Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.07.2019, Az. 1 StR 656/18

1. Strafsenat | REWIS RS 2019, 5125

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Gegenstand

Pflicht zur Dokumentation von Verständigungsgesprächen


Tenor

1. Die Revisionen des Angeklagten sowie der [X.] zu 3. und 4. gegen das Urteil des [X.] vom 4. Juli 2018 werden als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

2. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen strafbarer Werbung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Es hat ferner die „Einziehung“ (gemeint ist die Einziehung des Wertes von Taterträgen) folgender Beträge angeordnet:

2

– beim Angeklagten in Höhe von 335.750 €, jeweils gesamtschuldnerisch mit der [X.] [X.] und der [X.] A.                              mbH;

3

– bei der [X.] A.                              mbH in Höhe von 1.727.466,90 €, davon in Höhe von 335.750 € gesamtschuldnerisch mit dem Angeklagten, in Höhe von 402.845,65 € gesamtschuldnerisch mit der [X.] [X.] ([X.] zu 3.) sowie in Höhe von 376.512,80 € gesamtschuldnerisch mit der [X.]              [X.]([X.] zu 4.);

4

– bei der [X.] A.      S.     GmbH in Höhe von 1.042.316,20 €, davon in Höhe von 335.750 € gesamtschuldnerisch mit dem Angeklagten;

5

– bei der [X.] [X.] in Höhe von 700.564,10 €, davon in Höhe von 402.845,65 € gesamtschuldnerisch mit der [X.] A.                              mbH sowie in Höhe von 376.512,80 € gesamtschuldnerisch mit der [X.]              [X.];

6

– bei der [X.]             [X.]in Höhe von 376.512,80 €, jeweils gesamtschuldnerisch mit den [X.] [X.] und A.                              mbH.

7

Hiergegen wenden sich der Angeklagte sowie die [X.] zu 3. und 4. mit Verfahrensrügen sowie mit der Sachrüge. Die Rechtsmittel sind unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Ergänzend zu den Ausführungen des [X.] in seinen [X.] vom 12. Dezember 2018 bemerkt der Senat Folgendes:

[X.] Revision des Angeklagten

8

1. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge keinen Erfolg.

9

a) Die getroffenen Feststellungen des [X.]s tragen den Schuldspruch wegen strafbarer Werbung gemäß § 16 Abs. 2 UWG und sind rechtsfehlerfrei getroffen. Insbesondere ist das [X.] zutreffend davon ausgegangen, dass Verbraucher im Sinne von § 13 BGB, auf den § 2 Abs. 2 UWG verweist, angesprochen worden sind. Insoweit hat das [X.] zu Recht angenommen, dass für die Beurteilung der [X.] im Rahmen des § 16 Abs. 2 UWG nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, sondern maßgeblich auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in welchem der Geworbene erstmals durch das Absatzkonzept des Veranstalters in der Weise angesprochen wird, dass die Werbung unmittelbar in die Abnahme des Produkts einmünden soll ([X.], Beschluss vom 24. Februar 2011 – 5 [X.], [X.]St 56, 174 Rn. 25). Zu diesem Zeitpunkt handelte es sich bei den Geschädigten um Verbraucher, die sich insbesondere noch nicht entschieden hatten, ob sie eine gewerbliche oder selbstständige Tätigkeit im Rahmen des vom Angeklagten entwickelten Modells ausüben wollten.

b) Das [X.] hat zudem rechtsfehlerfrei unter Beachtung des [X.] Mindestfeststellungen in Bezug auf die Geschädigtenzahl von mindestens 3.000 Personen und von Verpflichtungen dieser Geschädigten in Höhe von jeweils 2.400 € getroffen. Dieser Wert liegt noch unter dem Betrag, der sich ergibt, wenn man den Mittelwert der Raten von 89 € und 125 € mit der Mindestlaufzeit von 24 Monaten multipliziert. Dies ergibt einen Schadensbetrag von mindestens 7,2 Mio. €.

c) Im Rahmen der Feststellung des aus der Tat [X.] im Sinne von § 73 StGB hat das [X.] zunächst zutreffend sowohl auf die Lizenzgebühren für das Online-Tool als auch auf die Vermittlungsgebühren für den Abschluss der [X.] abgestellt, die entsprechenden [X.] korrekt anhand der Kontoumsätze ermittelt und anschließend bei den [X.] zu 1. und 2. die ausgezahlten Provisionen abgezogen. Diese hat es nach Auswertung der Spalte „[X.]“ in der Liste „A-Z Kundenauflistung 07.2015“ nachvollziehbar ermittelt und auf den sich so ergebenden Wert nochmals einen Betrag zur Sicherheit aufgeschlagen, wodurch sich gezahlte Provisionen in Höhe von 400 € pro Kunde ergeben haben. Die Anzahl der Kunden folgt ebenfalls aus der o.g. Liste. Ausweislich der Angaben der Zeugen P.     , [X.]     und E.       handelte es sich bei den in dieser Liste angegebenen und kontaktierten Kunden grundsätzlich um [X.], die meisten davon arbeitslos. Dazu passt, dass die vom [X.] vernommenen Geschädigten ebenfalls arbeitslos und mithin Verbraucher waren. Dennoch hat das [X.] von dem sich nach Abzug der Provisionen ergebenden Betrag zusätzlich für die Möglichkeit, dass unter den Kunden Unternehmer waren, einen Sicherheitsabschlag von 15 % vorgenommen. Dieser 15-prozentige Abschlag erscheint auch vor dem Hintergrund, dass vornehmlich Verbraucher angesprochen werden sollten, großzügig bemessen und beschwert den Angeklagten nicht. Den gleichen Sicherheitsabschlag von 15 % hat das [X.] von den bei den [X.] zu 3. und 4. ermittelten [X.] abgezogen. Auch dies ist im Hinblick auf die vorherigen Ausführungen rechtsfehlerfrei erfolgt.

2. Auch die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.

a) [X.] der Verletzung der §§ 243 Abs. 4 Satz 1, 257c Abs. 2, Abs. 5 StPO

Der [X.] liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Bereits am 18. Juni 2018 fand eine Hauptverhandlung statt. In dieser wurde der Angeklagte mittels Verlesung von [X.]n über bisher stattgefundene [X.] unterrichtet. Sodann kam es zu neuerlichen [X.]n, über die umfassend in der Hauptverhandlung informiert wurde. Im [X.] kündigten die [X.] Beweisanträge an. Das Gericht wies darauf hin, „dass für den Fall, dass wegen gestellter Beweisanträge der Nebenbeteiligten eine längere Hauptverhandlung erforderlich sein würde, gegebenenfalls das Verfahren ausgesetzt werden müsste wegen terminlicher Schwierigkeiten. Sofern das Verfahren mit einer vollen Beweisaufnahme erneut begonnen würde wäre der in der Pause besprochene [X.] gegenstandslos“. Das Gericht schlug dann die vorbesprochene Verständigung vor, der der Angeklagte nach Belehrung und die Staatsanwaltschaft zustimmten. Der Angeklagte räumte den Sachverhalt schließlich in objektiver und subjektiver Hinsicht ein. Am 19. Juni 2018 wurde die Hauptverhandlung wegen der Erkrankung einer Schöffin ausgesetzt. Sodann wurde am 26. Juni 2018 erneut mit der Hauptverhandlung begonnen. Nach Verlesung der Anklage teilte die Vorsitzende mit, dass [X.] stattgefunden hatten, und informierte durch Verlesung der nämlichen [X.] wie am 18. Juni 2018 über deren Inhalt. Eine Mitteilung des Inhalts der [X.] vom 18. Juni 2018 erfolgte nicht. Im [X.] fanden [X.] statt, deren Inhalt umfassend in der Hauptverhandlung mitgeteilt wurde und die in einem [X.] durch das Gericht mündeten. Dieser entsprach dem Vorschlag aus der Hauptverhandlung vom 18. Juni 2018. Dem stimmten der Angeklagte und die Staatsanwältin zu. Sodann räumte der Angeklagte erneut den Sachverhalt in objektiver und subjektiver Hinsicht ein.

aa) Soweit der Beschwerdeführer die [X.] mit der Angriffsrichtung führt, der Mitteilungspflicht sei unzureichend nachgekommen worden, weil in der Sitzung vom 26. Juni 2018 nicht über die [X.] vom 18. Juni 2018 informiert worden sei, kann der Senat jedenfalls ein Beruhen des Urteils auf einer Verletzung der Mitteilungspflichten ausschließen.

Zwar führt ein Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer Verständigung mit der Folge, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Gesetzesverstoß regelmäßig nicht auszuschließen ist ([X.], Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., [X.]E 133, 168 Rn. 80 ff.). Hier kann allerdings ausnahmsweise unter Berücksichtigung von Art und Schwere des Verstoßes ([X.], Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 878/14, NJW 2015, 1235 Rn. 29; [X.], Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15 Rn. 14 ff.; Beschluss vom 5. August 2015 – 5 [X.], [X.]R StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 5 Rn. 13) ein Ausschluss des [X.] angenommen werden. In die wertende Gesamtbetrachtung war insbesondere einzubeziehen, dass der Angeklagte umfassend informiert war, da er in der Hauptverhandlung vom 18. Juni 2018 anwesend, dort über sämtliche außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche unterrichtet worden ist und die Erinnerung an diese Vorgänge in der acht Tage später stattfindenden Hauptverhandlung noch frisch war. Dies gilt zumal da die Gespräche im Wesentlichen den gleichen Inhalt hatten wie die in der neuerlichen Hauptverhandlung. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft sind auch die [X.] im Termin vom 26. Juni 2018 im Rahmen der [X.] durch die Vorsitzende darauf hingewiesen worden, dass vor einer Woche ein Gespräch mit dem Ziel der Herbeiführung einer Verständigung mit demselben Inhalt, wie er auch an diesem Tag besprochen wurde, stattgefunden hatte.

Auch ein Einfluss einer unzureichenden Information der Öffentlichkeit, der die Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO zugleich dient, auf die Entscheidungsfindung ist auszuschließen. Dies kann ausnahmsweise dann angenommen werden, wenn der Inhalt der geführten Gespräche – wie hier – zweifelsfrei feststeht und diese nicht auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet waren (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 878/14, NJW 2015, 1235 Rn. 29; [X.], Urteil vom 26. April 2017 – 2 StR 506/15 Rn. 13). Denn es soll sichergestellt werden, dass verständigungsbezogene Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO stets in der öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und durch die Möglichkeit, Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung zu führen, kein informelles und unkontrolliertes Verfahren betrieben wird ([X.], Beschlüsse vom 15. April 2014 – 3 [X.], [X.]R StPO § 243 Abs. 4 Hinweis 4 Rn. 11 mwN und vom 18. Mai 2017 – 3 [X.] Rn. 12). Das ist durch die die vollständige und zutreffende Mitteilung der Inhalte der Vorgespräche vom 18. Juni 2018 in der Hauptverhandlung, die umfassende Protokollierung dieser Mitteilungen und Hinweise und der weiteren Vorgänge im Rahmen der Verständigung gewährleistet. Danach liegt insbesondere offen zu Tage, dass das Gericht mehrmals darauf hingewiesen hat, dass die Einziehungsentscheidung nicht Gegenstand einer Verständigung sein kann.

bb) Soweit die [X.] mit der Angriffsrichtung geführt wird, dass Gericht habe den Bestand der Absprache in einen unzulässigen Konnex mit der Einziehungsentscheidung gebracht und den Angeklagten deswegen falsch belehrt, belegt das dargestellte Geschehen einen solchen Rechtsfehler nicht.

Die Revision verkürzt den Inhalt des gerichtlichen Hinweises vom 18. Juni 2018, wenn es diesen dahin deutet, dass allein der Umstand der Stellung von Beweisanträgen den Bestand der Verständigung gefährdet hätte. Vielmehr ließ sich dem Hinweis deutlich entnehmen, dass terminliche Schwierigkeiten im Falle von Beweisanträgen zu einer Aussetzung zwingen könnten. Den Angeklagten daher vor seiner Zustimmung zum [X.] auf den Terminsaspekt und die Folge, dass damit der [X.] hinfällig würde, hinzuweisen, ist nicht zu beanstanden. Dass vom Gericht die Stellung von Beweisanträgen der [X.] in keinen Konnex zur Verständigung gebracht wurde, wird dadurch belegt, dass die Verständigung wie besprochen getroffen wurde.

Inwieweit hierdurch beim Angeklagten ein „falscher rechtlicher Eindruck“ entstanden sein könnte, der mittels einer von der Revision vermissten „Belehrung“ im Termin am 26. Juni 2018 hätte beseitigt werden müssen, erschließt sich nicht, zumal im Wesentlichen gleichlautende [X.] geführt und ein entsprechender [X.] unterbreitet worden sind wie im Termin vom 18. Juni 2018.

b) Die [X.], das [X.] habe den Beweisgehalt einer Urkunde nicht ausgeschöpft und mithin § 261 StPO verletzt, hat gleichfalls keinen Erfolg. Die Revision behauptet, dass sich aus den drei vorgetragenen Seiten, die Teil einer Gesamturkunde und als solche Inbegriff der Hauptverhandlung gewesen seien, erhebliche Programmierkosten für das Online-Tool ergeben hätten. Eine Auseinandersetzung mit solchen Ausgaben finde im Urteil nicht statt, vielmehr seien dort nur Zuflüsse betrachtet worden.

Die [X.] erweist sich schon als unzulässig, da die Revision den Inhalt der Gesamturkunde nicht vorträgt (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 11. Dezember 2014 – 5 [X.] Rn. 31). Ob sich tatsächlich die behaupteten Geldabflüsse für das Online-Tool aus dieser Urkunde ergeben, kann der Senat zudem deswegen nicht beurteilen, da sich aus dem dargelegten Teil der Urkunde lediglich Rechnungspositionen, Buchungsdaten und der Name des Empfängers ergeben.

Auf der Grundlage des Vortrags wäre die [X.] auch unbegründet, da der gerügte [X.] nicht vorliegt. Das [X.] hat sich auch mit den „Abflüssen“ auseinandergesetzt, diesen lediglich nicht die vom Revisionsführer gewünschten Wirkungen beigemessen.

I[X.] Revisionen der [X.]

Die Revisionen der [X.] zu 3. und 4., die weitgehend wortgleiche Verfahrensrügen erheben, bleiben aus den o.g. Gründen ebenfalls ohne Erfolg.

Raum     

      

Jäger     

      

Bellay

      

Cirener     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 656/18

24.07.2019

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 4. Juli 2018, Az: 405 Js 102448/13 - 6 KLs

§ 243 Abs 4 S 1 StPO, § 257c Abs 2 StPO, § 257c Abs 5 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.07.2019, Az. 1 StR 656/18 (REWIS RS 2019, 5125)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 5125

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