Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.02.2017, Az. 4 StR 635/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 16305

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:010217B4ST[X.]635.16.1

BUN[X.]SGE[X.]ICHTSHOF

BESCHLUSS
4 St[X.] 635/16

vom
1. Februar
2017
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 1.
Februar
2017
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

1.
Auf die [X.]evision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 30.
August 2016 mit den Feststellun-gen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
[X.]echtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zu-rückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
n-erlaubtem Besitz und unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Seine hiergegen eingelegte [X.]evision hat
mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Das [X.] hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
1
2
-
3
-
1.
Der Angeklagte und der Nebenkläger

M.

bewohnten
Erdgeschosswohnungen in aneinandergebauten Mehrfamilienhäusern in [X.].

. Am Abend des 18.
Dezember 2015 hatte

M.

Freun-
de zu Besuch.
Gemeinsam hörten sie Musik in einer derart hohen Lautstärke, dass diese auch in der Wohnung des Angeklagten zu hören war. Der Angeklag-te fühlte sich dadurch gestört und entschloss sich,

M.

in dessen
Wohnung aufzusuchen. Er wusste, dass er

M.

körperlich unter-
legen war und erwartete, dass dieser auf eine Beschwerde über die Lautstärke der Musik abweisend und aggressiv reagieren werde. Um dem entgegnen zu können, nahm er eine einige Zeit zuvor erworbene umgebaute [X.], [X.]eizstoff-
und Signalpistole mit aufgeschraubtem Schalldämpfer und eingeführ-tem Magazin (10
Vollmantel-Patronen) an sich und steckte sich diese unter [X.] verborgen in den Hosenbund. Er hatte die Vorstellung, die Waffe vorzuzeigen, falls

M.

der Bitte um [X.]uhe

wie erwartet

nicht
nachkomme. Dabei ging er davon aus, dass

M.

unter dem Ein-
druck der vorgezeigten Waffe seiner Forderung nach [X.]uhe letztlich entspre-chen werde.
Als der Angeklagte um 23.15
Uhr bei

M.

klingelte, betätig-
te dieser den elektrischen Türöffner. Anschließend ging

M.

bei
geöffneter Wohnungstür in den Hausflur, während seine Gäste im Wohnzimmer verblieben. Dort traf er auf den Angeklagten. Beide blieben voreinander stehen. Der Angeklagte brachte sein Anliegen in [X.] Sprache und durch Ges-ten zum Ausdruck. Zwischen beiden kam es daraufhin zu einem in zunehmen-der Lautstärke geführten Wortgefecht.

M.

sagte dabei: [X.],

nd, dass

M.

seiner Bitte um [X.]uhe nicht nachkommen und sich mit ihm vor
der Haustür auseinandersetzen wollte. Er befürchtete, es werde dann dort zu 3
4
-
4
-
einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen ihnen kommen, bei der er [X.] werde. Wie zuvor geplant zog der Angeklagte nun sein T-Shirt hoch, um mit seiner Waffe zu drohen.

M.

sah die Waffe im Hosenbund
des Angeklagten und verstand dessen Drohung. Er ließ sich dadurch aber nicht einschüchtern, sondern

Zugleich oder unmittel-bar danach ging er auf den Angeklagten zu und fragte
ihn, was er denn von ihm wolle, man könne das auch anders regeln. Dabei ging er
weiter auf den Ange-klagten zu, der wiederum rückwärts zurückwich, sodass sich beide der Haustür näherten und schließlich die davor befindliche Treppe erreichten. Nicht [X.] fasste

M.

dabei den Angeklagten einmal an den
[X.]. Letztlich stand

M.

auf der obersten Treppenstufe,
während der Angeklagte entweder unmittelbar vor der Treppe oder auf der [X.] stand. Die Entfernung zwischen beiden betrug höchstens zwei Meter. Der Angeklagte hatte weiter Angst vor einer körperlichen Auseinander-setzung mit M.

. Einer solchen wollte er zuvorkommen. Er entschloss
sich deshalb,
von der Waffe Gebrauch zu machen und gab einen gezielten Schuss auf den Oberkörper des [X.] ab. Dabei hatte er die Vorstel-lung, dass dieser Schuss tödlich sein werde. Das Geschoss traf

M.

mittig in den Bauchraum.

M.

brach unmittelbar nach dem

Schuss zusammen und krümmte sich schreiend am Boden. Der Angeklagte erkannte, dass sein Schuss

M.

im Oberkörper getroffen hatte
und lief davon. Am 28.
Januar 2016 wurde er im Besitz der zur Tat benutzten Waffe festgenommen. Eine waffenrechtliche Erlaubnis hatte er nicht.
2.
Das [X.] hat das Verhalten des Angeklagten als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§
224 Abs.
1 Nr.
2 und 5 StGB) sowie

ebenfalls hierzu in Tateinheit stehend

als unerlaubten Besitz und unerlaubtes Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe gewertet. 5
-
5
-
Eine Notwehrhandlung scheide aus, denn der Angeklagte habe sich lediglich dahingehend eingelassen, dass er damit gerechnet habe, von dem Nebenklä-ger und seinem Besuch angegriffen zu werden. Von einem tatsächlich nunmehr unmittelbar bevorstehenden Angriff auf ihn sei der Angeklagte danach selbst nicht ausgegangen.
II.
Das Urteil hat keinen Bestand, weil die Feststellungen zur Situation un-mittelbar vor Schussabgabe lückenhaft sind und die Verneinung einer Notwehr-lage nicht
tragen.
1.
Ein gegenwärtiger Angriff im Sinne des §
32 Abs.
2 StGB ist auch ein Verhalten, das zwar noch kein [X.]echt verletzt, aber unmittelbar in eine Verlet-zung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer [X.]isiken aussetzen würde (st.
[X.]spr.;
vgl. [X.], Urteil vom 24.
November 2016

4
St[X.]
235/16, NStZ-[X.][X.]
2017, 38, 39; Urteil vom 7.
November 1972

1
St[X.]
489/72, NJW 1973, 255 mwN). Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind daher nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des [X.] und die von ihm ausgehende Gefahr einer [X.]echtsgutsverletzung (vgl. [X.], Urteil vom 18.
April 2002

3
St[X.]
503/01, NStZ-[X.][X.]
2002, 203, 204; Urteil vom 9.
August 2005

1
St[X.]
99/05, [X.], 152, 153; Beschluss vom 11.
Dezember 1991

2
St[X.]
535/91, [X.][X.] StGB §
32 Abs.
2 Angriff
5; siehe auch Beschluss vom 28.
Oktober 2015

5
St[X.]
397/15,
bei [X.], [X.], 562, 563).
6
7
-
6
-
2.
Das [X.] hat keine tatsächlichen Feststellungen dazu getrof-fen, welche Absichten der Nebenkläger im Tatzeitpunkt hatte. In den [X.] wird lediglic
r-lichen Auseinandersetzung hatte. Dass der Nebenkläger vor der Haustür ge-genüber dem Angeklagten übergriffig werden wollte und von ihm deshalb eine Gefahr für die [X.]echtsgüter des Angeklagten ausging, die sofortige Abwehr-handlungen erforderlich machte, ist nach den mitgeteilten Umständen auch nicht so fernliegend, dass konkrete Feststellungen hierzu entbehrlich waren.
3.
Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit ge-fährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe (zu einer möglichen [X.]echtfertigung auch dieses Delikts vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Januar 2010

3
St[X.]
508/09,
NStZ-[X.][X.] 2010, 140
mwN) hat daher auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen keinen Bestand. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird

nötigenfalls unter Heranziehung des Zweifelssatzes

den Sachverhalt genauer festzustellen ha-ben, um eine ausreichende Grundlage für die Bewertung zu schaffen, ob die Tat des Angeklagten gerechtfertigt oder entschuldigt ist.
Auch die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen unerlaubten
Besit-zes
einer halbautomatischen Kurzwaffe war mit aufzuheben, weil das [X.] dieses Delikt ebenfalls in Tateinheit abgeurteilt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 14.
November 2007

2
St[X.]
458/07, [X.], 275, 276; zu den
[X.] vgl. [X.], Beschluss vom 27.
Dezember 2011

2
St[X.]
380/11, [X.][X.] WaffG
§
53 Abs.
1 Konkurrenzen
9).

8
9
10
-
7
-
Ergibt die neue Hauptverhandlung, dass von dem Nebenkläger im Zeit-punkt des Schusses kein gegenwärtiger Angriff ausging oder die Schussabgabe zur Abwehr nicht erforderlich war (vgl. dazu [X.], Urteil vom 2.
November 2011

2
St[X.]
375/11, [X.], 272, 273), wird sich der neue Tatrichter [X.] mit der Frage befassen müssen, ob der Angeklagte irrig von Um-ständen ausgegangen ist, die

lägen sie vor

sein Verhalten gerechtfertigt hätten ([X.]). Ein Irrtum über das Vorliegen eines Angriffs oder die Erforderlichkeit der Verteidigung ist ein Erlaubnistatbestandsirrtum, der eine Bestrafung wegen einer vorsätzlichen Tat ausschließt (vgl. [X.], Beschluss vom 11.
August 2010

1 St[X.] 351/10, NStZ-[X.][X.]
2011, 238, 239
mwN).
Sost-Scheible Cierniak Franke

Bender Quentin
11

Meta

4 StR 635/16

01.02.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.02.2017, Az. 4 StR 635/16 (REWIS RS 2017, 16305)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16305

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 635/16

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