Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.04.2019, Az. 6 AV 11/19

6. Senat | REWIS RS 2019, 8313

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Gegenstand

Keine Bindungswirkung durch willkürlichen Verweisungsbeschluss


Leitsatz

1. Bei einem rechtswegübergreifenden negativen Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der ordentlichen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist für die Bestimmung des zuständigen Gerichts in analoger Anwendung des § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO derjenige oberste Gerichtshof des Bundes zuständig, der einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).

2. Auch ein fehlerhafter, aber in Rechtskraft erwachsener Verweisungsbeschluss an ein Gericht einer anderen Gerichtsbarkeit ist gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Das gilt nur dann nicht, wenn die Entscheidung ausnahmsweise schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist, d.h. nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist, so dass objektiv ein willkürlicher Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters vorliegt (hier bejaht).

Gründe

I

1

Der Antragsteller wendet sich gegen seine Heranziehung zu Gerichtskosten für verschiedene Verfahren vor unterschiedlichen Gerichten des [X.] Hessen.

2

Mit Schreiben vom 14. August 2018 beantragte er beim [X.] die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen der Gerichtskasse [X.]. Zur Begründung berief er sich auf die Verjährung der Forderungen und führte dazu unter anderem einen Beschluss des [X.] an, mit dem das Gericht eine Kostenrechnung wegen Verjährung aufgehoben hatte.

3

Mit Beschluss vom 14. November 2018 erklärte das [X.] nach Anhörung der Beteiligten den Zivilrechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an den [X.].

4

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 26. Februar 2019 den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit dem [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Verweisung des Amtsgerichts offensichtlich unhaltbar sei. Über Erinnerungen gegen den [X.] entscheide das Gericht, bei dem die Kosten angesetzt worden seien. Die noch offenen Forderungen wiesen keinen Bezug zum [X.] auf. Es handele sich vielmehr ausschließlich um Forderungen anderer [X.] Gerichte. Deshalb werde der Rechtsstreit in entsprechender Anwendung des § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO dem [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II

5

1. Das vom [X.] angerufene [X.] ist für die Entscheidung des negativen [X.]s zwischen dem [X.] und dem [X.] zuständig. Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer [X.] zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Zwar ist diese Vorschrift auf den [X.] zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Amtsgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste [X.] den negativen [X.] zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (BVerwG, Beschlüsse vom 17. März 2010 - 7 AV 1.10 - [X.] 300 § 17a [X.] Nr. 29 Rn. 5, vom 31. Mai 2011 - 8 AV 1.11 - [X.] 310 § 53 VwGO Nr. 35 Rn. 9, vom 27. Mai 2014 - 6 AV 3.14 - juris Rn. 1, vom 16. September 2015 - 6 AV 2.15 [[X.]:[X.]:BVerwG:2015:160915B6AV2.15.0] - [X.] 421.2 Hochschulrecht Nr. 188 Rn. 3 und vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 [[X.]:[X.]:[X.]] - [X.] 300 § 17a [X.] Nr. 36 Rn. 3; [X.], Beschluss vom 26. Juli 2001 - [X.]/01 - NJW 2001, 3631 <3632>). Denn obwohl ein nach § 17a [X.] ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Mai 2013 - [X.] 167/13 - [X.], 1242 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO). Eine solche Situation ist vorliegend gegeben. Sowohl das [X.] als auch der [X.] haben den jeweiligen Rechtsweg für unzulässig erklärt.

6

2. Für die Entscheidung über eine der vom Antragsteller im Wege kumulativer Antragshäufung geltend gemachten Einwendungen gegen [X.] verschiedener [X.] Gerichte ist das [X.] zuständig.

7

a) Einwendungen gegen einen Gerichtskostenanspruch, die den [X.] Anspruch selbst betreffen, sind vom Schuldner gerichtlich nach den Vorschriften über Erinnerungen gegen den [X.] geltend zu machen (§ 8 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 [X.]). In Bezug auf Einwendungen, die erst nach der Festsetzung des Anspruchs entstanden sind, übernimmt die Erinnerung die Funktion der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO (BVerwG, Beschluss vom 5. Dezember 2017 - 6 KSt 6.17 [[X.]:[X.]:[X.] - juris Rn. 3; [X.], Beschluss vom 15. November 2007 - [X.]/07 - juris Rn. 13). Über Erinnerungen gegen den [X.] entscheidet gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 GKG der Einzelrichter des Gerichts, bei dem die Kosten angesetzt sind. Gemäß § 66 Abs. 7 GKG hat die Erinnerung keine aufschiebende Wirkung, aber das Gericht kann auf Antrag oder von Amts wegen die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Aufgrund dieser abschließenden gesetzlichen Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen für Entscheidungen über eine Erinnerung und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt eine Bündelung zur Entscheidung über Erinnerungen gegen die [X.] verschiedener Gerichte im Wege der Antrags- oder Klagehäufung (§ 44 VwGO, § 260 ZPO) schon von vornherein nicht in Betracht.

8

b) Die Zuständigkeit des Amtsgerichts [X.] ist durch den Beschluss vom 14. November 2018, mit dem es den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für sämtliche Erinnerungen des Antragstellers für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an den [X.] verwiesen hat, nicht entfallen. Denn diese Entscheidung erweist sich als unhaltbar und objektiv willkürlich, so dass sie die in § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] angeordnete Bindungswirkung nicht hervorzurufen vermag. Dazu hat der Senat erwogen:

9

Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Keiner der Beteiligten hat den Beschluss vom 14. November 2018 mit der Beschwerde angefochten, so dass er unanfechtbar geworden ist. Die Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 - [X.] 300 § 17a [X.] Nr. 36 Rn. 4) oder das Gericht den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 [X.] nicht begründet oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ([X.], Beschluss vom 8. Juli 2003 - [X.] 138/03 - NJW 2003, 2990) getroffen hat.

Mit Rücksicht auf die in § 17a [X.] eröffnete Möglichkeit, den Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 - 6 [X.] vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzliche Bindungswirkung eines unanfechtbaren [X.] allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden, etwa wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 30. Juni 1970 - 2 BvR 48/70 - [X.]E 29, 45 <48 f.>, vom 23. Juni 1981 - 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79 - [X.]E 58, 1 <45> und vom 26. August 1991 - 2 BvR 121/90 - NJW 1992, 359 <361>). Hiervon kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerwG, Beschlüsse vom 8. November 1994 - 9 AV 1.94 - NVwZ 1995, 372, vom 8. Oktober 2012 - 6 AV 1.12 - juris Rn. 4, vom 17. Januar 2013 - 3 AV 1.12 - juris Rn. 4, vom 27. Mai 2014 - 6 AV 3.14 - juris Rn. 2, vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 - [X.] 300 § 17a [X.] Nr. 36 Rn. 4 und vom 14. September 2016 - 1 AV 5.16 [[X.]:[X.]:[X.]] - juris Rn. 4; [X.], Beschlüsse vom 8. Juli 2003 - [X.] 138/03 - NJW 2003, 2990 <2991>, vom 9. Dezember 2010 - [X.] 283/10 - [X.], 253 und vom 18. Mai 2011 - [X.] 95/11 - NJW-RR 2011, 1497; [X.], Beschluss vom 9. Februar 2006 - 5 AS 1/06 - NJW 2006, 1371; [X.], Beschluss vom 20. Dezember 2004 - [X.]/03 - [X.]E 209, 1 <3 f.>). Das ist hier der Fall.

Zwar liegt in der prozessordnungswidrigen Verklammerung aller Begehren trotz unterschiedlicher Zuständigkeiten kein qualifizierter Rechtsverstoß des Amtsgerichts, der die Bindungswirkung des [X.] gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] infrage stellen könnte. Aber die Verweisung an den [X.] erscheint mit Blick auf die dem Grundsatz des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Anforderungen an die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsvorschriften sowie das Willkürverbot nicht mehr verständlich und deshalb offensichtlich unhaltbar. Denn bei Eingang des [X.] beim Amtsgericht am 22. August 2018 bestand objektiv kein tatsächlicher Anknüpfungspunkt, der eine Zuständigkeit des [X.] hätte begründen können. Der Verwaltungsgerichtshof hatte die Kostenrechnung vom 27. Juni 2007 zum Verfahren 8 UE 1136/07 auf die Erinnerung des Antragstellers bereits mit Beschluss vom 23. Februar 2018 (8 F 2532/17) aufgehoben. Zudem hatte die Bezirksrevisorin bei dem [X.] am 10. August 2018 den [X.] im Verfahren 8 TG 441/07 wegen Verjährung aufgehoben. Aus den aktuelleren Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen mit den anliegenden Forderungsaufstellungen trat klar zutage, dass die seit März 2018 allein zuständige Gerichtskasse [X.] ab Ende Juli 2018 keine Gerichtskosten [X.] Verwaltungsgerichte (mehr) geltend gemacht hat. Eine Fehlvorstellung des Amtsgerichts konnte auch nicht auf mangelhaftem Parteivortrag beruhen (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 26. August 1991 - 2 BvR 121/90 - NJW 1992, 359), da der Antragsteller die genannten Unterlagen und Entscheidungen seinem Antragsschriftsatz als Anlagen beigefügt hatte, so dass sie dem Amtsgericht bei Fassung des [X.] vorlagen.

Aus welchen sachlichen Gründen das Amtsgericht bei dieser Sachlage trotzdem zu einer Verweisung des Rechtsstreits an den [X.] gelangen konnte, erscheint auch mit Blick auf die hohe Hürde für die Annahme eines Willkürverstoßes nicht ansatzweise nachvollziehbar und damit objektiv willkürlich. Zur Wahrung des in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen verfassungsrechtlichen Prinzips des gesetzlichen Richters wird deshalb hier ausnahmsweise die Bindungswirkung des § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] durchbrochen.

3. Der Senat stellt klar, dass das [X.] durch die ausgesprochene Zuständigkeitsbestimmung nicht daran gehindert ist, diejenigen Erinnerungen gegen [X.] anderer [X.] Gerichte an das jeweils gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 GKG zuständige Gericht abzugeben oder zu verweisen, für die seine Zuständigkeit nicht begründet ist.

Meta

6 AV 11/19

10.04.2019

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AV

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 26. Februar 2019, Az: 8 F 2487/18, Beschluss

Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 1 JBeitrO, § 8 JBeitrO, § 66 Abs 1 S 1 GKG, § 66 Abs 6 S 1 GKG, § 66 Abs 7 GKG, § 17a Abs 2 S 3 GVG, § 44 VwGO, § 53 Abs 1 Nr 5 VwGO, § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 260 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.04.2019, Az. 6 AV 11/19 (REWIS RS 2019, 8313)

Papier­fundstellen: NJW 2019, 2112 REWIS RS 2019, 8313

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Negativer rechtswegübergreifender Zuständigkeitskonflikt; Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts; Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses; Durchbrechung


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