Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.03.2016, Az. 6 AZN 1087/15

6. Senat | REWIS RS 2016, 14339

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Selbstentscheidung über Befangenheitsgesuch


Tenor

1. Auf die Beschwerde des Beklagten wird das zweite Versäumnisurteil des [X.] vom 22. Oktober 2015 - 9 [X.]/15 - aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens - an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.381,25 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die [X.]en streiten - soweit für das [X.]eschwerdeverfahren von [X.]edeutung - über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsgericht hat insoweit durch Teilurteil festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortbestanden hat. Im ersten Kammertermin zur Verhandlung über die gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegte [X.]erufung des [X.]eklagten erklärte der [X.]eklagtenvertreter, er werde keinen Sachantrag stellen. Daraufhin wies die Kammer des [X.] die [X.]erufung des [X.]eklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts durch Versäumnisurteil zurück. Auf den fristgerecht eingelegten Einspruch des [X.]eklagten bestimmte das [X.] Termin zur Verhandlung über den Einspruch. Einen Tag vor diesem Termin beantragte der [X.]eklagtenvertreter Terminsverlegung, weil er wegen Verdachts auf Angina Pectoris stationär behandelt worden und noch bis nach dem Termin arbeitsunfähig sei, was er durch entsprechende [X.]escheinigungen belegte. Daraufhin verlegte das [X.] den Termin um zwei Wochen. Der Vorsitzende der zuständigen Kammer veranlasste die Zustellung der beglaubigten Abschrift des Versäumnisurteils, die Ladung zum zweiten Termin sowie die Umladung auf den dritten Termin an den [X.]eklagtenvertreter jeweils gegen [X.], an die Klägervertreterin dagegen gegen [X.].

2

Nach Akteneinsicht lehnte der [X.]eklagte den Vorsitzenden der zuständigen Kammer des [X.] mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2015 wegen [X.]esorgnis der [X.]efangenheit ab. Er stützte dies zum einen darauf, dass er die unterschiedliche [X.]ehandlung bei den letzten Zustellungen, die zugleich die Zuverlässigkeit seines Prozessbevollmächtigten in Abrede stelle und diesen offensichtlich bloßstellen solle, als willkürliche Ungleichbehandlung empfinde. Darüber hinaus ergebe sich die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit aus den Formulierungen in dem [X.]eschluss, mit dem sein Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem ersten Versäumnisurteil zurückgewiesen worden sei. Die Kammer verwarf das [X.]efangenheitsgesuch unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden als unzulässig. Das Ablehnungsgesuch diene offensichtlich lediglich einer weiteren Verschleppung des [X.]erufungsverfahrens und einer Verhinderung der Durchführung des anberaumten dritten Kammertermins. Im [X.] erfolgten Ausführungen dazu, dass die vorgetragenen Ablehnungsgründe auch nicht vorlägen.

3

Nachdem dieser [X.]eschluss den [X.]vertretern im Kammertermin übergeben und ihnen die wesentlichen Entscheidungsgründe mitgeteilt worden waren, stellte der [X.]eklagte einen zweiten [X.]efangenheitsantrag, der sich gegen die gesamte Kammer des [X.] richtete. Die Ablehnung des ersten [X.] wegen [X.] sei abwegig und erwecke den Anschein der Willkür. Die Kammer verwarf auch das zweite Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung der abgelehnten [X.] als offensichtlich rechtsmissbräuchlich. Es habe erkennbar lediglich dazu gedient, die Durchführung des Termins doch noch zu verhindern. Zudem hätten [X.] für eine unterschiedliche [X.]ehandlung des [X.]eklagtenvertreters und der Vertreterin der Klägerin bei Zustellungen des Gerichts ebenso wie eine [X.] vorgelegen. Im [X.] an diesen [X.]eschluss verkündete die Kammer ein zweites Versäumnisurteil, mit dem sie den Einspruch des [X.]eklagten zurückwies.

4

II. [X.] ist statthaft. Gegen ein zweites Versäumnisurteil des [X.]erufungsgerichts findet im arbeitsgerichtlichen Verfahren nach ständiger Rechtsprechung des [X.] keine Revision ohne Zulassung statt, weil §§ 72, 72a ArbGG den Zugang zum [X.] eigenständig und abschließend regeln und dabei dem besonderen [X.]eschleunigungsbedarf in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten Rechnung tragen. Das gilt auch dann, wenn der Revisionsführer geltend macht, ein Fall schuldhafter Säumnis habe nicht vorgelegen ([X.] 5. Juni 2007 - 5 [X.] - Rn. 3; 22. April 2004 - 2 [X.] - zu II 2 der Gründe). Demgegenüber kann ein zweites Versäumnisurteil im zivilgerichtlichen Verfahren gemäß § 565 Satz 1, § 514 Abs. 2 ZPO mit der Revision angegriffen werden, soweit diese darauf gestützt wird, ein Fall der schuldhaften Säumnis habe nicht vorgelegen (vgl. zuletzt [X.] 26. November 2015 - VI ZR 488/14 - Rn. 5). Dieser unterschiedliche Revisionszugang führt zu keiner Rechtsschutzlücke im arbeitsgerichtlichen Verfahren. Die beschwerte [X.] kann Gehörsverletzungen, zu denen auch die Rüge gehört, eine Säumnis habe nicht bestanden, und absolute Revisionsgründe, insbesondere den absoluten Revisionsgrund der nicht vorschriftsgemäßen [X.]esetzung des Gerichts, nach § 72 Abs. 2 Nr. 3, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ArbGG, § 547 Nr. 1 ZPO im [X.] vorbringen (vgl. [X.] 5. Juni 2007 - 5 [X.] - Rn. 4; [X.]/[X.]/[X.] ArbGG 3. Aufl. § 72 Rn. 4a; zur Notwendigkeit, auch im Zivilprozess die Rüge des absoluten [X.] gegen ein zweites Versäumnisurteil mit der Nichtzulassungsbeschwerde zu erheben, vgl. [X.] 26. November 2015 - VI ZR 488/14 - Rn. 15 f.).

5

III. [X.] ist zulässig und begründet (§ 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG). Die anzufechtende Entscheidung beruht auf der vom [X.]eklagten substantiiert dargelegten (vgl. zu den Anforderungen an die ordnungsgemäße Darlegung eines absoluten [X.] [X.] 5. Juni 2014 - 6 [X.] 267/14 - Rn. 20, [X.]E 148, 206) Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen [X.] und damit auf dem absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO. Die Kammer des [X.] war bei Erlass des zweiten Versäumnisurteils nicht ordnungsgemäß besetzt, weil die Ablehnungsgesuche des [X.]eklagten zuvor unter Mitwirkung der abgelehnten [X.] und damit unter Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen [X.] beschieden worden waren. Dieser Verstoß strahlt auf das zweite Versäumnisurteil aus.

6

1. Dem Endurteil vorausgegangene unanfechtbare Entscheidungen unterliegen gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 557 Abs. 2 ZPO nicht der [X.]eurteilung des [X.]. Deshalb ist eine inzidente Überprüfung der Entscheidung des [X.]erufungsgerichts über ein Ablehnungsgesuch im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die unter Mitwirkung der erfolglos abgelehnten [X.] getroffene Sachentscheidung grundsätzlich ausgeschlossen. Die [X.], deren [X.]efangenheitsantrag abgelehnt worden ist, ist vielmehr auf die beim Ausgangsgericht zu erhebende Anhörungsrüge gemäß § 78a ArbGG zu verweisen ([X.] 23. September 2008 - 6 [X.] 84/08 - Rn. 5, [X.]E 128, 13).

7

2. Allerdings kann der absolute Revisionsgrund der fehlerhaften [X.]esetzung des Gerichts ausnahmsweise mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden, wenn das Ablehnungsgesuch nicht nur fehlerhaft behandelt worden ist, sondern das [X.]erufungsgericht bei der [X.]escheidung des [X.] [X.]edeutung und Tragweite der [X.]garantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat. Dann stellt die in fehlerhafter [X.]esetzung ergangene, die Instanz abschließende Entscheidung einen eigenständigen Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen [X.]s dar. In einem solchen Fall ist auch die dem Ablehnungsgesuch folgende Sachentscheidung mit dem „Makel des Verstoßes gegen den gesetzlichen [X.] behaftet“ ([X.] 11. März 2013 - 1 [X.] - Rn. 40). Der Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen [X.]s wirkt insoweit fort. Aufgrund der Ausstrahlungswirkung der [X.]garantie des gesetzlichen [X.]s muss das Revisionsgericht in dieser Konstellation die im [X.] vor dem [X.]erufungsgericht erfolgten [X.]verstöße im [X.] beheben und die in fehlerhafter [X.]esetzung ergangene Entscheidung aufheben (vgl. [X.] 24. Febr[X.]r 2006 - 2 [X.]vR 836/04 - Rn. 60 ff., [X.]K 7, 325; 20. Juli 2007 - 1 [X.]vR 3084/06 - Rn. 28, [X.]K 11, 434; 18. Dezember 2007 - 1 [X.]vR 1273/07 - Rn. 11, [X.]K 13, 72; vgl. für das [X.] nach dem [X.]: [X.]SG in [X.]Rspr. seit 2. November 2007 - [X.] 1 [X.] - Rn. 4 ff.; zuletzt 22. Juni 2015 - [X.] 9 S[X.] 72/14 [X.] - Rn. 8; für das [X.] nach der FGO [X.]FH 10. März 2015 - V [X.] 108/14 - Rn. 6; für das [X.] nach dem ArbGG bisher offengelassen, vgl. zuletzt [X.] 11. Oktober 2010 - 9 [X.] 418/10 - Rn. 23).

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3. [X.] rügt zu Recht, dass dem [X.] bei der [X.]ehandlung der beiden Ablehnungsanträge ein Verstoß unterlaufen ist, der sich auch auf das zweite Versäumnisurteil noch auswirkte. Die Entscheidung in der Sache unter Mitwirkung der abgelehnten [X.] stellte deshalb einen eigenständigen Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen [X.]s dar. Das führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

9

a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen [X.]. Nach ständiger Rechtsprechung hat dieses grundrechtsgleiche Recht über die Abwehr einer sachwidrigen Einflussnahme auf die rechtsprechende Tätigkeit von innen und von außen auch einen materiellen Gewährleistungsgehalt. Der Anspruch auf den gesetzlichen [X.] garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem [X.] steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die [X.] und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet. Die [X.] müssen darum Regelungen vorsehen, die es ermöglichen, einen [X.], bei dem diese Gewähr nicht (mehr) gegeben ist, von der Ausübung seines Amtes abzulösen ([X.] 15. Juni 2015 - 1 [X.]vR 1288/14 - Rn. 13 f.).

b) Wird im arbeitsgerichtlichen Verfahren ein [X.] als befangen abgelehnt, wird gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, § 45 Abs. 1 ZPO über das Ablehnungsgesuch ohne seine Mitwirkung entschieden. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines [X.]s fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche [X.]efangenheit selbst entscheiden müsste. Gleichwohl ist anerkannt, dass abweichend von diesem Grundsatz und abweichend vom Wortlaut des § 45 Abs. 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in ursprünglicher [X.]esetzung unter Mitwirkung des abgelehnten [X.]s über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheiden darf. Hierzu zählen [X.]. die Ablehnung eines ganzen Gerichts als solches sowie das offenbar grundlose, nur der Verschleppung dienende und damit rechtsmissbräuchliche Ablehnungsgesuch (vgl. [X.] 15. Juni 2015 - 1 [X.]vR 1288/14 - Rn. 15; zu weiteren Fallgruppen vgl. [X.]/Vollkommer ZPO 31. Aufl. § 45 Rn. 4).

c) Diese differenzierende Zuständigkeitsregelung in Fällen der [X.]ablehnung steht im Einklang mit dem Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Dieser erlaubt es in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten [X.] aus Gründen der Vereinfachung und [X.]eschleunigung des Verfahrens dem abgelehnten [X.], an der [X.]ehandlung des [X.] mitzuwirken und so ein aufwändiges und zeitraubendes [X.] zu vermeiden. Diese Abweichung von der gesetzlichen Regel ist jedoch nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. Voraussetzung ist, dass die Prüfung des Gesuchs keine [X.]eurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten [X.]s voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache darstellt. Erlaubt sind nur echte Formalentscheidungen und Entscheidungen, die einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern sollen. Ein rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch kann deshalb nur angenommen werden, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Das ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn das Ablehnungsgesuch Handlungen des [X.]s beanstandet, die nach der Zivilprozessordnung oder dem Arbeitsgerichtsgesetz vorgeschrieben sind oder die sich ohne weiteres aus der Stellung des [X.]s ergeben. Unzulässig ist ein Ablehnungsgesuch daher auch im Lichte des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG betrachtet dann, wenn der Ablehnende die bloße Tatsache beanstandet, ein [X.] habe an einer Vor- oder Zwischenentscheidung mitgewirkt. Unzulässig ist das Gesuch auch, wenn sich der [X.] an den von der Zivilprozessordnung bzw. dem Arbeitsgerichtsgesetz vorgeschriebenen Verfahrensgang hält, der Ablehnende aber eine Änderung begehrt. Eine Verwerfung des [X.] unter Mitwirkung des abgelehnten [X.]s ist daher grundsätzlich nur dann mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu vereinbaren, wenn das Ablehnungsgesuch für sich allein - ohne jede weitere Aktenkenntnis - offenkundig die Ablehnung nicht zu begründen vermag. Ist hingegen ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet die Ablehnung des Gesuchs als unzulässig unter Mitwirkung des abgelehnten [X.]s aus. Eine gleichwohl erfolgte Entscheidung durch den abgelehnten [X.] selbst ist dann willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte [X.] nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum [X.] in eigener Sache machen. Überschreitet das Gericht bei Anwendung dieses [X.] die ihm gezogenen Grenzen, kann dies seinerseits die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit begründen ([X.] für den Zivilprozess in [X.]Rspr. seit 20. Juli 2007 - 1 [X.]vR 3084/06 - Rn. 19 f., [X.]K 11, 434; vgl. auch 18. Dezember 2007 - 1 [X.]vR 1273/07 - Rn. 21, [X.]K 13, 72; 15. Juni 2015 - 1 [X.]vR 1288/14 - Rn. 16 ff.).

d) [X.]ei Anlegung dieses verfassungsrechtlichen Maßstabs zur Differenzierung zwischen einer mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG noch zu vereinbarenden Selbstentscheidung und einer unter Mitwirkung des abgelehnten [X.]s erfolgten Entscheidung, die von dieser [X.]norm nicht mehr gedeckt ist, hat das [X.] mit beiden Entscheidungen über die Ablehnungsgesuche des [X.]eklagten die ihm von [X.] wegen gezogenen Grenzen überschritten.

aa) Das erste Ablehnungsgesuch hat das [X.] als rechtsmissbräuchlich angesehen und darum unter [X.]eteiligung des abgelehnten Vorsitzenden entschieden. Es hat angenommen, das Ablehnungsgesuch diene offensichtlich lediglich einer weiteren Verschleppung des [X.]erufungsverfahrens und einer Verhinderung der Durchführung des nunmehr anberaumten dritten Kammertermins. Die [X.]egründung der [X.] bedurfte jedoch einer Auseinandersetzung mit dem Prozessverlauf und mit dem Akteninhalt (vgl. für das Strafverfahren [X.] 5. Juli 2005 - 2 [X.]vR 497/03 - zu [X.] 2 b bb (1) der Gründe). Das hat das [X.] auch erkannt und ansatzweise mit dem Hinweis auf den anberaumten dritten Kammertermin eine Herleitung der [X.] versucht. Darüber hinaus erforderte die inhaltliche [X.]escheidung des ersten [X.], das auf die unterschiedliche [X.]ehandlung der [X.] der Klägerin und des [X.]eklagten bei Zustellungen sowie auf die Formulierung der Zurückweisung des Antrags auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem ersten Versäumnisurteil gestützt war, eine Auseinandersetzung mit dem insoweit gerügten Verhalten des abgelehnten Vorsitzenden unter [X.]erücksichtigung des von der Zivilprozessordnung und dem Arbeitsgerichtsgesetz gesteckten Rahmens. Insbesondere bedurfte die Abweichung von der durch § 174 ZPO ermöglichten und bei anwaltlicher Vertretung einer [X.] auch im Arbeitsgerichtsverfahren üblichen Zustellung gegen [X.] einer Rechtfertigung. Eine Entscheidung über den ersten [X.]efangenheitsantrag war dem Vorsitzenden daher verwehrt (vgl. [X.] 11. März 2013 - 1 [X.] - Rn. 33). Der Umstand, dass die Kammer gleichwohl angenommen hat, der abgelehnte Vorsitzende könne an der Verwerfung des [X.] mitwirken, belegt, dass sie die Tragweite des Rechts auf den gesetzlichen [X.] verkannt hat.

bb) [X.] war zwar entgegen den Ausführungen auf S. 20 der [X.]eschwerdebegründung nicht auf die von der Kammer angenommene Kompetenz zur Entscheidung über das erste Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden, sondern allein darauf gestützt, die Annahme der [X.] erwecke den Anschein der Willkür. Gleichwohl hat die Kammer auch bei der Entscheidung über das zweite Ablehnungsgesuch Tragweite und [X.]edeutung der Gewährleistung des gesetzlichen [X.]s verkannt. Auch dieses Gesuch erforderte zwangsläufig eine Auseinandersetzung mit dem bisherigen Verfahrensablauf und dem prozess[X.]len Verhalten des Vorsitzenden, insbesondere mit den Gründen der Entscheidung über das erste Ablehnungsgesuch. Tatsächlich setzt sich der [X.]eschluss, mit dem über das zweite Ablehnungsgesuch befunden worden ist, unter 1 b ausführlich mit der Frage der berechtigten Annahme einer [X.] im [X.]eschluss über das erste [X.]efangenheitsgesuch auseinander. Unter 1 a erfolgt eine detaillierte Rechtfertigung der Anordnung von Zustellungen per [X.]. Auf die Frage, ob das gegen die gesamte Kammer eingereichte Ablehnungsgesuch unzulässig war (zur grundsätzlichen Unzulässigkeit der Ablehnung des gesamten Spruchkörpers vgl. nur [X.] 7. Febr[X.]r 2012 - 8 [X.] 20/11 - Rn. 6, [X.]E 140, 336; [X.] 8. Juli 2015 - XII ZA 34/15 - Rn. 3; zur ausnahmsweisen Zulässigkeit, den gesamten Spruchkörper abzulehnen, wenn sich der angeführte [X.]efangenheitsgrund notwendig gegen alle [X.] richtet, etwa wenn die [X.]efangenheit aus konkreten, in einer Kollegialentscheidung enthaltenen Anhaltspunkten hergeleitet wird, vgl. [X.]VerwG 8. März 2006 - 3 [X.] 182.05 - Rn. 4), ist die Kammer nicht eingegangen und hat die Verwerfung darauf nicht gestützt. Deshalb hat die Kammer in eigener Sache entschieden und damit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG schwerwiegend verletzt (vgl. [X.] 10. April 2008 - 4 StR 443/07 - Rn. 12).

4. Da bereits die gerügte Verletzung des absoluten [X.] des § 547 Nr. 1 ZPO zur Aufhebung der anzufechtenden Entscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] führt, bedarf es keiner Entscheidung über die weiteren [X.] des [X.]eschwerdeführers, mit denen er die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör im Zusammenhang mit dem Erlass des zweiten Versäumnisurteils geltend macht.

5. Zur [X.]eschleunigung des Verfahrens hat der Senat in analoger Anwendung des § 72a Abs. 7 ArbGG iVm. § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO den Rechtsstreit an das [X.] zurückverwiesen und dabei wegen der Gesamtumstände des Falls von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Rechtsstreit an eine andere Kammer des [X.] zu verweisen (zur analogen Anwendung des § 72a Abs. 7 ArbGG bei Vorliegen eines absoluten [X.] iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG, § 547 Nr. 1 bis 5 ZPO [X.] 5. Juni 2014 - 6 [X.] 267/14 - Rn. 35 ff., [X.]E 148, 206; zur Möglichkeit der Zurückverweisung an eine andere Kammer des [X.] im [X.] in entsprechender Anwendung des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO [X.] 12. Dezember 2006 - 3 [X.] 625/06 - Rn. 33, [X.]E 120, 322).

6. Durch die Zurückverweisung sind die gestellten und bisher nicht ordnungsgemäß beschiedenen [X.]efangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden der [X.] des Sächsischen [X.] sowie die [X.] dieses Gerichts in der [X.]esetzung der Verhandlung vom 22. Oktober 2015 obsolet.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel    

        

        

        

    [X.]     

        

    [X.]    

                 

Meta

6 AZN 1087/15

17.03.2016

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZN

vorgehend ArbG Chemnitz, 14. Januar 2015, Az: 9 Ca 1869/14, Teilurteil

Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 46 Abs 2 ArbGG, § 72 Abs 2 Nr 3 Alt 1 ArbGG, § 72a Abs 3 S 2 Nr 3 Alt 1 ArbGG, § 72a Abs 7 ArbGG, § 45 Abs 1 ZPO, § 547 Nr 1 ZPO, § 557 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.03.2016, Az. 6 AZN 1087/15 (REWIS RS 2016, 14339)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 2765 REWIS RS 2016, 14339

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
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1 BvR 1494/17, 1 BvR 1495/17

1 BvR 1904/17

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