Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.01.2022, Az. 1 B 65/21

1. Senat | REWIS RS 2022, 2178

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Gegenstand

Erhebliche Nachteile bei Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit (hier: verneint)


Tenor

Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] für das [X.] vom 22. Juni 2021 wird verworfen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht wegen der mit der [X.]eschwerde geltend gemachten grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

3

1.1 Grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung besteht. Die [X.]eschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Die [X.]egründungspflicht verlangt, dass sich die [X.]eschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher [X.]edeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 [X.] - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 - 5 [X.] - juris Rn. 3 m.w.[X.]). Die Darlegung muss sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des jeweils geltend gemachten [X.] erstrecken. Ist die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende [X.]egründungen gestützt, so hat sich das Zulassungsbegehren mit jeder dieser [X.]egründungen substantiiert auseinanderzusetzen und für jede der [X.]egründungen einen Revisionszulassungsgrund darzulegen ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 17. September 2013 - 5 [X.] 60.13 - juris Rn. 2 m.w.[X.], vom 26. Juni 2014 - 1 [X.] 5.14 - [X.] 402.242 § 81 AufenthG Nr. 3 Rn. 2 und vom 17. September 2018 - 1 [X.] 45.18 - juris Rn. 3).

4

1.2 Nach diesen Grundsätzen ist die Revision nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen [X.]edeutung der Fragen zuzulassen,

"Werden gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 5 [X.] erhebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art, die über den Verlust der st[X.]tsbürgerlichen Rechte hinausgehen, von dieser Vorschrift nicht erfasst, wenn die einzubürgernde Person diese Nachteile durch Dispositionen erzeugt, die sie erst während des Einbürgerungsverfahrens getroffen hat?"

"Werden im Falle einer mit einer Einbürgerung verbundenen Auflage, nach erfolgter Einbürgerung die Entlassung aus der bisherigen St[X.]tsangehörigkeit zu betreiben, gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 5 [X.] erhebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art, die über den Verlust der st[X.]tsbürgerlichen Rechte hinausgehen, hiervon nicht erfasst, wenn die eingebürgerte Person diese Nachteile erst durch Dispositionen erzeugt, die sie erst nach der erfolgten Einbürgerung getroffen hat?",

weil insoweit schon die Entscheidungserheblichkeit nicht dargelegt ist.

5

a) Das Oberverwaltungsgericht hat seine [X.]ewertung, den [X.] entstehe durch die Aufgabe der [X.] St[X.]tsangehörigkeit kein erheblicher Nachteil im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 [X.] neben der Erwägung, sie könnten nach Aufgabe der [X.] St[X.]tsangehörigkeit in der [X.] als Einzelunternehmerinnen tätig sein (Entscheidungsgründe [X.]) [X.]), selbständig tragend ("unabhängig davon") auch darauf gestützt, dass die [X.] nicht dargelegt hätten, dass es für sie mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre, auf eine Tätigkeit als Einzelunternehmerinnen in der [X.] zu verzichten (Entscheidungsgründe II. 3.b) bb)); die Klägerin zu 2. sei bislang nicht als Einzelunternehmerin in der [X.] tätig, ohne dass dies für sie mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre, die Klägerin zu 1. könne die in der [X.] gelegenen Immobilien zum aktuellen Marktwert verkaufen oder an ihre Eltern zurückübertragen.

6

Soweit in diesem Zusammenhang ausgeführt wird, es wäre "den [X.] zuzumuten, das Risiko möglicher Vermögensnachteile schon bei ihren [X.] zu beachten und während des laufenden Klageverfahrens auf den Erwerb von Immobilien in der [X.] zu verzichten" ([X.]), handelt es sich - wie die diese Erwägungen einleitenden Worte ("unabhängig davon") belegen - um eine weitere, zusätzlich und ebenfalls selbständig tragende [X.]egründung. Die zur Prüfung gestellten Rechtsfragen beziehen sich allein auf diese zusätzliche [X.]egründung, nicht indes auf die selbständig tragende Erwägung, es sei nicht dargelegt, dass ein Verzicht auf eine Tätigkeit als Einzelunternehmerinnen für die [X.] mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre.

7

b) Unabhängig davon ist in der - auch vom [X.]erufungsgericht herangezogenen - Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts geklärt, dass ein Einbürgerungsbewerber, der sich auf einen [X.] nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 [X.] beruft, darlegungs- und materiell beweispflichtig nicht nur für die [X.]ezeichnung der drohenden Nachteile nach Grund und voraussichtlicher Höhe als auch für die Wahrscheinlichkeit, mit der diese bei Aufgabe der St[X.]tsangehörigkeit einzutreten drohen, ist, sondern auch für die Unmöglichkeit, das Entstehen der Nachteile durch zumutbare Maßnahmen abzuwenden oder zu begrenzen ([X.]VerwG, Urteil vom 30. Juni 2010 - 5 [X.] 9.10 - [X.]VerwGE 137, 237 Rn. 31). Daraus folgt, ohne dass es der Durchführung eines weiteren Revisionsverfahrens bedarf, dass eine Einbürgerungsbewerberin und erst recht eine unter Auflage eingebürgerte Person von [X.] abzusehen hat, die aus ihrer Sicht einen [X.] nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 [X.] zu begründen geeignet sind, wenn ihr dies - wie hier tatrichterlich festgestellt - zumutbar ist. Insoweit legt die [X.]eschwerde neuerlichen oder weitergehenden Klärungsbedarf nicht dar.

8

2. [X.], das [X.]erufungsurteil leide an dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) einer Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO), genügt schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

9

2.1 [X.] einer solchen Verletzung erfordert eine substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in [X.]etracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem [X.], insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, durch einen [X.]eweisantrag hingewirkt worden ist und die Ablehnung der [X.]eweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 15. Februar 2013 - 8 [X.] 58.12 - [X.] 2013, 40, vom 12. Juli 2018 - 7 [X.] 15.17 - [X.] 451.224 § 36 KrWG Nr. 1 Rn. 23 und vom 5. November 2018 - 1 [X.] 77.18 - juris Rn. 3). Zudem ist substantiiert darzulegen, dass sich der geltend gemachte Verfahrensmangel auf entscheidungserhebliche tatsächliche Feststellungen bezieht und die Entscheidung mithin auf diesem auch beruhen kann.

2.2 Diesen Anforderungen genügt die [X.]eschwerde ersichtlich nicht. Die von ihr für erforderlich gehaltenen weiteren Aufklärungsmaßnahmen beziehen sich allein auf die vom [X.]erufungsgericht vorgenommene [X.]ewertung, dass die Aufgabe der [X.] St[X.]tsangehörigkeit die [X.] nicht daran hindere, als Einzelunternehmerinnen in der [X.] tätig zu sein. Das [X.]erufungsgericht hat seine Entscheidung indes nicht allein auf diese, sondern selbständig tragend auch auf die [X.]ewertung gestützt, die [X.] hätten nicht dargelegt, dass es für sie mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre, auf eine Tätigkeit als Einzelunternehmerinnen in der [X.] zu verzichten (s.o. 1.2 a)); entsprechendes gilt für eine geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs der [X.] durch eine Überraschungsentscheidung. Es kann daher offenbleiben, ob die [X.] in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt haben, aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem [X.]erufungsgericht insoweit eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen bzw. aus welchen Gründen das Gericht auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte [X.]ewertung des Sachverhalts abgestellt hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens unter [X.]erücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 8. August 2018 - 1 VR 9.18 - juris Rn. 3).

3. Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

4. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 2 GKG und folgt insoweit dem [X.]erufungsgericht.

Meta

1 B 65/21

10.01.2022

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 22. Juni 2021, Az: 19 A 2908/18, Urteil

§ 12 Abs 1 S 2 Nr 5 RuStAG, § 86 Abs 1 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 132 Abs 3 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.01.2022, Az. 1 B 65/21 (REWIS RS 2022, 2178)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 2178

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