Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.09.2021, Az. 4 BN 17/21

4. Senat | REWIS RS 2021, 2355

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Gegenstand

Antragsbefugnis eines Planinnenliegers bei Bebauungsplanänderung, die auch sein Grundstück betrifft


Tenor

Das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. März 2021 ergangene Urteil des [X.] wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Antragstellerin wendet sich gegen die am 20. Dezember 2019 bekannt gemachte erste Änderung des [X.]ebauungsplans "Gewann zur [X.]", mit der die u.a. das Grundstück der Antragstellerin betreffenden Festsetzungen zur Hauptgebäuderichtung, zur Dachneigung und zur maximal zulässigen Traufhöhe geändert werden sowie das zum Grundstück der Antragstellerin benachbarte bisher als öffentliche Grünfläche festgesetzte Areal teilweise als Straßenverkehrsfläche zur Errichtung einer [X.]uswendeanlage ausgewiesen wird. Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag wegen fehlender Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO abgelehnt.

2

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO gestützte [X.]eschwerde hat mit der Verfahrensrüge Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat die Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO überspannt.

3

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden.

4

Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des [X.]ebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (stRspr, vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 30. April 2004 - 4 CN 1.03 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 137).

5

1. Da das Grundstück der Antragstellerin im Geltungsbereich des angegriffenen [X.] liegt und durch diesen neben den hierfür maßgeblichen Festsetzungen auch die Festsetzungen für ein benachbartes Grundstück geändert werden, hat das Oberverwaltungsgericht für die Antragsbefugnis zu Recht auf eine mögliche Verletzung zum einen des Eigentumsrechts (Art. 14 GG) und zum anderen des in § 1 Abs. 7 [X.]auG[X.] normierten [X.]s abgestellt, dem in [X.]ezug auf private [X.]elange, die für die Abwägung erheblich sind, Schutznormcharakter zukommt ([X.]VerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - [X.]VerwGE 107, 215 <220 f.>). Die Verneinung der Antragsbefugnis wird jedoch den Anforderungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht gerecht.

6

a) Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist wegen einer möglichen Eigentumsverletzung grundsätzlich zu bejahen, wenn sich ein Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine bauplanerische Festsetzung wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft ([X.]VerwG, Urteile vom 10. März 1998 - 4 CN 6.97 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 123 und zuletzt vom 27. August 2020 - 4 CN 4.19 - [X.]VerwGE 169, 219 Rn. 10). In diesem Fall kann der Eigentümer die Festsetzung gerichtlich überprüfen lassen, weil eine planerische Festsetzung Inhalt und Schranken seines Grundeigentums bestimmt (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Wird folglich eine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition durch die Festsetzungen eines [X.]ebauungsplans unmittelbar betroffen, kommt es für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO - anders als beim [X.] - nicht darauf an, dass diese [X.]etroffenheit mehr als geringfügig, schutzwürdig oder für die Gemeinde erkennbar ist. Es genügt die Eigentumsbetroffenheit als solche. Das gilt auch dann, wenn der [X.]ebauungsplan eine für den Eigentümer im Vergleich zur bisherigen Rechtslage an sich günstige Festsetzung trifft, denn auch diese kann ihn zugleich in der baulichen Nutzung seines Grundstücks beschränken und für ihn nachteilig sein ([X.]VerwG, Urteil vom 10. März 1998 - 4 CN 6.97 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 123 S. 97; [X.]eschluss vom 29. Oktober 2019 - 4 [X.] 36.19 - [X.]auR 2020, 237 Rn. 4). Die Frage des Vorliegens einer Rechtsverletzung und damit der Antragsbefugnis kann nicht auf der Grundlage eines Vergleichs der bisherigen mit der durch den [X.]ebauungsplan geschaffenen Rechtslage verneint werden.

7

Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der angegriffene [X.] im Verhältnis zum Ursprungsplan keine [X.]eschränkungen enthalte, sondern der Antragstellerin ein Mehr an [X.]aufreiheit gewähre; die neuen Festsetzungen räumten ihr eine größere Flexibilität bei der Grundstücksbebauung ein. Folglich sei eine planbedingte Verletzung ihrer Eigentumsposition nicht gegeben. Das verfehlt die dargelegten Grundsätze. Hierauf weist die [X.]eschwerde im Rahmen der [X.], in der zugleich eine Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu sehen ist, weil die behauptete Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Anwendung des Prozessrechts betrifft ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 12. April 2001 - 8 [X.] 2.01 - [X.] 310 § 92 VwGO Nr. 13 S. 5, vom 24. Oktober 2006 - 6 [X.] 61.06 - [X.] 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 24 Rn. 8, vom 6. Oktober 2020 - 4 [X.] 10.20 - juris Rn. 9 und vom 5. März 2021 - 4 [X.] 53.20 - juris Rn. 6), zutreffend hin.

8

b) Macht der Antragsteller in einem Normenkontrollverfahren eine Verletzung des [X.]s geltend, dann muss er einen [X.]elang als verletzt bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Das sind nur solche privaten [X.]elange, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten [X.]ezug haben. Nicht abwägungserheblich sind dabei geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren ([X.]VerwG, Urteile vom 30. April 2004 - 4 CN 1.03 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 138 und vom 29. Oktober 2020 - 4 CN 9.19 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 222 Rn. 13).

9

Führt die Änderung eines [X.]ebauungsplans dazu, dass Nachbargrundstücke in anderer Weise als bisher genutzt werden dürfen, so gehören die Interessen der Nachbarn an der [X.]eibehaltung der geltenden Festsetzungen grundsätzlich zum notwendigen Abwägungsmaterial. Zwar gewährt das [X.]augesetzbuch keinen Anspruch auf Fortbestand eines [X.]ebauungsplans und schließt auch Änderungen des Plans nicht aus. Die ortsrechtlichen Festsetzungen begründen aber regelmäßig ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass Veränderungen, die sich für die Nachbarn nachteilig auswirken können, nur unter [X.]erücksichtigung ihrer Interessen vorgenommen werden. Ein solches Interesse ist nicht nur dann gegeben, wenn der [X.]ebauungsplan in seiner ursprünglichen Fassung ein subjektives öffentliches Recht begründet hat. [X.] ist vielmehr jedes mehr als geringfügige private Interesse am Fortbestehen des [X.]ebauungsplans in seiner früheren Fassung, auch wenn es auf einer einen Nachbarn nur tatsächlich begünstigenden Festsetzung beruht. Ob diese Interessen Gegenstand der Abwägung waren und dabei hinreichend berücksichtigt worden sind, kann der [X.]etroffene im Wege der Normenkontrolle überprüfen lassen ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 20. August 1992 - 4 N[X.] 3.92 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 69 S. 111 sowie vom 28. Mai 2019 - 4 [X.] 44.18 - Zf[X.]R 2019, 689 Rn. 8). Abweichendes ergibt sich bei nur geringfügigen Änderungen sowie bei solchen Änderungen, die sich nur unwesentlich auf das Nachbargrundstück auswirken können ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 20. August 1992 - 4 N[X.] 3.92 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 69 S. 111 f. sowie vom 28. Mai 2019 - 4 [X.] 44.18 - Zf[X.]R 2019, 689 Rn. 8).

Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die durch den [X.] festgesetzte [X.]uswendeschleife und die hierdurch bedingte Erhöhung des [X.]usverkehrs die Antragsbefugnis ebenfalls nicht rechtfertigen. Die geringe Zusatzbelastung stelle keine abwägungsbeachtliche [X.]elastung dar, deren eventuelle Fehlgewichtung eine Antragsbefugnis begründe, auch wenn in Rechnung gestellt werde, dass die Geräuschimmissionen von [X.]ussen im Vergleich zu Personenkraftwagen höher zu veranschlagen seien. [X.]esonderheiten des Einzelfalls, die es rechtfertigen könnten, trotz der nur geringfügigen Zunahme des Straßenverkehrs eine Antragsbefugnis der Antragstellerin zu bejahen, lägen nicht vor. Auch hiermit überspannt das Normenkontrollgericht die Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung. Führen Änderungen des [X.]ebauungsplans dazu, dass ein Grundstück baulich intensiver genutzt werden kann, besteht regelmäßig ein schutzwürdiges Interesse des Nachbarn an der [X.]eibehaltung der ursprünglichen Festsetzungen ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 15. Juni 2020 - 4 [X.] 51.19 - NVwZ 2020, 1533 Rn. 8). Anhaltspunkte, die ein Abweichen von der Regel rechtfertigen könnten, bestehen nicht. Der angegriffene [X.]ebauungsplan ermöglicht mit der Festsetzung einer Straßenverkehrsfläche mit [X.]uswendeschleife eine grundlegend andere Nutzung des bisher als öffentliche Grünfläche ausgewiesenen und genutzten Grundstücks. Die veränderte Festsetzung wirkt sich zudem besonders in dem [X.]ereich zum Grundstück der Antragstellerin aus. In einer solchen Situation bedarf es keiner weiteren Darlegung eines Nachbarn zur Erheblichkeit der [X.]eeinträchtigung, um die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu begründen.

2. Weil auch ein Revisionsverfahren nur zu einer Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht führen könnte, macht der Senat von seiner [X.]efugnis nach § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen. Aus diesem Grund bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob (auch) die von der Antragstellerin erhobenen [X.]n (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) erfolgreich und ob die weiteren von der Antragstellerin erhobenen Verfahrensrügen ausreichend dargelegt sowie begründet gewesen wären (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 26. Juni 2000 - 7 [X.] 26.00 - [X.] § 1 Abs. 3 VermG Nr. 15 S. 46 und vom 1. Juli 2020 - 4 [X.] 49.19 - [insoweit nicht in [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 221 abgedruckt] juris Rn. 12).

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 BN 17/21

27.09.2021

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 9. März 2021, Az: 1 C 10016/20, Urteil

§ 1 Abs 7 BauGB, § 47 Abs 2 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.09.2021, Az. 4 BN 17/21 (REWIS RS 2021, 2355)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2355

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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