Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.02.2016, Az. 2 StR 545/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 16095

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Gegenstand

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an eine individuelle Gefährlichkeitsprognose bei einem schizophrenen Ersttäter


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2. September 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision, mit der er „eine angemessene Verurteilung wegen der Tat und Aufhebung der Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus“ erstrebt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s leidet der Angeklagte an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Nach der Zwangsversteigerung und Räumung seines Elternhauses zog er sich zurück und lebte in einem Zelt in den Dünen am Strand zwischen [X.]       und [X.]       . Er verfügte weder über Geld noch über Lebensmittel und hatte zwei Tage lang nichts gegessen, als er am 16. April 2015 beschloss, die Urlauberinnen [X.]und [X.], die am Strand spazieren gingen, mit Gewalt zur Herausgabe von Bargeld zu zwingen. Er ergriff einen Ast und näherte sich den beiden Frauen von hinten. Um ihren Widerstand von vornherein auszuschalten, schlug er den beiden Frauen nacheinander mit dem Ast auf den Kopf, sodass sie zu Boden gingen. Dabei rief er „Geld, Portemonnaie, Handy her!“ Nach einem vergeblichen Versuch den Angeklagten zu vertreiben, händigte die Geschädigte S. ihm ihr Portemonnaie und ihr Mobiltelefon aus. Der Angeklagte stellte fest, dass sich zehn Euro in dem Portemonnaie befanden, nahm diese Beute mit und warf das Mobiltelefon in die [X.]. Von dem Geld kaufte er sich Nahrungsmittel.

3

Das sachverständig beratene [X.] hat angenommen, dass die Handlung den Tatbestand der besonders schweren räuberischen Erpressung erfülle. Jedoch habe der Angeklagte ohne Schuld gehandelt. Bei ihm liege eine „kontinuierliche Schizophrenie“ vor, die in einem Wahnsystem mit Verfolgungserlebnissen zum Ausdruck komme. Der Angeklagte wirke teilweise zerfahren, zeige einen hohen Redefluss und [X.]. Er besitze keine Krankheitseinsicht. Seine Wahrnehmung der Realität sei verzerrt. Zur Tatzeit habe er aus seiner Sicht nur die Wahl gehabt zu verhungern oder die Tat zu begehen. Er sei nicht zu einer realistischen Einschätzung seiner Situation in der Lage gewesen. In der Hauptverhandlung sei er nicht in der Lage gewesen, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen. Er habe erklärt, er könne die Geschädigten nicht als Opfer „annehmen“.

4

Die Strafkammer ist dem Sachverständigen darin gefolgt, dass bei Gewaltdelikten generell bereits eine über 50 % liegende Wiederholungsgefahr bestehe; dieses sei im Fall der Schizophrenie „siebenfach erhöht“. Es sei negativ zu bewerten, dass der Angeklagte über keinerlei [X.] Bindungen mehr verfüge. Er akzeptiere keine Unterstützung durch einen Betreuer. Nachteilig wirke sich der [X.] aus. Aufgrund seines Wahnsystems könne es jederzeit zu Situationen kommen, in denen er sich zur Anwendung von Gewalt als Mittel zur eigenen Rettung entschließen werde.

II.

5

Die Revision des Angeklagten ist begründet. Das [X.] hat die Voraussetzungen für die Annahme der Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit und die Erforderlichkeit seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.

6

1. a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die [X.] auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 10. November 2015 – 1 [X.], [X.], 76 mwN).

7

Schließt sich der Tatrichter bei der Frage der Schuldfähigkeit der Beurteilung des Sachverständigen an, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist. Dies gilt auch in Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie; denn die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere [X.]räume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat ([X.], Beschluss vom 17. Juni 2014 - 4 [X.], [X.], 305, 306).

8

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

9

Das [X.] ist offenbar davon ausgegangen, dass der Angeklagte zur Tatzeit ohne Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehandelt hat. Dies hat es darauf gestützt, dass der Angeklagte aus seiner Sicht ausschließlich die Wahl zwischen den Alternativen des [X.] oder des Überfalls auf die Urlauberinnen gehabt habe. Deshalb habe er seine Handlung als gerechtfertigt angesehen. Der Sache nach hat das [X.] die Tatsache, dass der Angeklagte es nicht in Betracht gezogen hat, sich an seinen Betreuer oder an die Sozialbehörden zu wenden, als Hinweis auf fehlende [X.] gewertet. Damit hat es eine verkürzte Betrachtung zu Grunde gelegt.

Die allgemein festgestellte Wahnvorstellung des Angeklagten, dass er Opfer einer Verschwörung geworden sei, „an der die [X.] maßgeblich beteiligt war“ und die zur Zwangsversteigerung und Räumung seines Elternhauses geführt hatte, hat sich nicht auf die Geschädigten seiner Tat bezogen. Der Entschluss des Angeklagten in der konkreten Tatsituation am Strand einen Überfall zu begehen, um Geld zu erlangen, das er wegen seines Hungers für die Beschaffung von Nahrungsmitteln verwenden wollte, erscheint rational nachvollziehbar. Inwieweit die Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sich auf die [X.] oder das Hemmungsvermögen des Angeklagten ausgewirkt hat, wurde vom [X.] nicht geprüft. Seine Annahme, dass es sich bei der Erkrankung des Angeklagten um eine „kontinuierliche Schizophrenie“ handele und nicht – wie es sonst bei paranoiden Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis regelmäßig der Fall ist – um eine schubweise auftretende Erkrankung, ist nicht durch Tatsachen belegt.

Möglicherweise hat sich der Angeklagte zur Tatzeit nicht in einer Phase eines akuten Schubs der paranoiden Psychose befunden, der in der Regel zum Ausschluss der [X.] führt (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/Leygraf/[X.], Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, 2010, [X.], 327 ff.). In subakuten Zuständen wird man dagegen allenfalls eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit belegen können (vgl. [X.]/Eusterschulte in [X.]/[X.]/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl., [X.], 236).

2. a) Voraussetzung der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist weiter eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, die schwerwiegende Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] sowie der von ihm begangenen [X.] zu treffen. Das Tatgericht ist dabei auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise in den Urteilsgründen darzustellen ([X.], Beschluss vom 16. September 2014 – 3 [X.]/14).

b) Diesem Maßstab werden die Erwägungen des [X.]s bisher ebenfalls nicht gerecht.

Die Behauptungen der vom [X.] gehörten Sachverständigen, bei Gewaltdelikten bestehe grundsätzlich bereits eine über 50 % liegende Wiederholungsgefahr und diese sei bei der Schizophrenie siebenfach erhöht (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/Leygraf/[X.], Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, 2010, [X.], 314 ff.), werden nicht erläutert. Statistische Werte sind bei der individuellen Gefahrenprognose im Rahmen der [X.] auch allenfalls am Rande von Bedeutung. Der Zusammenhang zwischen Schizophrenie und Gewalt ist zudem empirisch umstritten (krit. [X.] in Lammel/Sutarski/[X.]/[X.], Wahn und Schizophrenie, S. 67 ff.). Maßgeblich ist stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung. Der Angeklagte ist „bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten“. Seine Krankheitsgeschichte ist vom [X.] nur insoweit dargestellt worden, als sein – vergleichsweise kurzer – Aufenthalt in einem Krankenhaus und die Anordnung der Betreuung im Urteil erwähnt sind. Es fehlen Angaben dazu, wann die Krankheit erstmals aufgefallen ist, welche Symptome sie im Einzelnen gezeigt hat und wie sich die Symptomatik im Verlauf der [X.] entwickelt hat. Situative Risikofaktoren sind bei der Prognosebeurteilung ebenfalls zu berücksichtigen ([X.]/[X.] aaO [X.], 325 f.). Insoweit ist die Prognose des [X.]s, es könne wegen der „kontinuierlichen Schizophrenie“ jederzeit zu Situationen kommen, in denen der Angeklagte die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel zur eigenen Rettung ansehe, nicht ausreichend belegt.

Fischer                       Appl                       Eschelbach

                   Zeng                     [X.]

Meta

2 StR 545/15

17.02.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stralsund, 2. September 2015, Az: 22 KLs 11/15

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.02.2016, Az. 2 StR 545/15 (REWIS RS 2016, 16095)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16095

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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