Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.06.2017, Az. 2 StR 92/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 8930

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Gegenstand

Raub: Tatrichterliche Beweiswürdigung einer versuchten Einflussnahme auf den Belastungszeugen; Konkurrenzverhältnis zwischen Freiheitsberaubung und Raub; strafmildernde Berücksichtigung von erlittener Untersuchungshaft


Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 28. November 2016 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung, vorsätzlichem unerlaubten Besitz einer „halbautomatisierten“ Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition und „mit“ vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

2

Dagegen richtet sich die auf eine Formal- und auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten und wirksam auf den Strafausspruch beschränkten Revision gegen die [X.] und die Strafzumessung im engeren Sinne.

3

Die Revision des Angeklagten erweist sich als unbegründet. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

4

Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

5

Der Angeklagte begab sich am frühen Morgen des 31. Juli 2015 gegen 3.30 Uhr in das in [X.]    gelegene und von dem Zeugen [X.]betriebene [X.].    , um die dort aufgestellten Geldspielautomaten aufzubrechen und das darin enthaltene Bargeld zu entwenden. Mit einer mit Sehschlitzen versehenen „[X.]“ maskiert betrat der Angeklagte, der zur Überwindung etwaigen Widerstands eine - möglicherweise ungeladene - Pistole, eine halbautomatische Kurzwaffe der Marke [X.] Crvena Zastava, [X.]liber 9 mm, sowie ein Elektroschockgerät mit sich führte, das Café, in dem sich zu diesem Zeitpunkt der Angestellte [X.].    sowie ein unbekannt gebliebener Gast aufhielten. Der Angeklagte hielt dem Geschädigten [X.].   die Pistole in den Nacken und forderte ihn ebenso wie die weitere Person auf, sein Mobiltelefon auszuschalten und sich auf den Boden zu legen. Nachdem beide dieser Aufforderung gefolgt waren, packte der Angeklagte den Geschädigten [X.].   am Kragen, versetzte ihm Faustschläge in den Rücken- und Schulterbereich und schob ihn vor sich her hinter die Theke des Cafés. Dort forderte er den Geschädigten erneut auf, sich auf den Boden zu legen. Er fesselte Hände und Füße des Geschädigten mit den zu diesem Zweck mitgeführten [X.]belbindern und unterband dessen Gegenwehr, indem er ihm mit dem Elektroschockgerät zwei Stromstöße in den Rückenbereich versetzte; hierdurch erlitt der Geschädigte - wie vom Angeklagten billigend in [X.]uf genommen - nicht unerhebliche Schmerzen und trug Verletzungen in Form von Hautrötungen sowie oberflächliche Hautverletzungen („Kratzer“) davon. Nach Anlegen der [X.]belbinder knebelte der Angeklagte den Geschädigten, indem er ihm Servietten in den Mund stopfte, und riss die Überwachungskamera aus ihrer Verankerung.

6

Anschließend nahm er die [X.] ab und sprach den Geschädigten [X.].   in [X.] mit dessen Vornamen an. Nach rund 15 bis 20 Minuten befreite er den Geschädigten von den [X.]belbindern und forderte ihn auf, sich an einen Tisch zu setzen. Nachdem der unbekannt gebliebene Gast eine Tasche mit Werkzeug aus dem Fahrzeug des Angeklagten geholt hatte, brach der Angeklagte zwei der drei Geldspielautomaten auf. Dabei erklärte er, dass er der „Ö.  “ sei und drohte dem Geschädigten, er werde ihn umbringen, wenn er ihn anzeige. Nachdem es ihm gelungen war, die Geldspielautomaten aufzubrechen, nahm er das darin befindliche Bargeld - rund 2.500 € - an sich. Er verstaute die [X.] in Taschen, wiederholte seinen Vornamen und die Todesdrohung und verließ schließlich das Café. Der durch die Tat verursachte Sachschaden betrug mindestens 2.500 €.

7

Einige Tage nach der Tat traf der Zeuge [X.]mit dem Angeklagten [X.] und weiteren Personen zusammen; dabei räumte der Angeklagte [X.]  den Überfall ein und erklärte dem Zeugen [X.]sinngemäß, dass dieser „die Sache nicht weiter in die Länge ziehen solle“.

8

In der Hauptverhandlung am 7. November 2016 forderte der in Untersuchungshaft genommene Angeklagte [X.]den auf freiem Fuß befindlichen Mitangeklagten [X.]auf, Einfluss auf den Zeugen [X.].  zu nehmen, dessen Vernehmung am nächsten Sitzungstag erfolgen sollte („Kümmere Dich darum; rede mit ihm. Er soll keinen Blödsinn machen.“).

II.

9

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

1. Die Formalrügen sind aus den vom [X.] in seiner Zuschrift genannten Gründen jedenfalls unbegründet.

2. Die auf die Sachrüge hin gebotene umfassende Prüfung des angegriffenen Urteils lässt einen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler nicht erkennen. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:

a) Die Beweiswürdigung des [X.]s begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

aa) Die [X.] war sich des eingeschränkten Beweiswerts der polizeilichen Angaben des Zeugen [X.].  bewusst, der in der Hauptverhandlung wegen bestehender [X.] nicht gehört und von den Verfahrensbeteiligten nicht unmittelbar befragt werden konnte. Sie hat im Rahmen der Beweiswürdigung ausdrücklich berücksichtigt, dass „weder für das Gericht noch für die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung Gelegenheit für Nachfragen oder auch eine konfrontative Befragung bestand“. Dies und die im Übrigen sorgfältige, auf weitere, außerhalb der Aussage des Zeugen liegende, den Angeklagten belastende Beweisanzeichen gestützte Beweiswürdigung genügt den insoweit bestehenden Anforderungen in sachlich-rechtlicher Hinsicht (vgl. [X.], Urteil vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00, insoweit in [X.]St 46, 93 nicht abgedruckt; Beschluss vom 29. November 2006 - 1 [X.], [X.]St 51, 150, 157).

bb) Es ist rechtlich unbedenklich, dass die [X.] die vorliegend festgestellte versuchte Einflussnahme des Angeklagten über einen [X.] auf den Zeugen [X.].  während laufender Hauptverhandlung als ein den Angeklagten belastendes Indiz bewertet hat.

Der in Untersuchungshaft genommene Angeklagte hatte ausweislich der Feststellungen versucht, den auf freiem Fuß befindlichen Mitangeklagten [X.] vor der für den Folgetag vorgesehenen Vernehmung des Belastungszeugen [X.].   dazu zu bestimmen, auf diesen Zeugen bzw. den Inhalt seiner Aussage „in unlauterer Weise Einfluss zu nehmen“ („Rede mit ihm; er soll keinen Blödsinn machen.“).

Zwar enthielte diese Beweiserwägung Elemente eines Zirkelschlusses, wenn sie gedanklich bereits voraussetzte, was erst zu beweisen wäre, dass der Angeklagte die Tat tatsächlich begangen hätte (vgl. [X.], Urteil vom 8. Dezember 2004 - 2 [X.], [X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung 32). In diesem Sinne versteht der [X.] die von der [X.] ersichtlich als ein die übrigen Beweiserwägungen abrundendes Indiz angeführte Erwägung jedoch nicht. Dass die [X.] hier die versuchte Einwirkung auf den Zeugen als ein die Grenzen zulässigen [X.] eindeutig überschreitendes und auf eine „unlautere“ Einflussnahme auf den Belastungszeugen zielendes Verhalten des Angeklagten angesehen hat, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden, sondern hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Wertungsspielraums. Die [X.] hat diese Würdigung nicht nur auf den Inhalt der Äußerung, sondern auf das damit in Zusammenhang stehende Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung gestützt. Dieser hatte geleugnet, dass seine Aufforderung überhaupt dahin zu verstehen sei, dass der Mitangeklagte auf den Belastungszeugen Einfluss nehmen solle. So hatte er zunächst behauptet, seine Äußerung sei auf den Mitangeklagten und dessen Verhalten in der Hauptverhandlung bezogen gewesen. Nachdem der Mitangeklagte dies nicht bestätigt hatte, hat der Angeklagte behauptet, seine Äußerung sei auf „seine Ehefrau und den Wunsch“ bezogen, dass diese sich „um das Kind kümmern“ solle. Auch diese Version hat die [X.] tragfähig widerlegt. Vor diesem Hintergrund begegnet weder die Annahme einer versuchten unlauteren Einflussnahme noch deren Würdigung als ein den Angeklagten belastendes Indiz rechtlichen Bedenken, zumal diese Würdigung zu dem festgestellten Vorverhalten des Angeklagten passt; dieser hatte seine Täterschaft nach der Tat gegenüber [X.] offen eingeräumt, aber für den Fall der Namensnennung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden mit Konsequenzen gedroht.

cc) Die Feststellungen und Wertungen der [X.] tragen die Annahme, dass der Angeklagte, der mit [X.] maskiert und mit Pistole sowie Elektroschockgerät bewaffnet das Café betrat und Einbruchswerkzeug zum Aufbruch der Spielautomaten in seinem Fahrzeug mitführte, von Beginn an mit [X.] handelte. Auch wenn die Art der Tatausführung einige Besonderheiten aufweist, welche die [X.] letztlich nicht aufzuklären vermochte, und der Angeklagte mit seiner Tat möglicherweise weitere Ziele verfolgte, stellt dies die subjektive Tatseite nicht in Frage. Erörterungen dazu, ob der Angeklagte das Café aus anderen Gründen betrat und den [X.] etwa erst spontan und nach dem Einsatz der Gewalt gegen den Zeugen [X.].  gefasst haben könnte, waren entbehrlich. Der Tatrichter ist von Rechts wegen nicht verpflichtet, sich in den Urteilsgründen mit möglichen Geschehensabläufen auseinander zu setzen, für die nach dem festgestellten Sachverhalt Anhaltspunkte nicht ersichtlich sind und die deshalb fern liegen.

b) Die tateinheitliche Verurteilung wegen Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Zwar tritt § 239 StGB im Wege der [X.] hinter den Tatbestand des Raubes (§ 249 StGB) zurück, wenn die Freiheitsberaubung nur das tatbestandliche [X.] zur Begehung des Raubes ist ([X.], Urteil vom 11. September 2014 - 2 StR 269/14, [X.], 113; Beschluss vom 9. Juli 2004 - 2 StR 150/04; [X.], Beschluss vom 30. Oktober 2007 - 4 [X.], juris Rn. 1). So lag es hier jedoch nicht. Der Angeklagte fesselte sein Tatopfer vielmehr während des mehraktigen Raubgeschehens über einen Zeitraum von 15 bis 20 Minuten an Händen und Füßen, nachdem er es mit einer Pistole bedroht, massiv körperlich misshandelt und ihm mit einem Elektroschockgerät Stromstöße versetzt hatte. Bei dieser Sachlage begegnet die Annahme von Tateinheit keinen rechtlichen Bedenken.

c) Dass die [X.] nicht auch eine Strafbarkeit wegen Führens der halbautomatischen Kurzwaffe (vgl. Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 [X.] Abschnitt 2 Nr. 4) durch deren Verwendung bei dem Überfall erwogen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Oktober 2008 - 4 [X.], [X.], 628, 629), beschwert den Angeklagten nicht.

III.

Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. [X.] und Strafzumessung im engeren Sinne halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie weisen einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf.

Das [X.] hat sowohl bei der [X.] als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er sich „einige Monate“ in Untersuchungshaft befand. Dies begegnet rechtlichen Bedenken. Untersuchungshaft ist, jedenfalls bei der Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund; sie wird gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet. Anderes gilt nur in Fällen, in denen der Vollzug von Untersuchungshaft ausnahmsweise mit ungewöhnlichen, über das übliche Maß deutlich hinausgehenden Beschwernissen verbunden ist ([X.], Urteil vom 24. August 2016 - 2 [X.], [X.], 40, 42; [X.], Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 303/13, [X.], 82, 83). [X.] der Tatrichter wegen besonderer Nachteile für den Angeklagten den Vollzug der Untersuchungshaft bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigen, müssen diese Nachteile in den Urteilsgründen dargelegt werden ([X.], Urteil vom 24. August 2016 - 2 [X.], aaO). Hieran fehlt es. Insoweit hat das [X.] allein darauf abgestellt, dass der Angeklagte „als nicht der [X.] hinreichend mächtiger Angeklagter“ besonders haftempfindlich sei. Dabei hat es nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte bereits seit dem [X.] in [X.] lebt, mehrere Cafés betrieben hat und familiäre Bindungen im Inland hat. Bei dieser Sachlage genügte der bloße Hinweis auf unzureichende Sprachkenntnisse zur Begründung einer besonderen Haftempfindlichkeit nicht.

Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der [X.] vermag in Ansehung des festgestellten [X.], der Intensität der eingesetzten Gewalt, der erheblichen physischen und psychischen Tatfolgen für das Tatopfer sowie des [X.] des Angeklagten nicht auszuschließen, dass der Tatrichter ohne den aufgezeigten Rechtsfehler die Annahme eines minder schweren Falles abgelehnt und auch im Übrigen eine höhere Strafe verhängt hätte. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

Die Feststellungen können aufrechterhalten werden, da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt. Ergänzende, den bisherigen nicht widersprechende Feststellungen sind möglich.

Appl     

       

Eschelbach     

       

Bartel

       

Grube     

       

[X.]     

       

Meta

2 StR 92/17

28.06.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aachen, 28. November 2016, Az: 69 KLs 1/16

§ 261 StPO, § 46 StGB, § 51 Abs 1 S 1 StGB, § 52 StGB, § 239 StGB, § 249 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.06.2017, Az. 2 StR 92/17 (REWIS RS 2017, 8930)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8930

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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