Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.06.2011, Az. XII ZB 19/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 5288

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 19/11

vom

29. Juni 2011

in dem Betreuungsverfahren

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
FamFG §§
276, 294; BGB §
1908
d
a)
Ein Verfahrenspfleger ist im Betreuungsverfahren dann zu bestellen, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen kundzutun bzw. einen freien Willen überhaupt noch zu bilden.
b)
Die Bestellung eines Verfahrenspflegers ist im Verfahren auf Aufhebung der [X.] grundsätzlich nur geboten, wenn tatsächliche Ermittlungen anzustellen sind. Das setzt wiederum greifbare Anhaltspunkte für eine Veränderung der tat-sächlichen Umstände voraus, die der Betreuerbestellung zugrunde lagen (im [X.] an Senatsbeschluss vom 2.
Februar 2011
XII
ZB
467/10
-
FamRZ 2011, 556 Rn.
10). Bei unveränderter Sachlage hätte die Bestellung eines [X.] einen rein formalen Charakter.
[X.], Beschluss vom 29. Juni 2011 -
XII ZB 19/11 -
LG [X.]

AG Weißenburg i. Bay.

-
2
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Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 29.
Juni 2011
durch die [X.] Richterin Dr.
Hahne, die Richterin [X.] und [X.]
Klinkhammer, Schilling und Dr.
Nedden-Boeger

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4.
Zivilkammer des [X.] vom 11.
Januar 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Amtsgericht den Antrag der Betroffenen u.a. auf Aufhebung der Betreuung zurückgewiesen. Das [X.] hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hierge-gen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit der sie
vor [X.] rügt, dass ihr kein Verfahrenspfleger bestellt worden sei.

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II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
1 FamFG statthaft und auch im Übrigen in zulässiger Weise eingelegt.
2. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
a) Nach Auffassung des Beschwerdegerichts
liegen die Voraussetzun-gen für eine Aufhebung der Betreuung nicht vor. Die Betroffene sei nach wie vor betreuungsbedürftig, was sich aus dem Sachverständigengutachten vom 2.
Oktober 2010 ergebe. Es liege eine paranoide Schizophrenie vor, die seit 2003 zu zahlreichen Exazerbationen geführt habe. Die fehlende [X.] Kompe-tenz und die Unfähigkeit zu sachbezogener Kommunikation seien
dauerhaft deutlich. Die Betroffene sei zu einer freien Willensbestimmung in wesentlichen Lebensbereichen weiterhin außerstande und geschäftsunfähig. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers sei nicht geboten gewesen. Wie das bisherige Verfah-ren und das Verhalten der Beschwerdeführerin bei ihrer Anhörung vor dem Erstgericht zeigten, sei diese hinreichend in der Lage, sich zu artikulieren und ihre Interessen wahrzunehmen.
b) Die Entscheidung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Zu Recht weist diese darauf hin, dass der Betroffenen ein [X.] hätte bestellt werden müssen.
aa) Gemäß §
276 Abs.
1 Satz
1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interes-sen des Betroffenen erforderlich ist.

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Die
vorrangige Aufgabe des Verfahrenspflegers
besteht darin, gegen-über dem Gericht den Willen des Betroffenen kundzutun und dessen aus Art.
103 Abs.
1 GG
folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör zu verwirklichen (BT-Drucks. 15/2494
S.
41). Aus dieser Aufgabenstellung folgt, dass ein [X.] vor allem dann zu bestellen ist, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen kundzutun bzw. einen freien Willen überhaupt noch zu bilden (vgl. [X.], 786, 787; 1997, 1358; KG FamRZ 2009, 641; [X.]/[X.] FamFG 16.
Aufl. §
276 Rn.
3;
vgl. auch [X.]/Fröschle
FamFG §
276 Rn.
9).
Eine Verfahrenspflegschaft ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers allerdings dann nicht anzuordnen, wenn die Verfahrenspflegerbestellung "einen rein formalen Charakter hätte"
(Senatsbe-schluss vom 4.
August 2010 -
XII
ZB 167/10
-
FamRZ 2010, 1648 Rn.
15 unter Hinweis auf BT-Drucks. 13/7158 S.
36).
Zwar findet §
276 FamFG, der die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen regelt, auch im Verfahren auf Aufhebung
der Betreuung
nach §
294 FamFG iVm
§
1908
d BGB Anwendung ([X.]/[X.] FamFG 16.
Aufl. §
276 Rn.
1 mwN). Die
Pflegerbestellung ist grundsätzlich aber
nur geboten, wenn im Aufhebungsverfahren tatsächliche Ermittlungen anzustellen sind. Das setzt
wiederum greifbare Anhaltspunkte für eine Veränderung der tatsächlichen Umstände
voraus, die der Betreuerbestellung zugrunde lagen
(Senatsbeschluss vom 2.
Februar 2011 -
XII
ZB 467/10
-
FamRZ 2011, 556 Rn.
10
f.). Denn bei unveränderter Sachlage hätte die Bestellung eines Verfah-renspflegers
einen rein formalen Charakter.
bb) Diesen Anforderungen wird das instanzgerichtliche Verfahren
nicht gerecht.
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Zu Recht hat die Rechtsbeschwerde darauf hingewiesen, dass der Tatrichter unter Berücksichtigung der getroffenen Feststellungen der Betroffe-nen einen Verfahrenspfleger hätte bestellen müssen.
Nach den Feststellungen ist die Betroffene aufgrund ihrer psychischen Erkrankung sowohl zu sachbezogener Kommunikation als auch zu einer freien Willensbestimmung in wesentlichen Lebensbereichen außerstande. Die im [X.] Beschluss zur Erforderlichkeit eines Verfahrenspflegers
getroffenen Fest-stellungen, wonach die Betroffene hinreichend in der Lage sei, sich zu artikulie-ren und ihre Interessen wahrzunehmen, stehen hierzu -
wie die Rechtsbe-schwerde zutreffend dartut
-
in einem unauflösbaren Widerspruch.
Da sich das Betreuungsgericht zur Durchführung weiterer Ermittlungen namentlich durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens und Anhörung der Betroffenen veranlasst sah, war die Bestellung eines Verfahrenspflegers nach dem oben Gesagten auch nicht aus anderen Gründen entbehrlich.
cc) Die Entscheidung beruht auch auf dem Verfahrensfehler, da nicht ausgeschlossen ist, dass das Beschwerdegericht bei Hinzuziehung eines [X.]s zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.
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c) Weil der Senat mangels Entscheidungsreife nicht selbst abschließend entscheiden kann, war die Sache unter Aufhebung des angefochtenen [X.] an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, §
74 Abs.
6 Satz
1 und 2 FamFG.

Hahne

[X.]
Ri[X.] Dr.
Klinkhammer

ist urlaubsbedingt ver-

hindert zu unterschreiben.

Hahne

Schilling

Nedden-Boeger

Vorinstanzen:
AG Weißenburg
in Bayern, Entscheidung vom 18.11.2010 -
XVII 95/10 -

LG [X.], Entscheidung vom 11.01.2011 -
4 T 1524/10 -

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Meta

XII ZB 19/11

29.06.2011

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.06.2011, Az. XII ZB 19/11 (REWIS RS 2011, 5288)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5288

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