Bundessozialgericht, Beschluss vom 09.06.2017, Az. B 9 V 88/16 B

9. Senat | REWIS RS 2017, 9724

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - unbeachtlicher Rechtsanwendungsfehler - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - soziales Entschädigungsrecht - Gewaltopferentschädigung - GdS-Feststellung - Beantwortung medizinischer Fragen - neuester medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisstand - Kausalitätsbeurteilung - Divergenz nur bei Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 30. November 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Schädigungsfolgen (GdS), einer besonderen beruflichen Betroffenheit sowie die Gewährung von [X.] nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem [X.] (BVG).

2

Der 1984 geborene [X.] der 1962 geborenen Klägerin wurde im Jahr 2007 Opfer einer schweren Körperverletzung. Seitdem ist er schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie pflegebedürftig. Der Beklagte hat deshalb bei der Klägerin psychoreaktive Störungen als Schädigungsfolge (im Sinne eines Schockschadens) anerkannt und ab dem [X.] einen GdS in Höhe von 40 festgestellt, ihren weitergehenden Antrag auf Feststellung eines GdS von 70 dagegen abgelehnt (Bescheid vom [X.], Widerspruchsbescheid vom 8.3.2011). Ebenso lehnte der Beklagte den [X.] gestellten Antrag der Klägerin ab, ihr [X.] zu gewähren sowie ihren GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit höher zu bewerten (Bescheid vom 5.1.2011, Widerspruchsbescheid vom 20.4.2011).

3

Das [X.] hat die gegen beide Ablehnungen erhobenen Klagen zu einem gemeinsamen Verfahren verbunden und sodann abgewiesen (Urteil vom [X.]). Die dagegen erhobene Berufung hat das L[X.] zurückgewiesen. Wie die medizinischen Ermittlungen ergeben hätten, sei das schädigende Ereignis - die Benachrichtigung der Klägerin von der schweren Verletzung ihres [X.]es - grundsätzlich geeignet gewesen, eine akute seelische Belastungsreaktion auszulösen. Für die im Laufe der [X.] aufgetretene Chronifizierung und Symptomausweitung im Sinne einer somatoformen Störung hätten aber schädigungsunabhängige Faktoren die führende Rolle übernommen, insbesondere die Belastung durch die lebenslange Behinderung des [X.]es (Urteil vom 30.11.2016).

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum B[X.] eingelegt. Das L[X.] sei von der Rechtsprechung des B[X.] zur sogenannten bestärkten Wahrscheinlichkeit abgewichen und habe dabei auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie weder die behauptete Divergenz (1.) noch eine grundsätzliche Bedeutung (2.) ordnungsgemäß dargetan hat (vgl § 160a Abs 2 S 3 [X.]G).

6

1. Die Klägerin hat die für eine Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dargelegt. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des B[X.], des [X.] oder des [X.] andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB B[X.] Beschluss vom [X.] KR 31/09 B - Rd[X.]; B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] KR 26/10 B - Rd[X.]; B[X.] Beschluss vom 22.12.2010 - [X.] KR 100/10 B - Juris Rd[X.] mwN). Erforderlich ist, dass das L[X.] einen abweichenden fallübergreifenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich im Einzelfall fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB B[X.] Beschluss vom 15.1.2007 - [X.] KR 149/06 B - Rd[X.]; B[X.] [X.] 3-1500 § 160 [X.]6 S 44 f mwN).

7

Die Beschwerde macht geltend, das L[X.] sei von Rechtsgrundsätzen der Senatsurteile vom 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - sowie vom 12.6.2003 - B 9 [X.] - abgewichen. Indes arbeitet sie bereits keinen entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz dieser B[X.]-Entscheidungen heraus, sondern zitiert nur selektiv aus den Urteilsgründen. Noch weniger stellt die Beschwerde einen fallübergreifenden Rechtssatz des L[X.] heraus, der dieser Rechtsprechung entgegenstehen könnte. Allein die Behauptung, das L[X.] habe die maßgebenden Grundsätze gutachterlicher Beurteilung missachtet und den vom B[X.] entwickelten [X.] widersprochen, genügt nicht, um eine Divergenz darzulegen. Denn eine solche liegt nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des L[X.] nicht den Kriterien entspricht, die das B[X.] aufgestellt hat, sondern erst, wenn das L[X.] diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Die erforderlichen Darlegungen sind der Beschwerde nicht zu entnehmen. Daher kann dahinstehen, ob die in den genannten, älteren Senatsentscheidungen aufgestellten Grundsätze weiterhin unverändert Gültigkeit haben, obwohl der entsprechende Teil der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im [X.] Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008 nicht in die [X.] ([X.]) übernommen worden ist.

8

2. Ebenso wenig dargelegt ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (zum Ganzen vgl B[X.] [X.] 3-1500 § 160a [X.] mwN). [X.] ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die [X.]keit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit Wortlaut, Kontext und ggf der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen ([X.] in [X.]/[X.], [X.]G, 2014, § 160a RdNr 50 mwN).

9

Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Soweit sie die Frage formuliert,

        

ob medizinisch nicht nachgewiesene oder sogar der wissenschaftlichen Lehrmeinung und den Grundsätzen der [X.] widersprechende Kausalitätsbeurteilungen berücksichtigt werden dürfen,

legt sie nicht dar, warum sich diese Frage nicht unschwer mit Hilfe der vorhandenen Rechtsprechung des B[X.] beantworten lässt. Danach sind medizinische Fragen, insbesondere zur Verursachung von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten (vgl B[X.] Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VJ 1/10 R - [X.] 4-3851 § 60 [X.] mwN).

Soweit die Beschwerde sich im Übrigen gegen die Kausalitätsbeurteilung des L[X.] im Einzelfall wendet, rügt sie der Sache nach nur einen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unerheblichen [X.] (error in iudicando): Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des L[X.] im Einzelfall ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl B[X.] [X.] 1500 § 160a [X.]).

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 [X.]G).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]G).

3. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 [X.]G.

Meta

B 9 V 88/16 B

09.06.2017

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Hildesheim, 24. Juli 2013, Az: S 7 VE 7/11, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 2 VersMedV, § 1 OEG, § 30 Abs 1 BVG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 09.06.2017, Az. B 9 V 88/16 B (REWIS RS 2017, 9724)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9724

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