Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.06.2010, Az. 2 AZR 297/09

2. Senat | REWIS RS 2010, 5979

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Gegenstand

Auflösungsantrag des Arbeitgebers - Prozessverhalten des Arbeitnehmeranwalts


Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 3. Februar 2009 - 3 [X.] - aufgehoben, soweit es den [X.] der Beklagten zurückgewiesen hat.

In diesem Umfang wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen von der Beklagten gestellten [X.]. Dabei steht die Rechtsfrage im Vordergrund, inwieweit als [X.] zu Lasten des Arbeitnehmers das Prozessverhalten seines Prozessbevollmächtigten berücksichtigt werden darf.

2

Der 1961 in [X.] geborene Kläger trat 1997 in die Dienste der [X.] in [X.] und arbeitete zuletzt als Ladengehilfe in einem Supermarkt der „[X.]“ ([X.]). Diese ist eine Behörde des [X.] Verteidigungsministeriums, die weltweit Lebensmittelgeschäfte für [X.] und deren Angehörige unterhält.

3

Mit Schreiben vom 25. März 2008 kündigten die [X.] das Arbeitsverhältnis außerordentlich und mit Schreiben vom 3. April 2008 ordentlich zum 30. September 2008. Die Unwirksamkeit beider Kündigungen steht aufgrund des insoweit rechtskräftigen Urteils des [X.]s fest.

4

Im Streit ist noch der von der - in Prozessstandschaft handelnden - Beklagten erstmals im Berufungsverfahren gestellte [X.]. Zu dessen Begründung hat die Beklagte vorgetragen, der Prozessbevollmächtigte des [X.] habe dem seinerzeit zuständigen Personalreferenten der [X.] im Verlauf des [X.] vorgeworfen, er sei ein Rassist. Er baue unter fadenscheinigen Gründen Fälle auf, um Schwarzafrikanern innerhalb der [X.] kündigen zu können. Der Ausspruch der Kündigung liege allein an der „rassistischen Vorurteilsstruktur“ des Personalreferenten. Dieser Vorwurf berühre, so die Beklagte, das Selbstverständnis der [X.], die rassistische Verhaltensmuster von Beschäftigten mit Nachdruck verfolgten. Mit dem Kläger, der sich von den Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten, die er durchaus habe verstehen und würdigen können, nicht distanziert habe, sei eine gedeihliche Zusammenarbeit in Zukunft nicht mehr möglich.

5

Die Beklagte hat beantragt,

        

das Arbeitsverhältnis des Klägers gegen Zahlung einer Abfindung, die in das Ermessen des Gerichtes gestellt werde, aber 12.000,00 Euro nicht überschreiten sollte, zum 30. September 2008 aufzulösen.

6

Der Kläger hat beantragt, den [X.] abzuweisen. Er hat bestritten, dass sein Prozessbevollmächtigter die fraglichen Äußerungen über den Personalreferenten abgegeben hat.

7

Das [X.] hat den [X.] der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist begründet. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das [X.] den [X.] nicht zurückweisen ([X.]). Ob der Antrag begründet ist, kann der Senat mangels entsprechender Tatsachenfeststellungen nicht selbst entscheiden (I[X.] und II[X.]).

9

[X.] Ein [X.] für den Arbeitgeber nach § 9 [X.] kann auch in einem Verhalten seines Prozessbevollmächtigten liegen, das der Arbeitnehmer nicht veranlasst hat. Die gegenteilige Auffassung des [X.]s findet im Gesetz keine Stütze.

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 [X.] hat das Gericht nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Die nach Auffassung des Arbeitgebers maßgeblichen Gründe sind von ihm im Prozess vorzutragen und - falls bestritten - zu beweisen. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt nach der Konzeption des Gesetzgebers nur ausnahmsweise in Betracht. Dass allerdings auch die während des [X.] auftretenden Spannungen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sinnlos erscheinen lassen können, ist dem Gesetz nicht fremd (Senat 10. Juli 2008 - 2 [X.] 1111/06 - Rn. 42 mwN, AP [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163).

a) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (Senat 23. Februar 2010 - 2 [X.] 554/08 - Rn. 23 mwN, EzA [X.] § 9 nF Nr. 58; 7. März 2002 - 2 [X.] 158/01 - AP [X.] 1969 § 9 Nr. 42 = EzA [X.] § 9 nF Nr. 45). Der [X.] ist trotz seiner nach § 9 Abs. 2 [X.] gesetzlich angeordneten Rückwirkung auf den Kündigungszeitpunkt in die Zukunft gerichtet. Das Gericht hat eine [X.] anzustellen.

b) Als [X.] für den Arbeitgeber gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 [X.] kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Es kommt darauf an, ob die objektive Lage beim Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (Senat 8. Oktober 2009 - 2 [X.] 682/08 - Rn. 15 mwN, EzA [X.] § 9 nF Nr. 57; 7. März 2002 - 2 [X.] 158/01 - AP [X.] 1969 § 9 Nr. 42 = EzA [X.] § 9 nF Nr. 45). Als [X.] geeignet sind danach etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen.

Auch das Verhalten des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Dies gilt für vom Arbeitnehmer nicht veranlasste Erklärungen des Prozessbevollmächtigten jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer sich diese zu eigen macht und sich auch nachträglich nicht von ihnen distanziert (Senat 10. Juli 2008 - 2 [X.] 1111/06 - Rn. 45 mwN, AP [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; v. [X.]/[X.] [X.] 14. Aufl. § 9 Rn. 73; [X.]/Spinner [X.] 9. Aufl. § 9 Rn. 59; [X.]/[X.] 3. Aufl. § 9 [X.] Rn. 21; [X.]/Fiebig Kündigungsschutzrecht 3. Aufl. § 9 Rn. 68; [X.]/Arnold [X.] § 9 Rn. 37; [X.]/[X.] 10. Aufl. § 9 [X.] Rn. 14). Zu berücksichtigen ist allerdings, dass gerade Erklärungen im laufenden Kündigungsschutzverfahren durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (Senat 23. Februar 2010 - 2 [X.] 554/08 - Rn. 31 mwN, EzA [X.] § 9 nF Nr. 58; 10. Juli 2008 - 2 [X.] 1111/06 - Rn. 45 mwN, aaO).

c) Die vom [X.] vertretene und auch in der arbeitsrechtlichen Literatur gelegentlich geäußerte Auffassung, nur ein vom Arbeitnehmer veranlasstes Verhalten seines Prozessbevollmächtigten könne als [X.] herangezogen werden (vgl. [X.]/[X.] 3. Aufl. § 9 [X.] Rn. 66; [X.]/Spilger 9. Aufl. § 9 [X.] Rn. 56; [X.]/Zwanziger 7. Aufl. § 9 [X.] Rn. 21; wohl auch [X.]/[X.] 5. Aufl. § 9 [X.] Rn. 51), stimmt nicht ausreichend mit den gesetzlichen Vorgaben überein.

aa) Die Auffassung beruht offenbar auf dem Gedanken, den Arbeitnehmer dürfe ein Rechtsnachteil - Verlust des Arbeitsplatzes - grundsätzlich nur dann treffen, wenn er selbst hierzu bewusst eine Ursache gesetzt habe. Das trifft jedoch schon für die Regelung des Gesetzes über die Kündigungsgründe nicht zu. Bei betriebsbedingten Kündigungen liegt der Kündigungsgrund in aller Regel außerhalb des Einflussbereichs des Arbeitnehmers. Dasselbe kann auch bei personenbedingten Kündigungen der Fall sein. Damit kann es auch bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht entscheidend darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer den Fortfall der Vertrauensgrundlage selbst verursacht hat.

bb) Allerdings ist sorgfältig zu prüfen, ob das jeweils konkrete Verhalten Dritter geeignet ist, die Vertrauensgrundlage für weitere Zusammenarbeit der Vertragsparteien entfallen zu lassen. Das ist im Allgemeinen nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer dieses Verhalten entscheidend veranlasst hat (Senat 14. Mai 1987 - 2 [X.] 294/86 - AP [X.] 1969 § 9 Nr. 18 = EzA [X.] § 9 nF Nr. 20). Beim Verhalten des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers ist dies deshalb anders, weil der Arbeitnehmer sich seiner im Verhältnis zum Arbeitgeber bewusst bedient und Prozessverhalten des Bevollmächtigten dem Arbeitnehmer schon wegen des § 85 ZPO zugerechnet wird. Prozessvortrag des Bevollmächtigten gilt von vornherein als Vortrag der [X.]. Tatsächliche Erklärungen des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung sind für die miterschienene [X.] „verpflichtend“, wenn sie die Erklärungen nicht sofort widerruft oder berichtigt (§ 85 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Diese gesetzliche Regelung steht der Annahme entgegen, Prozessvortrag des Arbeitnehmers könne nur dann als [X.] berücksichtigt werden, wenn der Arbeitgeber nachweise, dass ein bestimmter - etwa beleidigender - Teil des [X.] vom Arbeitnehmer entscheidend veranlasst worden sei. Da es um das persönliche Verhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber geht, kann dies auch dadurch belastet werden, dass ein Arbeitnehmer sich seines Bevollmächtigten im Prozess bedient, um den Arbeitgeber durch unfaire und herabsetzende Erklärungen anzugreifen und sich gleichzeitig hinter ihm zu verstecken. Es kommt deshalb darauf an, ob der Arbeitnehmer sich die betreffenden Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten zu eigen gemacht und sich auch nachträglich nicht von ihnen distanziert hat.

2. An diesen Vorgaben gemessen trägt die vom [X.] gegebene Begründung nicht das von ihm gefundene rechtliche Ergebnis, es fehle an einem [X.]. Das [X.] hat sich mit der Feststellung begnügt, der Kläger habe die Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten nicht veranlasst. Dies entspricht nicht dem gesetzlichen Maßstab.

I[X.] Die Entscheidung des [X.]s erweist sich bei Anwendung der oben genannten Grundsätze auf den Sachverhalt nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Die von der Beklagten behaupteten Tatsachen scheiden nicht von vornherein als [X.] aus. Der Vorwurf, die Kündigungsentscheidung beruhe auf rassistischen Motiven und es sei dem Personalreferenten nur darum gegangen, Schwarzafrikanern kündigen zu können, kann als beleidigend und gerade angesichts der Personalstruktur bei den [X.] als schwere Beeinträchtigung der Vertrauensgrundlage angesehen werden. Es steht freilich nicht fest, dass der Kläger sich die Äußerung zu eigen gemacht und sich von ihr nicht distanziert hätte.

II[X.] [X.] ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Zwischen den [X.]en ist streitig, ob der Prozessbevollmächtigte des [X.] die von der Beklagten behaupteten Äußerungen getan hat. Ebenso ist streitig, ob der Kläger die Äußerungen überhaupt verstanden hat. Keinerlei Feststellungen sind zu der Frage getroffen, wie sich der Kläger, wenn er die Äußerungen verstand, hierzu verhalten hat. Ebenso kommt in Betracht, dass
durch die zwischenzeitlich erfolgte Versetzung des Personalreferenten die etwa beeinträchtigte Vertrauensgrundlage wieder hergestellt ist. Zu beachten sein wird auch, ob und inwieweit die Erschütterung der Vertrauensgrundlage sich auf das Austauschverhältnis auswirkt oder auszuwirken droht.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Meta

2 AZR 297/09

10.06.2010

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Kaiserslautern, 14. August 2008, Az: 2 Ca 438/08, Urteil

§ 9 KSchG, § 11 Abs 2 S 1 ArbGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.06.2010, Az. 2 AZR 297/09 (REWIS RS 2010, 5979)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5979

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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