Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.07.2016, Az. 3 StR 25/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 7435

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2016:280716U3STR25.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
3 StR
25/16
vom
28. Juli 2016
in der Strafsache
gegen

wegen Betrugs

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 28.
Juli 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.] am [X.]
Becker,

die [X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. Spaniol

als beisitzende [X.],

[X.] beim [X.]

-
in der Verhandlung -
,
[X.] beim [X.]

-
bei der Verkündung -

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizamtsinspektor

als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 29. Juli 2015 mit den [X.] aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkam-mer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat das gegen den Angeklagten wegen des Verdachts des Betruges geführte Strafverfahren mit der Begründung eingestellt, es beste-he das Verfolgungshindernis des [X.]. 54 [X.]. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

1. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft [X.] vom 23. Juni 2008 legt dem Angeklagten folgendes, als Betrug (§ 263 StGB) gewertetes Ge-schehen zur Last:

a) Der anderweitig Verfolgte H.

handelte unter der Firma "N.

" mit Lastkraftwagen. Unter Vermittlung des ander-weitig Verfolgten S.

kamen der Angeklagte und H.

im Mai 2006 über-1
2
3
-
4
-
ein, H.

solle zum Schein einen Liefervertrag mit der [X.] Firma "U.

" abschließen, um eine von dieser beauftragte finanzie-rende Bank zur Auszahlung des vereinbarten Kaufpreises zu
veranlassen. Die so erlangten Zahlungen wollten sie untereinander aufteilen. Das "N.

" bot der "U.

" daraufhin zehn Lkws uss fällig sein sollten. Am 29. Juni 2006 schlossen das "N.

", die "U.

" und die [X.] "U.

S.

" -
das von der "U.

" eingeschaltete [X.] -
einen entsprechenden Vertrag. Die "U.

S.

" überwies die Anzah-.

s, der sich den Betrag wie vereinbart mit S.

und dem Angeklagten teilte.

b) In Kenntnis der Umstände trat unter Vermittlung des anderweitig [X.] St.

am 11. August 2006 die "B.

N.

" des anderweitig Verfolgten K.

-
faktischer Geschäftsführer der anderweitig Ver-folgte B.

-
anstelle des "N.

" auf Verkäu-ferseite in den Vertrag ein. Alle Beteiligten wollten nun von der "U.

S.

" auch den Restkaufpreis erlangen und unter sich teilen. St.

fertigte unter dem 29. August 2006 einen internationalen Frachtbrief sowie eine Rechnung der "B.

N.

"
über die angebliche Lkw-Lieferung und reichte diese bei der B.

L.

ein. Auf der Grundlage eines von der "U.

S.

" darauf am 8. September 2006 aus-gestellten Kreditbriefs überwies die B.

L.

am 9. September 2006 .

N.

", die zu [X.] [X.]punkt unter "[X.]

" firmierte.
An der Summe wurde vereinbarungsgemäß auch der Angeklagte beteiligt.

4
-
5
-
2. Das [X.] [X.] sprach den Angeklagten wegen dieses Sachverhalts am 29. April 2009 der Beihilfe zur Untreue (§§ 266, 27 StGB) schuldig und verurteilte ihn zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren. Nach den Feststellungen sollten 42,5 % des von der "U.

S.

" ausbe-zahlten Kaufpreises vereinbarungsgemäß an die -
sich mithin des Schein-charakters des Kaufvertrages bewussten -
Verantwortlichen der "U.

" zurückfließen. Da dies unvereinbar war
mit der weiteren Feststel-lung, deren Geschäftsführer habe am 12. August 2006 die "B.

N

.

" aufgesucht, um sich die Lkws zeigen zu lassen, S.

und St.

hätten sich aus diesem Anlass beraten, wie sie dem Besucher die [X.] der "B.

N.

GmbH"
für die Fahrzeuge nachweisen könnten, hob der [X.] das Urteil am 4. März 2010 auf und ver-wies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurück (3 [X.]/09).

3. Am 21. November 2011 erhob das Ermittlungsamt für Finanzstraftaten beim [X.] gegen den Angeklagten Anklage zum Bezirksgericht [X.]/[X.] wegen des Vorwurfs der [X.] ([X.]. 216 Teil 1 des Strafgesetzbuchs der Republik [X.]).

a) Es ging von folgendem Sachverhalt aus:

Der Angeklagte war als Mitglied einer in [X.] und in [X.] agierenden Bande beteiligt am Abschluss eines Scheingeschäfts über die Lie-ferung von zehn Zugmaschinen durch das [X.] Unternehmen H.

, später durch die "B.

[X.]

", an die [X.] "U.

". Es war geplant, die bei den [X.]n Firmen eingehenden Beträge in [X.] und unter den Bandenmitgliedern aufzuteilen. Wie der Angeklagte 5
6
7
8
-
6
-
wusste, überwies die "U.

S.

"
am 3. Juli 2006

an H.

"B.

[X.]

". [X.] in bar entgegen. Um dieses auf kriminelle Weise erlangte Bargeld zu legalisieren, zahlte er es teils auf seine Konten bei der [X.] Bank "A.

"
ein, teils nutzte er es für Geschäfte.

b) Zum Beweis stützte sich diese Anklage in erster Linie auf das Urteil des [X.] vom 29. April 2009. Im
Verlauf der Hauptverhand-lung wurde dessen Aufhebung durch den [X.] am 4. März 2010 bekannt, weshalb das Bezirksgericht [X.] das Verfahren am 20. März 2012 nach [X.]. 254 Teil 3, [X.]. 253d der [X.] Strafprozessordnung zu Nacher-mittlungen und neuer Entscheidung an die Staatsanwaltschaft zurückgab. [X.] hielt es für zweckmäßig, das neue Urteil des [X.] abzu-warten. In der Folge verlängerte das insoweit zuständige Amtsgericht der Stadt [X.] auf Antrag der Staatsanwaltschaft mehrfach die vom Bezirksgericht ge-setzte Frist, zuletzt am 21. März 2013 für weitere drei Monate ab 22. März 2013.

Auf die Beschwerde des Angeklagten hob das Bezirksgericht [X.] durch Beschluss vom 9. April 2013 die Entscheidung des Amtsgerichts auf und stellte das Ermittlungsverfahren wegen zu langer Dauer ein ([X.]. 442 Teil 1 Zif-fer 2, [X.]. 212 Ziffer 10 der [X.] Strafprozessordnung). [X.]. 2d, [X.]. 17 Teil 1 und [X.]. 44 Teil 5 der [X.] Strafprozessordnung sähen vor, Ermitt-lungen in der kürzest möglichen [X.] durchzuführen. Die bloße Verlängerung des Ermittlungsverfahrens ohne tatsächliche Ermittlungshandlungen und nur in Erwartung des rechtskräftigen Urteils eines [X.]n Gerichts sei "keine rechtliche Grundlage für die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens".
9
10
-
7
-

4. Auf die erneute Hauptverhandlung stellte das [X.] [X.] das Verfahren gegen den Angeklagten mit Urteil vom 29. Juli 2015 gemäß §
260 Abs. 3 StPO ein. Infolge des unanfechtbaren Beschlusses des Bezirks-gerichts [X.] vom 9. April 2013 stehe einer Aburteilung der Tat nunmehr das Verbot der Doppelbestrafung nach [X.]. 54 [X.] entgegen.

II.

Das [X.] ist zu Unrecht von einem Verfahrenshindernis ausge-gangen. [X.]. 54 [X.] steht der weiteren Verfolgung des Angeklagten in dem in [X.] gegen ihn anhängigen Strafverfahren nicht entgegen.

1. Der [X.] lässt offen, ob die Ansicht der Revision zutrifft, das deut-von [X.]. 54 [X.]. Der Beschluss des Bezirksgerichts [X.] vom 9. April 2013 e-re Vertragspartei im Sinne dieser Vorschrift.

a) Haben die in verschiedenen Vertragsstaaten geführten Strafverfahren dieselbe Straftat zum Gegenstand, so ist die Frage, ob diese in einem der [X.] bereits im Sinne von [X.]. 54 [X.] rechtskräftig abgeurteilt worden ist, unter zwei Gesichtspunkten zu prüfen (vgl. [X.], Urteil vom 29. Juni 2016 -
C-486/14, juris Rn. 34 ff.; 42 ff.).

11
12
13
14
-
8
-
aa) Der im anderen Vertragsstaat ergangenen Entscheidung muss [X.] Rechtskraftwirkung dergestalt zukommen, dass sie einen endgültigen Abschluss des Verfahrens darstellt und einer weiteren Verfolgung des Betroffe-nen wegen der Tat ein rechtliches Hindernis entgegensteht (vgl. [X.], Urteil vom 10. Juni 1999 -
4 [X.], NJW 1999, 3134). Um als eine rechtskräftige Aburteilung im Sinne von [X.]. 54 [X.] angesehen werden zu können, muss die Entscheidung endgültig die Strafverfolgung beenden und die Strafklage [X.]n. Dies setzt die Prüfung voraus, ob das nationale Recht des [X.], dessen Behörden die fragliche Entscheidung erlassen haben, diese als endgültig und bindend ansieht, und die Gewissheit darüber, ob die Entschei-dung in diesem Staat den sich aus dem Verbot der Doppelbestrafung ergeben-den Schutz bewirkt. Eine Entscheidung, die nach dem Recht des ersten Ver-tragsstaats, der die Strafverfolgung gegen einen Betroffenen einleitet, die Strafklage auf [X.] nicht endgültig verbraucht, kann grundsätzlich nicht als ein Verfahrenshindernis hinsichtlich der etwaigen Einleitung oder Fort-führung der Strafverfolgung wegen derselben Tat gegen diesen Betroffenen in einem anderen Vertragsstaat angesehen werden ([X.], Urteil vom 22. [X.] -
C-491/07, [X.], 109, 110;
Urteil vom 29. Juni 2016
-
C-486/14,
juris
Rn.
34 f.). Die Form der Entscheidung und das entscheidende Strafverfolgungsorgan bleiben unter den genannten Voraussetzungen ohne Belang (vgl. [X.], Urteil vom 11.
Februar 2003 -
C-187/01 und [X.]/01, NJW 2003, 1173, zur Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft nach § 153a der [X.]n StPO). Allein die von [X.]. 4 Abs. 2 des Protokolls Nr. 7 zur [X.] zugelassene Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfah-rens, "falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen"
geeignet sind, das ergangene Urteil in Zweifel zu ziehen, ändert am Strafklageverbrauch aber nichts; als eine rechtskräftige Aburteilung im Sinne von [X.]. 54 [X.] ist danach etwa auch ein Einstellungsbeschluss ohne Eröffnung des Hauptverfahrens [X.]
-
9
-
zusehen, der in dem Vertragsstaat, in dem dieser Beschluss ergangen ist, er-neute Ermittlungen aufgrund des gleichen Sachverhalts gegen die Person, zu deren Gunsten dieser Beschluss
ergangen ist, verhindert, sofern keine neuen Belastungstatsachen gegen Letztere auftauchen ([X.], Urteil vom 5. Juni 2014 -
C-398/12, NJW 2014, 3010, 3012).

[X.]) Zudem darf die Entscheidung nicht lediglich auf formalen Gründen beruhen, sondern muss aufgrund einer Prüfung der Tatvorwürfe in der Sache ergangen sein ([X.], Urteil vom 29. Juni 2016 -
C-486/14, juris Rn. 42). Auch hierzu hat sich der [X.] bereits im Zusammenhang mit der gerichtlichen Nichtigerklärung einer von der [X.] verhängten wettbe-werbsrechtlichen Sanktion grundsätzlich geäußert ([X.], Urteil vom 15. Okto-ber 2002 -
C-238/99
u.a., Slg. 2002, [X.], 8652): Der in [X.]. 54 [X.] normier-te Grundsatz ne bis in idem, bei dem es sich um einen auch in [X.]. 4 Absatz 1 des Protokolls Nr. 7 zur [X.] verankerten tragenden Grundsatz des [X.] handelt, verbietet, dass ein Betroffener, der
in Bezug auf ein [X.] in einer früheren, nicht mehr anfechtbaren Entscheidung mit einer Sank-tion belegt oder für nicht verantwortlich erklärt wurde, erneut verurteilt oder ver-folgt wird. Die Anwendung dieses Grundsatzes setzt somit voraus, dass über das Vorliegen der Zuwiderhandlung entschieden oder die Rechtmäßigkeit ihrer Würdigung geprüft wurde. Der Grundsatz ne bis in idem verbietet daher nur eine neue sachliche Würdigung des Vorliegens der Zuwiderhandlung, die dazu führen würde, dass entweder -
falls die Verantwortlichkeit erneut bejaht wird -
eine zweite, zur ersten hinzukommende Sanktion oder -
falls die in der ersten Entscheidung verneinte Verantwortlichkeit in der zweiten Entscheidung bejaht wird -
eine erste Sanktion verhängt wird. Dagegen steht er einer Wiederauf-nahme von Verfolgungsmaßnahmen, die das gleiche Verhalten betreffen, nicht entgegen, wenn eine erste Entscheidung aus formalen Gründen ohne materiel-16
-
10
-
le Beurteilung des zur Last gelegten Sachverhalts für nichtig erklärt wurde; die Nichtigerklärung stellt dann keinen "Freispruch"
im strafrechtlichen Sinne dar. So findet [X.]. 54 [X.] auch keine Anwendung auf eine Entscheidung der Ge-richte eines Vertragsstaats, mit der ein Verfahren für beendet erklärt wird, nachdem die Staatsanwaltschaft beschlossen hat, die Strafverfolgung nur [X.] nicht fortzusetzen, weil in einem anderen Mitgliedstaat Strafverfolgungs-maßnahmen gegen denselben Beschuldigten wegen derselben Tat eingeleitet worden sind, und ohne dass eine Prüfung in der Sache stattgefunden hat ([X.], Urteil vom 10.
März 2005 -
C-469/03,
NJW 2005, 1337, 1338). Im [X.] auf den Kohärenzgedanken des [X.]. 3 Abs. 2 EUV hat der [X.] schließlich eine Sachentscheidung auch bei einer Verfahrensein-stellung verneint, die rechtlich zwar auf einer Beurteilung der Beweislage be-ruht, deren Gründe aber zu erkennen geben, dass in tatsächlicher Hinsicht ein-gehende Ermittlungen unterblieben sind ([X.], Urteil vom 29. Juni 2016 -
C-486/14,
juris
Rn. 46 ff., 54).

b) Nach diesen Maßstäben begegnet die Annahme des [X.], das Bezirksgericht [X.] habe die Tat am 9. April 2013 bereits rechtskräftig abgeurteilt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Allerdings ist unzweifelhaft, dass der Beschluss vom 9. April 2013 das gegen den Angeklagten in [X.] geführte Strafverfahren endgültig [X.] und der weiteren Verfolgung der Tat durch die [X.] Behörden auf Dauer entgegensteht. Das Bezirksgericht [X.] teilt in den Gründen mit, dass dieser am Tage der Verkündung rechtskräftig werde und Rechtsmittel hierge-gen nicht gegeben seien. Bestätigt wird dies durch eine vom [X.] im Rahmen des [X.] eingeholte Auskunft des am Obersten Gerichtshof [X.]s tätigen [X.]s

[X.]

, wonach 17
18
-
11
-
der Beschluss des Bezirksgerichts, das Verfahren gemäß [X.]. 212 Ziffer 10 der [X.] Strafprozessordnung einzustellen, nach [X.]. 442 Teil
2 dieses Ge-setzes unanfechtbar sei, einer Wiederaufnahme des Verfahrens auch bei [X.] neuer Tatsachen entgegenstehe und somit die Strafklage endgültig [X.].

[X.]) Indes erging die Entscheidung des Bezirksgerichts [X.]
nicht auf-grund einer Prüfung der Tatvorwürfe in der Sache. Der [X.] hat hierzu am 7.
Juni 2016 im Wege des [X.] eine ergänzende Stellungnahme des [X.]s [X.]

eingeholt. Danach beruht eine Einstellung des Verfahrens nach [X.]. 212 Ziffer 10 in Verbindung mit [X.]. 215 der [X.] Strafprozessord-nung allein auf dem formalen Grund einer nach der ersten Vernehmung des Beschuldigten eingetretenen Überlänge des Verfahrens, welche die Staatsan-waltschaft nicht überzeugend mit der Schwierigkeit der Ermittlungen zu erklären vermag. Der Grad des gegen den Beschuldigten bereits bestehenden Tatver-dachts bleibt dabei von Gesetzes wegen ohne Belang.

2. Zwar hat der [X.] den Freispruch wegen eingetre-tener Strafverfolgungsverjährung als
eine Entscheidung in der [X.] ([X.], Urteil vom 28. September 2006 -
C-467/04, NJW
2006, 3403). Dies ändert jedoch an obigem Ergebnis nichts, denn eine Verfahrensbeendi-gung wegen Strafverfolgungsverjährung ist mit einer solchen wegen überlanger
Verfahrensdauer auch unter dem Blickwinkel des supranationalen Rechts nicht vergleichbar.

a) Die Regelungen zur Strafverfolgungsverjährung dienen -
ungeachtet einer möglichen unterschiedlichen Ausgestaltung in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen als materielles oder prozessuales Rechtsinstitut -
der Her-19
20
21
-
12
-
stellung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit. Mit dem Ablauf der ge-setzlich bestimmten Verjährungsfrist tritt Rechtsfrieden ein ([X.], Beschluss vom 22. Mai 2006 -
5 [X.],
NJW
2006, 2338, 2340). Angesichts der keiner Harmonisierung unterliegenden nationalen Verjährungsregeln hat es der [X.] in der genannten Entscheidung als unvereinbar mit dem Unionsrecht auf Freizügigkeit angesehen, wenn der Beschuldigte in einem anderen Mitgliedstaat nicht auf den ihm vom [X.] rechtskräftig gewähr-ten "Bürgerfrieden"
vertrauen dürfte
([X.] aao, [X.]).

b) Sieht die nationale Rechtsordnung demgegenüber -
wie [X.]. 442 Teil 1 Ziffer 2, [X.]. 212 Ziffer 10 der [X.] Strafprozessordnung -
vor, ein Straf-verfahren bei überlanger Dauer einzustellen, so bestimmt sie damit die Rechts-folgen einer von den nationalen Strafverfolgungsorganen zu verantwortenden und zu kompensierenden Verletzung des Rechts des Angeklagten auf eine Verhandlung über den Tatvorwurf innerhalb angemessener Frist ([X.]. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Ob die erreichte Dauer noch angemessen ist, beurteilt sich in erster Linie nach der konkreten Gestaltung des [X.] durch die Be-hörden und Gerichte des jeweiligen Vertragsstaates, insbesondere auch nach dem [X.]punkt der erstmaligen Bekanntgabe der Beschuldigung oder einer den Beschuldigten ernsthaft beeinträchtigenden Ermittlungsmaßnahme (vgl. [X.],
Urteil
vom 17. Dezember 2004
-
49017/99, [X.], 1645, 1646). Ein etwa konventionswidriger Verfahrensgang in einem Mitgliedsstaat der [X.] ist ei-nem anderen Mitgliedsstaat, der hierauf keinen Einfluss nehmen konnte, nicht zuzurechnen ([X.], Beschluss vom 23. August 2011 -
1 [X.], [X.]St 57, 1). Im Übrigen fordert das dem Betroffenen in [X.]. 13 [X.] eingeräumte Recht auf wirksame Beschwerde auch nicht, Strafverfahren im Falle einer Ver-letzung von [X.]. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] ausnahmslos einzustellen. Auf welche Weise dem Betroffenen ein Ausgleich für die ihm aus der Verletzung seiner 22
-
13
-
Konventionsrechte entstandenen materiellen und immateriellen Nachteile ver-schafft wird, bleibt vielmehr dem nationalen Staatshaftungsrecht vorbehalten (vgl. [X.],
Urteile
vom 26. Oktober 2000
-
30210/96, NJW 2001, 2694, 2700;
vom 8. Juni 2006
-
75529/01, [X.], 2389, 2390; zum Verfahrenshindernis von Verfassungs wegen als ultima ratio nach [X.]m Recht [X.], [X.] vom 5. Februar 2003 -
2 BvR 327/02 u.a., NJW 2003, 2225; vom 21.
Januar 2004 -
2 BvR 1471/03,
[X.]K 2, 239, 248). Einen auf den Eintritt von Rechtsfrieden gegründeten Vertrauenstatbestand, künftig auch in anderen Vertragsstaaten vor Strafverfolgung geschützt zu sein, schafft eine von den nationalen Strafverfolgungsorganen für die Verletzung von Konventionsrecht ausgesprochene Wiedergutmachung somit auch dann nicht, wenn sie in der Einstellung des Strafverfahrens besteht.

c) Eine Vorlage der Sache an den [X.] gemäß [X.]. 267 AEUV scheidet insoweit aus. [X.] ist in diesem Zu-sammenhang allein die Frage, ob sich die Bundesrepublik [X.] Verstö-ße eines anderen Vertragsstaats gegen die [X.] zurechnen lassen und, falls ja, eine dort ausgesprochene Kompensation in staatshaftungsrechtlicher Hin-sicht auch für das hier geführte Verfahren anerkennen muss. Diese -
vom Bun-desgerichtshof wie dargelegt bereits entschiedene -
Frage beurteilt sich nicht nach [X.] Gemeinschaftsrecht, sondern nach den Vertragsbestim-mungen der [X.].

3. Aus denselben Gründen folgt für das [X.] Strafverfahren entge-gen der Ansicht des Verteidigers auch kein (weiteres) Verfahrenshindernis dar-aus, dass der Beschluss des Bezirksgerichts [X.] vom 9. April 2013 auf der Feststellung einer mit [X.]. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] unvereinbaren Verfahrensver-zögerung durch die [X.] Behörden beruht. Ob das [X.] Strafverfah-23
24
-
14
-
ren unter konventionswidrigen Verfahrensverzögerungen leidet und auf welche Weise diese gegebenenfalls zu kompensieren sind, wird der neue Tatrichter
zu prüfen haben. Dem [X.] sind Feststellungen hierzu verwehrt.

[X.][X.] [X.]

[X.]

Spaniol

Meta

3 StR 25/16

28.07.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.07.2016, Az. 3 StR 25/16 (REWIS RS 2016, 7435)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 7435

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 25/16 (Bundesgerichtshof)

Verbot der Doppelbestrafung nach Gemeinschaftsrecht: Einstellung eines Strafverfahrens in Litauen wegen überlanger Verfahrensdauer als Strafverfolgungshindernis …


2a L 839/23.A (Verwaltungsgericht Gelsenkirchen)


3 StR 272/17 (Bundesgerichtshof)


III-4 Ausl (A) 16-05 - 44 + 49/06 III (Oberlandesgericht Düsseldorf)


2 C 59/16 (Bundesverwaltungsgericht)

Bindungswirkung der Tatsachenfeststellungen eines ausländischen Strafurteils im Disziplinarverfahren


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 StR 153/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.