Bundessozialgericht, Urteil vom 23.07.2014, Az. B 8 SO 2/13 R

8. Senat | REWIS RS 2014, 3822

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Klage gegen eine Entscheidung der Schiedsstelle nach § 80 SGB 12 - Streitgegenstand - statthafte Klageart - Nichterforderlichkeit einer Beiladung der Schiedsstelle - Nichterforderlichkeit einer Zurückverweisung des Rechtsstreits - Gestaltungsspielraum der Schiedsstelle - Bestimmung des Zeitpunkts des Inkrafttretens eines Schiedsspruchs)


Leitsatz

Der sozialhilferechtlichen Schiedsstelle ist es nicht verboten, einen Schiedsspruch über eine Vergütungsvereinbarung auch zu einem Zeitpunkt in Kraft zu setzen, der vor dem Eingang des Antrags auf Durchführung eines Schiedsverfahrens liegt.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 3. Mai 2012 insgesamt und der Schiedsspruch der [X.] - bei der [X.] [X.] insoweit aufgehoben, als ein Inkrafttreten für die Zeit vor dem 1. August 2009 abgelehnt worden ist.

Die Klägerin trägt 1/11 der Gerichtskosten des erstinstanzlichen Verfahrens; ansonsten sind keine Gerichtskosten zu zahlen. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin des erstinstanzlichen Verfahrens trägt der [X.] 10/11, von den außergerichtlichen Kosten des [X.]n des erstinstanzlichen Verfahrens trägt die Klägerin 1/11. Für das Revisionsverfahren trägt der [X.] die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 250 000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

[X.] ist (noch) der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Schiedsspruchs der [X.] - bei der [X.] (Schiedsstelle) vom 1.12.2009.

2

Die Klägerin betreibt drei Werkstätten für behinderte Menschen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Im Juli 2007 nahmen die Beteiligten Verhandlungen über den Abschluss neuer Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen auf. Mit Wirkung vom 1.1.2009 einigten sie sich bei bestehender Prüfungsvereinbarung auf neue Leistungsvereinbarungen für jede der Werkstätten; der Abschluss von Vergütungsvereinbarungen scheiterte. Daraufhin riefen sie die Schiedsstelle an (Eingang des Antrags der Klägerin bei der Schiedsstelle am [X.], des Beklagten am [X.]) und beantragten die Festsetzung der jeweils als angemessen erachteten Vergütungen, die Klägerin mit Wirkung ab [X.], der Beklagte mit Wirkung ab [X.]. Die Schiedsstelle setzte (unter Ablehnung der Anträge im Übrigen) für die [X.] bis 31.1.2010 die Vergütungen fest (Beschluss vom 1.12.2009). Zur Begründung ihrer Entscheidung führte sie [X.] aus, die Vergütung sei nach Maßgabe des § 77 Abs 2 Satz 2 und [X.] - ([X.]) nicht vor dem Tag des [X.] bei der Schiedsstelle festzusetzen, auch wenn die Festsetzung bereits ab [X.] Sinn und Zweck der §§ 75 ff [X.] entsprechen würde und eine solche Festsetzung ggf sinnvoll sei.

3

Nachdem dagegen die Klägerin und zunächst auch der Beklagte Klage erhoben hatten, die Klägerin mit dem Ziel der Festsetzung einer höheren Vergütung bereits ab [X.], der Beklagte gerichtet auf die Festsetzung einer geringeren Vergütung ab [X.], hat der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] ([X.]) seine Klage insgesamt sowie die Klägerin ihre für die Zeit ab [X.] zurückgenommen und nur noch beantragt, den Schiedsspruch insoweit aufzuheben, als die Vergütung nicht bereits ab dem [X.] festgesetzt worden sei. Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, § 77 Abs 2 Satz 3 [X.] bestimme, dass ein Schiedsspruch nicht für eine Zeit vor dem Tag des [X.] bei der Schiedsstelle in [X.] treten könne. Deshalb sei der von der Schiedsstelle festgesetzte Zeitpunkt nicht zu beanstanden.

4

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision und macht eine Verletzung des § 77 Abs 2 [X.] geltend. Weder Wortlaut, noch Systematik noch Sinn und Zweck der Vorschrift stünden einem früheren Inkrafttreten des Schiedsspruchs entgegen.

5

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] insgesamt und den Schiedsspruch der [X.] - bei der [X.] vom 1.12.2009 insoweit aufzuheben, als ein Inkrafttreten für die Zeit vor dem [X.] abgelehnt worden ist.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Entscheidung des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der [X.]lägerin ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ). Der Schiedsspruch ist rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten; denn die [X.] hat den ihr obliegenden Gestaltungsspielraum verkannt. Sie ist zu Unrecht davon ausgegangen, den Schiedsspruch nicht vor dem [X.] in [X.] setzen zu können.

9

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Schiedsspruch vom 1.12.2009. Nachdem der Beklagte seine [X.]lage in vollem Umfang und die [X.]lägerin ihre teilweise - bezogen auf die Höhe der Vergütung für die Zeit vom [X.] bis 31.1.2010 - zurückgenommen hat, ist die gerichtliche Überprüfung beschränkt auf die Entscheidung der [X.] über den Zeitpunkt des Inkrafttretens ihres Schiedsspruchs. Die Beteiligten waren insoweit befugt über den Gegenstand des Verfahrens zu verfügen. Denn allein sie bestimmen durch ihre Anträge den Gegenstand des [X.]nverfahrens wie auch die Reichweite der [X.]nentscheidung (vgl § 77 Abs 1 Satz 3 [X.]: "Gegenstände, über die keine Einigung erzielt werden konnte"). Der [X.] als hoheitlichem Vertragshilfeorgan stehen nach der [X.]onzeption der §§ 77, 80 [X.] keine eigenen, sondern lediglich von den Vertragsparteien abgeleitete Rechte zu ([X.], 78, 85 f; [X.] in Hauck/[X.], [X.], [X.] § 77 Rd[X.]6, Stand März 2012; [X.] in Lehr- und Praxiskommentar [X.], 9. Aufl 2012, § 77 [X.] Rd[X.]7; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2014, § 80 [X.] Rd[X.]9; [X.]/[X.] in juris Praxis[X.]ommentar [X.], 2. Aufl 2014, § 77 [X.] Rd[X.] 83). Mit der [X.] wollte der Gesetzgeber nämlich lediglich eine Einrichtung schaffen, die im Fall des Scheiterns der autonomen Vertragsverhandlungen der Beteiligten zwischen den Interessen vermittelt ([X.], 199 ff = [X.] 3-3300 § 85 [X.] f zur [X.] nach dem [X.] - <[X.]I>), was sich ua an der paritätischen Zusammensetzung, dem bei der Entscheidungsfindung maßgeblichen Mehrheitsprinzip sowie der fachlichen Weisungsfreiheit der [X.] zeigt 80 Abs 2 und 3 [X.]).

Diese Funktion der [X.] als bloßem Vertragshelfer bedingt zwangsläufig die Verfügungsbefugnis der Beteiligten über den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens, dh, auch insoweit sind grundsätzlich deren Anträge bzw das dahinter stehende Begehren maßgeblich. [X.] kann damit allein oder zusammen mit der Festsetzung der Vergütung auch der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Schiedsspruchs sein. Die ansonsten für die Frage der [X.] maßgeblichen [X.]riterien (vgl nur BSG [X.] 4-3500 § 87 [X.] Rd[X.]3 f) sind im gerichtlichen [X.]nverfahren unmaßgeblich. Ob und in welchem Umfang das Gericht im Rahmen des von den Beteiligten vorgegebenen Streitgegenstands ggf Inzidentprüfungen vornehmen muss bzw darf, die für die Beurteilung der eigentlich zur Entscheidung gestellten Frage unabdingbar, von den Beteiligten aber nicht ausdrücklich zum Gegenstand des Schiedsverfahrens gemacht worden sind (vgl dazu nur [X.]/[X.] in jurisP[X.] [X.], 2. Aufl 2014, § 77 [X.] Rd[X.] 68), bedarf keiner Entscheidung, weil sich solche Vorfragen inhaltlicher Art hier nicht stellen.

Gegen die Festsetzung der [X.] wendet sich die [X.]lägerin zulässigerweise mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG); der Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte es nicht (§ 77 Abs 1 Satz 6 [X.], § 78 Abs 1 Satz 2 [X.] SGG). Beim Beschluss der [X.] vom 1.12.2009 handelt es sich wegen seiner Funktion als Interessenausgleich um einen vertragsgestaltenden Verwaltungsakt, den die [X.] als Behörde iS des § 31 Zehntes [X.] - ([X.]) erlassen hat (zu § 93b Bundessozialhilfegesetz <[X.]> bereits BVerwGE 108, 47, 49, und [X.], 78, 81; zum Schiedsspruch nach § 85 Abs 5 [X.]I: [X.], 199, 201 ff = [X.] 3-3300 § 85 [X.] f, [X.], 126 ff = [X.] 4-3300 § 89 [X.] Rd[X.]0 und 41, sowie BSG [X.] 4-3300 § 89 [X.] Rd[X.]1). An dieser rechtlichen Qualifizierung des Schiedsspruchs als Verwaltungsakt hat sich mit der Einfügung des [X.] in das [X.] zum 1.1.2005 nichts geändert; der Gesetzgeber wollte die Regelung des § 93b [X.] insoweit ohne Änderung in das [X.] übernehmen (vgl: BT-Drucks 15/1514, [X.] zu § 72; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2014, § 80 [X.] Rd[X.]0 und 23; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 18. Aufl 2010, § 80 [X.] Rd[X.] 7; [X.] in Hauck/[X.], [X.], [X.] § 77 Rd[X.]7, Stand März 2012; [X.]/[X.] in jurisP[X.] [X.], 2. Aufl 2014, § 77 [X.] Rd[X.] 71).

Eine Verpflichtungsbescheidungs- oder Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 3. Alt, Abs 4, § 131 Abs 3 SGG) ginge "ins Leere" und wäre deshalb unzulässig. Beide [X.]lagen würden auf eine Verurteilung des Beklagten zum Erlass eines Schiedsspruchs zielen; Beklagter ist nach § 77 Abs 1 Satz 5 [X.] aber nicht die [X.], sondern, anders als im [X.]I (s dazu: [X.], 1 ff Rd[X.]4 = [X.] 4-3300 § 115 [X.]; [X.], 126 ff Rd[X.] 41 = [X.] 4-3300 § 89 [X.]; [X.], 199, 200 = [X.] 3-3300 § 85 [X.]; BSG [X.] 4-3300 § 89 [X.] Rd[X.]3), die andere Vertragspartei - eine prozessual ungewöhnliche sozialhilferechtliche [X.]onstellation "sui generis" ([X.]/[X.] in jurisP[X.] [X.], 2. Aufl 2014, § 77 [X.] Rd[X.] 82). Diese wiederum kann nicht durch das Gericht zum Erlass eines anderen Schiedsspruchs verpflichtet werden. Hat die Anfechtungsklage - wie hier - Erfolg, ist zudem nach Aufhebung des Schiedsspruchs das Schiedsverfahren wiedereröffnet, sodass es einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an die [X.] im Rahmen einer Verpflichtungsbescheidungsklage auch in der Sache gar nicht bedarf ([X.], 78 ff). Eine Bindung der [X.] an die Begründung des Anfechtungsausspruchs des Gerichts wird mittelbar dadurch bewirkt, dass die [X.] ihre Rechte, wie ausgeführt, nur von den Beteiligten des gerichtlichen Verfahrens ableitet, die wiederum an den [X.] gebunden sind. Daneben bedarf es jedenfalls keiner gesonderten Feststellung; ob eine darauf gerichtete Feststellungsklage gleichwohl zulässig wäre, bedarf mangels entsprechenden Antrags keiner Entscheidung.

Prozessuale Verfahrensfehler stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Einer (notwendigen) Beiladung (§ 75 Abs 2 SGG) der [X.] bedurfte es nicht, weil ihr keine eigenen Rechte zustehen ([X.], 78, 85; [X.] in Hauck/[X.], [X.], [X.] § 77 Rd[X.]6, Stand März 2012; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2014, § 80 [X.] Rd[X.]9; [X.] in LP[X.]-[X.], 9. Aufl 2012, § 77 [X.] Rd[X.]7; [X.]/[X.] in jurisP[X.] [X.], 2. Aufl 2014, § 77 [X.] Rd[X.] 83). Zutreffend richtet sich die [X.]lage gegen den am Schiedsverfahren beteiligten [X.], der nach § 77 Abs 1 Satz 2 [X.], der für das Schiedsverfahren maßgeblichen Regelung für die Bestimmung der Zuständigkeit (vgl [X.] in [X.]/ [X.]/[X.], [X.], 18. Aufl 2010, § 77 Rd[X.] 7; [X.]/[X.] in jurisP[X.] [X.], 2. Aufl 2014, § 77 [X.] Rd[X.] 33), für den Sitz der [X.]lägerin (N.) örtlich und als überörtlicher Träger der Sozialhilfe für den Abschluss von Vereinbarungen nach den §§ 75 ff [X.] auch sachlich zuständig ist (§ 97 Abs 1 Satz 1 [X.] iVm Art 87 Abs 1 und Art 82 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.] zur Ausführung der [X.]). Das Schiedsverfahren selbst leidet mithin auch nicht an einem entsprechenden Verfahrensmangel.

Der Schiedsspruch ist aus anderen Gründen rechtswidrig und deshalb aufzuheben; der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Schiedsspruchs darf allerdings nicht durch das Gericht festgesetzt werden; dem trägt auch der Antrag der [X.]lägerin Rechnung. Da auch der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Schiedsspruchs der [X.] der Beteiligten unterliegt (§ 77 Abs 2 Satz 1 [X.]), kann sich nämlich die Überprüfung durch das Gericht nur darauf richten, ob der Sachverhalt ermittelt ist, die verfahrensrechtlichen Regelungen eingehalten sind und die [X.] ihren Gestaltungsspielraum nicht verkannt hat (vgl: BVerwGE 108, 47 ff; [X.], 156 ff Rd[X.]7 mwN = [X.] 4-2500 § 114 [X.]; [X.], 199, 207 = [X.] 3-3300 § 85 [X.] [X.]; so auch [X.]/[X.] in jurisP[X.] [X.], 2. Aufl 2014, § 77 [X.] Rd[X.]19 f); der Zeitpunkt des Inkrafttretens darf deshalb in der Regel nicht durch das Gericht selbst festgesetzt werden. Die [X.] hat den ihr obliegenden Gestaltungsspielraum verkannt. Sie hat sich zu Unrecht rechtlich daran gehindert gesehen, den Schiedsspruch schon vor dem [X.] in [X.] zu setzen.

Vereinbarungen und [X.]nentscheidungen treten nach § 77 Abs 2 Satz 1 [X.] zu dem darin bestimmten Zeitpunkt in [X.]. Wird ein Zeitpunkt nicht bestimmt, werden Vereinbarungen mit dem Tag ihres Abschlusses, Festsetzungen der [X.] mit dem Tag wirksam, an dem der Antrag bei der [X.] eingegangen ist (Satz 2). Ein jeweils vor diesen Zeitpunkt zurückwirkendes Vereinbaren oder Festsetzen von Vergütungen ist nicht zulässig (Satz 3).

§ 77 Abs 2 Satz 3 [X.] steht - insoweit entgegen der Ansicht der [X.] und des [X.] - einem Inkrafttreten des Schiedsspruchs für eine Zeit vor dem [X.] nicht entgegen - abgesehen davon, dass der (erste) Antrag bereits am [X.] eingegangen ist. Mit der (sprachlich wenig geglückten) Regelung soll (nur) verhindert werden, dass - wie vor Einführung entsprechender Regelungen in § 93b [X.] - Vergütungen nachträglich nach den bereits entstandenen [X.]osten abgerechnet werden, also ein Gewinn- oder Verlustausgleich ohne Rücksicht auf die im [X.] gültigen Vereinbarungen durchgeführt werden kann (vgl BT-Drucks 12/5510, [X.] zu [X.] 4); die Regelung konkretisiert damit lediglich die Vorschrift des § 77 Abs 1 Satz 1 2. Halbsatz [X.], wonach nachträgliche [X.], dh [X.] für Zeiträume vor dem eigentlichen Verhandlungszeitraum, unzulässig sind. Die Regelung enthält also kein gesetzliches Verbot des rückwirkenden Inkraftsetzens, sondern verbietet bei systematischer und an der Verfassung orientierter Auslegung nur - nachgehende - Vereinbarungen, die das Ziel haben, für einen bestimmten Zeitraum vereinbarte oder festgesetzte Vergütungen auch auf einen davor liegenden Zeitraum zu erstrecken. Der Grundsatz der Prospektivität der Verhandlungen, den § 77 Abs 1 Satz 1 [X.] zum Ausdruck bringt, und ein rückwirkendes Inkraftsetzen von Vereinbarungen widersprechen sich insoweit nicht. Denn die Gefahr eines nachträglichen Ausgleichs von Leistung und Gegenleistung besteht nicht nur dann nicht, wenn die Beteiligten prospektiv, dh für einen zukünftigen Zeitraum, verhandeln und die Verhandlungen selbst entsprechend abschließen, sondern auch, wenn sie, wie hier, prospektiv verhandeln und unter Beachtung der Prospektivität eine Leistungsvereinbarung abschließen und die Vergütungsvereinbarung nicht vor einem Zeitpunkt in [X.] gesetzt werden soll, für den eine neue Leistungsvereinbarung vereinbart worden ist.

Ein Verbot rückwirkenden Inkrafttretens enthält auch nicht § 77 Abs 2 Satz 1 [X.]. Vielmehr geht die Norm gerade von dem Grundsatz aus, dass die Beteiligten bzw die [X.] über den Zeitpunkt des - auch rückwirkenden - Inkrafttretens der Vereinbarungen bei [X.] frei entscheiden können. Dies muss in gleicher Weise die Befugnisse der [X.] bestimmen; dadurch wird das Vereinbarungssystem gerade nicht verlassen, sondern nur dahin modifiziert, dass an die Stelle der zu vereinbarenden die von der [X.] festgesetzte Vergütung tritt (vgl BVerwGE 126, 295 ff Rd[X.]3 zu § 93 Abs 2 und 3 [X.]).

§ 77 Abs 2 Satz 2 [X.] hingegen findet nur Anwendung, wenn sich weder die Beteiligten auf einen Zeitpunkt für das Inkrafttreten geeinigt haben noch - im Fall fehlender Einigung - die [X.] einen Zeitpunkt für das Inkrafttreten festgesetzt hat (so auch: [X.] in [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2014, § 77 [X.] Rd[X.]3; [X.]/[X.] in jurisP[X.] [X.], 2. Aufl 2014, § 77 [X.] Rd[X.]12), zB weil die Beteiligten durch ihre Anträge den Zeitpunkt des Inkrafttretens nicht zum Gegenstand des Schiedsverfahrens gemacht haben. Nur für diesen Fall sieht § 77 Abs 2 Satz 2 [X.] gesetzlich als Wirksamkeitszeitpunkt entweder den Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung oder den des Eingangs des Antrags bei der [X.] vor. Mit § 77 Abs 2 Satz 2 [X.] soll also lediglich sichergestellt werden, dass die Laufzeit der Vereinbarungen auch ohne ausdrückliche Bestimmung feststeht und gewährleistet ist. § 77 Abs 2 Satz 3 [X.] kann daran logisch nicht anknüpfen und schränkt deshalb die [X.] der Beteiligten bzw Gestaltungsfreiheit der [X.] nach Satz 1 insoweit während der laufenden Verhandlungen bzw des [X.]nverfahrens nicht ein.

Dem kann schließlich nicht entgegengehalten werden, dass die Beteiligten ohnedies bereits sechs Wochen nach Aufforderung zu Verhandlungen die [X.] anrufen könnten (§ 77 Abs 1 Satz 3 [X.]), also eines besonderen "Schutzes" durch die Möglichkeit der rückwirkenden Inkraftsetzung gar nicht bedürften. Teilt man die Auffassung, dass nur Vergütungs-, nicht aber Leistungsvereinbarungen schiedsstellenfähig seien (BVerwGE 126, 295 ff; [X.] in LP[X.]-[X.], 9. Aufl 2012, § 77 [X.] Rd[X.] 5; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2014, § 77 [X.] Rd[X.]0; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 18. Aufl 2010, § 77 [X.] Rd[X.] 4; [X.] in Hauck/[X.], [X.], [X.] § 77 Rd[X.] 8 und 11, Stand März 2012; aA [X.]/[X.] in jurisP[X.] [X.], 2. Aufl 2014, § 77 [X.] Rd[X.] 37 ff), würde dies - wenig realitätsnah - unterstellen, dass im Regelfall binnen sechs Wochen nach Aufnahme der Verhandlungen eine Leistungs-, Prüfungs- und Vergütungsvereinbarung abgeschlossen ist - will man nicht der [X.] die [X.]ompetenz zuweisen, die Leistungsmerkmale als Vorfrage der Vergütungsregelung zu bewerten und damit den Gegenstand des Schiedsverfahrens mittelbar zumindest auf die Leistungsvereinbarung ausweiten und auf das Bestehen einer Prüfungsvereinbarung ggf verzichten. Ein "Zwang" zur - vorzeitigen - Anrufung der [X.] unterläge jedoch unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes verfassungsrechtlichen Bedenken, weil die Beteiligten in ein [X.]nverfahren gezwungen würden, selbst wenn die Chance einer Einigung noch besteht, nur um sich so die Möglichkeit zu erhalten, zumindest eine Vergütungsvereinbarung mit Wirkung ab Antragstellung zu erwirken.

Bestätigt wird das gewonnene Ergebnis mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des § 93b Abs 2 Satz 3 [X.], der Vorgängervorschrift des § 77 Abs 2 Satz 3 [X.]. Der Gesetzgeber wollte durch das zum [X.] durch das [X.] zur Umsetzung des Spar-, [X.]onsolidierungs- und Wachstumsprogramms eingefügte Gebot prospektiven Verhandelns einen nachträglichen Ausgleich von Unter- und Überdeckung ausschließen; vermeiden wollte er zugleich, dass eine Einrichtung gezwungen werden kann, die von ihr erwarteten Leistungen unterhalb ihrer Gestehungskosten anzubieten und zu erbringen (BT-Drucks 12/5510, [X.] zu [X.] 4). Diese Situation kann aber eintreten, wenn der [X.] versagt wäre, die Vergütungsvereinbarung zeitgleich mit der - hier bereits vor Anrufung der [X.] abgeschlossenen - Leistungsvereinbarung in [X.] zu setzen.

Die [X.]ostenfestsetzung beruht auf § 197a SGG iVm § 155 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Wegen der Einheitlichkeit der [X.]ostenentscheidung war zwischen den für die jeweilige Instanz angefallenen [X.]osten zu differenzieren und zu berücksichtigen, dass der Beklagte nach § 64 Abs 3 Satz 2 [X.] keine Gerichtskosten zu tragen hat. Die Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf §§ 40, 47 Abs 1, § 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz; von einer Streitwertfestsetzung für das Verfahren vor dem [X.] sieht der Senat ab (vgl [X.] 97, 153, 157 = [X.] 4-1500 § 183 [X.] 4).

Meta

B 8 SO 2/13 R

23.07.2014

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 3. Mai 2012, Az: L 18 SO 230/09 KL, Beschluss

§ 54 Abs 1 S 1 SGG, § 75 Abs 2 SGG, § 31 S 1 SGB 10, § 80 SGB 12, § 77 Abs 1 S 1 SGB 12, § 77 Abs 1 S 3 SGB 12, § 77 Abs 1 S 5 SGB 12, § 77 Abs 2 S 1 SGB 12, § 77 Abs 2 S 2 SGB 12, § 77 Abs 2 S 3 SGB 12, § 93b Abs 2 S 3 BSHG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 23.07.2014, Az. B 8 SO 2/13 R (REWIS RS 2014, 3822)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3822

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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