Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 31.03.2021, Az. 5 AZN 926/20

5. Senat | REWIS RS 2021, 7281

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - rechtliches Gehör - gerichtliche Hinweispflichten


Tenor

1. Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] - [X.] - vom 28. Juli 2020 - 19 Sa 26/20 - aufgehoben, soweit es die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 16. Januar 2020 - 3 [X.]/18 - auch bezüglich einer geltend gemachten Zahlung von insgesamt 23.091,52 Euro brutto nebst Zinsen für den Streitzeitraum Oktober 2017 bis Mai 2019 zurückgewiesen hat.

2. Im Übrigen wird die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] - [X.] - vom 28. Juli 2020 - 19 Sa 26/20 - zurückgewiesen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

4. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens aus einem Streitwert von 29.449,25 Euro zu tragen.

Gründe

1

I. Die [X.]en streiten im Wege einer Zahlungs- und einer Feststellungsklage darüber, ob und in wel[X.]her Weise na[X.]h dem auf das Arbeitsverhältnis kraft arbeitsvertragli[X.]her Vereinbarung Anwendung findenden Manteltarifvertrag für Bes[X.]häftigte im Kraftfahrzeuggewerbe in [X.] bei der Bere[X.]hnung von Feiertagsvergütung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und für S[X.]hulungen sowie beim Urlaubsentgelt ein sog. „Quartals- und Jahresziel [X.]“, der Bestandteil einer dur[X.]h Betriebsvereinbarung vom 29. August 2013 ges[X.]haffenen Provisionsregelung ist, mit einbezogen werden muss. Dabei hat der Kläger mit der Zahlungsklage zuletzt insgesamt 52.540,77 Euro brutto nebst Zinsen für den Streitzeitraum Januar 2015 bis eins[X.]hließli[X.]h Mai 2019 begehrt. Das Arbeitsgeri[X.]ht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat auf die Berufung des [X.] der Feststellungklage stattgegeben und im Übrigen die Berufung zurü[X.]kgewiesen. Es hat die Revision ni[X.]ht zugelassen. Dagegen ri[X.]htet si[X.]h die auf Verletzung des Anspru[X.]hs auf re[X.]htli[X.]hes Gehör gestützte Bes[X.]hwerde des [X.].

2

II. [X.] genügt ni[X.]ht den gesetzli[X.]hen Anforderungen des § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG, soweit das [X.] seine Ents[X.]heidung in einer tragenden Begründung darauf stützt, Ansprü[X.]he des [X.] seien in einer Höhe von insgesamt 29.449,25 Euro brutto na[X.]h einer tarifli[X.]hen Auss[X.]hlussfristenregelung verfallen (Berufungsurteil unter [X.] 2.). Denn wenn und soweit die anzufe[X.]htende Ents[X.]heidung auf einer Mehrfa[X.]hbegründung beruht, kann eine Ni[X.]htzulassungsbes[X.]hwerde nur Erfolg haben, wenn jede der vom [X.] gegebenen Begründungen angegriffen wird und die [X.] gegen jede von ihnen dur[X.]hgreifen (st. Rspr., vgl. nur [X.] 6. Mai 2015 - 2 [X.] 984/14 - Rn. 12 mwN). Hinsi[X.]htli[X.]h des Verfalls von Ansprü[X.]hen hat der Kläger indes ledigli[X.]h eine aus seiner Si[X.]ht fehlerhafte Re[X.]htsanwendung gerügt, die - wie er selbst erkennt - nur im Rahmen einer zugelassenen Revision überprüft werden könnte. Damit s[X.]heidet zuglei[X.]h aus, dass insoweit die geltend gema[X.]hte Verletzung des Anspru[X.]hs auf re[X.]htli[X.]hes Gehör, die si[X.]h gegen die für den Streitzeitraum Oktober 2017 bis Mai 2019 vom [X.] gegebene tragende Begründung - Ansprü[X.]he ni[X.]ht s[X.]hlüssig dargelegt (Berufungsurteil unter [X.] 3.) - ri[X.]htet, ents[X.]heidungserhebli[X.]h sein kann.

3

III. Im Übrigen ist die Bes[X.]hwerde begründet. Das [X.] hat den Anspru[X.]h des [X.] auf re[X.]htli[X.]hes Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

4

1. Der Anspru[X.]h auf re[X.]htli[X.]hes Gehör ist ua. verletzt, wenn eine Ents[X.]heidung ohne entspre[X.]henden Hinweis auf einen Gesi[X.]htspunkt gestützt wird, mit dem au[X.]h ein kundiger und gewissenhafter Prozessbeteiligter unter Berü[X.]ksi[X.]htigung der Vielzahl von vertretbaren Re[X.]htsauffassungen na[X.]h dem bisherigen Prozessverlauf ni[X.]ht zu re[X.]hnen brau[X.]hte. Zum Prozessverlauf gehören sowohl erteilte wie au[X.]h unterbliebene Hinweise. Die geri[X.]htli[X.]hen Hinweispfli[X.]hten na[X.]h § 139 ZPO dienen der Vermeidung von Überras[X.]hungsents[X.]heidungen und konkretisieren den Anspru[X.]h der [X.]en auf re[X.]htli[X.]hes Gehör ([X.] 20. April 2016 - 10 [X.] - Rn. 16, [X.]E 155, 44). Eine Verletzung der einfa[X.]hgesetzli[X.]hen Hinweispfli[X.]hten stellt allerdings ni[X.]ht stets zuglei[X.]h einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar. Dies ist nur anzunehmen, wenn das Geri[X.]ht bei der Auslegung oder Anwendung der einfa[X.]hre[X.]htli[X.]hen Vors[X.]hriften die Bedeutung und Tragweite des Grundre[X.]hts auf re[X.]htli[X.]hes Gehör verkennt. Dana[X.]h bedarf es bei der Verletzung gesetzli[X.]her Hinweispfli[X.]hten im Einzelfall der Prüfung, ob dadur[X.]h zuglei[X.]h das unabdingbare Maß verfassungsre[X.]htli[X.]h verbürgten re[X.]htli[X.]hen Gehörs verkürzt worden ist (vgl. [X.] 5. April 2012 - 2 BvR 2126/11 - Rn. 18 f.). Kann ein Prozessbeteiligter damit re[X.]hnen, dass er auf einen ents[X.]heidungserhebli[X.]hen Punkt hingewiesen wird, ist der Anspru[X.]h auf re[X.]htli[X.]hes Gehör verletzt, wenn ein entspre[X.]hender Hinweis unterbleibt ([X.] 16. Oktober 2013 - 10 [X.] - Rn. 44; 8. Dezember 2010 - 5 [X.] 956/10 - Rn. 4).

5

2. Gemessen daran hat das [X.] den Anspru[X.]h des [X.] auf re[X.]htli[X.]hes Gehör verletzt.

6

a) Das [X.] hat angenommen, die - aus einer Vielzahl von Einzelpositionen bestehende - Zahlungsklage sei zulässig, insbesondere hinrei[X.]hend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (Berufungsurteil unter [X.] 1.). Es hat weiter im Rahmen der Prüfung der Begründetheit ausgeführt, dass si[X.]h das Vorbringen des [X.] entgegen einer Rüge der Beklagten ni[X.]ht auf die Inbezugnahme von Anlagen bes[X.]hränke, sondern er diese ni[X.]ht nur in einen S[X.]hriftsatz eingearbeitet, sondern darüber hinaus s[X.]hriftsätzli[X.]h weitergehende Ergänzungen und Erklärungen zu den eingearbeiteten Tabellen gegeben habe (Berufungsurteil unter [X.] 3. Bu[X.]hst. b und [X.]). Glei[X.]hwohl könne der Kläger damit die Klage „ni[X.]ht s[X.]hlüssig (…) begründen“. Zum einen könne er mit der Darstellung der Tabelle 1 allenfalls den Differenzbetrag für die Monate Januar des [X.] „na[X.]hvollziehbar belegen“, für die Monate Februar bis Dezember der jeweiligen Jahre habe aber der Kläger keine Summen der zwölf vorangegangenen Monate gebildet mit der Folge, „dass si[X.]h das Geri[X.]ht den ents[X.]heidungserhebli[X.]hen Sa[X.]hverhalt aus den Tabellen heraussu[X.]hen müsste“ (Berufungsurteil unter [X.] 3. Bu[X.]hst. d). Zum anderen sei die Klage uns[X.]hlüssig, weil der Kläger fals[X.]he Referenzzeiträume in Ansatz bringe. So dürfe der Kläger zB für die Feiertage 25. und 26. Dezember 2014 ni[X.]ht das komplette [X.] zugrunde legen, sondern müsse auf den Zeitraum von Dezember 2013 bis November 2014 abstellen. Die vom Kläger offensi[X.]htli[X.]h hingenommene Zahlungsweise der Beklagten führe ni[X.]ht dazu, dass si[X.]h die tarifli[X.]hen Bere[X.]hnungsparameter um einen Monat na[X.]h hinten vers[X.]hieben (Berufungsurteil unter [X.] 3. Bu[X.]hst. e).

7

b) Bei dieser Sa[X.]hlage wäre indes das [X.] - soweit es den ni[X.]ht verfallenen Teil der Klageforderung betrifft - ni[X.]ht nur na[X.]h § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO verpfli[X.]htet gewesen, dur[X.]h einen entspre[X.]henden Hinweis auf eine Ergänzung der aus seiner Si[X.]ht ungenügenden Angaben in dem Re[X.]henwerk des [X.] und dessen Erläuterungen re[X.]htzeitig hinzuwirken, sondern au[X.]h na[X.]h Art. 103 Abs. 1 GG. Zumindest hätte es spätestens in der Berufungsverhandlung, in der der Kläger ausweisli[X.]h des Protokolls persönli[X.]h anwesend war und dessen Ers[X.]heinen das [X.] na[X.]h seiner Verfügung vom 23. Juni 2020 gerade „zur Aufklärung des Sa[X.]hverhalts“ angeordnet hatte, diesem die Mögli[X.]hkeit einräumen müssen, die aus Si[X.]ht des Berufungsgeri[X.]hts ents[X.]heidungserhebli[X.]hen Defizite im Re[X.]henwerk des [X.] zu beheben, was ersi[X.]htli[X.]h uns[X.]hwer dur[X.]h einfa[X.]he Re[X.]henoperationen mögli[X.]h gewesen wäre. Mit einem entspre[X.]henden Hinweis durfte der Kläger zumindest wegen der zahlrei[X.]hen unters[X.]hiedli[X.]hen Differenzbeträge und die Komplexität ihrer Ermittlung re[X.]hnen. Denn eine [X.] ist ni[X.]ht gehalten, von der Erhebung einer Klage abzusehen, weil ihre Forderung ihrer Entstehung und/oder Höhe na[X.]h wegen der erforderli[X.]hen Re[X.]hens[X.]hritte ni[X.]ht einfa[X.]h darzustellen ist. Au[X.]h in einem sol[X.]hen Fall muss si[X.]h ein Geri[X.]ht der Mühe unterziehen, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen, wenn dieser, wie vorliegend, den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entspri[X.]ht ([X.] 18. Februar 2016  6 [X.] - Rn. 24) und ggf. auf ihm ents[X.]heidungserhebli[X.]h ers[X.]heinende Defizite im Re[X.]henwerk hinweisen. Angesi[X.]hts dieser Umstände musste der Kläger ni[X.]ht damit re[X.]hnen, dass seine Klage ohne vorherigen re[X.]htli[X.]hen Hinweis auf die vom [X.] angenommenen Defizite in seinem Vortrag abgewiesen wird. Die Verletzung der Hinweispfli[X.]ht aus § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO stellt deshalb zuglei[X.]h einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG dar, weil das unabdingbare Maß verfassungsre[X.]htli[X.]h verbürgten re[X.]htli[X.]hen Gehörs verkürzt worden ist.

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3. Der Kläger hat die Ents[X.]heidungserhebli[X.]hkeit der Verletzung des Anspru[X.]hs auf re[X.]htli[X.]hes Gehör ausrei[X.]hend dargetan. Es genügt der na[X.]hvollziehbare Hinweis, dass das [X.] bei Bea[X.]htung seiner Hinweispfli[X.]ht mögli[X.]herweise anders ents[X.]hieden hätte (st. Rspr., vgl. etwa [X.] 24. Oktober 2019 - 8 [X.] 589/19 - Rn. 23; 8. Dezember 2010 - 5 [X.] 956/10 - Rn. 8, jeweils mwN). Dem hat der Kläger dadur[X.]h entspro[X.]hen, dass er in der Bes[X.]hwerdebegründung vorgetragen hat, wel[X.]hen Sa[X.]hvortrag er gehalten und wel[X.]he - weiteren - Re[X.]henoperationen er unternommen hätte, um die vom [X.] monierten Defizite zu beheben. Damit liegt eine andere als die getroffene Ents[X.]heidung jedenfalls im Berei[X.]h des Mögli[X.]hen, zumal das [X.] im Rahmen der Feststellungklage na[X.]h Auslegung des auf das Arbeitsverhältnis der [X.]en Anwendung findenden Tarifvertrags angenommen hat, dass - wie der Kläger au[X.]h in der Zahlungsklage geltend ma[X.]ht - der sog. „Quartals- und Jahresziel [X.]“ bei Feiertagsvergütung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und für S[X.]hulungen sowie der Urlaubsvergütung mit zu berü[X.]ksi[X.]htigen ist.

9

IV. Der Senat hat von der Mögli[X.]hkeit des § 72a Abs. 7 ArbGG Gebrau[X.]h gema[X.]ht. Die Sa[X.]he wirft beim derzeitigen Stand des Verfahrens keine revisionsre[X.]htli[X.]h bedeutsamen Re[X.]htsfragen auf.

V. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten hinsi[X.]htli[X.]h des erfolglosen Teils des Bes[X.]hwerdeverfahrens zu tragen. Dessen Wert beträgt 29.449,25 Euro, seine Festsetzung beruht auf § 63 GKG.

Eine gesonderte Ents[X.]heidung über die außergeri[X.]htli[X.]hen Kosten der Beklagten (vgl. dazu [X.] 23. März 2010 - 9 [X.] 979/09 - Rn. 32; 8. Dezember 2010 - 5 [X.] 956/10 - Rn. 10) war ni[X.]ht veranlasst, weil ihr Prozessbevollmä[X.]htigter im Bes[X.]hwerdeverfahren ni[X.]ht tätig geworden ist.

        

    Lin[X.]k    

        

    Volk    

        

    [X.]    

        

        

        

    Barbara Grieb    

        

    Jungbluth    

                 

Meta

5 AZN 926/20

31.03.2021

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZN

vorgehend ArbG Mannheim, 16. Januar 2020, Az: 3 Ca 456/18, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 139 Abs 1 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 31.03.2021, Az. 5 AZN 926/20 (REWIS RS 2021, 7281)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 1025-1026 REWIS RS 2021, 7281

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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