Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.02.2018, Az. 4 StR 530/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 13167

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Gegenstand

Fahrlässige Tötung und Straßenverkehrsgefährdung: Schuldfähigkeitsprüfung bei hoher Alkoholgewöhnung eines Lkw-Fahrers


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. Juni 2017

a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte im Fall 2 des unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig ist;

b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (Fall 1) sowie wegen „Verkehrsunfallflucht“ in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs (Fall 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es Fahrerlaubnismaßnahmen angeordnet; die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es abgelehnt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils führt im Fall 2 zu einer Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich der Verurteilung wegen (vorsätzlicher) Gefährdung des Straßenverkehrs. Den Urteilsfeststellungen ist nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte insoweit vorsätzlich handelte.

3

Das [X.] hat weder festgestellt noch belegt, dass der Angeklagte nach dem von ihm bemerkten Entlangschrammen an der Bordsteinkante der Straßenbahnhaltestelle seine Fahrt nunmehr im Wissen und zumindest unter billigender Inkaufnahme seiner alkoholbedingten Fahruntauglichkeit fortsetzte. Vielmehr ergeben auch die Urteilsgründe im Übrigen, dass das [X.] im Fall 2 - Auffahren des Angeklagten auf das Gebäude der Hauptpost mit Verursachung eines Sachschadens in Höhe von 20.000 Euro - in Bezug auf den Vorwurf der Gefährdung des Straßenverkehrs - wie im Fall 1 - nur von einer Fahrlässigkeitstat des Angeklagten gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1. a), Abs. 3 Nr. 2 StGB ausgegangen ist. Der Schuldspruch ist deshalb entsprechend zu ändern.

4

Im Übrigen weist der Schuldspruch keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler auf.

5

2. Der Strafausspruch hält indes sachlich-rechtlicher Prüfung insgesamt nicht stand, weil das [X.] die Ablehnung einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB nicht tragfähig begründet hat.

6

a) Die Ausführungen des [X.]s weisen insoweit bereits durchgreifende Widersprüche auf, die eine Überprüfung der Annahme, der Angeklagte sei bei Begehung der Taten uneingeschränkt schuldfähig gewesen, nicht zulassen.

7

Die [X.] hat zur Begründung der Ablehnung der Voraussetzungen des § 21 StGB darauf verwiesen, der Angeklagte habe bei seiner Fahrt durch ein „ausnehmend gutes Leistungsverhalten“ beeindruckt und seinen LKW über die gesamte Fahrt „vollumfänglich im Griff“ gehabt; er sei über einen Großteil der Fahrt den Anforderungen an ein situationsadäquates Verhalten gerecht geworden. Damit nicht in Einklang zu bringen sind die festgestellten und vom [X.] ausdrücklich als alkoholbedingt bezeichneten Wahrnehmungsbeeinträchtigungen, die beim Angeklagten während der Fahrt zu Tage traten und zu erheblichen [X.] führten. So ist das [X.] davon ausgegangen, der Angeklagte habe die der Verurteilung im Fall 1 zugrunde liegende Kollision mit dem Fahrradfahrer aufgrund seiner Alkoholisierung zu spät oder möglicherweise gar nicht wahrgenommen, denn gerade bei dieser Kollision hätten sich die typischen Alkoholauswirkungen „in Form der Beeinträchtigung der Wahrnehmungsfähigkeit“ ausgewirkt. Auch der vom [X.] festgestellte weitere Fahrtverlauf, neben dem Missachten von Rotlicht zeigenden Ampeln insbesondere die längere, von ([X.] begleitete Fahrt über eine von der Fahrbahn abgesetzte Straßenbahntrasse, weist, wovon auch das [X.] ausgegangen ist, auf das Vorliegen von erheblichen Wahrnehmungsstörungen beim Angeklagten hin. Mit der Annahme, der Angeklagte habe bei seiner Fahrt ein „ausnehmend gutes Leistungsverhalten“ gezeigt und die Fahrt „vollumfänglich im Griff“ gehabt, lassen sich diese auf alkoholbedingte Wahrnehmungsdefizite zurückzuführenden Fahrfehler nicht vereinbaren.

8

b) Von diesen Widersprüchen abgesehen lassen die Ausführungen des [X.]s zudem besorgen, dass es dem Fehlen wesentlicher Ausfallerscheinungen bei Feststellung des Angeklagten am Unfallort eine zu große Bedeutung bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung beigemessen hat.

9

Soweit die [X.] - der Sachverständigen folgend - gemeint hat, die für die Schuldfähigkeitsbeurteilung maßgebliche hohe Blutalkoholkonzentration des Angeklagten (3,05 ‰) könne deswegen eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht begründen, weil der alkoholabhängige Angeklagte [X.] gewesen sei und (auch) bei seiner Feststellung nach dem Unfall keine Ausfallerscheinungen gezeigt habe - er habe auf Fragen „im Kontext“ geantwortet, er sei weder getorkelt noch habe er gelallt oder Denkstörungen aufgewiesen -, hat es nicht bedacht, dass äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit bei hoher Alkoholgewöhnung durchaus auseinanderfallen können (vgl. [X.], Beschlüsse vom 12. Juni 2007 - 4 StR 187/07, [X.], 696; vom 17. August 2011 - 5 [X.], [X.], 281 f.; und vom 2. Juli 2015 - 2 [X.], NJW 2015, 3525 ff.; [X.], StGB, 65. Aufl., § 20 Rn. 23a). Gerade bei Alkoholikern zeigt sich oft eine durch „Übung“ erworbene Kompensationsfähigkeit insbesondere im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten. Dem Verhalten nach der Tat kommt in diesem Zusammenhang nur geringe Aussagekraft zu, weil, was das [X.] ebenfalls nicht erkennbar bedacht hat, bei dem Angeklagten durch den Unfall eine Ernüchterung eingetreten sein kann (vgl. [X.], Urteil vom 9. August 1988 - 1 [X.], [X.]St 35, 308, 311; Beschluss vom 10. Januar 2012 - 5 [X.], [X.], 109; [X.]/[X.]/[X.], StGB, 29. Aufl., § 20 Rn. 16d mwN).

3. Die Nichtanordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung in Form der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kann hingegen bestehen bleiben. Die zwar knappe Begründung, es bestehe beim Angeklagten keine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg, trägt die ablehnende Entscheidung des [X.]s mit Blick darauf, dass der Angeklagte zum einen der [X.] nicht mächtig ist und zum anderen eine Verweigerungshaltung in Bezug auf die Durchführung einer Alkoholentwöhnungsbehandlung zum Ausdruck gebracht hat.

Sost-Scheible     

      

Cierniak     

      

Bender

      

Feilcke     

      

[X.]     

      

Meta

4 StR 530/17

28.02.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Saarbrücken, 8. Juni 2017, Az: 1 Ks 9/17

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 222 StGB, § 315c Abs 1 Nr 1 Buchst a StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.02.2018, Az. 4 StR 530/17 (REWIS RS 2018, 13167)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13167

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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