Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.09.2023, Az. VI ZR 116/22

6. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 7310

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Gegenstand

Rechtliches Gehör im Streit um veröffentlichte Tagebucheinträge


Tenor

Die Anhörungsrüge des Klägers gegen das Senatsurteil vom 16. Mai 2023 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rügeverfahrens trägt der Kläger.

Gründe

1

Die zulässige Anhörungsrüge hat in der Sache keinen Erfolg. Das Urteil des [X.]s vom 16. Mai 2023 verletzt den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht.

2

1. Die Gerichte sind nach Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hingegen ist es nicht erforderlich, alle Einzelpunkte des [X.] auch ausdrücklich zu bescheiden ([X.] 96, 205, 216 f.; [X.], Beschluss vom 24. Februar 2005 - [X.], NJW 2005, 1432 f.). Der [X.] hat das Vorbringen des [X.] - und insoweit auch die in der Revisionserwiderung zitierte Rechtsprechung des [X.] - in vollem Umfang zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidungsfindung - wenn auch nicht in der vom Kläger gewünschten Weise - berücksichtigt.

3

Dies gilt auch für die Beurteilung des [X.]s, im Rahmen der Abwägung sei "überdies" zu berücksichtigen, dass der Kläger seine Vertraulichkeitssphäre durch die Veröffentlichung seines handschriftlichen Tagebucheintrags vom 10. November 2017 in der [X.] von sich aus nach außen geöffnet habe (Rn. 46). Soweit der Kläger rügt, der [X.] habe nicht berücksichtigt, dass es sich dabei um einen einmaligen Vorgang in Bezug auf eine Textstelle gehandelt habe, die ein anderes Datum und einen anderen Tagebucheintrag betreffe und hinsichtlich derer das [X.] die Klage abgewiesen habe, übersieht er, dass sich diese Erwägungen des [X.]s allein auf einen Teilaspekt der Vertraulichkeitssphäre beziehen. Sie betreffen lediglich den Schutz davor, dass über den Inhalt persönlicher Aufzeichnungen hinaus auch die persönliche Ausdrucksweise des Verfassers nach außen dringt (vgl. Rn. 46, 35).

4

2. Der Kläger wendet sich auch ohne Erfolg gegen die Beurteilung des [X.]s, es sei keine Fallgestaltung gegeben, in der bereits im Hinblick auf die Art der Erlangung der Information von der grundsätzlichen Unzulässigkeit ihrer publizistischen Verwertung auszugehen wäre (Rn. 45).

5

a) Die Rüge des [X.], er habe nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens keinen Anlass dazu gehabt, die Frage zu thematisieren, auf welche Weise die Beklagte sich die Informationen verschafft habe, weshalb ihm Gelegenheit hätte gegeben werden müssen, in der vom [X.] durch Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht wieder zu eröffnenden Berufungsinstanz Sachvortrag zu der Art und Weise der Verschaffung der Tagebücher durch die Beklagte zu halten, ist bereits nicht ordnungsgemäß ausgeführt. Es fehlt an der Darlegung, dass das [X.]surteil vom 16. Mai 2023 auf dem angeblichen Gehörsverstoß beruht. Der Kläger führt nicht aus, was er im Falle der Gelegenheit zur Äußerung auf einen richterlichen Hinweis vorgetragen hätte (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Februar 2003 - [X.], NJW-RR 2003, 1003, juris Rn. 2; Urteil vom 16. Oktober 2008 - [X.], [X.], 148 Rn. 10).

6

b) Abgesehen davon ist die Rüge auch unbegründet. Der Kläger hatte nicht nur Anlass, die Frage zu thematisieren, auf welche Art und Weise die für die Beklagten tätigen Journalisten Kenntnis vom Inhalt der Tagebücher erlangt haben. Er hat auch entsprechenden Tatsachenvortrag gehalten.

7

Ausweislich der Klageschrift ([X.]) und der tatbestandlichen Darstellung im landgerichtlichen Urteil hat der Kläger sein Klagebegehren nicht nur auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 353d Nr. 3 StGB, sondern auch auf eine Verletzung seines (allgemeinen) Persönlichkeitsrechts gestützt. In der Klageschrift ([X.]) hat er darauf hingewiesen, dass die Staatsanwaltschaft [X.] ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des "Geheimnisverrats" wegen der Weitergabe der Tagebücher und von Bestandteilen der Ermittlungsakte an Journalisten eingeleitet habe, und ergänzend "als Gegenstand unseres Vortrags" auf seinen Beschwerdeschriftsatz vom 16. Oktober 2020 ([X.], 37) in dem dem vorliegenden Hauptsacheverfahren vorgeschalteten Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (324 O 393/20) Bezug genommen.

8

In diesem Verfahren hatte das [X.] H. mit Beschluss vom 8. Oktober 2020 einen Anspruch des [X.] aus § 823 Abs. 2 BGB, § 353d Nr. 3 StGB verneint, da der objektive Tatbestand der Strafvorschrift nicht erfüllt sei. Gestützt auf § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB hatte es dem Unterlassungsantrag des [X.] hinsichtlich der Ziffern 1, 2, 7, 16 und 17 entsprochen. Im Übrigen hatte es den Antrag zurückgewiesen, da die durch Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 [X.] geschützten Belange der Beklagten das Interesse des [X.] am Schutz seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 [X.] überwögen. Bei der Abwägung sei zwar auch die Art und Weise der Erlangung der Tagebuchaufzeichnungen zu berücksichtigen. Es sei anzunehmen, dass der Antragsgegnerin die rechtswidrige Informationsbeschaffung nicht verborgen geblieben sein könne. [X.] sei aber davon auszugehen, dass sie sich an dem Rechtsbruch nicht beteiligt habe. Es begründe einen nicht unerheblichen Unterschied im Unrechtsgehalt, ob der Publizierende sich die Information widerrechtlich in der Absicht verschaffe, sie gegen den Betroffenen zu verwerten, oder ob er, wie im Streitfall, aus dem erkannten Rechtsbruch lediglich Nutzen ziehe.

9

Gegen diese Beurteilung hatte sich der Kläger mit der zum Gegenstand des Hauptsacheverfahrens gemachten sofortigen Beschwerde vom 16. Oktober 2020 gewandt. Unter Bezugnahme auf einen Podcast von [X.], dessen Transkript er als Anlage vorlegte, hatte er geltend gemacht, die Beklagte habe sich an der rechtswidrigen Informationsbeschaffung beteiligt. Er hatte behauptet, dass Redakteure von [X.], [X.]/Panorama und der Beklagten sich 15.000 - 20.000 Seiten Ermittlungsakten verschafft hätten und es viel Arbeit gewesen sei, an die Tagebücher "ranzukommen". Im Nichtabhilfebeschluss vom 20. Oktober 2020 hatte das [X.] unter anderem darauf hingewiesen, dem vorgelegten Podcast sei keine rechtswidrige Handlung der Beklagten zu entnehmen.

Zwar hatte sich das Beschwerdegericht sodann auf den Standpunkt gestellt, der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergäbe sich aus § 823 Abs. 2 BGB, § 353d Nr. 3 StGB, weshalb es auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht ankäme. Diesen rechtlichen Standpunkt hat die Beklagte aber im Hauptsacheverfahren sowohl in der Klageerwiderung als auch in der Berufungs- und der Revisionsbegründung jeweils mit umfassender Argumentation in Frage gestellt. Sie hat ihre Rechtsverteidigung von Anfang an maßgeblich darauf gestützt, dass eine Abwägung der widerstreitenden Interessen eindeutig zu Gunsten der Meinungsfreiheit ausfalle und der Schutz über § 823 Abs. 2 BGB, § 353d Nr. 3 StGB nicht weitergehen könne als der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Die Beklagte könne nicht losgelöst von einer Interessenabwägung im konkreten Einzelfall zur Unterlassung der Berichterstattung verurteilt werden.

Bei dieser Sachlage musste der Kläger während des gesamten Verfahrens, auch in der Revisionsinstanz, damit rechnen, dass es auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen - und in diesem Zusammenhang auch auf die Art der Informationsbeschaffung - ankommen könnte.

Auch wenn er seinen diesbezüglichen Vortrag in der Beschwerdeschrift vom 16. Oktober 2020, auf den er in der Klageschrift Bezug genommen hatte, im [X.] an die Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Revisionsverhandlung mittels Gegenrüge zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemacht hätte, hätte dies allerdings nicht zu einer anderen Beurteilung der Sache geführt. Wie das [X.] im oben erwähnten Nichtabhilfebeschluss zutreffend ausgeführt hat, ist dem vom Kläger als einziges Beweismittel für seine Behauptung vorgelegten Transkript des Podcast keine rechtswidrige Verschaffungshandlung seitens der Beklagten oder der für sie tätigen Journalisten zu entnehmen. Aus dem Transkript ergibt sich, dass ein Journalistenteam von [X.] und dem [X.] eine gemeinsame Recherche durchgeführt, 15.000 - 20.000 Seiten Akten ausgewertet hat und dabei auch an die Tagebücher "rangekommen" ist. Von einer Beteiligung der Beklagten ist dort nicht die Rede.

3. Da das Urteil des [X.]s vom 16. Mai 2023 den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör nicht verletzt, liegt auch kein - vom Kläger aus der behaupteten Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG abgeleiteter - Verstoß gegen das Recht auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) vor.

[X.]     

      

von [X.]     

      

[X.]

      

Klein     

      

Linder     

      

Meta

VI ZR 116/22

19.09.2023

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend BGH, 16. Mai 2023, Az: VI ZR 116/22, Urteil

Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.09.2023, Az. VI ZR 116/22 (REWIS RS 2023, 7310)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7310


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 2279/23

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2279/23, 10.04.2024.


Az. VI ZR 116/22

Bundesgerichtshof, VI ZR 116/22, 19.09.2023.

Bundesgerichtshof, VI ZR 116/22, 16.05.2023.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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