Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.09.2023, Az. B 5 R 25/23 B

5. Senat | REWIS RS 2023, 7055

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Berücksichtigung von im EU-Ausland zurückgelegten Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 13. Dezember 2022 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin begehrt eine Erwerbsminderungsrente. Sie ist 1959 in [X.] geboren und [X.] Staatsangehörige. Ihre drei Kinder, die am 1982, 1983 und 1986 in [X.] geboren wurden, hat sie dort erzogen. Nach der verbindlichen Feststellung des [X.]n [X.] legte die Klägerin in der dortigen Invaliditätsversicherung zwischen dem [X.] und dem [X.] insgesamt 46 Monate mit Pflichtbeiträgen zurück. Am [X.] zog die Klägerin in die [X.]. In der [X.] gesetzlichen Rentenversicherung legte sie insgesamt 10 Monate mit Pflichtbeitragszeiten zurück.

2

Die Klägerin beantragte am 27.3.2020 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die Klägerin die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren (60 Monaten) nicht erfülle. Unter Berücksichtigung der von der [X.]n Invaliditätsversicherung festgestellten Pflichtbeitragszeiten habe die Klägerin lediglich 56 Monate Pflichtbeitragszeiten aufzuweisen. [X.] könnten in der [X.] gesetzlichen Rentenversicherung nicht berücksichtigt werden, weil die Kinder nicht in der [X.] erzogen worden seien und die Klägerin während der Kindererziehung auch nicht in der [X.] erwerbstätig gewesen sei (Bescheid vom 22.5.2020; Widerspruchsbescheid vom 19.11.2020). Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 12.7.2021), das L[X.] die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung zurückgewiesen. Auch nach europarechtlichen Vorschriften könne die Klägerin keine Berücksichtigung von [X.] in der [X.] gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen. Aus Art 44 VO ([X.]) [X.] iVm Art 11 Abs 3 Buchst e VO ([X.]) 883/2004 ergebe sich, dass der [X.] Träger für die Berücksichtigung der [X.] nach seinen eigenen Rechtsvorschriften zuständig sei. Nichts anderes folge aus den Grundsätzen, die der [X.] in der Entscheidung vom [X.] ([X.]/10 - [X.]) aufgestellt habe. Die Klägerin habe nicht nur Versicherungszeiten aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit in der [X.] aufzuweisen. Vielmehr habe sie ihre Erwerbsbiografie im Wesentlichen in [X.] zurückgelegt (Urteil vom 13.12.2022).

3

Die Klägerin hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom [X.] begründet hat. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

4

II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G gebotenen Form begründet wird. Sie ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.]G zu verwerfen. Die Klägerin legt den allein geltend gemachten Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 [X.]G) nicht hinreichend dar. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund gestützt, muss in der Beschwerdebegründung dargetan werden, dass die Rechtssache eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss zur ordnungsgemäßen Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] RdNr 4 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung vom [X.] nicht gerecht.

5

Ihr lässt sich folgende Rechtsfrage entnehmen:

"Ist es für die rentenrechtliche Anerkennung von in einem anderen Mitgliedstaat der [X.] zurückgelegten [X.] ausreichend, wenn vor den [X.] Pflichtbeiträge im [X.]-Ausland und nach den [X.] Pflichtbeiträge auf dem Gebiet der [X.] zurückgelegt wurden?"

6

Wegen des fehlenden Bezugs zu einer bestimmten Vorschrift ist schon zweifelhaft, ob die Klägerin damit eine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 [X.]G) mit höherrangigem Recht formuliert. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wäre jedenfalls selbst dann nicht hinreichend dargetan, entnähme man dem Gesamtvorbringen der Klägerin die Frage, ob bei europarechtskonformer Auslegung eine in einem anderen Mitgliedstaat erfolgte Kindererziehung einer Erziehung im Gebiet der [X.] iS von § 56 Abs 1 Satz 2 [X.] 2 [X.]B VI gleichsteht, wenn die erziehende Person vor der Kindererziehung Beitragszeiten im Versicherungssystem des anderen Mitgliedstaats und nach der Kindererziehung Beitragszeiten in der [X.] gesetzlichen Rentenversicherung zurücklegt. Die Beschwerde legt die Klärungsbedürftigkeit der unterstellten Rechtsfrage nicht anforderungsgerecht dar.

7

Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort nicht außer Zweifel steht, sich zB nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nicht bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] 3-1500 § 160 [X.]; aus jüngerer [X.] zB B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] R 46/22 B - juris RdNr 8). Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit ist unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Problemkreis substantiiert vorzubringen, dass die aufgeworfene Frage noch nicht entschieden worden ist und sich den schon vorliegenden Entscheidungen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte zu ihrer Beantwortung entnehmen lassen (vgl zB B[X.] Beschluss vom 24.11.2022 - [X.] R 146/22 B - juris RdNr 6). Die Klägerin trägt vor, eine einschlägige Entscheidung des B[X.] sei nicht ergangen. Im Urteil vom 11.5.2011 ([X.] R 22/10 R) habe das B[X.] die (unterstellte) Rechtsfrage offengelassen und den Rechtsstreit ua zur weiteren Prüfung, ob Art 44 Abs 2 VO ([X.]) [X.] erweiternd auszulegen sei, an das dortige L[X.] zurückverwiesen. Zudem sei ein anderer Sachverhalt betroffen gewesen, die dortige Klägerin habe ihr Kind im [X.] geboren. Auch das Urteil des [X.] vom [X.] ([X.]/20) beantworte die unterstellte Rechtsfrage nicht. Die landessozialgerichtliche Rechtsprechung sei uneinheitlich. Das zeige einerseits der Beschluss des L[X.] Nordrhein-Westfalen vom 23.4.2021 (L 18 R 1114/16), das dem [X.] zwei Fragen zur Auslegung von Art 44 Abs 2 VO ([X.]) 987/2009 vorgelegt habe, und andererseits das Urteil des L[X.] Rheinland-Pfalz vom 14.12.2022 ([X.]/21, Revision anhängig unter [X.] R 2/23 R). Mit diesem Vorbringen legt die Klägerin eine Klärungsbedürftigkeit der allenfalls angedeuteten Rechtsfrage nicht hinreichend dar. Die Beschwerdebegründung verhält sich bereits nicht zum Inhalt der Vorschrift des Art 44 Abs 2 VO ([X.]) [X.] und lässt auch die erforderliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des [X.] vermissen.

8

Art 44 Abs 2 VO ([X.]) [X.] bestimmt Folgendes: Wird nach den Rechtsvorschriften des gemäß Titel [X.] (VO <[X.]> Nr 883/2004) zuständigen Mitgliedstaats keine [X.] berücksichtigt, so bleibt der Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften nach Titel [X.] auf die betreffende Person anwendbar waren, weil diese Person zu dem [X.]punkt, zu dem die Berücksichtigung der [X.] für das betreffende Kind nach diesen Rechtsvorschriften begann, eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, zuständig für die Berücksichtigung dieser [X.] als [X.] nach seinen eigenen Rechtsvorschriften, so als hätte diese Kindererziehung in seinem eigenen Hoheitsgebiet stattgefunden (vgl zum Regelungsinhalt zB B[X.] Urteil vom 11.5.2011 - [X.] R 22/10 R - juris Rd[X.]1 f; B[X.] Beschluss vom 11.4.2018 - [X.] R 12/17 BH - juris RdNr 9). Diese Regelung berücksichtigt die vorausgegangene Rechtsprechung des [X.]. Dieser hatte mit den Urteilen vom [X.] ([X.]/99 - [X.]) und [X.] ([X.]/00 - [X.]) entschieden, dass ein Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Erziehungszeiten wie inländische [X.] berücksichtigen muss, wenn zwischen den fraglichen Erziehungszeiten und den im Mitgliedstaat zurückgelegten Versicherungszeiten eine "enge Verbindung" ([X.] Urteil vom [X.] - [X.]/99 - [X.], juris Rd[X.]6) bzw eine "hinreichende Verbindung" ([X.] Urteil vom [X.] - [X.]/00 - [X.], juris RdNr 32) hergestellt werden kann. Eine solche Verbindung hat der [X.] in beiden Fällen bejaht, in denen Beschäftigungszeiten nur im Mitgliedsstaat zurückgelegt worden waren, bei dessen Träger die begehrte Rentenleistung beantragt wurde (vgl auch [X.] Urteil vom 19.7.2012 - [X.]/10 - [X.]).

9

Mit seinem jüngsten Urteil vom [X.] ([X.]/20) hat der [X.] entschieden, dass Art 44 VO 987/2009 keine abschließende Regelung zur Berücksichtigung von in verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegten [X.] darstellt (juris RdNr 44, 55). Auch in diesem Fall hatte die dortige Klägerin ausschließlich im rentenzahlungspflichtigen Mitgliedstaat gearbeitet und Beiträge entrichtet, und zwar sowohl vor als auch nach der Verlegung ihres Wohnsitzes in andere Mitgliedstaaten, in denen sie [X.] zurücklegte. Ebenso wie im Fall [X.] sei im Hinblick auf den Grundsatz der Freizügigkeit gemäß Art 21 A[X.]V der Träger der Rentenversicherung im Beschäftigungsstaat verpflichtet, die in den Wohnsitzstaaten zurückgelegten [X.] wie im Inland zurückgelegte [X.] zu berücksichtigen (aaO RdNr 64 ff).

Ungeachtet der fehlenden Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung mangelt es im Hinblick auf die Klärungsfähigkeit auch an Ausführungen zum konkreten Sachverhalt. Nach den Tatsachenfeststellungen des L[X.], auf die die Klägerin auch Bezug nimmt, machte sie knapp 33 Jahre nach Geburt ihres jüngsten Kindes erstmals von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch und siedelte in die [X.] über. Zuvor hatte sie Beitragszeiten ausschließlich in der [X.]n gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt. Nach ihren Angaben im Beschwerdeverfahren kehrte die Klägerin nach einem Jahr wieder in die [X.] zurück. Es bedürfte bereits näherer Begründung, inwiefern die Klägerin durch die vorübergehende Übersiedlung in die [X.] Nachteile in Bezug auf die Berücksichtigung von [X.] erleiden könnte (vgl zu einer vergleichbaren Konstellation bereits B[X.] Beschluss vom 21.4.2022 - [X.] R 35/22 B - juris RdNr 9). Nähere Darlegungen wären auch dazu erforderlich gewesen, inwiefern das Recht der Klägerin auf Freizügigkeit berührt und in welchem Umstand hier die "hinreichende Verbindung" zwischen den in [X.] zurückgelegten [X.] und den Versicherungszeiten in [X.] begründet sein soll.

Im Übrigen hat die Klägerin auch nicht aufgezeigt, inwiefern die Frage der Anerkennung der [X.] für ihren Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung aus der [X.] gesetzlichen Rentenversicherung entscheidungserheblich sein könnte. Für einen solchen Anspruch kommt es nicht nur auf die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren (vgl § 50 Abs 1 [X.] [X.]B VI), sondern auch auf die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen an (sog [X.] gemäß § 43 Abs 1 Satz 1 [X.], Abs 2 Satz 1 [X.] [X.]B VI).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

2. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 [X.]G.

        

Düring

Körner

Hannes

Meta

B 5 R 25/23 B

08.09.2023

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Chemnitz, 12. Juli 2021, Az: S 7 R 901/20, Gerichtsbescheid

§ 56 Abs 1 S 2 Nr 2 Alt 2 SGB 6, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, Art 11 Abs 3 Buchst e EGV 883/2004, Art 44 Abs 2 EGV 987/2009

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.09.2023, Az. B 5 R 25/23 B (REWIS RS 2023, 7055)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7055

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