Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.11.2012, Az. I ZB 18/12

I. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1084

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 18/12
vom

22. November 2012

in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

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2
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Der I.
Zivilsenat des [X.] hat am
22. November 2012 durch [X.] und die Richter
Prof. Dr.
Büscher, Prof. Dr. Schaffert, [X.] und Dr. Löffler

beschlossen:

[X.] gegen den Beschluss der 5.
Zivilkammer

Beschwerdekammer
des [X.]s [X.] vom 20.
Ja-nuar 2012 wird auf Kosten des Gläubigers zurückgewiesen.

Gegenstandswert: 1.000

Gründe:

I. Der Gläubiger
warf
der Schuldnerin und
deren
Ehemann ausländer-feindliche und beleidigende Äußerungen gegenüber ihm, seiner Ehefrau und seiner Tochter vor. Die Schuldnerin und ihr Ehemann machten demgegenüber geltend, ihrerseits vom Gläubiger beleidigt, körperlich angegriffen und belästigt worden zu sein. Am 21.
Oktober 2008 schlossen die Parteien
vor dem Amtsge-richt
einen Vergleich, dem auch die Ehefrau des Gläubigers beitrat. In dem
Vergleich verpflichteten sich der Gläubiger
und seine Ehefrau
einerseits sowie die Schuldnerin und ihr Ehemann
andererseits
wechselseitig
insbesondere da-zu,
Beleidigungen gegenüber der jeweils anderen Seite
zu unterlassen.

Dem Gläubiger wurde eine vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs erteilt. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 15.
Juni 2009 wurde den Parteien für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht
ein Ord-nungsgeld bis zu 250

,
ersatzweise Ordnungshaft,
angedroht.

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Am 11.
April 2011 stellte
der Gläubiger
den Schuldnern
die ihm
vom Amtsgericht
übermittelte vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs im Partei-betrieb zu.
Im [X.] daran beantragte
er die Verhängung eines Ordnungs-gelds gegen die Schuldnerin und stützte sich dafür auf mehrere
bestrittene

Vorfälle. So habe ihm
die Schuldnerin am 11.
Juni und 30.
September 2010 zugerufen: "Du scheiß Ausländer". Am 13.
Juli 2011 habe sie gegenüber seiner Tochter geäußert: "Hier wird kein [X.] gesprochen, Ausländer geh doch zurück in die [X.]". Schließlich habe die Schuldnerin dem Gläubiger am 17.
August 2011 gegen 10
Uhr zweimal in provozierender Absicht ihr (bekleide-tes) Gesäß gezeigt.

Das Amtsgericht hat gegen die Schuldnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 250

festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde
der Schuldnerin hat das [X.] den Ordnungsmittelbeschluss aufgehoben und die Anträge des Gläubigers auf Verhängung eines Ordnungsgelds abgelehnt. Dagegen wendet sich der Gläubiger mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde.

[X.] Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung aus-geführt:

Wegen der vorgetragenen
Vorfälle vom 11.
Juni und 30.
September 2010
könne kein Ordnungsgeld verhängt werden,
da zu diesem Zeitpunkt der gerichtliche Vergleich als maßgeblicher Vollstreckungstitel der Schuldnerin
noch nicht zugestellt
und
die [X.] vom 15.
Juni
2009 rechtswidrig gewesen sei. Dieser Mangel sei erst durch Zustellung des [X.] am 11.
April 2011 mit Wirkung für die Zukunft geheilt worden.

Das behauptete beleidigende Verhalten gegenüber der Tochter des Gläubigers
am 13.
Juli 2011
werde
vom Vergleich nicht umfasst. Auch auf den Vorfall vom 17.
August 2011 könne die Verhängung eines Ordnungsmittels nicht gestützt werden, weil das vom Gläubiger behauptete Verhalten der 3
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Schuldnerin
nicht gegen
die
Unterlassungspflicht aus dem gerichtlichen [X.] verstoßen habe. Es sei schon zweifelhaft, ob die Verpflichtung zur Unter-lassung von Beleidigungen überhaupt einen hinreichend bestimmten und damit vollstreckungsfähigen
Inhalt habe. Jedenfalls käme dies allenfalls für verbale Formalbeleidigungen in Betracht, da zumindest alle anderen Formen möglicher Beleidigungen in ihrer Bewertung von den individuellen Umständen und dem Verständnis der Beteiligten abhingen und
im Prozessvergleich nicht näher kon-kretisiert
worden
seien. Das Zeigen des bekleideten Gesäßes in provozierender Absicht könnte unter diesen Umständen nicht als Verstoß gegen die vereinbarte Unterlassungsverpflichtung angesehen werden.

I[X.] [X.] ist statthaft (§
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2, Abs.
3 Satz
2 ZPO) und auch sonst zulässig (§
575 ZPO). In der Sache hat sie keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hat den Ordnungsmittelbeschluss des Amtsge-richts zu Recht aufgehoben, weil die Voraussetzungen für die Verhängung ei-nes Ordnungsgelds im Hinblick auf keine der vom Gläubiger
geltend gemachten Beleidigungen vorliegen.

1. Zu Recht hat das [X.] angenommen, die Verhängung eines
Ordnungsgelds
gemäß §
890 ZPO
gegen die Schuldnerin
könne nicht auf die
behaupteten Vorfälle am 11.
Juni und 30.
September 2010 gestützt werden, weil es zu diesen Zeitpunkten an einer rechtmäßigen Androhung des Ord-nungsmittels fehlte und dieser Mangel durch die nachträgliche Zustellung des Vollstreckungstitels im Parteibetrieb nur mit Wirkung für die Zukunft geheilt werden konnte.

a) Nach §
890 Abs.
2 ZPO muss der Verurteilung zu einem Ordnungs-geld eine entsprechende Androhung vorausgehen. Erfolgt die Androhung nicht schon
im
[X.], sondern

wie im
Streitfall

durch gesonderten Be-schluss, stellt bereits die Androhung den Beginn der Zwangsvollstreckung dar. Daher müssen auch bereits zu diesem Zeitpunkt die allgemeinen Vorausset-8
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zungen der Zwangsvollstreckung einschließlich der Zustellung des Titels vorlie-gen ([X.], Urteil vom 29.
September 1978
I
ZR
107/77, NJW 1979, 217; [X.], [X.], 360; [X.], OLG-Rep
Köln 1992,
10, 11; Musielak/[X.], ZPO, 9.
Aufl., §
890 Rn.
17; [X.]/[X.], ZPO, 29.
Aufl., §
890 Rn.
12a; Wolf in [X.], Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006,
Rn.
7.116). Anders als
bei einer schon
im Titel ent-haltenen Androhung ergeht die nachträgliche Androhung in einem besonderen Verfahren im Rahmen der Zwangsvollstreckung, für das dann aber auch die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung gelten. Die Gegenmei-nung (etwa
selbst
zweifelnd
Ahrens/[X.], [X.], 6.
Aufl., Kap.
64 Rn.
40; Walker in [X.]/Walker, Vollstreckung und [X.] Rechtsschutz, 5.
Aufl., §
890 Rn.
18) zeigt keinen
zwingenden
Grund auf, hiervon abzuweichen. Insbesondere kann der Gläubiger, der bei einem [X.] auf einstweilige Verfügung den [X.] vergessen hat, dies

unabhängig von der Frage, ob eine derartige Korrekturmöglichkeit geboten ist
sogleich nachholen und
dann
Androhungsbeschluss und einstweilige Ver-fügung dem Schuldner zusammen zustellen. Dies ergibt sich aus §
929 Abs.
3 Satz
1 ZPO, der gemäß §
936 ZPO im Fall der einstweiligen Verfügung
jeden-falls auch insoweit
entsprechend gilt (vgl. [X.], Urteil vom 13.
April 1989

IX
ZR
148/88, NJW 1990, 122, 124).

b) Der Schuldnerin ist eine vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs erst am 11.
April 2011 und damit nach der Androhung des Ordnungsmittels und nach den behaupteten Beleidigungen vom 11.
Juni und 30.
September 2010 zugestellt worden. Insoweit ist unerheblich, dass der Schuldnerin
auf ihren [X.] vom 27.
Oktober 2008 eine Ausfertigung des Vergleichs zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt worden ist. Die Übersendung der vollsteckbaren Ausfertigung erfolgte nicht im Wege einer Zustellung von Amts wegen gemäß §§
166
ff. ZPO. Es war
vom Gericht
auch keine derartige Zustellung beabsich-tigt, so dass eine
Heilung des
Zustellungsmangels gemäß §
189 ZPO
ebenfalls
nicht in Betracht kommt. Für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift reicht es nicht
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schon
aus, wenn das zuzustellende Schriftstück tatsächlich in die Hand des Gegners gelangt ([X.], Urteil vom 10.
Oktober 1952
V
ZR
159/51, [X.]Z 7, 268, 270; [X.]/[X.] aaO §
189 Rn.
2).

c) Die Mangelhaftigkeit der [X.] wurde auch nicht rückwirkend durch Zustellung einer vollstreckbaren Ausfertigung des gerichtli-chen Vergleichs an die Schuldnerin am 11.
April 2011 geheilt. Das [X.] hat zu Recht angenommen, dass eine Heilung des Zustellungsmangels nicht in Betracht kommt, wenn Gegenstand einer Vollstreckungsmaßnahme eine Sank-tion für ein Verhalten des Schuldners ist.

Allerdings wird die Fehlerhaftigkeit einer Zwangsvollstreckungsmaßnah-me ex tunc beseitigt, wenn die andernfalls erforderliche erneute Vornahme der Zwangsvollstreckung eine leere Formalität wäre
([X.], 286, 288). Das wird insbesondere im Zusammenhang mit den [X.] der §
750 Abs.
3, §
798 ZPO
bei
der Vollstreckung von [X.] durch Pfändung angenommen (vgl. [X.], 286; [X.], NJW 1974, 1516 und [X.] 1998, 87, 88; KG, [X.] 1988, 1406, 1407; [X.]/[X.] aaO Vor §
704 Rn.
35). In diesen Fällen greift die rückwirkende Heilung nicht über die titulierte Forderung hinaus
eigenständig
in die Rechtsstellung des Schuldners ein.

Damit ist jedoch der Fall der Vollstreckung wegen eines Verstoßes ge-gen eine Unterlassungsverpflichtung nicht vergleichbar. So würde die nachträg-liche Heilung der fehlerhaften [X.] im Streitfall
im Hinblick auf das dann rechtmäßig verhängte Ordnungsgeld
erstmalig eine Zahlungs-pflicht
der Schuldnerin in Höhe von 250

begründen, obwohl die Vorausset-zungen
für die
Ordnungsmittelanordnung im Zeitpunkt der Zuwiderhandlungen im Juni und September 2010 nicht vorlagen. Wegen dieses
zusätzlichen Ein-griffs
in die Rechtsposition des Schuldners ist es in einem solchen Fall nicht gerechtfertigt, die Formstrenge des [X.] durch die Mög-lichkeit einer rückwirkenden Heilung zu korrigieren.
Da §
890 ZPO auch Straf-12
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charakter zukommt, erscheint dieses Ergebnis zudem im Hinblick auf die Rege-lung des Art.
103
Abs.
2 GG geboten.

2. Mit Zustellung des gerichtlichen Vergleichs im Parteibetrieb am 11.
April 2011 konnte der Mangel der fehlenden Zustellung auch für die [X.] ex nunc beseitigt werden. Denn ab diesem Zeitpunkt hätte die [X.] mit demselben Inhalt sogleich erneut erge-hen müssen.
Indes rechtfertigen die vom Gläubiger behaupteten beiden [X.] nach dem 11.
April 2011 die Verhängung eines Ordnungsgelds ebenfalls nicht.

a) Wie das [X.] zu Recht angenommen hat, stellt die behauptete Äußerung der Schuldnerin am 13.
Juli 2011 gegenüber der Tochter des [X.] keine Zuwiderhandlung gegen den gerichtlichen Vergleich dar, da dieser nur Verpflichtungen der Schuldnerin und ihres Ehemanns gegenüber dem Gläubiger und dessen Ehefrau begründete.

b) Das Beschwerdegericht hat
auch
im Ergebnis
zu Recht
angenommen, dass die vom Gläubiger
behauptete Beleidigung durch provozierendes Verhal-ten
am 17.
August 2011
die Verhängung eines Ordnungsmittels
nicht rechtferti-gen kann. Der [X.] ist nicht auf die konkrete Verletzungsform be-schränkt, sondern verwendet zur Umschreibung des verbotenen Verhaltens den außerhalb eines Bedeutungskerns unscharfen Begriff "Beleidigungen". Bei der Auslegung eines solchen Titels ist eine Orientierung an den vorgetragenen konkreten Verletzungshandlungen geboten. Danach hat der [X.] im vorliegenden Fall einen ausreichend bestimmten,
vollstreckungsfähigen
In-halt
nur im Hinblick auf eindeutige, unter
allen Umständen zweifelsfrei beleidi-gende Äußerungen oder Verhaltensweisen.
Außerhalb dieses
Bereichs erfor-dert die Feststellung einer Beleidigung eine komplexe Beurteilung der individu-ellen Umstände und des Verständnisses der Beteiligten. Insoweit fehlt dem Vergleich ein vollstreckungsfähiger Inhalt.
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-

Zu den eindeutig und unter allen Umständen beleidigenden Verhaltens-weisen kann das Entgegenstrecken eines bekleideten Gesäßes nicht gerechnet werden. Denn
zu einer solchen Verhaltensweise
kann es
auch in alltäglichen Situationen ohne
jede beleidigende Absicht und
ohne jeden
beleidigenden
Er-klärungswert kommen.

4. [X.] beruht auf §
97 Abs.
1 ZPO.

Bornkamm
Büscher
Schaffert

Kirchhoff
Löffler
Vorinstanzen:
[X.] ([X.]), Entscheidung vom 30.09.2011 -
56 C 356/07 (10) -

LG [X.], Entscheidung vom 20.01.2012 -
5 [X.] -

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Meta

I ZB 18/12

22.11.2012

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.11.2012, Az. I ZB 18/12 (REWIS RS 2012, 1084)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1084

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