Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.04.2014, Az. 3 StR 21/14

3. Strafsenat | REWIS RS 2014, 6020

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 21/14
vom
29. April 2014
in der Strafsache
gegen

wegen
versuchten Mordes
u.a.

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2
-
Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung der Beschwerde-führerin und des [X.] am 29. April
2014 gemäß §
349 Abs.
4 [X.] einstimmig beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15.
Oktober 2013 mit den Feststellungen aufge-hoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das Landgericht
hat die Angeklagte
wegen versuchten Mordes in Tat-einheit mit
versuchtem Totschlag in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und in Tateinheit mit
vorsätzlichem unerlaubtem Erwerb, Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte [X.] der Angeklagten hat Erfolg.

Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes hält der rechtlichen Nach-prüfung nicht stand.

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3
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1. Nach den Feststellungen des [X.] verliebte sich die Ange-klagte
in den Nebenkläger, ihren Fahrlehrer, und versuchte ihn fortan trotz [X.] Zurückweisung für sich zu gewinnen und ihn dazu zu bewegen, sich mit ihr zu treffen. Weil der Nebenkläger ihr aber immer wieder aus dem Weg ging,
Telefonanrufe nicht annahm und persönliche Kontakte verweigerte, war sie [X.] verzweifelt, fühlte sich gekränkt und in ihrem Stolz verletzt. Am 22.
Juni 2013 sah sie den Nebenkläger, als er mit seinem Fahrschulwagen [X.] einem Motorradschüler herfuhr. Daraufhin holte sie eine zuvor nebst [X.] erworbene Pistole, führte das Magazin ein und begab sich zu der als [X.] für das Motorrad genutzten Garage, wo sie das Eintreffen des [X.] erwartete. Sie wollte ihn unter Vorhalt der Waffe zu einem Gespräch zwingen und ihn, sollte er dies erneut verweigern, erschießen. Während der Nebenkläger das Motorrad in die Garage brachte, kam es zwischen ihm und der Angeklagten zu einem kurzen Gespräch, in dem er sie erneut abwies. [X.] er sich auf den Beifahrersitz des [X.] setzte, in dem sich ei-ne Fahrschülerin auf dem Fahrersitz und der Motorradschüler auf dem Rücksitz befanden, holte die Angeklagte
die Pistole aus ihrem Fahrzeug und steckte sie am Rücken in den Hosenbund. Am Fahrzeug ergriff sie die Waffe, die sie für schussbereit hielt, und richtete sie durch das geöffnete Beifahrerfenster auf den Nebenkläger, den sie mit den Worten, dass sonst "etwas Böses" geschehen würde, zum Öffnen der Tür aufforderte. Als der Nebenkläger, der die Waffe irrtümlich für eine Spielzeugpistole hielt, dies verweigerte, erkannte sie, dass sie ihn auch nicht unter Vorhalt der Pistole zum Gespräch zwingen konnte. Sie fasste nun endgültig den Entschluss, ihn zu töten. Sie betätigte deshalb den Abzug, wobei sich zu ihrer Überraschung kein Schuss löste, da sie vergessen hatte, den Schlitten der Pistole durchzuziehen, so dass sich keine Kugel im Lauf befand. Als sie die Waffe nun [X.], bekam der Nebenkläger Angst, startete den Motor und floh, indem er das Fahrzeug vom Beifahrersitz steuerte. 3
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Die Angeklagte
gab vier Schüsse auf den davonfahrenden Wagen ab, wobei drei Projektile das Fahrzeug aus einer Entfernung von 20-30 Meter trafen. [X.] erkannte sie, dass diese Schüsse auch für die anderen Fahrzeuginsassen potentiell lebensgefährlich waren. In Verfolgung ihres Ziels, den Nebenkläger zu töten, nahm sie aber auch den Tod der beiden anderen billigend in Kauf. Zum Tatzeitpunkt war die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten aufgrund einer Anpassungsstörung erheblich vermindert. Es wurde niemand verletzt.

2. Die Würdigung des [X.], die Angeklagte habe bei ihrem [X.], durch das Fenster der Beifahrertür auf den Nebenkläger zu schießen, heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt, hält [X.] Nachprüfung nicht stand.

[X.] handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst
zu dessen Tötung ausnutzt. [X.] ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Das Opfer muss weiter gerade aufgrund seiner [X.]igkeit wehrlos sein. Arg-
und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das [X.] aber nicht (mehr) mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 20.
Januar 2005 -
4 StR 491/04, [X.], 691, 692 und vom 29. November 2007 -
4 [X.], [X.], 273, 274, jeweils mwN; Beschluss vom 4
5
-
5
-
29.
November 2011 -
3 [X.], [X.], 270, 271). Dabei ist für die Be-urteilung einer bewussten Ausnutzung der Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers grundsätzlich auf die Lage zu Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs und damit den Eintritt der Tat in das Versuchsstadium abzustellen (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 4. Juli 1984
-
3 [X.], [X.]St 32, 382, 384; vom 9.
Januar 1991 -
3 [X.], [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13,
jeweils mwN).

Vorliegend belegen die Urteilsgründe nicht, dass die Angeklagte bei [X.]sbeginn bewusst eine [X.]igkeit des [X.] ausnutzte.
Allerdings versah der Nebenkläger sich offensichtlich keines Angriffs, als die Angeklagte, die die Waffe in den rückwärtigen Hosenbund gesteckt hatte, zu ihm ans Fahrzeug trat
und die Pistole auf ihn richtete. In diesem Verhalten ist aber noch nicht der Beginn der Tötungshandlung zu sehen. Zwar hatte die [X.] zu diesem Zeitpunkt schon einen Tatentschluss gefasst, weil lediglich die Tatausführung, nicht aber der Wille zur Tat davon abhängig war, dass der Nebenkläger auch unter Vorhalt der Pistole weiterhin nicht bereit war, mit ihr ein Gespräch zu führen (vgl. S/S-Eser/[X.], 29. Aufl., § 22 Rn. 18 f.). Doch war nach dem [X.] ein Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung in dem [X.], dass der Täter subjektiv die Schwelle zum "jetzt geht es los" überschreitet und objektiv ohne weitere Zwischenakte zur tatbestandsmäßigen [X.] ansetzt (vgl. [X.], Urteile vom 16. September 1975 -
1 [X.], [X.]St 26, 201, 202 f.; vom 9.
Oktober 2002 -
5 StR 42/02, [X.]St 48, 34, 35
f.), noch nicht erreicht. Vielmehr hing die Umsetzung des geplanten
[X.] noch vom -
von der Angeklagten allerdings nicht zu beein-flussenden -
Eintritt der Bedingung ab, dass der Nebenkläger sie wieder abwei-sen würde. Erst als der Nebenkläger sich endgültig abwandte und die Ange-klagte jetzt den Abzug der Waffe betätigte, setzte sie unmittelbar zur [X.]
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rung der Tötungshandlung an. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Nebenkläger aus Sicht der Angeklagten seine anfangs vorhandene [X.]igkeit jedoch verloren, da sie ihm mit vorgehaltener Pistole gedroht hatte, es werde "etwas Böses"
[X.], wenn er den Kontakt mit ihr weiter verweigere. Dass sie gewusst und bewusst ausgenutzt hätte, dass der Nebenkläger die Waffe für eine Spielzeug-pistole hielt und sie deshalb nicht ernst nahm, ergibt sich aus den [X.] nicht.

Zwar ist das Tatopfer auch dann arg-
und wehrlos
in dem bei [X.] vorausgesetzten Sinn, wenn
der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist,
dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. etwa [X.], Urteile vom 27. Juni 2006
-
1
StR 113/06, [X.], 502, 503;
vom 16. Februar 2012 -
3 [X.], [X.], 245; Beschluss vom 19. Juni 2008 -
1 [X.], [X.] 2009,
29, 30). Einen solchen Fall ergeben die Feststellungen vorliegend jedoch nicht. Den Urteilsgründen kann nicht entnommen werden, dass der Nebenkläger auf die Angeklagte, die mit ihrem Vorgehen gerade ein Gespräch mit ihm erzwin-gen wollte, nicht hätte verbal einwirken und so den nicht gänzlich aussichtslo-sen Versuch unternehmen können, diese von ihrem Vorhaben abzubringen
(s. [X.], Beschluss vom 19.
Juni 2008 -
1 [X.], [X.] 2009, 29, 30).

7
-
7
-
Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes lässt
auch die Verurteilung wegen des [X.] dazu begangenen versuchten [X.] in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und des Waffendelikts entfallen ([X.], [X.], 7.
Aufl., § 353 Rn. 12 mwN).

Becker

Pfister

Ri[X.] Dr. Schäfer befindet sich

im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.

Becker

Gericke Spaniol
8

Meta

3 StR 21/14

29.04.2014

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.04.2014, Az. 3 StR 21/14 (REWIS RS 2014, 6020)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6020

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