Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.04.2015, Az. 2 StR 405/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 11900

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

2
StR
405/14
vom
29. April 2015
in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen [X.]ssbrauchs von Kindern u.a.
-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in
der Sitzung vom 29.
April 2015, an der
teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. [X.]
als Vorsitzender,

[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
[X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
[X.] am Bundesgerichtshof
Zeng,
[X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],

[X.]in am Amtsgericht

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,
Rechtsanwältin

als Vertreterin der [X.] M.

und [X.].

[X.]

.,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht
erkannt:
-
3
-

Die Revision
des Angeklagten gegen
das Urteil des Landge-richts Köln
vom 16. [X.]i 2014
wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den [X.] hierdurch entstandenen not-wendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat
den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] in
acht Fällen und sexuellen [X.]ssbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte [X.] des Angeklagten. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.
1. Nach den Feststellungen des [X.] missbrauchte der Ange-klagte seine am 11. August 1990 geborene Enkelin, die Nebenklägerin [X.].

[X.].

, im Zeitraum vom 11.
August 1999 bis Oktober 2003, indem er ihr in einem Fall die Brust streichelte (Fall [X.] der Urteilsgründe), sie
im Schwimmbad
an der
Scheide streichelte und einen Finger
einführte ([X.]), sie auf einer Couch in seinem Arbeitszimmer an die Scheide fasste,
einen Finger einführte und sie dazu veranlasste, seinen Penis anzufassen (Fall II.2.c), ihr bei zwei Ge-1
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legenheiten im Bett an die Scheide griff und einen Finger einführte (Fälle II.2.d und e), sie im Kinderzimmer an der Scheide berührte sowie einen Finger ein-führte (Fall [X.]) und ihr einen Zungenkuss gab (Fall [X.]).
Die am 5.
[X.]i 1993 geborene Nebenklägerin M.

[X.].

, eine weitere Enkelin des Angeklagten,
missbrauchte er im Zeitraum zwischen dem 5.
[X.]i 2000 und Oktober 2003, indem er ihr an die nackte Brust fasste (Fall II.2.h), sie bei drei Gelegenheiten in [X.] an der Scheide berührte und einen oder
zwei Finger einführte (Fälle II.2.j und k) sowie in einem dieser Fälle
außer-dem versuchte, ihr einen Zungenkuss zu geben (Fall II.2.l).

2. Bei einer familieninternen Aufdeckung im Jahre 2003 räumte der [X.] die Taten ein, entschuldigte sich und bot der Mutter der Geschädigten an, sich selbst bei der Polizei anzuzeigen. Dies lehnte die Mutter ab. Nach einer anonymen Strafanzeige im Jahre 2004 waren die
Geschädigten zunächst nicht
bereit, gegen den Angeklagten auszusagen, weshalb das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde. Der Angeklagte übernahm die Kosten einer
Therapie der psychisch stark beeinträchtigten Geschädigten
[X.].

[X.].

. Er ließ sich auf [X.] der Eltern der Geschädigten
therapeutisch behandeln, wonach er sich als "geheilt" ansah und in die Zukunft schauen wollte. Die Familie der Geschä-digten war dagegen lange Zeit erfolglos damit befasst, das Geschehen aufzu-arbeiten. Ein an die Nebenklägervertreterin gerichtetes Angebot einer "Wieder-gutmachung" und finanzieller Leistungen lehnten die [X.] [X.] ab.

3. Das [X.] hat in den Fällen des sexuellen [X.]ssbrauchs von Kindern (Fälle [X.], g, h) jeweils minder schwere Fälle im Sinne von §
176 Abs.
1 StGB aF angenommen, in den Fällen des schweren sexuellen [X.]ss-brauchs
(Fälle [X.] bis f, j bis l) ist es
davon ausgegangen, dass keine minder schweren Fälle im Sinne von §
176a Abs.
3 aF vorliegen. Auch der [X.]lderungs-grund gemäß §
46a StGB greife nicht ein, weil eine Wiedergutmachung durch 3
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die [X.] abgelehnt worden sei und ein kommunikativer Prozess nicht stattgefunden habe. Die Verantwortungsübernahme durch den Angeklag-ten und sein Angebot von Schadenersatz seien daher im Rahmen der Strafbe-messung im engeren Sinne zu berücksichtigen.

II.
Ein gemäß §
6 StPO von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfah-renshindernis liegt nicht vor.
1. Die
Revision beanstandet die sachliche Zuständigkeit des Landge-richts (§
24 Abs.
1 [X.]). Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zu Grunde:
Die Verteidigung hatte der Staatsanwaltschaft unter dem 18.
Dezember 2013 eine am 20. Dezember 2013 eingegangene Erklärung des Angeklagten zur Sache übersandt und mit Bezug hierauf angeregt, Anklage zum [X.] zu erheben. Die
Staatsanwaltschaft beantragte mit Anklageschrift vom 20.
Dezember 2013,
das Hauptverfahren vor dem [X.] zu eröffnen, oh-ne allerdings
den von ihr vorausgesetzten
Grund für die Zuständigkeit zu [X.]. Das [X.] eröffnete durch
Beschluss vom 21.
Februar 2014 das Hauptverfahren vor der [X.], ohne sich zur Frage der Zuständigkeit zu äußern.
2. Die Rüge ist unbegründet. Die [X.] hat ihre sachliche Zustän-digkeit nicht willkürlich angenommen. Sie hat deshalb nicht gegen Art.
101 Abs.
1 Satz
2 GG verstoßen, wodurch alleine die Perpetuierung der [X.] des Gerichts höherer Ordnung gemäß §
269 StPO durchbrochen werden könnte.

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a) Ein [X.]spruch ist nur willkürlich, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist, so dass sich der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung darf sich bei
Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen nicht so weit von dem Grundsatz des gesetzlichen [X.]s entfernen, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist ([X.], Beschluss vom 7.
März 2012 -
1 StR 6/12, [X.]St 57, 165, 167). Objektive Willkür in diesem Sinne schließt der Senat hier aus.
b) Jedenfalls war die Annahme einer Straferwartung, die den Strafbann des Amtsgerichts überschreiten würde, gerechtfertigt. Deshalb war die Zustän-digkeit des [X.] gemäß § 24 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 [X.] begründet.
Dem Angeklagten ist eine Serie von Taten des sexuellen [X.]ssbrauchs von zwei Kindern zur Last gelegt worden. In der Mehrzahl handelte es sich um qualifizierte Fälle im Sinne von § 176a Abs.
2 StGB. Bei dieser Sachlage wäre nach dem für das Tatgericht bei
der Strafzumessung im Urteil eröffneten Spiel-raum innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens auch eine Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als vier Jahren in Betracht gekommen. Es ist unbeschadet des [X.] nicht ersichtlich, dass der für die Straferwartung bei der Eröff-nungsentscheidung bestehende weite Spielraum überschritten wurde.
Bei dem [X.] von zwölf Taten des sexuellen [X.]ssbrauchs be-ziehungsweise schweren sexuellen [X.]ssbrauchs von zwei Kindern (im Fall II.2.i der Urteilsgründe wurde das Verfahren gemäß §
154 Abs.
2 StPO in der [X.] eingestellt) ist der Grund für die Zuständigkeitsannahme auch [X.] erkennbar. Einer ausdrücklichen Begründung der [X.] bedurfte es insoweit nicht, auch wenn dies -
nachdem die Verteidi-gung eine Anklageerhebung vor dem Amtsgericht angeregt hatte -
nahe gele-gen hätte.
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c) Die Staatsanwaltschaft hat nicht ausdrücklich wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Verletzten, des besonderen Umfangs oder der beson-deren Bedeutung des Falles ihre Anklage beim [X.] erhoben (§
24 Abs.
1 Satz
1 Nr.
3 [X.], Nr.
113 Abs.
2 [X.]). Ob dies ebenfalls zur sachlichen Zuständigkeit des [X.] führen konnte, kann offen bleiben.

III.
Auch im Übrigen bleibt die
Revision ohne Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen sind aus den vom [X.] in [X.] Antragsschrift genannten Gründen unzulässig.
2. [X.] ist unbegründet. Der Schuldspruch ist rechtsfehlerfrei. Einwände gegen
die Strafzumessung greifen nicht durch.
a) Das [X.] hat in den Fällen des §
176 Abs.
1 StGB aF jeweils minder schwere Fälle angenommen. In den gemäß §
176a Abs.
2 Nr.
1 StGB qualifizierten Fällen hat es dagegen eine Einordnung als minder schwere Fälle im Sinne des [X.] (§ 176a Abs.
4 StGB) abgelehnt. [X.] ist rechtlich nichts einzuwenden.
Die Annahme der [X.], dass die Fälle des §
176a Abs.
2 Nr.
1 StGB wegen Eindringens in den Körper der Geschädigten und nicht umgekehrt in den Körper des [X.] über die Unterschwelle des [X.] hinausreiche, gibt hier keinen Anlass zur Beanstandung. Das [X.] hat die Handlungen nach dem konkreten Tatbild bewertet und zudem berücksich-tigt, dass eine Serie [X.] vorliegt. Dagegen bestehen keine rechtlichen Bedenken, mögen sich die Taten auch "im unteren Bereich der Tat-14
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bestandsverwirklichungen" bewegt haben. Die Berücksichtigung gleichartiger Taten über einen langen Zeitraum ist unbedenklich, wenn eine solche Tatbege-hung -
wie hier
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die Beeinträchtigung der Opfer nachhaltig vergrößert. Im Übri-gen ist der Hinweis der [X.] im Rahmen der konkreten Strafzumes-sung, die Geschädigten hätten vor der [X.] über keine sexuellen Erfahrun-gen verfügt und seien jedenfalls zu Beginn der Übergriffe noch präpubertär ge-wesen, nicht rechtsfehlerhaft. Das geringe Alter der Geschädigten innerhalb der Schutzaltersgrenze von neun bzw. sieben Jahren beim jeweiligen Beginn der [X.] und der dann noch nicht fortgeschrittene Entwicklungsstand konnten ohne Verstoß gegen §
46 Abs. 3 StGB bei der Strafzumessung berücksichtigt werden.
b) Die Ablehnung einer im Ermessen des Tatgerichts stehenden Straf-rahmenmilderung gemäß § 46a in Verbindung mit § 49 Abs.
1 StGB ist nicht zu beanstanden.
Nach §
46a Nr.
1 StGB kann zwar schon das ernsthafte Bemühen des [X.] um Wiedergutmachung, das darauf gerichtet ist, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, genügen. Die Vorschrift setzt aber nach der [X.] Intention einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus (BT-Drucks. 12/6853, S.
21, 22), der auf einen umfassenden, frie-densstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muss. Das einseitige [X.] des Angeklagten oh-ne Einbeziehung der Opfer genügt daher nicht. Wenn auch ein [X.] nicht zwingende Voraussetzung für eine Strafrahmenmilderung nach §
46a Nr.
1 StGB ist, so muss sich dafür doch das Opfer freiwillig zu ei-nem Ausgleich bereitfinden und sich darauf einlassen. Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne von §
46a Nr. 1 StGB setzt grundsätzlich voraus, dass das Opfer die erbrachten Leistungen oder Bemühungen des [X.] als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Das ergibt sich aus dem Zweck und der 20
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Entstehungsgeschichte der Vorschrift (vgl. [X.], Urteil vom 5.
November 2014
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StR 327/14, [X.]R StGB § 46a Nr. 1 Ausgleich 12).
Nach diesem [X.]ßstab hat die [X.] bei ihrem Ermessensge-brauch nicht rechtsfehlerhaft entschieden. Sie hat die Bereitschaft des Ange-klagten, Verantwortung zu übernehmen und seine Bemühungen, sich mit sei-nen Enkelinnen auszusöhnen, nicht übersehen. Zugleich hat sie die Versagung der Strafrahmenmilderung nachvollziehbar darauf gestützt, dass die Nebenklä-gerinnen eine Wiedergutmachung durch den Angeklagten nachdrücklich [X.] haben und zwischen ihnen und dem Angeklagten ein kommunikativer Prozess nicht stattgefunden hat.
[X.] [X.]

[X.]

Zeng [X.]
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Meta

2 StR 405/14

29.04.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.04.2015, Az. 2 StR 405/14 (REWIS RS 2015, 11900)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 11900

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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