Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.03.2023, Az. 2 StR 462/21

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 1906

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Versuchter Verdeckungsmord: Vorliegen der "anderen" Straftat "Misshandlung Schutzbefohlener"


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 31. Mai 2021 in den [X.] aufgehoben; die Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Misshandlung einer Schutzbefohlenen zu Freiheitsstrafen verurteilt, die Angeklagte [X.]zu neun Jahren, den Angeklagten [X.]zu sieben Jahren. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Sachrüge, diejenige der Angeklagten [X.] auch mit Verfahrensbeschwerden. Die Rechtsmittel haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet.

I.

2

Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Am 21. November 2014 gebar die Angeklagte [X.]ihre Tochter [X.], das spätere Tatopfer, zu der sie von Anfang an keine Bindung aufbauen konnte. Ab dem zweiten Lebensjahr kümmerte sich die Angeklagte immer weniger um [X.], ließ diese häufig und lange allein in [X.] im Bett liegen. [X.]erhielt zu wenig Nahrung und zu wenig persönliche Zuwendung in Form von Ansprache, Beschäftigung und Anregungen, wodurch sie abmagerte, sich ihr Längenwachstum verlangsamte und sich ihre kognitiven, sprachlichen, motorischen und feinmotorischen Fähigkeiten nicht altersgerecht entwickelten. Die Angeklagte erkannte diese negative Entwicklung. Ihr war auch bewusst, dass [X.]unter Hungergefühlen und der Zurückweisung litt. Die durch die Unterversorgung und Vernachlässigung entstehenden körperlichen und seelischen Schäden nahm sie angesichts ihrer ablehnenden Haltung gegenüber [X.]in Kauf.

4

Bei einer U7a-Untersuchung im November 2017 zeigte [X.]einen weiteren erheblichen Gewichtsabfall. Im Juli 2018 erfolgte – auf Intervention des Kindergartens, den [X.]sporadisch besuchte – eine diagnostische Abklärung in einem [X.]. Hierbei gab die Angeklagte wahrheitswidrig an, der Kindsvater sei kleinwüchsig gewesen, um die Vernachlässigung [X.]s zu vertuschen. Im Dezember 2018 ([X.]) wurden für Gewicht und Größe von [X.]Werte festgestellt, die im Vergleich zu anderen Mädchen in ihrem Alter unter der 3% Perzentile lagen.

5

Im Februar 2019 zog der Angeklagte [X.] bei der Angeklagten [X.]  ein und nahm zunehmend auch die Stellung eines Familienvaters ein. Den Kontakt zu [X.]empfand er jedoch als unbefriedigend, er empfand sie als lästig und überließ daher der Angeklagten [X.]die Versorgung, deren Unzulänglichkeit und deren negative Folgen für das Kind er aber erkannte und billigend in Kauf nahm. Spätestens seit Mai 2020 – die Angeklagte [X.]war vom Angeklagten [X.] schwanger – war dem Angeklagten bewusst, dass er für das Wohl aller Familienangehörigen im Sinne einer Garantenstellung verantwortlich war.

6

In der Folgezeit kümmerten sich die Angeklagten noch weniger um [X.], sie musste täglich lange Zeit im Bett ihres wahrscheinlich [X.]s verbringen, bekam keine regelmäßigen und ausreichenden Mahlzeiten und kaum Zuwendung und Zusprache; es kam immer wieder zu Kotverschmierungen der Matratze, da [X.] sich selbst die Windel auszog und mit [X.] spielte. Ab etwa Mitte Juni 2020 versorgten die Angeklagten [X.]nur noch in sehr eingeschränktem Umfang mit Nahrungsmitteln, was zu einem weiteren erheblichen Gewichtsverlust und einem alarmierenden, massiven körperlichem Abbau führte. Dies erkannten die Angeklagten auch. Indes änderten sie weder die Versorgung von [X.]noch suchten sie ärztliche oder sonstige Hilfe. Am 11. Juni 2020 riefen die Angeklagten wegen einer oberflächlichen Hautverletzung, deren Ursache nicht feststellbar war, einen Rettungswagen. Die gerufenen Sanitäter sahen keine Notwendigkeit, [X.]in ein Krankenhaus zu bringen und beließen sie „entsprechend dem Wunsch der Angeklagten in der Wohnung“.

7

Ab dem 1. August 2020 erkannten die Angeklagten aufgrund des nunmehr kritischen Gewichtsverlustes und der erheblichen Verschlechterung des Zustands von [X.](sie konnte nicht mehr selbst laufen oder stehen), dass deren Gesundheitszustand infolge der chronischen und massiven Unterernährung mittlerweile lebensbedrohlich war und jederzeit mit dem Tod des Kindes gerechnet werden musste. Den Angeklagten war auch bewusst, dass [X.]bei ihren Bewegungen erhebliche Schmerzen erlitt. Die Hinzuziehung ärztlicher Hilfe zogen sie nicht in Betracht, aus Sorge, dass die schlechte Versorgung des Kindes behördenbekannt würde und eine Inobhutnahme auch des erwarteten dritten Kindes nach sich ziehen könnte. Den Tod [X.] nahmen sie dabei – im Gegensatz zu der vorangegangenen Zeit, in der [X.]zwar dünn, aber nicht lebensbedrohlich abgemagert erschien und in der Lage war, sich selbständig fortzubewegen – nunmehr billigend in Kauf. Zudem fügten sie [X.]auch weiterhin seelisches Leid zu, indem sie sie über Stunden in ihrem Kinderbett im [X.] ließen ohne Ansprache oder sonstige Zuwendung. Ihnen war bewusst, dass [X.]hierunter litt, dies war ihnen jedoch gleichgültig.

8

Am 1. August 2020 schickte die Angeklagte [X.]ihrer Mutter zwei mittels Filter bearbeitete Fotos, die [X.]zeigen, wobei der [X.] („Haut und Knochen“) deutlich sichtbar ist. [X.] behauptete sie, mit [X.]beim Arzt gewesen zu sein, es bestehe Verdacht auf Muskeldystrophie, welche sie ausführlich und als tödlich verlaufende Krankheit darstellte. Über den Zustand von [X.]machte die Angeklagte [X.]auch am 10. August 2020 gegenüber der Familienhelferin und am 21. August 2020 gegenüber einer Mitarbeiterin des Kindergartens falsche Angaben. An diesem Tag behaupteten die Angeklagten bei einem Hausbesuch des [X.], das Kind sei nicht zuhause, obgleich sie es innerhalb der Wohnung vor den Mitarbeitern des [X.] versteckt hielten.

9

[X.]wurde schließlich auf Intervention des vom Kindergarten eingeschalteten [X.] am 27. August 2020 zu einem Kinderarzt gebracht und von dort ob ihres lebensbedrohlichen Zustands umgehend in ein Krankenhaus. [X.]wurde nach medizinischer Versorgung in einer heilpädagogischen Einrichtung untergebracht. Ob sie die auf die Mangelversorgung zurückzuführenden körperlichen und kognitiven Entwicklungsverzögerungen jemals aufholen kann, ist unklar.

2. Die [X.] hat das Verhalten der Angeklagten als gemeinschaftlich begangenen versuchten Mord durch Unterlassen in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB) gewürdigt. Die Angeklagten hätten mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, wobei die [X.] den Zeitpunkt für dessen Vorliegen „zu ihrer zweifelsfreien Überzeugung“ erst ab dem 1. August 2020 angenommen hat. Die Angeklagten handelten überdies – mit Blick auf die Schmerzen von [X.]– nicht nur grausam, sondern „spätestens seit dem 1. August 2020 mit der Absicht […], die vorausgegangene Misshandlung der ihnen als Schutzbefohlene unterstellten [X.]zu verdecken“; indes hätten die Angeklagten weder heimtückisch noch aus niedrigen Beweggründen gehandelt. [X.] hierzu hätten die Angeklagten durch ihr Verhalten in dem von der Anklage umfassten Zeitraum [X.]gequält und roh misshandelt – die Angeklagte [X.]sie überdies böswillig vernachlässigt – und hierdurch in die Gefahr des Todes gebracht.

II.

Die von der Revision der Angeklagten [X.]erhobenen Verfahrensbeanstandungen dringen nicht durch.

1. Soweit die Revision beanstandet, das [X.] habe dem Amtsermittlungsgrundsatz nicht genüge getan, weil es weder eine Mitarbeiterin des Kinderarztes, bei der die Angeklagte [X.]einen Termin für den 2. September 2020 vereinbart hatte, ermittelt noch diese gehört habe ([X.]), genügt die Rüge nicht den Darlegungserfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Eine zulässig erhobene Aufklärungsrüge setzt voraus, dass der [X.] eine bestimmte [X.], ein bestimmtes Beweismittel und die Umstände angibt, aufgrund derer sich der Tatrichter zu der vermissten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 12. März 2013 – 2 StR 34/13 mwN). Der Revisionsbegründung ist keine dieser Voraussetzungen zu entnehmen: Sie teilt schon keine bestimmte Tatsache mit, die sich aus einer Zeugenbefragung ergeben hätte, noch gibt sie Umstände an, warum sich die [X.] zu der vermissten Beweiserhebung über die erhobenen Beweise hinaus hätte gedrängt sehen müssen.

2. Die Revision der Angeklagten [X.]beanstandet des Weiteren eine Verletzung des § 261 StPO, weil das [X.] im Wege des [X.] eingeführte Chatnachrichten in den Urteilsgründen nicht gewürdigt habe, sich folglich „erkennbar nicht mit sämtlichen Umständen des hier vorliegenden Falles auseinandergesetzt“ habe ([X.] 18).

Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Das [X.], das angegriffene Urteil lasse „an keiner Stelle erkennen, dass sich das [X.] mit diesen Nachrichten der Angeklagten befasst und diese gewertet hat“, trifft nicht zu. Zu den von der Revision aus dem Chatverlauf in Bezug genommenen Aussagen des Angeklagten [X.](„du machst für beide Kinder genau das selbe“, „Du kannst doch nix dafür das nix bei der kleinen drin bleibt“) befassen sich die Urteilsgründe ausdrücklich mit der Frage, ob [X.]in gleichem Umfang wie ihr im Jahr 2016 geborener [X.] versorgt wurde und ob sie sich ständig erbrach, wenn man sie fütterte. Dass sich die sachverständig beratene [X.] davon überzeugte, dass beides entgegen den Behauptungen im Chatverlauf nicht der Fall war, verletzt die Pflicht zur erschöpfenden Beweiswürdigung ebenso wenig wie der Umstand, dass die [X.] hiervon ausgehend keinen Anlass sah, den von der Revision als übergangen monierten Auszug aus dem Chatverlauf näher als geschehen zu erörtern.

III.

Die auf die Sachrüge beider Angeklagter gebotene Nachprüfung des angefochtenen Urteils deckt nur zum Strafausspruch einen durchgreifenden Mangel auf. Das [X.] hat die Verwirklichung zweier Mordmerkmale – grausame Tatbegehung und [X.] – strafschärfend berücksichtigt, das Vorliegen einer [X.] indes nicht rechtsfehlerfrei dargetan.

1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung der Angeklagten wegen versuchten Mordes durch grausame Tatbegehung.

Die auch insoweit sachverständig beratene [X.] hat nachvollziehbar und anhand zumindest möglicher Schlüsse einen bedingten Tötungsvorsatz der beiden Angeklagten für den Zeitraum ab 1. August 2020 belegt. Sie hat ferner rechtsfehlerfrei dargetan, dass [X.]in diesem Zeitraum aufgrund der ihr vorenthaltenen Nahrung an erheblichen Schmerzen litt; sie hat sich – sachverständig beraten – die Überzeugung davon verschafft, dass [X.]einen Muskelabbau erlitt, so dass sie jedenfalls über einen längeren Zeitraum bis zum 27. August 2020 schon bei einfachster Bewegung Schmerz verspürte und nicht stehen und laufen konnte. Dieser den Angeklagten bekannte und bewusste Zustand [X.]s – sie verzog bei jeder Bewegung schmerzhaft das Gesicht – belegt hinreichend eine gefühllose und unbarmherzige Gesinnung der Angeklagten und deren Billigung von [X.], welche es bedingen, dass dem Opfer durch die Tötungshandlung besondere Schmerzen oder Qualen im Sinne des [X.] „grausam“ (§ 211 Abs. 2 StGB; dazu vgl. MüKoStGB/[X.], 4. Aufl., § 211 Rn. 136 mwN) zugefügt werden.

2. [X.] hat auch insoweit Bestand, als die Angeklagten, deren Fürsorge und Obhut die im gemeinsamen Haushalt lebende [X.]unterstand, wegen tateinheitlich verwirklichter schwerer Misshandlung einer Schutzbefohlenen nach § 225 Abs. 1, Abs. 3 Ziffer 1 StGB verurteilt sind.

a) Ohne Rechtsfehler erblickt die [X.] ein Quälen und eine rohe Misshandlung im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB darin, dass die Angeklagten durch die dauerhaft mangelnde Nahrungszufuhr nicht nur ein anfängliches Hungergefühl bei [X.](ein fortdauerndes quälendes Hungergefühl hat die [X.] nicht festzustellen vermocht), sondern für einen längeren Zeitraum erhebliche Bewegungsschmerzen verursachten, und dass sie [X.]in diesem Zeitraum (belegt durch Zeugenaussagen und den Durchsuchungsbericht) auch ohne Ansprache und Zuwendung allein „über Stunden in ihrem Kinderbett im [X.] liegen ließen“, was seelisches Leid verursachte.

Zwar lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, ab welchem Zeitpunkt die [X.] die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 225 StGB für gegeben erachtet hat; weder verhält sich die [X.] hierzu ausdrücklich, noch ist dies dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen. Für den Zeitraum ab dem 1. August 2020 sind sie indes rechtsfehlerfrei belegt. Dass beiden Angeklagten in diesem Zeitraum nicht nur der körperliche Abbau, sondern auch das seelische Leid von [X.]bewusst war, und sie dies fortwährend ignorierten, belegt hinreichend, dass die Angeklagten das – notwendig als Hemmung wirkende – Gefühl für das Leiden der Misshandelten verloren hatten, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde, mithin ihre gefühllose Gesinnung.

b) Soweit die [X.] hinsichtlich der Angeklagten [X.]eine Misshandlung zusätzlich in einer böswilligen Vernachlässigung sieht, ist diese zwar nicht für einen Zeitraum vor dem 11. Juni 2020, wohl aber für einen vor dem 27. August 2020 belegt.

Böswillig im Sinne von § 225 Abs. 1 3. Alternative StGB handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt; das [X.] der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht; Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus (vgl. [X.], Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 [X.], [X.], 369, 371). Hiervon ist die [X.] zutreffend ausgegangen und hat bei der von ihr vorgenommenen Würdigung maßgeblich auf die grundsätzlich ablehnende Haltung der Angeklagten ihrer Tochter gegenüber abgestellt, von der sie sich überzeugt hat. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

c) Rechtsfehlerfrei hat sich die [X.] – sachverständig beraten – auch die Überzeugung davon verschafft, dass die konkrete Gefahr bestand, dass [X.]infolge des Verhaltens der Angeklagten ums Leben kommt (§ 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB); es war vielmehr „überraschend, dass [X.]so lange“ überlebte. Die durch die Misshandlung verursachte Todesgefahr für [X.]war von dem jedenfalls ab dem 1. August 2020 gegebenen bedingten ([X.] der Angeklagten (s.o.) umfasst.

d) Die versuchte Tötung steht zur vollendeten schweren Misshandlung von [X.]in Tateinheit (§ 52 StGB; vgl. [X.], Urteil vom 24. September 1998 – 4 StR 272/98, [X.]St 44, 196; vgl. auch [X.], Urteil vom 16. April 2014 – 2 StR 608/13).

3. Indes begegnet die Annahme der [X.], die Angeklagten hätten ab dem 1. August 2020 auch mit der Absicht gehandelt, die schwere Misshandlung von [X.]zu verdecken, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Insoweit lassen die Urteilsgründe besorgen, dass das [X.] den Zweifelsgrundsatz nicht beachtet hat.

a) Der Annahme eines [X.] steht grundsätzlich nicht entgegen, dass sich bereits die zu verdeckende Vortat gegen Leib und Leben des Opfers richtet (vgl. [X.], Urteil vom 2. Dezember 1987 – 2 StR 559/87, [X.]St 35, 116; [X.], Urteil vom 10. Oktober 2002 – 4 [X.], [X.], 259, 260 mwN) oder die Tat mit bedingtem Vorsatz und durch Unterlassen begangen wurde (vgl. [X.], Beschluss vom 10. März 2000 – 1 [X.], [X.], 1730). Auch kann für eine Absicht der Eltern, die vorangehende Misshandlung Schutzbefohlener durch den Tod des Opfers zu verdecken, und damit für das Vorliegen des [X.] der [X.] sprechen, dass sie – wie hier – niemanden mehr zu dem Kind ließen, weil sie die lebensbedrohliche Verschlechterung des Zustandes des Kindes bemerkten und weil sie die Einschaltung des [X.] fürchteten, und dass sie [X.] gegenüber wahrheitswidrige Angaben zum Gesundheitszustand des Kindes machten (vgl. [X.], Urteil vom 3. September 2008 – 2 [X.], juris Rn. 24).

b) Um eine zu verdeckende „andere Straftat“ (§ 211 Abs. 2 StGB) handelt es sich jedoch dann nicht, wenn der Täter nur diejenige Tat verdecken will, die er gerade begeht. Handelte der Täter bereits von Anfang an mit (bedingtem) Tötungsvorsatz, ist für die Annahme eines [X.] kein Raum (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 22. September 2020 – 6 [X.]; Urteil vom 9. Februar 2017 – 3 StR 415/16, [X.], 342; [X.], Beschluss vom 14. März 2017 – 2 [X.], [X.], 209, 210 je mwN; aA MüKo-StGB/[X.], 4. Aufl., § 211 Rn. 255 f.). Es fehlt folglich an einer für das Mordmerkmal der [X.] erforderlichen „anderen“ Straftat, wenn der Täter das Tatopfer zunächst mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und es anschließend unterlässt, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des überlebenden Opfers einzuleiten; ist diese Möglichkeit nicht auszuschließen, muss sie wegen des [X.] gegebenenfalls zugunsten des Angeklagten angenommen werden (vgl. [X.], Beschluss vom 22. September 2020 – 6 [X.]).

c) Dies hat das [X.] nicht hinreichend bedacht, wenn es im Hinblick auf den Tötungsvorsatz zugunsten der Angeklagten von einem Zeitraum ab dem 1. August 2020 ausgeht, dem Tag, an dem der lebensbedrohliche Zustand des [X.] auf einem Lichtbild deutlich erkennbar ist. Ob – mit Blick auf eine [X.] – ein wenigstens bedingter Tötungsvorsatz nicht ausschließbar auch schon zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben könnte, nimmt das [X.] nicht in den Blick. Dies ist nach den Urteilsgründen auch nicht ausgeschlossen, zumal der auf dem von der [X.] in Bezug genommenen Lichtbild erkennbare Zustand von [X.]nicht erst an diesem Tag entstand, sondern – wie die [X.] an anderer Stelle festgestellt hat – die Angeklagten die Versorgung von [X.]mit Nahrungsmitteln bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt und dann ab Juni 2020 immer weiter einschränkten, sie deren massiven körperlichen Abbau erkannten und ihnen auch bewusst war, dass dieser alarmierend war.

d) Die Urteilsgründe erlauben dem [X.] auch nicht den sicheren Schluss, die von der [X.] als zu verdeckende Tat angesehene „Misshandlung der ihnen als Schutzbefohlene unterstellten [X.]“ ([X.]) habe zu einem Zeitpunkt begonnen, als die Angeklagten noch nicht mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz handelten. Zwar erscheint es nach den Urteilsgründen durchaus möglich, dass die Angeklagten mit [X.] handelten. Es ist aber weder Aufgabe des [X.], sich aus der detailreich in einer Chronologie nacherzählten Entwicklung von [X.]die Umstände herauszusuchen, die die Wertung der [X.] tragen könnten, noch ist es ihm möglich, der Verurteilung wegen [X.] eine andere als die von der [X.] angenommene Verdeckungstat (etwa die festgestellte Körperverletzung) zugrunde zu legen; dem steht auch § 265 StPO entgegen (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Januar 2011 – 1 StR 582/10, NJW 2011, 1301).

4. Der aufgezeigte Rechtsfehler zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich.

a) Die [X.] hat bei beiden Angeklagten das Handeln in [X.] strafschärfend berücksichtigt. Der [X.] kann daher nicht völlig ausschließen, dass die Strafe – auch wenn sie angemessen erscheint – auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht.

b) Die auch ansonsten rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind vom Rechtsfehler nicht betroffen und haben Bestand. Das neue Tatgericht kann gegebenenfalls ergänzende, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen, namentlich zum Vorstellungsbild der Angeklagten vor dem 1. August 2020, zu dem sich die bisherigen Urteilsgründe nicht abschließend verhalten.

5. Das neue Tatgericht wird gegebenenfalls auch Gelegenheit haben, zu prüfen, ob der Schwerpunkt der [X.] mit Blick auf die festgestellten Bemühungen, hilfsbereite Personen am Einschreiten zugunsten des Kindes zu hindern, eine Einordnung des Verhaltens der Angeklagten als [X.] erlaubt. Es wird gegebenenfalls auch die Voraussetzungen der „anderen niedrigen Beweggründe“ im Sinne des § 211 StGB näher in den Blick nehmen und erörtern können (vgl. [X.], Urteil vom 3. September 2008 – 2 [X.], [X.], 173).

Franke     

  

Appl     

  

Eschelbach

  

Meyberg     

  

Lutz     

  

Meta

2 StR 462/21

15.03.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 28. September 2022, Az: 2 StR 462/21, Beschluss

§ 13 StGB, § 22 StGB, § 23 StGB, § 211 Abs 2 StGB, § 225 Abs 1 Nr 1 StGB, § 225 Abs 3 Nr 1 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.03.2023, Az. 2 StR 462/21 (REWIS RS 2023, 1906)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1906

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 73/09 (Bundesgerichtshof)


1 StR 160/18 (Bundesgerichtshof)

Versuchter Verdeckungsmord durch Unterlassen: Anforderungen an die Feststellungen zum Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht im Zusammenhang mit …


2 StR 370/16 (Bundesgerichtshof)

Verdeckungsabsicht: Schwerer Raub als taugliche Vortat


6 StR 134/20 (Bundesgerichtshof)

Mord durch Unterlassen: Vorliegen einer "anderen" Straftat als Voraussetzung eines Verdeckungsmordes


3 StR 541/14 (Bundesgerichtshof)

Beweiswürdigung im Strafverfahren: Anwendung des Zweifelssatzes zum Nachteil des Angeklagten


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.