Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.10.2011, Az. IX B 90/11

9. Senat | REWIS RS 2011, 2265

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Gegenstand

Fehlende Überzeugungsbildung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens - Gebäudeteil als Objekt einer Vermietung


Leitsatz

1. NV: Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG seine Überzeugung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu bilden, also den gesamten konkretisierten Prozessstoff seiner Entscheidung zugrundezulegen .

2. NV: Ein Verfahrensfehler liegt vor, wenn das FG erkennbar Umstände nicht berücksichtigt, die in die Beweiswürdigung hätten einfließen müssen, und es damit einen Teil des Gesamtergebnisses des Verfahrens nicht seiner Entscheidung zugrundelegt .

3. NV: Objekt der Vermietung muss nicht zwingend eine (abgeschlossene) Wohnung sein, sondern kann auch ein bestimmter Teil eines Gebäudes sein, z.B. einzelne (auch möblierte) Zimmer und Räumlichkeiten .

Gründe

1

Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht --[X.]-- (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) konkludent geltend gemachte Verfahrensmangel der Nichtberücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens liegt vor; auf ihm kann die angefochtene Entscheidung beruhen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O).

2

1. Soweit der Kläger eine Entscheidung des [X.] ([X.]) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) in Gestalt einer objektiv willkürlichen und greifbar gesetzwidrigen Entscheidung für erforderlich hält, greift dieser Einwand nicht durch. Denn unterhalb dieser Grenze liegende Rechtsfehler --wie im [X.] oder auch Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze reichen als materiell-rechtliche Fehler nicht aus, um die Revision zuzulassen (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 2. März 2011 IX B 144/10, [X.]/NV 2011, 1367, m.w.N.; vom 21. Oktober 2009 [X.]/08, [X.]/NV 2010, 444).

3

2. Indes hat das [X.] seine Überzeugung nicht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens gebildet, also nicht den gesamten konkretisierten [X.] seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

4

a) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O hat das Gericht insbesondere den Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Prozessbeteiligten (quantitativ) vollständig und (qualitativ) einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 22. März 2011 [X.]/11, [X.]/NV 2011, 1005; vom 7. April 2005 IX B 194/03, [X.]/NV 2005, 1354, m.w.N.). § 96 [X.]O gebietet aber nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern; vielmehr ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt und Vortrag in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (z.B. [X.]-Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 [X.]/07, [X.]/NV 2008, 599; vom 15. April 2008 [X.], [X.]/NV 2008, 1341). Allerdings ist § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O verletzt, wenn das [X.] bei seiner Entscheidung von einem Sachverhalt ausgeht, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht oder wenn eine nach den Akten klar feststehende Tatsache oder sonst Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens unberücksichtigt geblieben sind (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 24. April 2007 [X.], [X.]/NV 2007, 1521; vom 30. Mai 2007 [X.]/06, [X.]/NV 2007, 1698; und in [X.]/NV 2011, 1005).

5

b) Das ist im Streitfall nicht geschehen. Denn das [X.] hat erkennbar Umstände nicht berücksichtigt, die in die Beweiswürdigung hätten einfließen müssen, und damit auch einen Teil des Gesamtergebnisses des Verfahrens nicht seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Denn im Rahmen seiner Gesamtwürdigung hat es nur den fehlenden eigenen Wohnungsabschluss und die nicht durchgeführte Nebenkostenabrechnung berücksichtigt, ohne auf andere (möglicherweise auch positiv zu wertende) Beweisanzeichen überhaupt einzugehen. Damit ist die vorgenommene Gesamtwürdigung unvollständig.

6

3. Der Senat hält es im Streitfall daher für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Das [X.] wird im zweiten Rechtsgang die notwendigen Feststellungen (Würdigung der Gesamtumstände unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls) nachholen und auch eine erneute Prüfung der Einkünfteerzie-lungsabsicht des Klägers für die Umbauphase vornehmen.

7

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

8

a) Zwar geht das [X.] zutreffend von den vom [X.] entwickelten Maßstäben zum Fremdvergleich bei ([X.] zwischen nahestehenden Personen/Angehörigen aus. Dazu ist zum einen in der [X.]-Rechtsprechung geklärt, dass die (Wohn-)Bereiche des Vermieters und des Mieters hinreichend deutlich voneinander getrennt sein müssen, dass ein gemeinsamer (Haus- oder Woh-nungs-)Zugang ein bedeutsames Beweisanzeichen für ein gemeinsames Wohnen oder eine (familiäre) [X.] sein kann (vgl. [X.]-Urteile vom 4. August 2003 IX R 25/02, [X.]/NV 2004, 38; vom 17. Dezember 2003 [X.], [X.]/NV 2004, 1270; [X.]-Beschluss vom 18. Mai 2004 IX B 112/03, [X.]/NV 2004, 1262, m.w.N.), aber nicht muss; denn es kommt nicht allein auf die Art des Zugangs zur vermieteten Wohnung an ([X.]-Urteil in [X.]/NV 2004, 38). Unberücksichtigt lässt das [X.] in diesem Zusammenhang, dass das Objekt der Vermietung nicht zwingend eine (abgeschlossene) Wohnung sein muss, sondern auch ein bestimmter Teil eines Gebäudes sein kann, z.B. einzelne (auch möblierte) Zimmer und Räumlichkeiten ([X.]-Urteil vom 4. März 2008 [X.], [X.]/NV 2008, 1462). Nach der Beweisaufnahme ergeben sich bisher --bei "grundverschiedenem Lebensrhythmus" der [X.] weder für eine [X.] noch für ein gemeinsames Wohnen oder Wirtschaften noch für eine "Verflechtung von Wohnbereichen" hinreichende Anhaltspunkte.

9

b) Zum anderen ist auch geklärt, dass die Gestaltung und Durchführung von Nebenpflichten des Mietverhältnisses (hier: Nebenkostenabrechnung) eine Rolle spielen kann (vgl. [X.]-Ur-teile vom 17. Februar 1998 IX R 30/96, [X.]E 185, 397, [X.] 1998, 349; vom 21. November 2000 [X.], [X.]/NV 2001, 594, m.w.N.). Diesen Punkt wird das [X.] zu gewichten haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass offensichtlich --vom [X.] aber nicht thematisiert-- die Hauptpflichten des [X.] (Überlassung der Wohnung, Mietzinszahlung) erfüllt wurden.

c) Schließlich wird das [X.] für den Fall der Anerkennung des Mietverhältnisses die Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers während der Umbauphase erneut zu prüfen haben. Dabei wird es die [X.]-Rechtsprechung zum Leerstand nach auf Dauer angelegter Vermietung (vgl. [X.]-Urteil vom 31. Juli 2007 IX R 30/05, [X.]/NV 2008, 202, m.w.N.) oder die nach erstmaliger Herstellung des Objekts bzw. nach vorangehender Selbstnutzung, also ohne vorherige Vermietung berücksichtigen (vgl. [X.]-Urteile vom 28. Oktober 2008 [X.], [X.]E 223, 186, [X.] 2009, 848; vom 12. Mai 2009 IX R 18/08, [X.]/NV 2009, 1627).

Meta

IX B 90/11

19.10.2011

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 29. März 2011, Az: 3 K 2051/05, Urteil

§ 9 Abs 1 EStG 1990, § 21 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 1990, § 96 Abs 1 S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 9 Abs 1 EStG 1997, § 21 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 1997

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.10.2011, Az. IX B 90/11 (REWIS RS 2011, 2265)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2265

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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