Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.12.2009, Az. VIII ZR 92/07

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2009, 215

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[X.] [X.] ZR 92/07 vom 8. Dezember 2009 in dem Rechtsstreit - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 8. Dezember 2009 durch den Vorsitzenden [X.], die Richterin [X.], [X.] Achilles, die Richterin [X.] und [X.] Bünger beschlossen: Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil der 9. Zivilkammer des [X.] vom 7. Februar 2007 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das [X.] zurückverwiesen. Der Streitwert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wird auf 26.166,65 • festgesetzt. Gründe: [X.] Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, dem [X.] höhere als die gezahlte Provision aus der Vermittlung von [X.] seiner Untervertretertätigkeit für die Beklagte zu zahlen. 1 In erster Instanz hat der Kläger die Provisionsansprüche im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht. Das Amtsgericht hat die Klage wegen Fehlens des Feststellungsinteresses abgewiesen. Mit der hiergegen eingeleg-ten Berufung hat der Kläger den Klageantrag beziffert und statt der Feststellung die Zahlung einer zusätzlichen Provision in Höhe von 26.166,65 • beantragt. 2 - 3 - Den ursprünglichen Feststellungsantrag hat er als Hilfsantrag aufrechterhalten. Das [X.] hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung im [X.] ausgeführt: 3 Die Umstellung des Klageantrags sei zwar zulässig, aber verspätet, weil der Hauptantrag auf neue Tatsachen gestützt werde, die schon in erster Instanz hätten vorgetragen werden können und daher nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu-zulassen seien. Der Kläger habe es aus Nachlässigkeit unterlassen, die Klage bereits nach der in der ersten [X.] seitens der Beklagten erfolgten Vorlage weiterer Unterlagen umzustellen. Dass er einen [X.] mit der Auswertung beauftragt habe und dieser sein Gutachten erst am 12. April 2006 erstellt habe, entlaste den Kläger nicht vom [X.], da er als kaufmännisch erfahrener Handelsvertreter, ebenso wie sein Prozessbevoll-mächtigter eine Auswertung der Unterlagen auch ohne die Unterstützung des [X.] hätte vornehmen können. An der Verspätung des [X.] des [X.] in der Berufungsinstanz ändere auch der Umstand nichts, dass der Bericht des [X.] bereits in erster Instanz vorgelegt worden sei. Zum einen sei der Bericht in erster Instanz verspätet vorgelegt [X.], zum anderen ergebe sich das vom Kläger zur Bezifferung seines Leistungsantrags vorgetragene Zahlenwerk nur teilweise aus diesem Bericht und sei daher insgesamt als neu zu bewerten. § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ändere ebenfalls nichts an der Verspätung. Denn es liege kein Verfahrensfehler des Amtsgerichts vor, durch den der Kläger sein Vorbringen im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht hätte. Insbesondere sei das Amtsgericht nicht gehalten gewesen, den Kläger bereits vor der mündlichen Verhandlung auf die [X.] gegen das Feststellungsinteresse hinzuweisen. Mit dem Hilfsantrag bleibe die Berufung mangels Feststellungsinteresses ebenfalls ohne Erfolg. - 4 - Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen rich-tet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.]. 4 I[X.] 5 Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie ist auch begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungs-gericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des [X.] auf rechtliches Ge-hör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör gebietet es, dass sich das Gericht mit allen wesentlichen Punkten des Vortrags einer Partei auseinandersetzt. Indem das Berufungsgericht das Vorbringen des [X.] im [X.] als ver-spätet zurückgewiesen hat, hat es die Präklusionsvorschrift des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO offenkundig unrichtig angewandt und dadurch das Grundrecht des [X.] auf rechtliches Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. [X.] der verfassungsrechtlichen Relevanz des Verfahrensfehlers ist eine Ent-scheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtspre-chung erforderlich (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO). 6 1. Das Berufungsgericht hat bei der Anwendung der Vorschriften über die Zulassung neuen Vorbringens im zweiten Rechtszug die hierzu ergangene Rechtsprechung des [X.] nicht in ausreichendem Maße berück-sichtigt. 7 a) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass es sich bei der Umstellung des Klageantrags von der [X.] auf eine 8 - 5 - Leistungsklage nicht um eine nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässige Klageänderung (§§ 263, 533 ZPO), sondern lediglich um eine Klageerweiterung (§ 264 Nr. 2 ZPO) handelt und eine solche auch im Berufungsverfahren zuläs-sig ist (§§ 525, 264 ZPO; vgl. [X.], 295, 306; Senatsurteil vom 8. Juni 1994 - [X.] ZR 178/93, NJW 1994, 2896, unter 2 [X.]; [X.], Urteil vom 12. Mai 1992 - [X.], [X.], 2296, unter [X.]; Musielak/Foerste, ZPO, 7. Aufl., § 264 Rdnr. 1, 3). In Rechtsprechung und Schrifttum ist allgemein an-erkannt, dass der Übergang von der [X.] zur Leistungsklage eine Kla-geerweiterung gem. § 264 Nr. 2 ZPO darstellt, wenn sich der neue Antrag auf dasselbe Rechtsverhältnis bezieht (Senatsurteil, aaO, m.w.N; [X.], Urteil vom 12. Mai 1992, aaO, unter II; [X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl., § 264 Rdnr. 3b). Dies ist hier der Fall, denn der Klagegrund - das Bestehen eines höheren Provisi-onsanspruchs des [X.] - war in der Berufungsinstanz derselbe wie im ersten Rechtszug. Die unbeschränkte Zulässigkeit einer Modifizierung des [X.] nach § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO auch in der Berufungsinstanz entspricht dem Zweck der Vorschrift, die die prozessökonomische und endgültige Erledigung des Streitstoffs zwischen den Parteien fördern soll; ebenso steht § 533 ZPO einer Anwendung des § 264 ZPO auf das Berufungsverfahren weder nach den Intentionen des Gesetzgebers noch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift entgegen (vgl. im Einzelnen [X.], 295, 306 ff.). b) Bei der Entscheidung über den modifizierten Klageantrag ist das [X.] nicht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 ZPO an die von dem erst-instanzlichen Gericht zu dem ursprünglichen Klageantrag getroffenen Feststel-lungen gebunden, sondern darf auf den gesamten erstinstanzlichen Sachvor-trag zurückgreifen. Hinsichtlich des neuen Vortrags in der Berufung zu dem neuen Antrag ist § 531 Abs. 2 ZPO anwendbar. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob neuer Vortrag der Parteien im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit beruht (§ 531 9 - 6 - Abs. 2 ZPO; vgl. [X.], Urteile vom 8. Dezember 2005 - [X.], [X.], 1361, [X.]. 26, und [X.], NJW-RR 2006, 390, [X.]. 19; [X.], 295, 308). Jedenfalls soweit neuer Vortrag den unbeschränkt zulässigen erwei-terten Klageantrag betrifft, beruht er nicht auf Nachlässigkeit (vgl. [X.], Urteile vom 8. Dezember 2005, aaO). So liegt der Fall hier. Der vom Berufungsgericht nicht berücksichtigte Vortrag ist deshalb nach §§ 529, 531 ZPO zuzulassen. 2. Bei dem aufgezeigten Verfahrensfehler des Berufungsgerichts handelt es sich nicht um einen einfachen Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften, der für sich genommen noch nicht zum Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Juni 2005 - [X.], NJW 2005, 2624, unter [X.] b). Mit der unter offenkundig unrichtiger Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO erfolgten vollständigen Zurückweisung des Vortrags des [X.] zu der nunmehr mit dem Hauptantrag geltend gemachten Leistungsklage hat das Berufungsgericht vielmehr das Verfahrensgrundrecht des [X.] auf rechtli-ches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Zwar verletzt nicht jede fehlerhafte Anwendung von Präklusionsvorschriften zugleich Art. 103 Abs. 1 GG. Verletzt ist Art. 103 Abs. 1 GG jedoch dann, wenn ein Gericht bei der Zurückweisung entscheidungserheblichen Vortrags Präklusionsvorschriften offenkundig rechts-fehlerhaft anwendet ([X.] NJW 1995, 2980; [X.]E 69, 145, 149; jeweils m.w.N.). 10 3. Die Verletzung des Anspruchs des [X.] auf rechtliches Gehör ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das [X.] bei der gebotenen Berücksichtigung des auf den Leistungsantrag bezogenen Vorbringens des [X.] zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Juni 2005, aaO, unter [X.] c). 11 - 7 - II[X.] 12 Der Senat macht von der Möglichkeit der Aufhebung und Zurückverwei-sung durch Beschluss nach § 544 Abs. 7 ZPO Gebrauch. Das gibt dem Land-gericht Gelegenheit, die notwendigen Feststellungen zur Frage des Bestehens und der Höhe des mit der Klage nunmehr geltend gemachten [X.] zu treffen und dies in einer den Anforderungen des § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO entsprechenden Weise darzustellen. Ball [X.] [X.] [X.] [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 10.05.2006 - 68 C 3/06 - [X.], Entscheidung vom 07.02.2007 - 9 S 158/06 -

Meta

VIII ZR 92/07

08.12.2009

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.12.2009, Az. VIII ZR 92/07 (REWIS RS 2009, 215)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 215

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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