog Systemversagen). Diese Durchbrechung beruht darauf, dass in solchen Fällen die in § 135 Abs 1 [X.]B V vorausgesetzte Akt[X.]lisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das [X.] erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (vgl zuletzt B[X.] vom 26.5.2020 - [X.] KR 21/19 R - [X.] 4-2500 § 13 [X.]4 Rd[X.]7 mwN).

Ein solcher Fall des [X.] liegt schon deshalb nicht vor, weil das Verfahren vor dem [X.] antragsabhängig ist und ein entsprechender Antrag dort bisher nicht gestellt worden ist. Der [X.] hat auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Antragstellung bisher verhindert oder in einer den [X.]n oder dem [X.] sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert worden sein könnte (vgl hierzu B[X.] vom 7.11.2006 - [X.] KR 24/06 R - B[X.]E 97, 190 = [X.] 4-2500 § 27 [X.]2, Rd[X.]7 ff).

b) Auch von einem sog [X.] ist nicht auszugehen. Ein solcher liegt nach der Rechtsprechung des B[X.] vor, wenn das festgestellte Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar ist (stRspr; vgl zB B[X.] vom 19.10.2004 - [X.] KR 27/02 R - B[X.]E 93, 236 = [X.] 4-2500 § 27 [X.], Rd[X.]4 = juris Rd[X.]1; B[X.] vom 8.11.2011 - [X.] KR 20/10 R - B[X.]E 109, 218 = [X.] 4-2500 § 31 [X.]0, Rd[X.]4; B[X.] vom 3.7.2012 - [X.] KR 25/11 R - B[X.]E 111, 168 = [X.] 4-2500 § 31 [X.]2, Rd[X.]9). Allein geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen Erforschung nicht entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermöglicht. Das gilt erst recht, wenn - trotz der Seltenheit der Erkrankung - die Krankheitsursache oder Wirkmechanismen der bei ihr auftretenden Symptomatik wissenschaftlich klärungsfähig sind, deren Kenntnis der Verwirklichung eines der in § 27 Abs 1 Satz 1 [X.]B V genannten Ziele der Krankenbehandlung dienen kann (vgl B[X.] vom 19.3.2020 - [X.] KR 22/18 R - juris Rd[X.]8 mwN).

Zwar bewertet das Gesetz "Transsex[X.]lismus" nach § 116b Abs 1 Satz 2 [X.] Buchst i [X.]B V als eine "seltene" Erkrankung mit entsprechend geringen Fallzahlen; an medizinischer Forschung fehlt es hingegen nicht, wie bereits die in der [X.] referierte umfangreiche Forschung zeigt.

4. Der [X.] verkennt nicht, dass nach den Grundsätzen dieser Entscheidung auch die auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des [X.]s mögliche Behandlung von Transsexuellen zur Annäherung an das andere Geschlecht dem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs 1 [X.]B V unterfällt. Obwohl höchstrichterliche Urteile kein Gesetzesrecht sind und keine vergleichbare Rechtsbindung erzeugen, kann es der aus Art 20 Abs 3 GG hergeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes allerdings gebieten, einem durch gefestigte Rechtsprechung begründeten Vertrauenstatbestand erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit einer geänderten Rechtsprechung oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung zu tragen ([X.] vom 15.1.2009 - 2 BvR 2044/07 - [X.]E 122, 248, 277 f = juris Rd[X.]5; vgl dazu auch [X.] vom 19.6.2012 - 9 [X.] - [X.]E 142, 64 = [X.] zu § 7 [X.] Abgeltung, Rd[X.]7 mwN; B[X.] vom 16.12.2015 - [X.]2 R 11/14 R - B[X.]E 120, 209 = [X.] 4-2400 § 28p [X.], Rd[X.]1). Insoweit liegt es nahe, dass die [X.]n für bereits begonnene Behandlungen von Transsexuellen aus Gründen des Vertrauensschutzes die Kosten wie bisher weiterhin zu übernehmen haben.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 [X.]G.

        

Schlegel

Estelmann

[X.]

Meta

B 1 KR 16/22 R

19.10.2023

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Mannheim, 14. April 2021, Az: S 4 KR 3011/20, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 19.10.2023, Az. B 1 KR 16/22 R (REWIS RS 2023, 10191)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 10191

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 1 KR 19/20 R (Bundessozialgericht)

Krankenversicherung - Nadelepilation zur Entfernung der Barthaare - Mann-zu-Frau-Transsexualismus - Arztvorbehalt - Systemversagen - kein …


B 1 KR 6/20 R (Bundessozialgericht)


B 3 KR 5/14 R (Bundessozialgericht)

Krankenversicherung - Hilfsmittel (hier Continuous Glucosemonitoring System für Diabetiker) - Bestandteil einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode …


B 1 KR 4/20 R (Bundessozialgericht)


B 1 KR 28/20 R (Bundessozialgericht)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 BvL 5/03

9 AZR 652/10

2 BvR 2044/07

VI ZR 382/12

1 BvR 3295/07

1 BvR 2019/16

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.