Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2014, Az. I ZB 70/12

I. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 7762

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

I ZB
70/12
vom
19. Februar
2014
in der
Rechtsbeschwerdesache
-
2 -

Der [X.] Zivilsenat des [X.] hat am 19. Februar
2014
durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr.
Dr. h.c. Bornkamm und die Richter Prof. Dr.
Schaffert, [X.], Dr. Koch
und Dr. Löffler

beschlossen:

Die Erinnerung
des [X.]n zu 2 gegen die Entscheidung des [X.]n der Geschäftsstelle des [X.] Zivilsenats des [X.] vom 22. November 2013 wird zurückgewiesen.

Gründe:
[X.] Der [X.] zu 2 möchte mit seiner Erinnerung
erreichen, dass ihm ein Beschluss und eine Kostenrechnung des [X.] in [X.] zugänglich gemacht werden, die in einem Rechtsbeschwerdeverfah-ren ergangen
sind. Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist aus einem Rechtsstreit hervorgegangen, in dem die Klägerin gegenüber den [X.]n einen Zah-lungsanspruch auf der Grundlage eines mit der [X.]n zu
1 abgeschlosse-nen Vertrages geltend
gemacht hat. Die [X.] zu 1 ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die [X.]n
zu 2 und 3 sind deren Gesellschafter. Der [X.] zu 2 ist blind. Er ist nach der internen Geschäftsverteilung für die kaufmännischen Angelegenheiten und damit auch für die mit der finanziellen Abwicklung von Verträgen verbundenen Streitigkeiten zuständig. Das Amtsge-richt hat der Klage stattgegeben. Dagegen haben die [X.]n Berufung [X.].

1
-
3 -

Der [X.] zu 2 hat im Berufungsverfahren beantragt, alle Prozessun-terlagen auch der I[X.] Instanz sowohl in Klarschrift wie auch in jeweils einer Aus-fertigung in Blindenschrift an seine
Prozessbevollmächtigten I[X.] Instanz zu übermitteln.
Das [X.]
hat den Antrag zurückgewiesen. Der [X.] hat die vom [X.] zugelassene Rechtsbeschwerde des [X.] zu 2 mit Beschluss vom 10. Januar 2013
zurückgewiesen
([X.]/12, NJW 2013, 1011) und dem [X.]n zu 2 am 1. März 2013 die
Kosten des Verfah-rens in Rechnung gestellt.

Mit Schreiben vom 11. und 12. März 2013 hat der [X.] zu
2 [X.], ihm den Senatsbeschluss vom 10. Januar 2013 und
die Kostenrechnung vom 1. März 2013 in [X.] zu übermitteln. Der [X.] der Geschäftsstelle hat diese Anträge mit Schreiben vom 22. November 2013 zu-rückgewiesen.

I[X.] Der [X.] hat angenommen, der [X.] zu 2 habe keinen Anspruch auf Zugänglichmachung der Dokumente in Blindenschrift. Zum einen sei er aufgrund ihm zur Verfügung stehender technischer Hilfsmittel dazu in der Lage, sich die in Rede stehenden Schriftstücke in Blindenschrift oder auch akustisch selbst zugänglich zu machen. Zum anderen sei er im [X.] durch einen Rechtsanwalt vertreten und der Streitstoff so übersichtlich, dass er ihm
durch den Rechtsanwalt gut vermittelbar sei.

II[X.] Die statthafte (§
573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO) und auch sonst zu-lässige (§
573 Abs.
1 Satz 2 und 3, § 569 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 ZPO) Er-innerung
ist nicht begründet.

2
3
4
5
-
4 -

1. Eine blinde oder sehbehinderte Person kann gemäß
§
191a Abs. 1 Satz
1 [X.] nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach §
191a Abs. 2 [X.] verlangen, dass ihr die für sie bestimmten gerichtlichen Dokumente auch in [X.] für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden, soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verfahren erforderlich ist. Die auf der Grundlage des §
191a Abs. 2 [X.] erlassene Verordnung zur barrierefreien Zugänglich-machung von Dokumenten für blinde und sehbehinderte Personen in gerichtli-chen Verfahren (Zugänglichmachungsverordnung -
ZMV) bestimmt, unter wel-chen Voraussetzungen und in welcher Weise einer blinden oder sehbehinder-ten Person die für sie bestimmten gerichtlichen Dokumente und die von den Parteien zu den Akten gereichten Dokumente zugänglich gemacht werden, so-wie ob und wie diese Person bei der Wahrung ihrer Rechte mitzuwirken hat. Nach §
4 Abs. 1 ZMV besteht der
Anspruch auf Zugänglichmachung, soweit der berechtigten Person dadurch der Zugang zu den ihr zugestellten oder formlos mitgeteilten Dokumenten erleichtert und sie in die Lage versetzt wird, eigene Rechte im Verfahren wahrzunehmen. Gemäß § 5 Satz 1 ZMV ist
die berechtig-te Person verpflichtet, bei der Wahrnehmung ihres Anspruchs auf Zugänglich-machung im Rahmen ihrer individuellen Fähigkeiten und ihrer technischen [X.] mitzuwirken.

2. Danach kann der [X.] zu 2 nicht beanspruchen, dass ihm der Se-natsbeschluss vom 10. Januar 2013 und die Kostenrechnung vom 1. März 2013 in [X.] zugänglich gemacht werden.

a) Gemäß § 5 Satz 1 ZMV ist die berechtigte Person verpflichtet, bei der Wahrnehmung ihres Anspruchs auf Zugänglichmachung im Rahmen ihrer indi-viduellen Fähigkeiten und ihrer technischen Möglichkeiten mitzuwirken. Diese Verpflichtung kann entgegen der Ansicht des [X.]n zu 2 nicht nur das
in 6
7
8
-
5 -

§
6 Satz 1 ZMV geregelte
Wahlrecht der berechtigten Person
zwischen den in §
3 ZMV genannten Formen der Zugänglichmachung einschränken (vgl. [X.], NJW 2013, 1011 Rn. 7; [X.]/Lückemann, ZPO, 30. Aufl., §
191a [X.] Rn. 2), sondern auch dazu führen, dass kein Anspruch auf Zugänglichmachung [X.]. Soweit es der berechtigten Person aufgrund ihrer individuellen Fähigkei-ten und ihrer technischen Möglichkeiten möglich und zumutbar ist, sich die frag-lichen Dokumente selbst zugänglich zu machen, kann sie nicht verlangen, dass ihr diese Dokumente zugänglich gemacht werden. So verhält es sich hier.
Der
[X.] zu 2 ist aufgrund ihm zur Verfügung stehender technischer Hilfsmittel in der Lage, sich die in Rede stehenden Schriftstücke in Blindenschrift oder auch akustisch selbst zugänglich zu machen. Er handelt als Gesellschafter der [X.]n zu 1 mit modernen technischen Hilfsmitteln für Blinde
wie Vorlese-systemen, Computern
und Screenreadern. Es ist ihm möglich, diese Geräte auch selbst zu nutzen. Das ist ihm im vorliegenden Fall selbst dann zumutbar, wenn die Geräte zum Vermögen der [X.]n zu 1 gehören sollten; denn Ge-genstand des Rechtsstreits, in dem der [X.] zu 2 die Zugänglichmachung von Dokumenten begehrt, ist eine Forderung, die sich auch gegen die [X.] zu 1 richtet, deren Gesellschafter die [X.]n zu 2 und 3 sind.

b) Ein Anspruch auf Zugänglichmachung von Dokumenten kann ferner bei einer anwaltlichen Vertretung der berechtigten Person ausgeschlossen sein, soweit gewährleistet ist, dass der anwaltliche Vertreter der berechtigten Person die in den Dokumenten enthaltenen Informationen so zu vermitteln vermag, dass eine zusätzliche Übermittlung der Dokumente durch das Gericht in einer für die berechtigte Person wahrnehmbaren Form zur Wahrnehmung ihrer Rech-te im Verfahren nicht erforderlich ist (vgl. [X.], NJW 2013, 1011 Rn. 10 mwN). Auch dies ist hier der Fall. Der [X.] zu 2 hat nicht dargelegt, weshalb sein Rechtsanwalt nicht dazu willens oder imstande sein sollte, ihm den Inhalt des 9
-
6 -

Senatsbeschlusses und der Kostenrechnung zu vermitteln. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der [X.] zu 2 aufgrund seiner individuellen Einsichtsfähig-keit nicht dazu in der Lage ist, den Sinngehalt der Dokumente bei einer nur mündlichen Vermittlung durch den anwaltlichen Vertreter zu erfassen. Auch aus diesem Grund
ist eine zusätzliche Übermittlung dieser Dokumente in [X.] zur Wahrnehmung der Rechte des [X.]n zu 2 im Verfahren nicht erforderlich.

IV. Danach ist die Erinnerung
gegen die Entscheidung des [X.] zurückzuweisen.

Bornkamm
Schaffert
Kirchhoff

Koch
Löffler
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 15.09.2011 -
112 C 7006/10 -

LG [X.], Entscheidung vom 23.05.2012 -
8 S 596/11 -

10

Meta

I ZB 70/12

19.02.2014

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2014, Az. I ZB 70/12 (REWIS RS 2014, 7762)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7762

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

I ZB 70/12 (Bundesgerichtshof)

Anspruch einer blinden oder sehbehinderten Person auf barrierefreie Zugänglichmachung der Dokumente eines gerichtlichen Verfahrens in …


I ZB 70/12 (Bundesgerichtshof)

Barrierefreie Zugänglichmachung der Dokumente eines gerichtlichen Verfahrens: Anspruch einer blinden oder sehbehinderten Person bei Vertretung …


I ZB 70/12 (Bundesgerichtshof)


14 T 9699/23 (LG München I)

Sofortige Beschwerde, Räumungsvergleiche, Eigenbedarfskündigung, Schriftsätze, Hilfsweise ordentliche Kündigung, Prozeßbevollmächtigter, Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, Mängel der Mietsache, …


B 3 P 2/14 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Blindheit - barrierefreie Zugänglichmachung - Laienhilfe - Prozessfähigkeit …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

I ZB 70/12

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.