Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.05.2017, Az. V ZB 175/16

V. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 11116

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[X.]:[X.]:BGH:2017:110517BVZB175.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 175/16
vom

11. Mai 2017

in der Abschiebungshaftsache

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2
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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 11.
Mai 2017
durch die Vorsitzende [X.]in Dr.
Stresemann, die [X.]innen Dr.
[X.] und Weinland
und
die [X.] Dr.
Kazele und Dr.
Hamdorf

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 18. November 2016 und der Beschluss der 8.
Zivilkammer des [X.] vom 2.
Dezember 2016 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Landeshauptstadt [X.] auferlegt.

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Gründe:

I.

Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste im Jahre 2014 in das [X.] ein und stellte im Februar 2016 einen Asylantrag. Diesen lehnte das [X.] ab und drohte dem Be-troffenen die Abschiebung an. Seit Juni 2016 ist er vollziehbar ausreisepflichtig. Eine nicht angekündigte Abschiebung scheiterte am 16. November 2016 daran, dass der Betroffene in seiner Unterkunft nicht angetroffen wurde. Am 18.
November 2016 sprach er bei der beteiligten Behörde vor und wurde [X.].

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am selben Tage Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen längstens bis zum 16.
Dezember 2016 angeordnet. Seine hiergegen gerichtete Beschwerde hat das [X.] mit Beschluss vom 2. Dezember 2016 zurückgewiesen. Den von dem [X.] als Anhörungsrüge ausgelegten Antrag auf Fortführung des Verfahrens hat es mit Beschluss vom 7. Dezember 2016 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene, der am 8. Dezember 2016 abgeschoben worden ist, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft.

II.

Das Beschwerdegericht hält die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und
5 i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 5 und 4 [X.] für gegeben. Der Betroffene sei bei dem
Abschiebungsversuch
am 16. November 2016 durch einen Sprung aus dem Fenster seiner Unterkunft geflüchtet. Hierdurch habe er gezeigt, dass er sich der Abschiebung entziehen wolle,
und zugleich Vorbereitungshandlungen vorgenommen, um sich der (erneuten) bevorstehenden Abschiebung zu entzie-hen.
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III.

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene ist durch den die Haft [X.] Beschluss des Amtsgerichts und die Beschwerdeentscheidung des [X.]s in seinen Rechten verletzt.

1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht einen Verstoß des Amtsgerichts und des [X.] gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26
FamFG), weil keine ausreichenden Ermittlungen zum Vorliegen eines Haftgrun-des angestellt wurden.

a) Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, müssen auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tat-sächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Frei-heitsgarantie entspricht ([X.] 58, 208, 222; 70, 297, 308; NJW 1998, 1774, 1775; [X.] 2008, 358, 360; NJW 2009,
2659, 2662). Nach Art.
104 Abs.
2 Satz
1 GG hat der [X.] die Verantwortung für das Vorliegen der Vorausset-zungen der von ihm angeordneten oder bestätigten Haft zu übernehmen
([X.] 10, 302, 310; 83, 24, 33). Dazu muss er selbst die Tatsachen feststel-len, die die Freiheitsentziehung rechtfertigen ([X.] 83, 24, 33; Senat,
Beschluss vom 10.
Juni 2010 -
V [X.], NVwZ 2010, 1172 Rn. 26; [X.] vom 15. September 2016
V
ZB 43/16, NVwZ 2016, 1824 Rn. 5).

b) Die Haftanordnung des Amtsgerichts
genügte den danach an die Sachverhaltsermittlung zu stellenden Anforderungen nicht. Der Antrag der be-teiligten Behörde enthält keine Angaben dazu, wie und von wem festgestellt 4
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wurde, dass es sich bei der Person, die durch einen Sprung aus dem Fenster der Unterkunft geflohen ist, um den Betroffenen gehandelt hat. Das Amtsgericht hätte daher dessen Behauptung nachgehen müssen, er habe sich zur [X.] nicht in [X.] aufgehalten, sondern bei seiner Freundin. Stattdessen hat es die Angaben der Behörde übernommen, ohne das Bestrei-ten des Betroffenen zu erwähnen.

c) Dieser Verfahrensmangel ist durch das Beschwerdegericht nicht be-hoben worden (vgl. zu dieser Möglichkeit Senat, Beschluss
vom 16. Juni 2016
-
V [X.], juris Rn. 21; Beschluss vom 10.
Juni 2010
V
ZB
204/09, NVwZ 2010, 1172 Rn. 36).

aa) In seiner Beschwerdeentscheidung nimmt es lediglich Bezug auf die Ausführungen des Amtsgerichts sowie auf Stellungnahmen der bei dem Ab-schiebungsversuch eingesetzten Beamten. Hierdurch konnte der [X.] schon deswegen nicht behoben
werden, weil das Beschwerdegericht den Inhalt dieser Stellungnahmen nicht wiedergibt und den Betroffenen hierzu auch nicht noch einmal angehört hat (vgl. zu diesem Erfordernis Senat, [X.] vom 17. November 2016 -
V [X.], juris Rn. 6 für die Heilung von Mängeln des [X.]).

bb) Der Verfahrensmangel ist auch nicht durch die Entscheidung des [X.] über den zutreffend als Anhörungsrüge ausgelegten [X.] des Betroffenen auf Fortsetzung des Verfahrens behoben worden. Zwar kann ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht aus § 26 FamFG grundsätz-lich dadurch behoben werden, dass ein Gericht auf eine zulässige und begrün-dete Anhörungsrüge hin das Verfahren nach §
44 Abs. 5
FamFG fortsetzt, die erforderlichen Ermittlungen nachholt
und nach Gewährung rechtlichen Gehörs 8
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über die Beschwerde des Betroffenen neu entscheidet. In [X.] ist dies aber ausgeschlossen, weil mit der Rechtsbeschwerde für den Betroffenen ein Rechtsmittel gegeben (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG) und die Anhörungsrüge daher -
was das Beschwerdegericht übersehen hat -
nach §
44 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 FamFG nicht statthaft ist. Zudem wurde der Man-gel vorliegend schon deswegen nicht behoben, weil das Beschwerdegericht die Anhörungsrüge als unbegründet zurückgewiesen
hat.

2. [X.] kann in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten [X.] des Betroffenen kann die fehlende Aufklärung nicht mehr nachgeholt wer-den, da hierfür auch die persönliche Anhörung des Betroffenen zu dem [X.] der Ermittlungen erforderlich wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 17. März 2016 -
V [X.], juris Rn. 10 mwN). Das rechtliche Gehör kann vorliegend nicht ausreichend dadurch gewährt werden, dass dem Verfahrensbevollmäch-tigten des Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wird (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 20. Mai 2016 -
V [X.], NVwZ 2016, 1582 Rn.

29), da die Flucht durch einen Sprung aus dem Fenster einen Umstand betrifft, der seiner persönlichen Wahrnehmung unterliegt (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Januar 2017 -
V [X.], juris Rn. 7).

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IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430
FamFG, Art. 5 [X.] analog. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 36 Abs. 3 GNotKG.

Stresemann
[X.]
Weinland

Kazele
Hamdorf
Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 18.11.2016 -
43 [X.] B -

LG [X.], Entscheidung vom 02.12.2016 -
8 [X.] -

Meta

V ZB 175/16

11.05.2017

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.05.2017, Az. V ZB 175/16 (REWIS RS 2017, 11116)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11116

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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