Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.07.2021, Az. 4 StR 439/20

4. Strafsenat | REWIS RS 2021, 3970

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Gegenstand

Unterbrechung der Verfolgungsverjährung durch Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 20. Mai 2020

a) aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Betrugs in den Fällen II.A. 3.2.1 bis II.A. 3.2.17 und wegen versuchten Betrugs in den Fällen II.A. 3.2.33 bis II.A. 3.2.35 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit wird das Verfahren eingestellt; im Umfang der Einstellung trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten;

b) dahin geändert, dass der Angeklagte des Betrugs in 20 Fällen und des versuchten Betrugs in sechs Fällen schuldig ist;

c) im [X.] aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betrugs in 37 Fällen und wegen versuchten Betrugs in neun Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des [X.] vom 24. Mai 2019 und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur [X.] des Verfahrens und zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Die Verurteilung des Angeklagten kann in den Fällen II.A. 3.2.1 bis II.A. 3.2.17 und II.A. 3.2.33 bis II.A. 3.2.35 der Urteilsgründe nicht bestehen bleiben, weil Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Insoweit ist das Urteil aufzuheben und das Verfahren entsprechend § 206a Abs. 1 StPO einzustellen.

3

a) Die Verjährungsfrist für vollendete und versuchte [X.] beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 StGB).

4

Beim (vollendeten) Betrug beginnt die Verjährung mit Erlangung des letzten vom [X.] umfassten [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 8. September 2020 - 4 StR 75/20, [X.], 222 mwN). Nach den Feststellungen sind dem Angeklagten in den Fällen II.A. 3.2.1 bis II.A. 3.2.17 der Urteilsgründe die von den Geschädigten gezahlten Raten im Zeitraum zwischen 13. September 2012 und 21. November 2013 zugeflossen.

5

Beim Versuch kommt es für den Verjährungsbeginn auf das Ende der Tätigkeit an, die der Vollendung der Tat dienen sollte (vgl. [X.], Urteil vom 1. Februar 1989 - 3 [X.], [X.]St 36, 106, 117). Nach den Feststellungen hat der Angeklagte in den Fällen II.A. 3.2.33 bis II.A. 3.2.35 der Urteilsgründe seine Täuschungshandlungen zwischen 1. Juli 2012 und Februar 2013 vorgenommen.

6

Die erste zur Unterbrechung der Verjährung geeignete Maßnahme (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB) war die Erhebung der Anklage vom 17. Dezember 2018. Sie erfolgte nach Ablauf der Verjährungsfrist dieser Taten, so dass Verfolgungsverjährung eingetreten ist.

7

b) Die Bekanntgaben des Ermittlungsverfahrens mit polizeilicher Verfügung vom 18. November 2014 und staatsanwaltlichem Schreiben vom 24. April 2015 konnten die Verjährung nicht nach § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB unterbrechen, weil sich beide jeweils auf eine Betrugstat bezogen, die nicht Verfahrensgegenstand ist.

8

c) Auch die Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse des [X.] vom 8. und 13. Februar 2017 vermochten eine Unterbrechung der Verjährung nach § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht herbeiführen, weil sie den Mindestanforderungen an die Konkretisierung des [X.] nicht genügen.

9

aa) Ein richterlicher Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss hat den Tatvorwurf zur rechtstaatlichen Eingrenzung des Ermittlungszugriffs sachangemessen zu konkretisieren (vgl. [X.], Beschluss vom 9. November 2001 - 2 BvR 436/01, [X.], 212). Der [X.] muss die aufzuklärende Tat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 11. Februar 2015 - 2 BvR 1694/14, NJW 2015, 1585; vom 17. März 2009 - 2 BvR 1940/05, [X.], 2516). Dabei ist die Angabe der Tatzeit zur Individualisierung der Tat grundsätzlich unerlässlich (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Juni 2018 - 2 BvR 1260/16; vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 1872/05). Anordnungen, die den Mindestanforderungen an die Konkretisierung des [X.] nicht genügen, vermögen die Verjährung nicht zu unterbrechen (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Mai 2003 - 4 [X.], [X.], 275).

bb) Diesen Anforderungen entsprechen die Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse des [X.] nicht.

Das Amtsgericht hat in beiden Beschlüssen zum Tatvorwurf lediglich ausgeführt, „dem Beschuldigten wird zu Last gelegt, als Verantwortlicher der Firmen [X.], ‚E.       ‘ und [X.] [X.] Führerscheine anzubieten, diese aber trotz Zahlung nicht auszugeben, strafbar als Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB.“ Es fehlen konkrete Angaben, durch die der Lebenssachverhalt, der den vorgeworfenen Taten zugrunde liegt, nachvollziehbar umrissen wird. Den Beschlüssen kann insbesondere nicht entnommen werden, an welchen Tagen oder in welchem Zeitraum die dem Angeklagten zur Last gelegten Betrugshandlungen begangen worden sein sollen. Deshalb lässt sich den Beschlüssen nicht entnehmen, ob sich der Verfolgungswille der Ermittlungsbehörden zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse auf die ausgeurteilten Taten erstreckte.

2. Die [X.] hat die Änderung des Schuldspruchs und den Wegfall der für die eingestellten Taten verhängten 20 Einzelstrafen zur Folge. Sie zieht auch die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass die [X.] ohne die weggefallenen Einzelstrafen auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, zumal das [X.] bei Bemessung der Gesamtstrafe u.a. die Höhe des Gesamtschadens berücksichtigt hat.

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die Verfahrensrüge hat aus den Gründen der Zuschrift des [X.] keinen Erfolg. Im Übrigen hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der [X.] zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

4. Für das weitere Verfahren weist der [X.] darauf hin, dass das Tatgericht bei Bildung einer neuen nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 55 StGB die Höhe der einzubeziehenden Einzelstrafen aus dem Urteil des [X.] vom 24. Mai 2019 festzustellen hat.

Sost-Scheible     

        

Bender     

        

Bartel

        

Rommel     

        

Lutz     

        

Meta

4 StR 439/20

20.07.2021

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Detmold, 20. Mai 2020, Az: 26 KLs 11/18

§ 78c Abs 1 S 1 Nr 4 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.07.2021, Az. 4 StR 439/20 (REWIS RS 2021, 3970)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3970

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