Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.08.2019, Az. X ARZ 329/19

10. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 4390

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Gegenstand

(Zuständigkeit eines Gerichts aus Bindungswirkung des rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses)


Tenor

[X.] ist das [X.].

Gründe

1

I. Der Vollstreckungsschuldner wurde mit Schreiben des Gerichtsvollziehers vom 4. Juli 2018 zur Abgabe der Vermögensauskunft geladen. Dem Vollstreckungsauftrag der Zentralen Zahlstelle Justiz des [X.] (Vollstreckungsbehörde) lagen [X.] aus vier Verfahren zu Grunde, nämlich des [X.] ([X.]. 5 L 1651/17), des [X.] und zweier amtsgerichtlicher Verfahren. Mit einer als "Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 167 VwGO i.V.m. § 767 ZPO" bezeichneten Eingabe hat der Vollstreckungsschuldner beim [X.] beantragt, die Zwangsvollstreckung für unzulässig zu erklären. Dies hat er unter anderem damit begründet, dass er über die [X.] bislang keine Rechnungen erhalten habe und ihm gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger Ansprüche auf Rückzahlung zustünden.

2

Nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten hat das [X.] den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten für unzulässig erklärt und die Verfahren an das [X.] verwiesen, da dieses Gericht "aus Gründen der [X.] und dem Gebot einer einheitlichen Entscheidung über den Vollstreckungsauftrag" einheitlich zuständig sein "dürfte". Das [X.] hat das Verfahren hinsichtlich der einzelnen, der Vollstreckung zugrundeliegenden Kosten getrennt und die Verfahren wegen der sich aus den amtsgerichtlichen Verfahren ergebenden Forderungen an das jeweilige Amtsgericht verwiesen.

3

Nach Anhörung der Parteien hat sich das [X.] hinsichtlich des [X.] aus dem Verfahren des [X.] für unzuständig erklärt und die Sache dem [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

4

II. [X.] ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.

5

1. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar. Obwohl ein nach § 17a [X.] ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine regelmäßig deklaratorische Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessordnungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 [X.] vor ihm anhängig ist ([X.], Beschluss vom 24. Oktober 2017 - [X.], NJW-RR 2018, 250 Rn. 7; Beschluss vom 11. Juli 2017 - [X.], [X.], 1755 Rn. 4 mwN). So liegt der Fall hier. Sowohl das Verwaltungsgericht als auch das [X.] haben eine inhaltliche Befassung mit der Sache abgelehnt.

6

2. Der [X.] ist für die Entscheidung zuständig. Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des [X.], der zuerst darum angegangen wird ([X.], NJW-RR 2018, 250 Rn. 8; Beschluss vom 29. April 2014 - [X.], NJW 2014, 2125 Rn. 7 mwN).

7

3. Zuständiges Gericht ist das [X.]. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung des rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses des [X.] nach § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.].

8

a) Ein nach § 17a [X.] ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen hat, ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Ist das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt worden oder ist es erfolglos geblieben oder zurückgenommen worden, ist die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] bindend ([X.], [X.], 1755 Rn. 8; NJW 2014, 2125 Rn. 9). So verhält es sich hier, denn eine Beschwerde nach § 146 VwGO an das Oberverwaltungsgericht (vgl. § 17a Abs. 4 Satz 3 [X.]) ist innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht eingelegt worden.

9

b) Das Gesetz misst zwar der Entscheidung des Rechtsstreits durch ein Gericht des zulässigen Rechtswegs größere Bedeutung zu als der Entscheidung durch das örtlich oder sachlich zuständige Gericht. Das gesetzliche Mittel zur Sicherung einer Entscheidung durch das Gericht des zulässigen Rechtswegs ist aber allein die Eröffnung des Rechtsmittels gegen den Verweisungsbeschluss. Ist die örtliche oder sachliche Zuständigkeit zweifelhaft, ist die Verweisung nicht nur bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO), sondern auch der Überprüfung im Rechtsmittelzug entzogen (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Demgegenüber kann die Frage des Rechtswegs im Rechtsmittelzug - uneingeschränkt - überprüft werden, und insoweit muss gegebenenfalls das Interesse der nicht [X.] an einer zügigen Sachprüfung des Klagebegehrens zurücktreten. Damit hat es jedoch auch sein Bewenden: Nicht das Gericht des von dem verweisenden Gericht für zulässig erachteten Rechtswegs, sondern allein das Rechtsmittelgericht ist zu dieser Überprüfung berufen.

Für eine Durchbrechung der Bindungswirkung, wie sie im Anwendungsbereich des § 281 Abs. 1 ZPO insbesondere für objektiv willkürliche Entscheidungen anerkannt ist, ist deshalb jedenfalls grundsätzlich kein Raum. Nicht das Gericht, an das verwiesen wird, sondern die Parteien sollen vor willkürlichen oder sonst jeder gesetzlichen Grundlage entbehrenden Entscheidung geschützt werden, mit der ihr Streitfall dem zuständigen Gericht und [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen wird. Steht den Parteien aber ein Rechtsmittel zu Gebote und wird dieses nicht genutzt, besteht kein Anlass, dem Gericht des für zulässig erklärten Rechtswegs die Befugnis zuzubilligen, sich an die Stelle des Rechtsmittelgerichts zu setzen ([X.], Beschluss vom 2. Oktober 2018 - [X.] 482/18, [X.] 2019, 487 Rn. 12; Beschluss vom 14. Mai 2013 - [X.] 167/13, [X.], 1242 Rn. 12).

c) Der [X.] hat bislang offenlassen können, ob Ausnahmefälle denkbar sind, in denen die bindende Wirkung einer rechtskräftigen Verweisung zu verneinen ist und diese Frage kann auch im Streitfall offenbleiben. Eine Durchbrechung der Bindungswirkung kommt allenfalls bei, wie es das [X.]verwaltungsgericht formuliert hat (BVerwG, Beschluss vom 8. November 1994 - 9 AV 1/94, NVwZ 1995, 372), "extremen Verstößen" gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden [X.] und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht ([X.], Beschluss vom 16. April 2019 - [X.] 143/19, [X.], 1260 Rn. 13; [X.], Beschluss vom 24. Oktober 2017 - [X.], NJW-RR 2018, 250 Rn. 19 mwN).

d) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Die Einwendung, dass dem Vollstreckungsschuldner keine Rechnungen zugegangen seien, richtet sich gegen die Verpflichtung zur Duldung der Zwangsvollstreckung ([X.]/[X.], 2. Aufl. (2017), § 8 [X.], Rn. 4). Diese ist nach den Vorschriften über Erinnerungen gegen den [X.] geltend zu machen (§ 8 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 4 [X.]). Über Erinnerungen des [X.] gegen den [X.] entscheidet das Gericht, bei dem die Kosten angesetzt sind (§ 66 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Hinsichtlich der Kostenforderung aus dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist dies das [X.].

Die Einwendung, dem Vollstreckungsschuldner stünden noch (zur Aufrechnung gestellte) Ansprüche auf Rückzahlung gegen den Vollstreckungsgläubiger zu, ist hingegen im Verfahren nach § 66 [X.] über die Erinnerung gegen den [X.] gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 [X.] sowohl aus dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren als auch aus den drei Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit unzulässig, da die Gegenforderung weder anerkannt noch rechtskräftig festgestellt war ([X.], Beschluss vom 25. September 2008 - [X.], juris; [X.]/[X.]/[X.], [X.], Fam[X.], [X.], 4. Aufl. (2019), § 8 [X.], Rn. 2), so dass insoweit auch eine einheitliche Entscheidung in Betracht kam, zumal der Antrag des Vollstreckungsschuldners dahin ging, die "Zwangsvollstreckung vom 4. Juli 2018" für unzulässig zu erklären, und er mithin die Aufhebung der Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft erreichen wollte.

Von daher handelt es sich bei dem Beschluss des [X.], mit dem dieses den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren an ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit verwiesen hat, jedenfalls nicht um eine objektiv willkürliche Entscheidung, die zu einer Durchbrechung der Bindungswirkung des § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] Anlass geben könnte. Als Folge der Bindungswirkung sind Nachteile, die mit der Behandlung einer Sache vor dem Gericht eines an sich unzuständigen Rechtswegs verbunden sind, hinzunehmen, wobei das Verwaltungsgericht gegebenenfalls die erforderliche Amtshilfe zu leisten hat (Art. 35 Abs. 1 GG).

Meier-Beck     

        

Grabinski     

        

Hoffmann

        

Kober-Dehm     

        

Marx     

        

Meta

X ARZ 329/19

19.08.2019

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARZ

§ 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 17a GVG, § 17b Abs 1 GVG, § 1 Abs 1 Nr 4 JBeitrO, § 8 Abs 1 JBeitrO, § 66 Abs 1 S 1 GKG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.08.2019, Az. X ARZ 329/19 (REWIS RS 2019, 4390)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 4390

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