Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.09.2023, Az. 3 StR 308/23

3. Strafsenat | REWIS RS 2023, 6591

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Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 3. Mai 2023 in den Aussprüchen über die Einzelstrafen zu den Taten [X.] bis [X.] der Urteilsgründe dahin geändert, dass diese auf jeweils zwei Jahre und sechs Monate festgesetzt werden.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.] in 31 Fällen und sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.] in 135 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zu der aus der [X.] ersichtlichen Änderung von Einzelstrafen in 13 der abgeurteilten Fälle. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen verging sich der Angeklagte im Zeitraum zwischen Dezember 2019 und Juli 2022 regelmäßig sexuell an den in den Jahren 2011 und 2016 geborenen [X.], den leiblichen Töchtern seiner damals mit ihm in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Partnerin. Unter anderem näherte er sich einem immer gleichen Ablauf folgend zu insgesamt 30 Gelegenheiten dem älteren Mädchen und führte ihm im Rahmen eines sexuellen Geschehens mindestens einen Finger in die Scheide ein.

3

Von diesen 30 Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.] fanden 17 Taten vor dem 1. Juli 2021 statt (Fälle II.1. bis II.17. der [X.]). Bei ihnen hat das [X.] zutreffend den zur Tatzeit geltenden Straftatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 1 [X.] herangezogen, denn der durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16. Juni 2021 ([X.], 1811) zum 1. Juli 2021 eingeführte § 176c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a [X.] ist nicht milder (§ 2 Abs. 1 und 3 [X.]). Hier hat es jeweils [X.] von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Von minder schweren Fällen gemäß § 176a Abs. 4 [X.] aF ist es nicht ausgegangen.

4

Die übrigen 13 Taten beging der Angeklagte nach dem 1. Juli 2021 (Fälle [X.] bis [X.] der [X.]). Hierfür hat die [X.] den Strafrahmen des zum 1. Juli 2021 in [X.] getretenen § 176c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a [X.] angewendet und [X.] von je drei Jahren ausgeurteilt. Zur Begründung der im Vergleich zu den Vortaten um sechs Monate höheren Strafen führt das Urteil aus, dass die Wertung zu berücksichtigen sei, die der Gesetzgeber durch die Abschaffung des minder schweren Falls des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zum Ausdruck gebracht habe.

5

2. Diese Strafzumessungserwägung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der umfangreichen Gesetzesänderung zum 1. Juli 2021 liegt zwar die Wertung des Gesetzgebers zugrunde, dass es eines besseren Schutzes von Kindern gegen sexuelle Gewalt bedarf (s. BT-Drucks. 19/23707, [X.]). Er hat sich deshalb unter anderem gehalten gesehen, mehrere Strafrahmen der §§ 176 ff. [X.] zu verschärfen. Insbesondere ist der Grundtatbestand des einfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einem Verbrechen hochgestuft worden (vgl. § 176 Abs. 1 [X.] aF - Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren - und § 176 Abs. 1 [X.] nF - Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr). Damit sollte „ein klares Signal gesetzt werden, dass sexualisierter Gewalt gegen Kinder mit aller [X.] entgegengetreten wird“ (BT-Drucks. 19/23707, [X.]).

6

Die gesetzliche Strafandrohung für Taten des hier maßgeblichen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern ist nach der Reform jedoch identisch geblieben. Sowohl § 176a Abs. 2 Nr. 1 [X.] aF als auch § 176c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a [X.] sehen eine Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren vor. Dieser Strafrahmen gab und gibt damit die generelle Vorbewertung des für den Tatbestand typischen Handlungsunrechts wieder; er definiert den abgegrenzten Bereich, aus dem das Tatgericht mit Blick auf die konkrete Tat und den in ihr zum Ausdruck gekommenen individuellen Unrechts- und Schuldgehalt unter Berücksichtigung der allgemeinen Strafzumessungskriterien die konkrete Strafe nach § 46 [X.] zu entnehmen hat (vgl. [X.], Urteil vom 20. März 2002 - 2 BvR 794/95, [X.]E 105, 135, 164).

7

Der Umstand, dass beim Straftatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nunmehr die bisherige Regelung für minder schwere Fälle gestrichen ist, lässt keine abweichende generelle Vorbewertung erkennen. Zur Begründung für diesen Schritt hat der Gesetzgeber ausgeführt, er erachte das in der [X.] Unrecht für so hoch, dass das Absehen von einer Regelung für minder schwere Fälle nicht unangemessen sei. Das Unrecht der Tat werde sich auf diese Weise stärker als bisher in den verhängten Strafmaßen widerspiegeln (vgl. BT-Drucks. 19/23707, [X.], 40). Dies bedeutet aber nicht, dass der Gesetzgeber das für den Tatbestand typische Handlungsunrecht nunmehr anders definiert oder höher bewertet als zuvor. Ebenso wenig hat er die Anforderungen für die Erfüllung des Tatbestands verändert (vgl. [X.], Urteil vom 18. Januar 2023 - 5 [X.], NStZ-RR 2023, 139, 140).

8

Dass sich der Gesetzgeber generell gehalten gesehen hat, Kinder in ihrer sexuellen Selbstbestimmung besser zu schützen, ist danach kein Umstand, der die individuelle Schuld des Täters eines schweren sexuellen Kindesmissbrauchs erhöht. Die hier vom [X.] als bestimmend gewerteten Strafzumessungsgründe - die fehlenden Vorstrafen des Angeklagten einerseits, die von der Nebenklägerin empfundenen Schmerzen, ihr junges Alter und die gleichzeitige Verwirklichung des § 174 Abs. 1 Nr. 3 [X.] andererseits - entfalten nach dem 1. Juli 2021 kein stärkeres oder geringeres Gewicht als zuvor. Mildernde Umstände sind durch die Abschaffung des minder schweren Falls nicht generell ab-, schärfende nicht aufgewertet worden.

9

Zu unterschiedlichen Strafmaßen zwischen Alt- und Neufällen bei gleichbleibendem Tatbild hätte es vor allem dann kommen können, wenn das [X.] die 30 Taten als vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem solchen Maße abweichend bewertet hätte, dass in den alten Fällen die Anwendung des [X.] geboten gewesen wäre. Hierfür herangezogene mildernde Umstände hätten (allein) dann und lediglich in den [X.] nur noch mit geringerem Gewicht in die konkrete Strafzumessung einfließen dürfen (st. Rspr.; s. etwa [X.], Beschlüsse vom 18. Dezember 2019 - 2 StR 512/19, NStZ-RR 2020, 204, 205; vom 4. Februar 2014 - 3 StR 452/13, juris). Das [X.] hat die Taten jedoch nach umfassender Abwägung nicht als im Vergleich zum Durchschnittsfall minder schwer eingestuft.

3. Die Einzelstrafen in den Fällen [X.] bis [X.] der [X.] sind nach allem in analoger Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO auf das Strafmaß herabzusetzen, welches das [X.] bei ansonsten gleichbleibenden Tatbildern und Strafzumessungsumständen für die Fälle II.1. bis II.17. der [X.] ausgeurteilt hat, nämlich Freiheitsstrafe von jeweils zwei Jahren und sechs Monaten.

4. Die von der [X.] festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe kann bestehen bleiben. In Anbetracht der Einsatzstrafe von drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe für einen Fall des [X.] mit dem damals achtjährigen Tatopfer, insgesamt 165 weiterer [X.] von mindestens einem Jahr bis zu zwei Jahren und sechs Monaten sowie einem Tatzeitraum, der sich über gut zweieinhalb Jahre erstreckte, ist auszuschließen, dass das [X.] auf eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, wenn es die 13 nunmehr unwesentlich herabgesetzten Freiheitsstrafen rechtsfehlerfrei bemessen hätte.

5. Der nur geringfügige Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten gemäß § 473 Abs. 4 StPO teilweise von den durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen.

VRi[X.] Prof. Dr. Schäfer befindet
sich im Urlaub und ist deshalb
gehindert zu unterschreiben.

  

[X.]     

  

Anstötz

[X.]

  

  

  

  

  

      Erbguth      

  

Voigt      

  

Meta

3 StR 308/23

05.09.2023

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aurich, 3. Mai 2023, Az: 13 KLs 3/23

§ 176 Abs 1 StGB, § 176a aF StGB, § 176c Abs 1 Nr 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.09.2023, Az. 3 StR 308/23 (REWIS RS 2023, 6591)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6591

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Referenzen
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Zitiert

3 StR 452/13

2 StR 512/19

5 StR 218/22

2 BvR 794/95

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