Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.02.2016, Az. 2 StR 545/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 16115

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:170216B2S[X.]R545.15.0

BUN[X.]SGERICH[X.]SHOF

BESCHLUSS
2 StR 545/15
vom
17. Februar 2016
in der Strafsache
gegen

wegen Verdachts der besonders schweren räuberischen Erpressung

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2
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Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und
des Beschwerdeführers
am 17. Februar
2016 gemäß §
349 Abs.
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StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2. September 2015 mit den Feststellungen aufge-hoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unter-bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet Verurteilung wegen der [X.]at und Aufhebung der Einweisung in ein psychiatri-

I.
Nach den Feststellungen des [X.] leidet der Angeklagte an [X.] aus dem schizophrenen Formenkreis. Nach der Zwangsverstei-gerung und Räumung seines Elternhauses zog er sich zurück und lebte in ei-1
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nem Zelt in den Dünen am Strand zwischen K.

und [X.].

. Er verfügte weder über Geld noch über Lebensmittel und hatte zwei [X.]age lang nichts gegessen, als er am 16.
April 2015 beschloss, die Urlauberinnen H.

und S.

, die am Strand spazieren gingen, mit Gewalt zur Herausgabe von Bargeld zu zwingen. Er ergriff einen Ast und näherte sich den beiden Frauen von hinten. Um ihren Widerstand von vornherein auszuschalten, schlug er den beiden Frauen nacheinander mit dem Ast auf den Kopf, sodass sie zu Boden ch einem vergebli-chen Versuch den Angeklagten zu vertreiben, händigte die Geschädigte S.

ihm ihr Portemonnaie und ihr Mobiltelefon aus. Der Angeklagte stellte fest, dass sich zehn Euro in dem Portemonnaie befanden, nahm diese Beute mit und warf das Mobiltelefon in die [X.]. Von dem Geld kaufte er sich Nahrungsmittel.
Das sachverständig beratene [X.] hat angenommen, dass die Handlung den [X.]atbestand der besonders schweren räuberischen Erpressung erfülle. Jedoch habe der Angeklagte ohne Schuld gehandelt. Bei ihm liege eine [X.] zum Ausdruck komme. Der Angeklagte wirke teilweise zerfahren, zeige einen hohen Redefluss und [X.]. Er besitze keine Krank-heitseinsicht. Seine Wahrnehmung der Realität sei verzerrt. Zur [X.]atzeit habe er aus seiner Sicht nur die Wahl gehabt zu verhungern oder die [X.]at zu begehen. Er sei nicht zu einer realistischen Einschätzung seiner Situation in der Lage gewesen. In der Hauptverhandlung sei er nicht in der Lage gewesen, sich mit seiner [X.]at auseinanderzusetzen. Er habe erklärt, er könne die Geschädigten

[X.] ist dem Sachverständigen darin gefolgt, dass bei [X.] generell bereits eine
über 50 % liegende Wiederholungsgefahr be-3
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zu bewerten, dass der Angeklagte über keinerlei [X.] Bindungen mehr ver-füge. Er akzeptiere keine Unterstützung durch einen Betreuer. Nachteilig wirke sich der [X.] aus. Aufgrund seines Wahnsystems könne es jeder-zeit zu Situationen kommen, in denen er sich zur Anwendung von Gewalt als Mittel zur eigenen Rettung entschließen werde.

II.
Die Revision des Angeklagten ist begründet. Das [X.] hat die Voraussetzungen
für die Annahme der Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur [X.]atzeit und die Erforderlichkeit seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
1. a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatri-schen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Be-troffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.] aufgrund eines psychi-schen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§
21 StGB) war und die [X.]atbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom [X.]atrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§
20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der konkreten [X.]atsituation auf die Einsichts-
oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die [X.] auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 10. November 2015

1 [X.], [X.], 76 mwN).
Schließt sich der [X.]atrichter bei der Frage der Schuldfähigkeit der Beurtei-lung des Sachverständigen an, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunk-5
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te und
Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist. Dies gilt auch in Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie; denn die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere [X.]räume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die kon-kretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Stö-rung bei Begehung der [X.]at auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten [X.]atsituation und damit auf die Einsichts-
oder Steuerungsfähig-keit ausgewirkt hat ([X.], Beschluss vom 17. Juni 2014 -
4 [X.], [X.], 305, 306).
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Das [X.] ist offenbar davon ausgegangen, dass der Angeklagte zur [X.]atzeit ohne Einsicht in
das Unrecht seiner [X.]at gehandelt hat. Dies hat es darauf gestützt, dass der Angeklagte aus seiner Sicht ausschließlich die Wahl zwischen den Alternativen des [X.] oder des Überfalls auf die [X.] gehabt habe. Deshalb habe er seine Handlung als gerechtfertigt ange-sehen. Der Sache nach hat das [X.] die [X.]atsache, dass der Angeklagte es nicht in Betracht gezogen hat, sich an seinen Betreuer oder an die Sozialbe-hörden zu wenden, als Hinweis auf fehlende [X.] gewertet. Damit hat
es eine verkürzte Betrachtung zu Grunde gelegt.
Die allgemein festgestellte Wahnvorstellung des Angeklagten, dass er .

AG maßgeblich

seines Eltern-hauses geführt hatte, hat sich nicht auf die Geschädigten seiner [X.]at bezogen. 8
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Der Entschluss des Angeklagten in der konkreten [X.]atsituation am Strand einen Überfall zu begehen, um Geld zu erlangen, das er wegen seines Hungers für die Beschaffung von Nahrungsmitteln verwenden wollte, erscheint rational nachvollziehbar. Inwieweit die Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sich auf die [X.] oder das Hemmungsvermögen des Angeklagten ausgewirkt hat, wurde vom [X.] nicht geprüft. Seine Annahme, dass es e-

wie es sonst bei paranoiden Psychosen aus dem schi-zophrenen Formenkreis regelmäßig der Fall ist

um eine schubweise auftre-tende Erkrankung, ist nicht durch [X.]atsachen belegt.
Möglicherweise hat sich der Angeklagte zur [X.]atzeit nicht in einer Phase eines akuten Schubs der paranoiden Psychose befunden, der in der Regel zum Ausschluss der [X.] führt (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/Leygraf/[X.], Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, 2010, S.
312, 327 ff.). In subakuten Zuständen wird man dagegen allenfalls eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit belegen können (vgl. [X.]/Eusterschulte in [X.]/[X.]/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begut-achtung, 6. Aufl., S.
227, 236).
2. a) Voraussetzung der Anordnung der Unterbringung in einem psychi-atrischen Krankenhaus ist weiter eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der [X.]äter infolge seines fortdauernden Zustandes zukünftig erhebliche rechts-widrige [X.]aten begehen wird, die schwerwiegende Störungen des Rechtsfrie-dens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.]äters, seines [X.] sowie der von ihm begangenen [X.] zu treffen. Das [X.]atgericht ist dabei auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in einer für das Revisionsgericht 11
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nachvollziehbaren Weise in den Urteilsgründen darzustellen ([X.], Beschluss vom 16. September 2014

3 [X.]).
b) Diesem Maßstab werden die Erwägungen des [X.] bisher ebenfalls nicht gerecht.
Die Behauptungen der vom [X.] gehörten Sachverständigen, bei Gewaltdelikten bestehe grundsätzlich bereits eine über 50 % liegende Wieder-holungsgefahr und diese sei bei der Schizophrenie siebenfach erhöht (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/Leygraf/[X.], Handbuch der Forensischen [X.], Bd.
2, 2010, [X.], 314 ff.), werden nicht erläutert. Statistische Werte sind bei der individuellen Gefahrenprognose im Rahmen der [X.] auch allenfalls am Rande von Bedeutung. Der Zusammenhang zwischen Schi-zophrenie und Gewalt ist zudem empirisch umstritten (krit. [X.] in Lammel/Sutarski/[X.]/[X.], Wahn und Schizophrenie, S.
67 ff.). Maßgeblich ist [X.] die konkrete Krankheits-
und Kriminalitätsentwicklung. Der Angeklagte e-schichte ist vom [X.] nur insoweit dargestellt worden, als sein

ver-gleichsweise kurzer

Aufenthalt in einem Krankenhaus und die Anordnung der Betreuung im Urteil erwähnt sind. Es fehlen Angaben dazu, wann die Krankheit erstmals aufgefallen ist, welche Symptome sie im Einzelnen gezeigt hat und wie sich die Symptomatik im Verlauf der [X.] entwickelt hat. Situative Risikofaktoren sind bei der Prognosebeurteilung ebenfalls zu berücksichtigen ([X.]/[X.] aaO S.
312, 325 f.). Insoweit ist die Prognose des [X.], es könne wegen der 13
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Angeklagte die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel zur eigenen Rettung ansehe, nicht ausreichend belegt.
Fischer Appl Eschelbach

Zeng Bartel

Meta

2 StR 545/15

17.02.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.02.2016, Az. 2 StR 545/15 (REWIS RS 2016, 16115)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16115

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