Bundessozialgericht, Urteil vom 12.11.2015, Az. B 14 AS 50/14 R

14. Senat | REWIS RS 2015, 2430

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch des Bundes gegen eine Optionskommune bei rechtswidriger Mittelverwendung - Haushaltsmittelveruntreuung durch Mitarbeiter der Optionskommune - fehlende Rechtsgrundlage für die Erhebung von Verzugszinsen - Rückzahlung der Verzugszinsen und Anspruch auf Prozesszinsen


Leitsatz

Als vom Bund zu tragende Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind nur solche Ausgaben der Jobcenter zu bewerten, die sich im Rahmen der dem SGB II zugrunde liegenden Ziele, Zwecke und Prinzipien bewegen, nicht aber von Mitarbeitern des Jobcenters veruntreute Gelder.

Tenor

Das Urteil des [X.] vom 3. September 2014 wird geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2343,85 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 23. April 2012 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10 in beiden Instanzen.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Erstattung von veruntreuten Geldern, die vom klagenden Landkreis, einem zugelassenen kommunalen Träger (zkT), bei der beklagten [X.] im Rahmen des § 6b [X.] ([X.]) abgerufen worden waren.

2

Aufgrund der Verwaltungsvereinbarung zwischen den Beteiligten vom 19.4.2005 "über die vom [X.] zu tragenden Aufwendungen des zugelassenen kommunalen Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende" (im Folgenden: Verwaltungsvereinbarung) war der Kläger zur Teilnahme am automatisierten Verfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des [X.]es ([X.]) berechtigt. Die Wahrnehmung der Aufgaben gemäß § 6a Abs 5 [X.] erfolgt beim Kläger verwaltungsintern durch den "Geschäftsbereich Arbeit". In diesem war Frau [X.] als persönliche Ansprechpartnerin für die Vermittlung und Eingliederung von [X.] tätig. Sie war befugt, für diese Eingliederungsleistungen, wie Schulungen, Lehrgänge, Jobtrainings, durch Aufträge an Dritte bis zu einer Höhe von jeweils 5000 Euro selbstständig zu bewilligen.

3

Nach dem Auftreten von konkreten Verdachtsmomenten wurde [X.] am [X.]orgen des nächsten Tages, dem [X.] freigestellt. Die durchgeführten Ermittlungen ergaben in zahlreichen Akten Vorgänge mit strafrechtlicher Relevanz: [X.] hatte ua Zahlungsanweisungen in Höhe von 510 053,88 Euro zu Gunsten von Scheinfirmen bewirkt, hinter denen ihr Ehemann und sie selbst standen, ohne dass entsprechende Eingliederungsleistungen an Hilfebedürftige erbracht worden waren. Zudem hatte [X.] Barauszahlungen in Höhe von 47 052,60 Euro vom Kassenautomaten vereinnahmt und auf den dafür notwendigen Auszahlungsanordnungen die Unterschrift von Hilfebedürftigen gefälscht oder sich von Hilfebedürftigen einen Geldempfang bestätigen lassen, obwohl diese das Geld weder in bar noch später durch eine Überweisung erhielten. Insgesamt erlangte sie so 557 106,48 Euro. [X.] gab am [X.] ein notarielles Schuldanerkenntnis gegenüber dem Kläger in Höhe von 486 177,88 Euro nebst Zinsen ab.

4

Nachdem die [X.] vom Kläger die Erstattung der von [X.] rechtswidrig verausgabten Beträge begehrt hatte, weil sie nur Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 6b Abs 2 Satz 1 [X.] zu tragen habe, und einen Ausschluss des Klägers vom [X.] angedroht hatte, überwies der Kläger am 22.6.2011 der [X.]n 503 167,35 Euro "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Prüfung". Der Betrag beruhte nach Zahlungen, die der Kläger von [X.] erhalten und an die [X.] überwiesen hatte, auf einer Hauptforderung von nunmehr 500 823,50 Euro zuzüglich von der [X.]n verlangter Zinsen in Höhe von 2343,85 Euro.

5

Der Kläger, der bis Anfang April 2012 insgesamt einen Teilbetrag von 76 974,13 Euro von [X.] beitreiben konnte, erhob am [X.] vor dem [X.] ([X.]) Klage gegen die [X.] auf Rückzahlung von 482 476,20 Euro zuzüglich Zinsen ab Rechtshängigkeit, weil diese keinen Anspruch auf die Rückzahlung des strittigen Betrags gehabt habe und sie die Aufwendungen eines fehlerhaften Gesetzesvollzugs zu tragen habe. Da der Kläger bis zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] weitere Beträge von [X.] erlangte, hat er in dieser nur noch beantragt, den [X.]n zur Rückzahlung von 469 647,58 Euro zuzüglich Zinsen zu verurteilen. Das [X.] hat den [X.]n verurteilt, diesen Betrag an den Kläger Zug um Zug gegen die Abtretung der gegen [X.] bestehenden Ansprüche wegen der rechtswidrigen Verwendung der [X.]-Leistungen sowie Herausgabe der Notarurkunde über das Schuldanerkenntnis zu zahlen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung hat das [X.] im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe gegen die [X.] in der ausgeurteilten Höhe einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, weil die [X.] ihrerseits keinen solchen Anspruch gegen den Kläger wegen der von diesem im [X.] abgerufenen [X.]ittel habe. Der Kläger habe die [X.]ittel zunächst mit Rechtsgrund im [X.] nach § 6b Abs 2 Satz 1 [X.] erhalten. Dieser Rechtsgrund falle nicht bei grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Handeln des Amtswalters weg, ebenso wenig bei etwaigen [X.]ängeln des Verwaltungs- und Kontrollsystems des Klägers. Auch die Voraussetzungen einer Zweckverfehlungskondiktion lägen - unabhängig von deren Anerkennung beim öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch - nicht vor, denn ein zusätzliches Erfordernis für das Behaltendürfen der Leistung sei nicht erkennbar. Wegen der Gegenansprüche sei aber nur eine Verurteilung Zug um Zug auszusprechen gewesen, daher scheide ein Zinsanspruch des Klägers aus.

6

In ihrer vom [X.] zugelassenen Revision rügt die [X.] eine Verletzung des § 6b Abs 2 [X.], des Art 106 Abs 8 Grundgesetz (GG) sowie des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, weil es keine voraussetzungslose Kostentragungspflicht der [X.]n gebe. Die umstrittenen [X.]ittel seien nicht für Leistungen nach dem [X.] verwandt worden. Dies sei jedoch für die Beurteilung deren endgültiger vermögensrechtlicher Zuordnung entscheidend und nicht die Befugnis zum [X.]ittelabruf im [X.]. Der Anspruch scheitere auch nicht an der sich aus den Grundsätzen der [X.] ergebenden Haftungseinschränkung, denn diese greife nicht bei grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Fehlverhalten, wie es hier vorliege.

7

Die [X.] beantragt,
das Urteil des [X.]s vom 3. September 2014 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er meint, die [X.]ittel seien unstreitig aus dem [X.] im Zusammenhang mit dem Tätigkeitsbereich der [X.] für die Finanzierung von Eingliederungsmaßnahmen bestimmt gewesen und deren Abrufung mit Rechtsgrund erfolgt. Die [X.]aßgaben der [X.] kämen nur als [X.] zum Tragen, wenn feststehe, dass ein bereicherungsrechtlicher Anspruch dem Grunde nach bestehe, was vorliegend jedoch nicht der Fall sei.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der beklagten [X.] ist im Wesentlichen begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ). Das Urteil des [X.] vom [X.] ist zu ändern, die [X.] ist nur zu verurteilen, an den klagenden Landkreis die von diesem gezahlten 2343,85 [X.] Zinsen zuzüglich Prozesszinsen zurückzuzahlen (dazu 4.). Im Übrigen - hinsichtlich der von dem [X.]läger begehrten und vom [X.] zugesprochenen Zahlung von 469 647,58 [X.] - ist die [X.]lage abzuweisen (dazu 2. und 3.).

1. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. [X.] musste nicht notwendig beigeladen werden, weil die Voraussetzung, dass die Entscheidung ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann, nicht vorliegt (§ 75 Abs 2 Alt 1 SGG). Auf die Höhe und die Durchsetzbarkeit möglicher Ansprüche gegenüber [X.] kommt es für die hier zu treffende Entscheidung nicht an. Das [X.] war für die vom [X.]läger zu Recht erhobene allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) erstinstanzlich zuständig (§ 29 Abs 2 [X.] SGG), weil die [X.]lage erst nach dem Inkrafttreten der Vorschrift erhoben worden ist.

2. Der klagende [X.] hat zu Recht die von ihm im sog [X.] bei der [X.]n abgerufenen [X.]ittel, soweit diese von seiner [X.]itarbeiterin [X.] für Scheinfirmen, hinter denen sie oder ihr Ehemann standen, und für Barauszahlungen, die sie sich aneignete, verwandt worden waren, an die [X.] zurückgezahlt. Demgemäß hat er insoweit keinen Erstattungsanspruch gegen die [X.].

a) Zur Beurteilung der materiellen Rechtslage bei Streitigkeiten zwischen einem [X.] und der [X.] über die Erstattung von Zahlungen, die im Rahmen der Übernahme der Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 6b Abs 2 [X.] für [X.]en vor dem 1.1.2011 erfolgten, und in denen eine mit dem vorliegenden Verfahren strukturell vergleichbare Sachlage einschließlich der Rückzahlung der zunächst von dem [X.] abgerufenen [X.]ittel von diesem an die [X.] sowie nun einer [X.]lage des ersteren gegen die letztere vorlag, hat der 4. Senat in seinen Urteilen vom [X.] (B 4 [X.]/12 R - [X.], 55 = [X.]-4200 § 6b [X.], auf das sich die nachstehenden RdNr-Angaben beziehen, sowie - B 4 [X.]/12 R - [X.]-4200 § 6b [X.], das mit dem zuvor genannten Urteil weitgehend wörtlich übereinstimmt) ausgeführt: Die zwischen den Beteiligten bestehende Rechtsbeziehung sei dem öffentlichen Recht zuzuordnen (Rd[X.]0). Innerhalb dieser Rechtsbeziehung können sowohl Erstattungsansprüche des [X.] gegen die [X.] als auch der [X.]n gegen den [X.]läger bestehen (Rd[X.]7). Es bestehe ein Zahlungsanspruch des [X.], weil dieser einen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen die [X.] habe, während diese keinen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen den [X.] habe (Rd[X.]8 f, 36). Der heutige § 6b Abs 5 [X.] sei für die [X.] vor seinem Inkrafttreten am 1.1.2011 nicht anwendbar (Rd[X.]2). Ein Zahlungsanspruch der [X.]n gegenüber dem [X.]läger folge nicht aus § 5 Abs 2 der Verwaltungsvereinbarung (Rd[X.]4), ebenso wenig unmittelbar aus Art 106 Abs 8 GG (Rd[X.]5). Auch Art 104a Abs 5 Satz 1 GG sei auf eine Haftung zwischen [X.] und [X.]n bzw ihren Verbänden nicht unmittelbar anwendbar (Rd[X.]8). Der [X.]läger habe die von ihm im [X.] abgerufenen [X.]ittel mit Rechtsgrund erhalten, denn sie seien ihm vermögensrechtlich endgültig zugeordnet worden (RdNr 40). Die Zuordnung der im [X.] bereitgestellten [X.]ittel richte sich nach der rechtlichen Grundlage der Finanzierung der Aufgaben der [X.], die finanzverfassungsrechtlich in Art 106 Abs 8 GG, einfachgesetzlich in § 6b Abs 2 Satz 1 [X.] zu finden sei (RdNr 40). Systematisch betrachtet behandele § 6b Abs 2 Satz 1 [X.] die [X.]ostentragung, nicht hingegen Erstattungsfragen ([X.]). Tatbestandliche Voraussetzung des § 6b Abs 2 Satz 1 [X.] sei, dass die Aufwendungen solche der Grundsicherung für Arbeitsuchende seien ([X.]).

Zur Prüfung dieser Voraussetzung hat der 4. Senat im Weiteren darauf abgestellt, ob die zwischen den Beteiligten strittige [X.]ittelverwendung sich im Rahmen der dem [X.] zugrunde liegenden Ziele, Zwecke und Prinzipien bewegt habe (RdNr 47 f). Selbst wenn aber die [X.]ittelverwendung nicht den Zielen und Zwecken des [X.] entspreche, habe der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch hier das Begehren der beklagten [X.] nicht stützen können. Der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch im Verhältnis des [X.]es zu einem Land greife nicht bereits bei jeglicher fahrlässiger Falschanwendung des Gesetzes ein, sondern lediglich bei grob fahrlässigem oder gar vorsätzlichem Fehlverhalten. Dieser Haftungseinschränkung, die mit den Grundsätzen der [X.] sowohl des [X.]essozialgerichts (BSG) als auch des [X.]esverwaltungsgerichts ([X.]) übereinstimme und Art 104a Abs 5 Satz 1 GG entlehnt sei, bedürfe es, weil andernfalls in der direkten Finanzbeziehung zwischen der [X.] und einer [X.] eine weitergehende Haftung bestünde als im Verhältnis zwischen der [X.] und einem [X.]esland. Letzteres könne aber den einer ihm angehörigen [X.] entstehenden vermögensrechtlichen Schaden im Wege einer Drittschadensliquidation gegenüber der [X.] geltend machen, auf die dann Art 104a Abs 5 Satz 1 GG anzuwenden sei. Insoweit sei eine erstattungs- wie auch haftungsrechtliche Gleichstellung geboten (RdNr 49).

b) Übertragen auf das vorliegende Verfahren und den umstrittenen Betrag unter Ausschluss der vom [X.]läger an den [X.]n bezahlten Zinsen bedeutet dies: Der klagende [X.] hat den strittigen Betrag im Rahmen des Verwaltungsrechtsverhältnisses mit der beklagten [X.] aufgrund des [X.]s rechtmäßig von der [X.]n zur Bewirtschaftung und zur Wahrnehmung seiner Aufgaben erhalten.

Gemäß den dargestellten wechselseitigen Erstattungsansprüchen zwischen dem [X.] und der [X.] kommt es für die Beurteilung des Behaltendürfens des Betrags seitens des [X.] und seines Rückerstattungsanspruchs gegen die [X.] aufgrund der zwischenzeitlichen Zahlung an diese sowie deren Erstattungsanspruch gegen den [X.] darauf an, ob die strittige [X.]ittelverwendung sich im Rahmen der dem [X.] zugrunde liegenden Ziele, Zwecke und Prinzipien bewegt hat oder, wenn dies nicht der Fall ist, ob ein grob fahrlässiges oder vorsätzliches Fehlverhalten gegeben ist. Nur bei einem solchen Fehlverhalten hat die [X.] für die entsprechende [X.]ittelverwendung gegenüber der [X.] "zu haften".

Ausgehend von diesen Voraussetzungen hat der [X.]läger kein Recht zum Behaltendürfen des Betrags und keinen Rückerstattungsanspruch gegen die [X.] aufgrund seiner zwischenzeitlichen Zahlung an diese, während der Erstattungsanspruch der [X.] gegen den [X.] aufgrund der vorherigen Zurverfügungstellung des Betrags begründet ist.

Denn die vom [X.]läger im [X.] abgerufenen [X.]ittel wurden keiner [X.]ittelverwendung im Rahmen der dem [X.] zugrunde liegenden Ziele, Zwecke und Prinzipien zugeführt. Vielmehr ist ein vorsätzliches Fehlverhalten der Bediensteten [X.] des [X.] zu bejahen, weil diese die Zahlungsanweisungen an Scheinfirmen ihrerseits und ihres Ehemanns über 510 053,88 [X.] und die Barauszahlungen von 47 052,60 [X.] an sich selbst vorsätzlich veranlasste, ohne dass diese Zahlungen zu Leistungen an Leistungsberechtigte nach dem [X.] führten.

3. Im Hinblick auf die an den Entscheidungen des 4. Senats geübte [X.]ritik einer Vermischung des verschuldensunabhängigen Bereicherungsausgleichs nach dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch mit einem systemwidrigen Verschuldensmaßstab aus dem Haftungsrecht (so zB das [X.] in dem angefochtenen Urteil, aber auch [X.], [X.] 2014, 406, 407 f in ihrer Anmerkung zu den Entscheidungen) ist ergänzend auf Folgendes hinzuweisen:

a) Unabhängig von der Antwort auf die Frage, ob die Zurverfügungstellung oder der Abruf der strittigen [X.]ittel im [X.] eine auf eine endgültige Vermögensmehrung abzielende Leistung der [X.]n gegenüber dem [X.]läger war, ist die entscheidende Voraussetzung für den zuvor bejahten allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch der [X.]n gegenüber dem [X.]läger, dass ein Rechtsgrund für das Behaltendürfen der strittigen [X.]ittel seitens des [X.] fehlt. Ob es einen solchen Rechtsgrund gibt, ist beim allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ebenso wie im zivilrechtlichen Bereicherungsrecht oftmals nicht zuvörderst aus dem Erstattungsanspruch oder Bereicherungsrecht heraus zu beantworten, sondern aus außerhalb des Erstattungs- oder Bereicherungsrechts liegenden Regelungen und Wertungen, die auf das Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten Anwendung finden ([X.]/[X.] in Soergel, [X.], Schuldrecht 9/3, 13. Aufl 2012, Vor § 812 Rd[X.] ff; Sprau in [X.], [X.], 74. Aufl 2015; Einf von § 812 RdNr 5 f). Deutlich wird dies insbesondere an den Regeln der Anspruchskonkurrenz, zumal vertragliche Ausgleichsansprüche den allgemeinen bereicherungsrechtlichen vorgehen und einen Rechtsgrund für ein Behaltendürfen beinhalten oder auch verneinen können ([X.]/[X.], aaO, Rd[X.]4; Sprau, aaO).

b) Vorliegend werden die zwischen den Beteiligten bestehenden Erstattungsansprüche durch das zwischen ihnen bestehende Verwaltungsrechtsverhältnis konkretisiert, das hinsichtlich der Übernahme der Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende seitens der [X.] gegenüber dem klagenden [X.] seine Grundlage in § 6b Abs 2 [X.] findet.

Zutreffend hat der 4. Senat zu dessen Auslegung klargestellt: Trotz des oft verwandten Begriffs "Erstattung" regelt § 6b Abs 2 Satz 1 [X.] - systematisch betrachtet - die [X.]ostentragung für bestimmte Aufwendungen, nicht hingegen Erstattungsfragen wie zB die §§ 102 ff [X.] ([X.]) ([X.] vom [X.] - B 4 [X.]/12 R - [X.], 55 = [X.]-4200 § 6b [X.], [X.]), zumal im Erstattungsrecht oft Verwaltungskosten nicht zu tragen sind (vgl § 109 Satz 1 [X.]). Tatbestandliche Voraussetzung des § 6b Abs 2 Satz 1 [X.] ist, dass die Aufwendungen, die vom [X.] zu tragen sind, solche der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten sind (BSG, aaO, [X.]). Zur Beurteilung, ob bestimmte [X.]ittelverwendungen oder Ausgaben des [X.] solche Aufwendungen sind, ist darauf abzustellen, ob die [X.]ittelverwendungen sich im Rahmen der dem [X.] zugrunde liegenden Ziele, Zwecke und Prinzipien bewegen (BSG, aaO, RdNr 47). Das Vorliegen einer solchen Aufwendung der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten ist nicht bereits bei jeglicher fahrlässiger Falschanwendung des Gesetzes zu verneinen, sondern lediglich bei grob fahrlässigem oder gar vorsätzlichem Fehlverhalten (BSG, aaO, RdNr 49).

Dieser vom 4. Senat vorgenommenen Unterscheidung zwischen vorsätzlichem und grob fahrlässigem Verhalten auf der einen und "normaler" oder leichter Fahrlässigkeit auf der anderen Seite ist aus den von ihm genannten Gründen, wie insbesondere dem Verweis auf die sog [X.] des [X.] zu Art 104a Abs 5 GG (ähnlich Höfling, Landkreis 2011, 158, 163), zuzustimmen. Zumal dies eine im Sozialrecht (vgl § 45 Abs 2 Satz 3 [X.] [X.]) und in anderen Rechtsgebieten (vgl § 839a [X.] <[X.]>) häufig anzutreffende und in Fällen der vorliegenden Art sachgerechte Differenzierung ist.

c) Ausgehend von diesen Voraussetzungen waren - wie dargestellt - die Zahlungsanweisungen der [X.] an Scheinfirmen ihrerseits und ihres Ehemanns über 510 053,88 [X.] und ihre Barauszahlungen von 47 052,60 [X.] keine [X.]ittelverwendung für Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende iS des § 6b Abs 2 [X.]. Der [X.]läger hat diese Beträge daher zu Recht an die [X.] zurückgezahlt, und die [X.] muss auf dessen [X.]lage hin diese Beträge nicht an ihn zurückzahlen.

Dies steht im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem Urteil des [X.] vom 18.5.1994 (11 A 1.92 - [X.]E 96, 45: untreue BAföG-[X.]itarbeiterin), in dem ein Anspruch des [X.]es gegen das Land wegen des Fehlverhaltens der [X.]itarbeiterin bejaht wurde, aber auch mit dem vom 30.11.1995 (7 [X.] 56.93 - [X.]E 100, 56: zu viel gezahltes [X.]indergeld), in dem der Anspruch der Gemeinde gegen das Land bejaht wurde, weil ihrerseits keine schwere Pflichtverletzung vorliege, sowie dem Urteil vom [X.] (5 [X.] 25.07 - [X.]E 131, 153: Erstattung von Wohngeld), in dem ein Anspruch der Gemeinde gegen das Land verneint wurde, weil nicht feststand, dass es sich um tatsächliche und nicht nur fiktive Aufwendungen der Gemeinde handele.

d) Etwas anderes folgt nicht aus dem Umstand, dass die [X.] nicht nur die Aufwendungen für bestimmte Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als solche, sondern ebenso die Verwaltungskosten dafür zu tragen hat. Denn auch insofern hat die [X.] grundsätzlich nur rechtmäßige Ausgaben zu übernehmen, was jedoch mangels eines anderen tragbaren [X.]aßstabs wie bei den Aufwendungen selbst nicht bereits bei jeglicher fahrlässigen Falschanwendung des Gesetzes, sondern lediglich bei grob fahrlässigem oder gar vorsätzlichem Fehlverhalten zu verneinen ist.

Das allein entscheidende Fehlverhalten, das zu den rechtswidrigen [X.]ittelverwendungen führte, war das Verhalten der beim [X.]läger tätigen [X.]. Dass der [X.]läger in dem Verwaltungsrechtsverhältnis zur [X.]n für das Verhalten seiner Bediensteten [X.] einstehen muss, wird von keiner Seite bezweifelt. Inwieweit etwas anderes gilt, zB eine Quotelung des Schadens im Rahmen der Verwaltungskosten, wenn Personen oder [X.] der [X.]n an der sachwidrigen [X.]ittelverwendung schuldhaft mitgewirkt haben, ist vorliegend mangels dahingehender Feststellungen des [X.] oder entsprechender [X.] nicht zu entscheiden.

4. Die Zinsen in Höhe von 2343,85 [X.], die die [X.] neben der Hauptforderung wegen der abgerufenen und veruntreuten [X.]ittel gegenüber dem [X.]läger geltend machte und von diesem ebenfalls an jene - jedoch unter Vorbehalt - gezahlt wurden, sind von der [X.]n an den [X.]läger zurückzuzahlen.

Eine Rechtsgrundlage für einen solchen Zinsanspruch ist nicht zu erkennen, selbst die Verwaltungsvereinbarung enthält keine entsprechende Regelung. Der heutige § 6b Abs 5 Satz 2 [X.] scheidet als Rechtsgrundlage aus, weil der zuvor bejahte [X.] der [X.]n aus der [X.] vor dem Inkrafttreten des erst zum 1.1.2011 eingeführten Absatzes 5 stammt und dieser vorliegend nicht anwendbar ist (siehe oben unter 2. a).

Das [X.] hat in der Entscheidung vom 18.5.1994 ([X.]E 96, 45, 59) einen solchen Zinsanspruch ausdrücklich unter Hinweis auf § 233 Satz 1 Abgabenordnung, nach dem Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur verzinst werden, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist, verneint. Dem ist zuzustimmen, weil es zahlreiche Regelungen über Zinsen im Sozialrecht gibt, aber keine generelle Vorschrift zB über Verzugszinsen wie in §§ 284, 288 [X.], sodass diese auch in einem Verwaltungsrechtsverhältnis zwischen zwei [X.]örperschaften des öffentlichen Rechts nicht entsprechend anzuwenden sind (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand 9/2014, [X.] § 61 Rd[X.]02 ff). Erstattungsansprüche von Sozialleistungsträgern untereinander sind zB grundsätzlich nicht zu verzinsen (vgl die Ausnahmeregelung in § 108 Abs 2 [X.]).

Aus der Entscheidung des 1. Senats des BSG sowie der ständigen Rechtsprechung des [X.] zu Ansprüchen aus Art 104a Abs 5 Satz 1 GG (vgl nur [X.] vom 15.12.2009 - [X.] AS 1/[X.] - [X.], 100 = [X.]-1100 Art 104a [X.], RdNr 57 mwN) folgt nichts anderes, weil ein solcher Anspruch dem Zinsbegehren der [X.]n nicht zugrunde liegt.

Da seitens der [X.]n kein Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Zinsen besteht und der [X.]läger ihr den Betrag ausdrücklich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht überwiesen und damit geleistet hat, hat der [X.]läger gegen sie aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs einen Anspruch auf Rückzahlung des Betrags.

5. Ein Anspruch des [X.] auf Prozesszinsen für die zurückzuzahlenden Zinsen folgt aus den mittlerweile nach zutreffender, neuerer Ansicht entsprechend anwendbaren §§ 291, 288 [X.] (vgl nur mwN [X.], [X.] 2010, 336 ff).

6. Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 155 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung und berücksichtigt das geringfügige Obsiegen des [X.]. Eine Streitwertfestsetzung ist wegen der Gerichtskostenfreiheit der beklagten [X.] (§ 2 Abs 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz) und des klagenden [X.] als [X.] in Streitigkeiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 64 Abs 3 Satz 2 [X.]) entbehrlich.

Meta

B 14 AS 50/14 R

12.11.2015

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend Hessisches Landessozialgericht, 3. September 2014, Az: L 6 AS 234/12 KL, Urteil

§ 6b Abs 1 SGB 2, § 6b Abs 2 S 1 SGB 2, § 6b Abs 5 SGB 2, Art 104a Abs 5 GG, Art 106 Abs 8 GG, § 291 BGB, § 284 BGB, § 288 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 12.11.2015, Az. B 14 AS 50/14 R (REWIS RS 2015, 2430)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2430

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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