Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.08.2015, Az. IV R 12/12

4. Senat | REWIS RS 2015, 6364

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Gegenstand

Auslegung des Klagebegehrens durch den BFH - Bestimmung des Gegenstands einer Anfechtungsklage gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid - Anfechtbarkeit der Feststellung eines Sonderbetriebsgewinns - Bindung des BFH an die Feststellungen des FG


Leitsatz

1. NV: Der BFH ist bei der Auslegung des Klagebegehrens nicht an die Auslegung des FG und die von diesem verfassten Anträge gebunden .

2. NV: Der Gewinnfeststellungsbescheid kann mehrere Feststellungen enthalten, die selbständiger Gegenstand des Klagebegehrens sein können .

3. NV: Ein Sonderbetriebsgewinn ist nur dann als selbständig anfechtbare Besteuerungsgrundlage festgestellt worden, wenn der Gewinnfeststellungsbescheid dazu einen ausdrücklichen Regelungsausspruch enthält.  Der Verweis auf eine Anlage, in der im Rahmen der Berechnung des Gesamthandsgewinns ein Sonderbetriebsgewinn in Abzug gebracht wird, genügt diesen Anforderungen nicht .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. Januar 2012  8 K 1089/09 aufgehoben.

Der Bescheid für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 27. Juli 2012 wird dahin geändert, dass der Gewinn aus [X.] in Höhe von ... € festgestellt wird.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben der Beklagte zu 84,4 % und die Kläger zu 15,6 % zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Tatbestand ist aus Gründen des Steuergeheimnisses nicht zur Veröffentlichung geeignet.

Entscheidungsgründe

2

[X.] die Revision des [X.] wird die Vorentscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben.

3

1. Das angegriffene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da der während des Revisionsverfahrens ergangene, nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung geänderte [X.] 2006 vom 27. Juli 2012 an die Stelle des angegriffenen Bescheids getreten und nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zum Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden ist (vgl. zu den Besonderheiten bei einem verschiedene Feststellungen umfassenden [X.]: Urteil des [X.] --[X.]-- vom 9. Februar 2011 IV R 15/08, [X.], 290, [X.], 764). Damit liegt dem [X.] ein nicht mehr existierender Bescheid mit der Folge zugrunde, dass das [X.] keinen Bestand haben kann (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 22. Juli 2010 IV R 29/07, [X.], 215, [X.], 511, und vom 19. Juli 2011 IV R 42/10, [X.], 226, [X.], 878).

4

Der erkennende [X.] entscheidet aufgrund seiner Befugnis aus den §§ 121 und 100 [X.]O in der Sache selbst (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Da sich hinsichtlich der streitigen Punkte keine Änderungen ergeben haben und die Kläger auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt haben, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 [X.]O (vgl. [X.]-Urteile in [X.], 215, [X.], 511, und in [X.], 226, [X.], 878).

5

2. Die Klage gegen den [X.] 2006 vom 27. Juli 2012 ist überwiegend begründet und führt insoweit zur Abänderung des [X.]s. Im Übrigen ist sie unbegründet und wird insoweit abgewiesen.

6

a) Der [X.] legt die Klage dahin aus, dass diese von vornherein nur auf die Anfechtung der Feststellung des Gewinns aus der [X.] der Klägerin gerichtet war.

7

[X.]) Der [X.] kann die Klageschrift ohne Bindung an die Feststellungen des [X.] selbst auslegen ([X.]-Urteil vom 23. Februar 2012 IV R 32/09, [X.]/NV 2012, 1479). Als prozessuale Willenserklärung ist die Klageschrift in gleicher Weise wie Willenserklärungen im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) analog § 133 BGB auszulegen. Dabei sind zur Bestimmung des Gegenstands des Klagebegehrens (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) alle bekannten und vernünftigerweise erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen ([X.]-Urteil in [X.]/NV 2012, 1479). An die Fassung der Anträge ist das Gericht dabei nicht gebunden (§ 96 Abs. 1 Satz 2 [X.]O).

8

bb) Bei der Auslegung des Klagebegehrens ist die prozessuale Selbständigkeit der in einem [X.] enthaltenen einzelnen Feststellungen zu beachten. Die Klage gegen einen Feststellungsbescheid kann verschiedene Ziele verfolgen. Ein Feststellungsbescheid fasst einzelne Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen zusammen, die --soweit sie eine rechtlich selbständige Würdigung enthalten und eines rechtlich selbständigen Schicksals fähig sind-- selbständiger Gegenstand des Klagebegehrens sein können. Solche selbständige Feststellungen sind insbesondere die Qualifikation der Einkünfte, das Bestehen einer Mitunternehmerschaft, die Höhe des [X.], des laufenden Gewinns, eines Veräußerungsgewinns oder eines Sondergewinns bzw. einer Sondervergütung (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 1. Juli 2010 IV R 34/07, [X.]/NV 2010, 2246, und vom 16. April 2015 IV R 44/12, [X.]/NV 2015, 1085).

9

cc) Der von den Klägern angefochtene [X.] enthält hinsichtlich der im Streitfall allein streitigen Einkünfte aus Gewerbebetrieb nur die rechtlich selbständige Feststellung eines Gewinns aus der [X.] in Höhe von … €. In die Berechnung des festgestellten Gesamthandsgewinns ist das Entgelt des [X.] für den Verzicht auf die Nutznießung an den Anteilen der [X.] in Höhe von … € eingeflossen. Dies lässt sich der dem ursprünglichen [X.] vom 7. April 2008 beigefügten Anlage entnehmen. Davon sind ersichtlich auch die Beteiligten und das [X.] ausgegangen, weshalb der [X.] insoweit von weiteren Ausführungen absieht. Eine ausdrückliche (selbständige) Feststellung der Sonderbetriebseinnahmen bzw. eines Sondergewinns enthalten weder der hier nunmehr streitgegenständliche [X.] vom 27. Juli 2012 noch der [X.] vom 8. Mai 2008, der Gegenstand des Klageverfahrens war. Eine entsprechende Feststellung war ebenso wenig in dem ursprünglichen [X.] vom 7. April 2008 enthalten.

dd) Der [X.] kann auch nicht durch Auslegung dahin umgedeutet werden, dass dieser konkludent die selbständige Feststellung eines dem Kläger zuzurechnenden Sondergewinns auch ohne einen entsprechenden ausdrücklichen [X.] enthält. Zwar wird in der dem ursprünglichen [X.] vom 7. April 2008 beigefügten Anlage ausgeführt, dass der [X.] für den Nießbrauch (gemeint ist die Nutznießung) in Höhe von … € als Sonderbetriebseinnahme des [X.] berücksichtigt werde. Weiter wird erläutert, dass die von der Klägerin erklärten Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von … € sich um eine Gewerbesteuerrückstellung in Höhe von … € (5 % von … € x 375 %, davon 5/6) auf … € verminderten, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb daher insgesamt … € betrügen. Zwar enthält der ursprüngliche [X.] in den "Erläuterungen" einen Hinweis auf die Anlage, deren Inhalt hat in dem [X.] aber keinen Niederschlag gefunden. Die Ausführungen in der Anlage können den [X.] im [X.] weder erweitern noch ergänzen. Sie dienen lediglich dazu, einen bestimmten [X.] (hier die Feststellung des Gesamthandsgewinns) näher zu erläutern. Die Erläuterungen in der dem [X.] vom 7. April 2008 beigefügten Anlage wären überdies für die Auslegung des hier streitgegenständlichen [X.]s vom 27. Juli 2012 nicht heranzuziehen, da der [X.] vom 7. April 2008 durch den späteren Erlass der Änderungsbescheide in seinen Wirkungen vollständig suspendiert worden ist. In dem hier streitgegenständlichen [X.] vom 27. Juli 2012 ist eine entsprechende Erläuterung weder enthalten noch wird auf die Ausführungen in der Anlage zum früheren Bescheid Bezug genommen.

ee) Davon ausgehend ist der von den Klägern bereits mit dem [X.] vom 9. April 2009 angekündigte und in der mündlichen Verhandlung vom 10. Januar 2012 gestellte Antrag, die festgestellten Einkünfte aus Gewerbebetrieb des [X.] bei der Klägerin um die Einnahmen aus der "Veräußerung" des "Ertragsnießbrauchsrechts" in Höhe von … € zu reduzieren und die "Einnahmen" der Klägerin auf … € festzustellen, rechtsschutzgewährend dahin auszulegen, dass damit die Änderung des [X.]s dahingehend begehrt worden ist, dass der Gewinn aus der [X.] unter Außerachtlassung des Entgelts für den Verzicht auf die Nutznießung um … € niedriger festzustellen ist. Das Klagebegehren kann demgegenüber, anders als das [X.] meint, nicht als isolierte Anfechtung der Sonderbetriebseinnahmen des [X.] ausgelegt werden. Eine solche Auslegung scheitert, wie dargelegt, schon daran, dass weder in dem der Vorentscheidung zu Grunde liegenden [X.] vom 8. Mai 2008 noch in dem hier streitgegenständlichen [X.] die Feststellung eines Sondergewinns für den Kläger enthalten ist.

b) Ausgehend von diesem Streitgegenstand ist die Klage überwiegend begründet. Die Feststellung des Gewinns aus der [X.] ist insoweit fehlerhaft, als das Entgelt für den Verzicht auf die Nutznießung an den Anteilen der [X.] in die Berechnung des Gesamthandsgewinns mit eingeflossen ist (dazu unter [X.]). Dies führt indes nicht zu einer vollständigen Stattgabe der Klage, weil bedingt durch die Herabsetzung des Gesamthandsgewinns die von dem [X.] berücksichtigte Gewerbesteuerrückstellung in Höhe von … € ebenfalls rückgängig zu machen ist (dazu unter cc).

[X.]) Das Entgelt für den Verzicht auf die Nutznießung an den Anteilen an der [X.] ist bei der Feststellung des Gesamthandsgewinns der Klägerin nicht zu berücksichtigen. Die Nutznießung stand alleine dem Kläger zu und war daher nicht in der [X.] der Klägerin, sondern allenfalls in einer für den Kläger zu erstellenden Sonderbilanz zu erfassen. Entsprechend kann das Entgelt für den Verzicht auf die Nutznießung allenfalls als Sonderbetriebseinnahme des [X.] den Gesamtgewinn (nicht zu verwechseln mit dem Gesamthandsgewinn) der Klägerin erhöhen. Davon gehen im Ergebnis auch die Beteiligten aus, weshalb der [X.] insoweit auf weitere Ausführungen verzichtet.

Die hier allein streitgegenständliche Feststellung des Gesamthandsgewinns ist daher um das darin enthaltene Entgelt für den Verzicht auf die Nutznießung an den Anteilen an der [X.] in Höhe von … € zu kürzen.

bb) Da die Feststellung von Sonderbetriebseinnahmen des [X.] nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, hat der [X.] nicht im Wege einer Saldierung darüber zu befinden, ob das [X.] dem Grunde nach zu Recht das Nutznießungsrecht des [X.] dessen Sonderbetriebsvermögen bei der Klägerin zugeordnet hat. Gleichwohl weist der [X.] darauf hin, dass erhebliche Zweifel daran bestehen, dass das [X.] mit seinen rechtlichen Einwendungen in dem Revisionsverfahren hätte durchdringen können. Insoweit nimmt der [X.] zunächst Bezug auf seine jüngere Rechtsprechung zu vergleichbaren Sachverhalten ([X.]-Urteile vom 23. Februar 2012 IV R 13/08, [X.]/NV 2012, 1112, und vom 17. November 2011 IV R 51/08, [X.]/NV 2012, 723, jeweils mit umfangreichen Nachweisen). Hinzu kommt, dass die Würdigung der Beziehungen zwischen einer Kapitalgesellschaft und einer Personengesellschaft ebenso wie die Würdigung, inwieweit die Mitunternehmer ihre Einflussmöglichkeit auf die Geschäftsführung der Kapitalgesellschaft im wirtschaftlichen Interesse der Personengesellschaft ausüben, und die weitere Würdigung, ob die Kapitalgesellschaft über einen eigenen selbständigen Geschäftsbetrieb verfügt, als Tatfrage vom [X.] zu klären und der [X.] an dessen tatsächliche Feststellungen nach § 118 Abs. 2 [X.]O gebunden ist, soweit nicht dagegen zulässige und begründete Revisionsrügen vorgebracht sind. Entsprechende [X.] hat das [X.] nicht erhoben. Auch lässt die sehr ausführliche Sachverhaltswürdigung des [X.] keinen Verstoß gegen die Denkgesetze erkennen.

cc) Die von dem [X.] bei der Feststellung des Gewinns aus der [X.] in Abzug gebrachte Gewerbesteuerrückstellung in Höhe von … € ist rückgängig zu machen. Ausweislich der Anlage zum [X.] vom 7. April 2008 hat das [X.] den Gesamthandsgewinn der Klägerin nicht im Umfang des Entgelts von … € erhöht. Vielmehr hat das [X.] insoweit gewinnmindernd eine Gewerbesteuerrückstellung in Höhe von … € berücksichtigt. Diese ist, da das Entgelt für den Verzicht auf die Nutznießung in vollem Umfang nicht bei der Feststellung des Gesamthandsgewinns zu berücksichtigen ist, ebenfalls rückgängig zu machen.

dd) Davon ausgehend ist der [X.] vom 27. Juli 2012 hinsichtlich der Feststellung des Gesamthandsgewinns wie folgt zu ändern:

Gewinn aus [X.] bisher:            

      … €

abzüglich Entgelt für Verzicht:

      … €

zuzüglich Gewerbesteuerrückstellung:              

 … €

Gewinn aus [X.] neu:           

      … €

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1, § 136 Abs. 1 [X.]O. Die Kosten des gesamten Verfahrens tragen das [X.] zu 84,4 % und die Kläger gemäß § 135 Abs. 5 Satz 1 [X.]O nach Kopfteilen zu 15,6 %.

Meta

IV R 12/12

20.08.2015

Bundesfinanzhof 4. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 10. Januar 2012, Az: 8 K 1089/09, Urteil

§ 133 BGB, § 65 Abs 1 S 1 FGO, § 96 Abs 1 S 2 FGO, § 100 FGO, § 121 FGO, § 126 Abs 2 FGO, § 118 Abs 2 FGO, § 179 AO, § 180 AO, § 15 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 2002, EStG VZ 2006

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.08.2015, Az. IV R 12/12 (REWIS RS 2015, 6364)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 6364

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