Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 02.06.2021, Az. 20 F 1/21

Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO | REWIS RS 2021, 5336

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Gegenstand

Zur Rechtskraft einer Entscheidung des Fachsenats


Leitsatz

Die Rechtskraft einer Entscheidung des Fachsenats steht einer erneuten Sperrerklärung nicht entgegen, wenn eine Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten ist.

Tenor

Die Beschwerde des [X.] wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I

1

In dem diesem erneuten Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren begehrt der Kläger Auskunft über die beim [X.] zu seiner Person gespeicherten Daten, deren vollständige Bekanntgabe auf § 16 Abs. 2 BremVerfSchG gestützt abgelehnt worden ist.

2

Im Hauptsacheverfahren ist bereits ein Zwischenverfahren durchgeführt worden. In ihm wurde vom [X.] des [X.] durch - vom [X.] insoweit bestätigten - Beschluss vom 12. Juli 2017 unter anderem festgestellt, dass entgegen der Sperrerklärung der Beklagten (vom 1. September 2016 in der Gestalt der Sperrerklärung vom 24. Oktober 2016) für eine vollständige Schwärzung insbesondere der Seite 249 der Verwaltungsakte keine Verweigerungsgründe vorliegen. Der Name des [X.] und der unter der Überschrift "[X.]" stehende erste Satz könnten diesem zur Kenntnis gebracht werden.

3

Im weiteren Verlauf des Hauptsacheverfahrens hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 20. September 2019 unter Bezugnahme auf ihre frühere Sperrerklärung erklärt, die vom Verwaltungsgericht angeforderten Seiten 249 bis 249g gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht vorzulegen. Die auf Seite 249 enthaltene Information habe sich im Nachhinein als fehlerhaft erwiesen. Der Fehler sei nunmehr durch eine Ergänzung der - im Übrigen unverändert gebliebenen - Seite 249 um die Seiten 249a bis 249g korrigiert worden. Es widerspräche dem Wohl des [X.], diese Seiten vorzulegen. Mit Schriftsatz vom 28. August 2019 führte sie aus, an der Abgabe dieser neuen, zusätzlichen Sperrerklärung sehe sie sich auch durch die im ersten Zwischenverfahren ergangenen Gerichtsentscheidungen nicht gehindert.

4

Auf Antrag des [X.] und nach förmlicher Vorlage durch das Verwaltungsgericht hat der [X.] des [X.] mit Beschluss vom 8. Dezember 2020 festgestellt, dass die Weigerung der Beklagten, die Seiten 249 bis 249g vorzulegen, rechtmäßig ist.

5

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des [X.]. Er trägt insbesondere vor, eine Behörde könne ihre Sperrerklärung nicht beliebig ändern.

II

6

Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des [X.] vom 8. Dezember 2020 ist unbegründet.

7

1. Der Vorlageverweigerung steht nicht bereits dessen Beschluss vom 12. Juli 2017 entgegen.

8

a) Die im selbstständigen Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO getroffenen Entscheidungen wirken im weiteren Hauptsacheverfahren grundsätzlich wie ein Zwischenurteil ([X.], Beschlüsse vom 24. November 2003 - 20 F 13.03 - [X.]E 119, 229 <231> und vom 26. Januar 1968 - [X.] 75.67 - [X.]E 29, 72 <73> sowie [X.], Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - [X.]E 101, 106 <120>). Sie erwachsen mithin in materielle Rechtskraft, mit der dem Interesse der Rechtssicherheit unabhängig davon Rechnung getragen wird, ob die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt worden ist ([X.], Urteil vom 8. Dezember 1992 - 1 [X.] 12.92 - [X.]E 91, 256 <259>).

9

Die Bindungswirkung besteht im Verfahren nicht nur für das Gericht der Hauptsache (vgl. auch § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. 318 ZPO), sondern auch für die oberste Aufsichtsbehörde, deren Sperrerklärung gewürdigt worden ist. Sie entfaltet sich gegenüber der Behörde - als Ausfluss materieller Rechtskraft - in Form eines Verwaltungsaktwiederholungsverbots. Es verbietet ihr, bei unveränderter Sach- und Rechtslage gegen denselben Betroffenen einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu erlassen ([X.], Urteil vom 8. Dezember 1992 - 1 [X.] 12.92 - [X.]E 91, 256 <258>). Dieses Verbot erlangt bei Sperrerklärungen deshalb eine besondere Bedeutung, weil sie nicht nur die Gefahr einer rechtsschutzverkürzenden Wirkung in sich tragen, sondern auch die Gefahr erhöhen, dass das Hauptsacheverfahren durch immer neue Sperrerklärungen eine unangemessene Dauer erlangt (vgl. zur Verfahrensdauer etwa [X.], Urteil vom 4. März 2020 - 2 WD 3.19 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 72 Rn. 40 ff.).

b) Angesichts dessen ist keine unbeschränkte Befugnis der obersten Aufsichtsbehörde anzuerkennen, jeglichen Mangel einer Sperrerklärung durch eine neue Sperrerklärung zu beheben. Die Rechtskraft einer Zwischenentscheidung des [X.]s bindet gemäß § 121 VwGO die Aufsichtsbehörde allerdings nur, "soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist". Ist die Sperrerklärung wegen eines Ermessensfehlers für rechtswidrig erklärt worden, steht dies der Korrektur dieses Ermessensfehlers durch Erlass einer neuen Sperrerklärung nicht entgegen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. März 2010 - 20 F 11.09 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 18 und vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - juris Rn. 33). Dasselbe gilt, wenn bei einer Beanstandung des [X.]s die Geltendmachung eines anderen Geheimhaltungsgrundes in einer neuen Sperrerklärung ausdrücklich zugelassen worden ist (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Februar 2020 - 20 F 7.19 - NVwZ 2020, 971 Rn. 12). Ebenso steht eine Durchbrechung der Rechtskraft jedenfalls dann nicht in Rede, wenn sich die Sach- und Rechtslage geändert hat ([X.], Beschluss vom 30. Juni 2014 - 2 B 99.13 - [X.] 310 § 121 VwGO Nr. 106 Rn. 13) und somit ein neuer Streitgegenstand vorliegt ([X.]/[X.], VwGO, 5. Aufl. 2018, § 121 Rn. 45).

c) Der der obergerichtlichen Entscheidung vom 12. Juli 2017 zugrunde liegende Sachverhalt hat sich in doppelter Hinsicht geändert.

Die Seiten 249a bis 249g wurden 2019 und somit erst nach der obergerichtlichen Entscheidung des Jahres 2017 in den Verwaltungsvorgang aufgenommen. Auch hinsichtlich der Seite 249 liegt eine Änderung der Sachlage vor, der die Beklagte mit förmlicher Sperrerklärung vom 28. August 2019 formell ordnungsgemäß Rechnung getragen hat. Zwar ist dieses Dokument weitgehend unverändert geblieben; die dort dokumentierte Information (nach dem Wort "Text") hat wegen ihrer erst 2019 erkannten - und aktenkundig nachvollziehbar korrigierten - Unrichtigkeit seitdem jedoch einen neuen Bedeutungsinhalt erlangt, der einen [X.] nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO entstehen ließ. Würde die Information dem Kläger ungeschwärzt eröffnet, könnte er Rückschlüsse ziehen, die dem Wohl des [X.] und des [X.] Nachteile bereiteten. Von einer näheren Beschreibung des Inhalts dieser Rückschlüsse ist gemäß § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO abzusehen.

2. Der angefochtene Beschluss des [X.] begegnet auch im Übrigen aus den dort zutreffend dargelegten Gründen keinen Bedenken. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf sie Bezug genommen.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Meta

20 F 1/21

02.06.2021

Bundesverwaltungsgericht Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO

Beschluss

Sachgebiet: F

vorgehend Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, 8. Dezember 2020, Az: 7 F 266/19, Beschluss

§ 121 VwGO, § 122 Abs 2 S 3 VwGO, § 154 Abs 1 VwGO, § 173 S 1 VwGO, § 99 Abs 1 S 2 VwGO, § 99 Abs 2 VwGO, § 318 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 02.06.2021, Az. 20 F 1/21 (REWIS RS 2021, 5336)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5336

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 385/90

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