Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.04.2016, Az. 2 StR 80/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 12279

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:270416B2STR80.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 80/16
vom
27. April
2016
in der Strafsache
gegen

wegen Diebstahls u.a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und des Beschwerdeführers
am 27. April 2016 gemäß §
349
Abs.
2 und 4
StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 16.
November 2015 mit den Feststellungen aufge-hoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten.
Im Umfang
der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an ei-ne andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unter-bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbe-gründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

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I.
Nach den Feststellungen des [X.] trat der an einer paranoiden Schizophrenie leidende Angeklagte in der [X.] vom 5. Oktober 2014 bis 10.
Januar 2015 wie folgt in Erscheinung: Weil er Hunger und Durst hatte, be-stellte er in einem Restaurant Essen und Trinken, obwohl er nicht über ausrei-chende Barmittel verfügte (Fall 1); darüber hinaus entwendete er eine Spen-denkasse, die in einer Apotheke aufgestellt war (Fall 2), sowie ein Paket Wurst und Fleisch aus dem Einkaufsbeutel einer Passantin (Fall 4). In drei Fällen drang der Angeklagte in die Wohnung eines Nachbarn ein, um sich dort mit ei-nem Verlängerungskabel Strom zu verschaffen, weil die Stromzufuhr in seiner eigenen Wohnung gesperrt war (Fälle 5, 6 und 8). In einem weiteren Fall drang er in die Wohnung eines ihm Unbekannten ein, um dort zu übernachten. Weil ihm dies versagt wurde, zerschlug er eine Tasse (Fall 3). In zwei Fällen ver-schaffte sich der Angeklagte Zutritt zu einer Klinik, um sich Medikamente bzw. Vitaminaufbaupräparate zu verschaffen, wobei er einmal den [X.] in das Gebäude kletterte (Fälle 7 und 11). Der Angeklagte wurde schließlich bei dem Versuch, in einem Supermarkt Batterien zu entwenden, festgehalten. Dem
Polizeibeamten, dem er übergeben wurde, ergriff er am Arm und stieß ihn weg, weil er sich nicht durchsuchen lassen wollte (Fall 9 und 10).
Das sachverständig beratene [X.] hat angenommen, dass der Angeklagte in allen Fällen ohne Schuld gehandelt habe. Aufgrund seiner schwerwiegenden Erkrankung sei sicher von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit zu den [X.] auszugehen. Nicht ausschließbar sei die Steuerungsfähigkeit
im gesamten Tatzeitraum auch aufgehoben [X.]. Zwar wiesen die Umstände der Tatbegehung nicht in allen Fällen auf eine akute psychotische Phase hin. Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs 2
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der Taten sei es jedoch nicht möglich, die Schuldfähigkeit des Angeklagten von Tat zu Tat differenziert zu beurteilen, weshalb zu seinen Gunsten davon auszu-gehen sei, dass er sich im gesamten Tatzeitraum in einer psychotischen Krank-heitsphase befunden habe.

II.
1. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststel-lungen nicht hinreichend belegt. Das [X.] hat schon nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der [X.] sicher erheblich vermindert schuldfähig im Sinne des § 21 StGB war.
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende [X.], die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht,
dass der [X.] bei der Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen De-fekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§
21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§
20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts-
oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die [X.] auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 10. November 2015

1 [X.], [X.], 76 mwN).
Wenn sich der Tatrichter

wie hier

darauf beschränkt, sich der Beurtei-lung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen
wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so 4
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wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 17.
Juni 2014 -
4 [X.], [X.], 305, 306 mwN). Dies gilt auch in Fällen paranoider Schizophrenie. Allein die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere [X.]räume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (vgl. auch [X.], Beschlüsse vom 24. April 2012 -
5 [X.], [X.], 239; vom 17. Juni 2014 -
4 [X.], [X.], 305, 306 mwN). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der jeweiligen Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (Senat, [X.] vom 29. Mai 2012 -
2 [X.], [X.], 306, 307; Beschluss vom 27. Januar 2016 -
2 StR 314/15).
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es fehlt eine nähere Darlegung des Einflusses des diagnostizierten [X.] auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in den jeweils konkreten Tat-situationen. Die [X.] schließt sich insoweit lediglich der Beurteilung des Sachverständigen an, ohne dessen dafür wesentlichen Anknüpfungs-
und Be-fundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gut-achtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 14. April 2010 -
5 [X.] mwN). Die Annahme, dass es sich bei der Erkrankung des Anghandele und nicht

wie es sonst bei paranoiden Psychosen aus dem schizo-phrenen Formenkreis regelmäßig der Fall ist

um eine nur schubweise auftre-tende Erkrankung, ist ebenso wenig durch Tatsachen belegt, wie eine
in [X.] Zuständen möglicherweise überdauernd bestehende erheblich vermin-7
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derte Steuerungsfähigkeit (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Februar 2016

2 StR 545/15; [X.]/Eusterschulte in [X.]/[X.]/Dreßing/Haber-meyer, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl., [X.], 236).
Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich insoweit keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die festgestellten Taten des [X.] weisen -
wovon auch das [X.] ausgegangen ist -
nur teilweise besondere Umstände auf, die auf einen akuten Krankheitsschub hindeuten können. Auch soweit das [X.] an anderer Stelle ausgeführt hat, die Ta-u-

spezifische Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den einzelnen Taten nicht hinreichend belegt. Denn ungeachtet dessen, dass diese Erwägung eher auf einen Ausschluss der Unrechtseinsicht hinweist, erscheint das Handeln des Angeklagten zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung auch ohne Fehlwahrneh-mung rational nachvollziehbar.
2. Die Sache bedarf deshalb im Umfang der Aufhebung neuer Verhand-lung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der An-geklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuhe-ben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. [X.], Beschluss vom 14. September 2010 -
5 [X.], StraFo 2011, 55 mwN). Von der Aufhebung nicht betroffen sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, die deshalb bestehen bleiben. Die diesen Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung weist 8
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keinen Rechtsfehler auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Insoweit war die Revision zu ver-werfen. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
Fischer

Ri[X.] Dr. Appl ist

Eschelbach

an der Unterschrift

gehindert.

Fischer

Ott Zeng

Meta

2 StR 80/16

27.04.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.04.2016, Az. 2 StR 80/16 (REWIS RS 2016, 12279)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 12279

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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