Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.06.2011, Az. 8 AZR 204/10

8. Senat | REWIS RS 2011, 5573

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Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 14. Januar 2010 - 7 [X.]/09 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer von dem [X.]eklagten - vorsorglich - am 16. Oktober 2008 ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war seit dem 1. Juli 1981 bei dem [X.]eklagten beschäftigt, zuletzt im [X.]ereich „Zuwanderung“ als Kurskoordinator gegen ein monatliches [X.]ruttogehalt iHv. 3.426,81 Euro.

3

Mit einer schriftlichen Unterrichtung vom 23. November 2005 informierte der [X.]eklagte den Kläger über die zum Januar 2006 beabsichtigte Übertragung des [X.]ereichs „Zuwanderung“ auf die „[X.]“ (im Folgenden: [X.]). [X.]uszugsweise lautet dieses Schreiben:

        

„Die Übertragung des [X.]ereichs Zuwanderung hat rechtlich zur Folge, dass das zwischen Ihnen und der [X.] bestehende [X.]rbeitsverhältnis kraft Gesetzes, nämlich gemäß § 613 a [X.]G[X.] auf die [X.] übergeht, ohne dass es einer zusätzlichen Vereinbarung zwischen Ihnen und der [X.] bedarf. Es findet also ein gesetzlicher Wechsel des [X.]rbeitgebers in [X.]ezug auf ihr [X.]rbeitsverhältnis statt.

        

§ 613 a [X.]bs. 5 [X.]G[X.] sieht vor, die von einem [X.]etriebsübergang betroffenen [X.]rbeitnehmer über folgende Punkte zu unterrichten:

        

1.    

Zeitpunkt des Übergangs:

                 

1.1.2006

        

2.    

Grund für den Übergang:

                 

Die [X.]ufgabenstellung und Finanzierung des [X.]ereiches ‚Zuwanderung’ hat aufgrund des neuen [X.] eine neue Struktur erfahren. Der [X.] und das [X.] finanzieren zukünftig jeder für sich Dienstleistungen, die klar voneinander abgrenzbar sind. Insbesondere die Dienstleistungen für die [X.] wird im Rahmen einer Leistungsvereinbarung mit Hilfe von Kennzahlen gesteuert. Die [X.]ehörde für Soziales und Familie hat darüber hinaus angekündigt, die von ihr finanzierten Leistungen in 2006 für das [X.] öffentlich auszuschreiben. [X.]ngesichts des starken [X.] im [X.]ereich der pädagogischen, beratenden und in den allgemeinen [X.]rbeitsmarkt vermittelnden Dienstleistungen in der Hansestadt, die u.a. auf die Einführung des [X.] seitens der [X.]esagentur für [X.]rbeit, im Zusammenhang mit Hartz IV und der [X.]ildung der [X.]rbeitsgemeinschaft ([X.]RGE) in [X.] zurückzuführen sind, wird die [X.] ihre [X.]fähigkeit steigern müssen, um auch die Existenz des [X.]ereiches ‚Dienstleistungen im [X.]’ unter dem [X.]-Dach sicher zu stellen und nach Möglichkeit darüber hinaus auch im Wettbewerb mit anderen [X.]nbietern auszubauen.

        

3.    

Rechtliche, wirtschaftliche und [X.] Folgen des Übergangs:

                 

Der Eintritt der [X.] als neuer [X.]rbeitgeber in das jetzt noch mit Ihnen und der [X.] [X.] bestehende [X.]rbeitsverhältnis erfolgt, ohne dass sich die geschlossenen [X.]rbeitsverträge inhaltlich verändern. Ihre bisherigen arbeitsvertraglichen Regelungen einschließlich [X.]etriebszugehörigkeit bleiben voll inhaltlich in [X.]. Da die [X.] nicht tarifgebunden ist, gelten die bisher bei der [X.] [X.] kollektiv angewendeten Tarifverträge als [X.]estandteil ihres [X.]rbeitsverhältnisses weiter. Sollte die [X.] später eine Tarifbindung eingehen, treten die ab dem [X.]etriebsübergang individualrechtlich gültigen Tarifregelungen wieder außer [X.] und werden durch die neuen Tarifregelungen ersetzt.

                 

[X.]estehende [X.]etriebsvereinbarungen werden ebenfalls so lange [X.]estandteil ihres [X.]rbeitsverhältnisses, bis sie durch neue [X.]etriebsvereinbarungen im neu entstehenden [X.]etrieb abgelöst werden.

                 

Durch die Übertragung wird der [X.]ereich Zuwanderung zu einem eigenständigen [X.]etrieb im Sinne des [X.]etriebsverfassungsgesetzes. Der bisher für Sie zuständige [X.]etriebsrat bleibt zunächst zuständig, ist jedoch rechtlich verpflichtet, einen Wahlvorstand zu bestellen, um die [X.]ildung eines neuen [X.]etriebsrates in die Wege zu leiten.

        

4.    

Hinsichtlich der [X.]rbeitnehmer in [X.]ussicht genommene Maßnahmen:

                 

Es sind keine Änderungen geplant.

        

Ihnen steht gemäß § 613 a [X.]bs. 6 [X.]G[X.] das Recht zu, dem automatischen Übergang Ihres [X.]rbeitsverhältnisses auf die [X.] zu widersprechen. Sollten Sie Widerspruch gegen den Übergang Ihres [X.]rbeitsverhältnisses erklären wollen, bitten wir darum, diesen innerhalb einer Frist von einem Monat seit Erhalt dieses Schreibens zu tun.“

4

[X.]m 15. Dezember 2005 wurde der Gesellschaftsvertrag zur Gründung der [X.] notariell beurkundet. Die Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister erfolgte eine Woche später. Zum Geschäftsführer der neu gegründeten Gesellschaft wurde der Geschäftsführer des [X.]eklagten bestellt.

5

Zum 1. Januar 2006 übertrug der [X.]eklagte den [X.]ereich „Zuwanderung“ auf den neuen Rechtsträger [X.]. Dem Übergang seines [X.]rbeitsverhältnisses auf diese widersprach der Kläger zunächst nicht.

6

Die [X.] kündigte am 3. Dezember 2007 das [X.]rbeitsverhältnis des [X.] wegen des Vorwurfs einer vom Kläger durchgeführten Konkurrenztätigkeit. Der Kläger war Gründungsmitglied eines Vereins, der sich wirtschaftlich im [X.]ereich seiner [X.]rbeitgeberin betätigte oder wenigstens betätigen wollte. Die vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage blieb vor dem [X.]rbeitsgericht [X.] erfolglos (Urteil vom 11. Juni 2008 - 13 [X.] 523/07 -). Über die [X.]erufung des [X.] ist bislang noch nicht entschieden.

7

Mit Schreiben vom 27. Juni 2008 teilte die Geschäftsführung der [X.] sämtlichen Mitarbeitern die beabsichtigte Stilllegung und Einstellung des Geschäftsbetriebs zum 31. Dezember 2008 mit. [X.]uszugsweise ist ausgeführt:

        

„Wir möchten Sie darüber informieren, dass der Vorstand der [X.], [X.], auf der Sitzung des [X.] am 23.06.2008 beschlossen hat, die Geschäftsführung der [X.]G anzuweisen, unter [X.]eachtung von [X.]eteiligungsrechten nach dem [X.]etriebsverfassungsrecht, die [X.]G zum 31.12.2008 komplett stillzulegen. Die [X.]G stellt somit zum 31.12.2008 ihren Geschäftsbetrieb ein.

        

[X.]usgenommen von der Einstellung des Geschäftsbetriebes zum 31.12.2008 sind die Projekte Hi II und Hi III, die am 30.06.2009 auslaufen werden.

        

Die [X.] wird alle Mitarbeiter, die für die prekäre Situation der [X.]G nicht verantwortlich zu machen sind, in den nächsten Monaten tatkräftig unter Einschaltung der Kontakte zum [X.] [X.]esverband, der [X.] und den anderen Trägern in der [X.] bei der Suche nach einer beruflichen [X.]nschlussperspektive unterstützen.

        

Die [X.] ist nicht existenzfähig. Die [X.], [X.], stellt die finanziellen Mittel sicher, die notwendig sind, um den Geschäftsbetrieb bis zum 31.12.2008 aufrechtzuerhalten.

        

Die Geschäftsführung wird mit dem [X.]etriebsrat Verhandlungen über einen Sozialplan aufnehmen.“

8

[X.]m 1. Juli 2008 wurde für die [X.] ein Liquidator bestellt, welcher am 14. [X.]ugust 2008 in das Handelsregister eingetragen wurde. Dieser beantragte am 29. September 2008 beim [X.]mtsgericht [X.] die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, woraufhin das [X.]mtsgericht noch am selben Tag den Rechtsanwalt Dr. T zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellte. Ebenfalls am 29. September 2008 widersprach der Kläger „dem [X.]etriebsübergang“, wobei er zugleich bei dem [X.]eklagten „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ beantragte.

9

Nach [X.]nhörung des [X.]etriebsrats kündigte der [X.]eklagte vorsorglich am 16. Oktober 2008 ein etwa mit dem Kläger bestehendes [X.]rbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich aus betriebs- und verhaltensbedingten Gründen.

Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] wurde am 1. November 2008 eröffnet. Mit Eingang bei Gericht am 6. November 2008 erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Die [X.] wurde zum 31. Dezember 2008 stillgelegt.

Der Kläger meint, das [X.]rbeitsverhältnis sei nicht auf die [X.] übergegangen, da er dem Übergang rechtzeitig und wirksam widersprochen habe. Infolge einer fehlerhaften Unterrichtung über den [X.]etriebsübergang habe die Frist für die Einlegung des Widerspruchs nicht zu laufen begonnen. [X.]uch habe er sein Recht zum Widerspruch nicht verwirkt. Die ausgesprochene Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Der [X.]eklagte könne den Kläger im [X.]ereich von [X.] und Sozialberatung für Migranten und Migrantinnen weiterbeschäftigen.

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das [X.]rbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 16. Oktober 2008 weder fristlos noch fristgemäß zum 30. Juni 2009 aufgelöst worden ist.

Zur [X.]egründung seines Klageabweisungsantrags hat der [X.]eklagte auf die Verfristung des Widerspruchs verwiesen, da die Unterrichtung korrekt gewesen sei. Jedenfalls habe der Kläger sein Widerspruchsrecht verwirkt. Neben dem zweifellos erfüllten Zeitmoment liege auch ein Umstandsmoment vor. Der Kläger habe seine Weiterarbeit für die [X.] zu keinem Zeitpunkt nach dem 1. Januar 2006 unter den Vorbehalt seiner Rückkehr zum [X.]eklagten gestellt. Zudem habe er die Kündigung der [X.]etriebserwerberin vom Dezember 2007 mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen. Für die streitgegenständliche vorsorgliche Kündigung vom 16. Oktober 2008 gebe es sowohl betriebsbedingte als verhaltensbedingte Gründe.

Das [X.]rbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die [X.]erufung des [X.] blieb vor dem [X.] ohne Erfolg. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Sein Arbeitsverhältnis mit dem [X.]n ist im Wege eines [X.]s ab dem 1. Januar 2006 nach § 613a Abs. 1 [X.] auf die [X.] übergegangen.

A. Das [X.] hat seine klageabweisende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Unterrichtungsschreiben vom 23. November 2005 entspreche nicht den Anforderungen des § 613a Abs. 5 [X.]. So habe der [X.] nicht ausreichend über die rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs iSv. § 613a Abs. 5 Nr. 3 [X.] informiert, denn es fehle eine Darstellung der begrenzten gesamtschuldnerischen Nachhaftung nach § 613a Abs. 2 [X.]. Die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 [X.] sei daher nicht in Lauf gesetzt worden. Allerdings sei das Widerspruchsrecht des [X.] zum Zeitpunkt seiner Ausübung verwirkt gewesen. Bei einem Zeitraum von 34 Monaten zwischen der Unterrichtung mit Schreiben vom 23. November 2005 und dem Widerspruch des [X.] vom 29. September 2008 sei das [X.] erfüllt. Der Kläger habe zudem auch das Umstandsmoment verwirklicht. Die Dauer des [X.]s und sämtliche für das Umstandsmoment maßgeblichen Faktoren seien in Wechselwirkung zu setzen. Zwar begründe die Weiterarbeit des [X.] bei der [X.] ab dem 1. Januar 2006 als solche noch keine Verwirkung des Widerspruchsrechts. Angesichts der beträchtlichen Dauer des [X.]s seien aber nur noch geringe Anforderungen an das Umstandsmoment zu stellen. Der vom Kläger gegen die Kündigung der [X.] angestrengte Kündigungsschutzprozess bringe ua. durch den gestellten Weiterbeschäftigungsantrag zum Ausdruck, dass es dem Kläger um das Arbeitsverhältnis zur [X.] gegangen sei und er ein noch bestehendes Arbeitsverhältnis zum [X.]n nicht in Erwägung gezogen habe. Wegen des langen [X.]s genüge es für die Annahme eines [X.] zudem, dass der Kläger nach Erhalt der Mitteilung über die prekäre wirtschaftliche Lage und die beabsichtigte Stilllegung der [X.] zum 31. Dezember 2008 (Schreiben der [X.] vom 27. Juni 2008) noch bis zum 29. September 2008 mit dem Widerspruch zugewartet habe. Dies, obwohl mit dem Schreiben darauf hingewiesen worden sei, dass der [X.] die finanziellen Mittel zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs bis zum 31. Dezember 2008 sicherstelle.

B. Das angefochtene Urteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die zulässige Kündigungsschutzklage ist nicht begründet. Zwischen den Parteien besteht über den 31. Dezember 2005 hinaus kein Arbeitsverhältnis mehr. Dieses ist mit Wirkung zum 1. Januar 2006 im Wege eines [X.]s nach § 613a Abs. 1 Satz 1 [X.] auf die [X.] übergegangen. Diesem Übergang des Arbeitsverhältnisses hat der Kläger nicht wirksam widersprochen. Die vom [X.]n ausgesprochenen vorsorglichen Kündigungen eines etwa bestehenden Arbeitsverhältnisses gehen ins Leere.

I. Zutreffend ist das [X.] zunächst davon ausgegangen, dass die Unterrichtung des [X.] mit Schreiben vom 23. November 2005 über den am 1. Januar 2006 erfolgenden [X.] nicht den Anforderungen des § 613a Abs. 5 [X.] entsprochen hat und dadurch die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 [X.] für den Kläger nicht in Gang gesetzt wurde (vgl. [X.] 18. März 2010 - 8 [X.] 840/08 - AP [X.] § 613a Unterrichtung Nr. 14), so dass das Widerspruchsrecht nicht verfristet war, als es von dem Kläger am 29. September 2008 ausgeübt wurde.

1. Zu den rechtlichen Folgen, über die nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 [X.] die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer zu unterrichten sind, gehören zunächst die sich unmittelbar aus dem Betriebsübergang als solchem ergebenden Rechtsfolgen. Dies erfordert insbesondere auch einen Hinweis auf das Haftungssystem des § 613a Abs. 2 [X.] (st. Rspr., vgl. [X.] 23. Juli 2009 - 8 [X.] 538/08 - [X.]E 131, 258 = AP [X.] § 613a Unterrichtung Nr. 10 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 114).

Die Ausführungen im Unterrichtungsschreiben, die [X.] trete als neuer Arbeitgeber in das jetzt noch mit dem [X.]n bestehende Arbeitsverhältnis ein, ohne dass sich die geschlossenen Arbeitsverträge inhaltlich veränderten, besagt nichts über die Verteilung der Haftung infolge des Betriebsübergangs.

2. Der [X.] hat auch nicht über die [X.] korrekt informiert, insbesondere nicht darüber, dass diese am 23. November 2005 noch nicht durch Gesellschaftsvertrag begründet worden war, welcher erst am 15. Dezember 2005 geschlossen wurde. Es wurde falsch der Eindruck erweckt, bei der „[X.]“ handele es sich um eine bereits bestehende Gesellschaft, deren „alleinige Gesellschafterin“ der [X.] sei.

Der [X.] hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass über die Identität eines [X.]s so zu unterrichten ist, dass die Adressaten in die Lage versetzt werden, Erkundigungen über den [X.] und damit ihren etwaigen neuen Arbeitgeber einzuholen. Bei Gesellschaften gehört dazu die Firma, die Angabe eines Firmensitzes, um das zuständige Handelsregister einsehen zu können, und die Angabe einer Geschäftsadresse, an die gegebenenfalls ein Widerspruch gerichtet werden kann. Soweit im Zeitpunkt der Unterrichtung solche Angaben zum [X.] nicht gemacht werden können, weil dieser erst noch zu gründen ist, muss das bei der Unterrichtung offengelegt werden (vgl. [X.] 23. Juli 2009 - 8 [X.] 538/08 - [X.]E 131, 258 = AP [X.] § 613a Unterrichtung Nr. 10 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 114).

3. Schließlich wurde der Kläger auch nicht in ausreichender Weise über sein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 [X.] unterrichtet, weil ein Hinweis auf die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform (§ 613a Abs. 6 Satz 1 [X.]) fehlt.

II. Das Recht des [X.] zum Widerspruch war zum Zeitpunkt seiner Ausübung mit Schreiben vom 29. September 2008 allerdings verwirkt.

1. Das Widerspruchsrecht kann wegen Verwirkung ausgeschlossen sein. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber eine Widerspruchsfrist eingeführt hat, schließt eine Anwendung der allgemeinen Verwirkungsgrundsätze nicht aus, weil jedes Recht nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeübt werden darf (st. Rspr., vgl. [X.] 12. November 2009 - 8 [X.] 751/07 - AP [X.] § 613a Widerspruch Nr. 12).

2. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 [X.]). Mit ihr wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat ([X.]). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist.

3. Angesichts der gesetzlichen Regelung ist hinsichtlich des [X.]s nicht auf eine bestimmte Monatsfrist abzustellen. Entscheidend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalles. Auch ist die Länge des Zeitablaufes in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen. [X.] und Umstandsmoment beeinflussen sich wechselseitig, dh. beide Elemente sind bildhaft im Sinne „kommunizierender Röhren“ miteinander verbunden. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände sind, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner unzumutbar machen, desto schneller kann ein Anspruch verwirken ([X.] 24. Juli 2008 - 8 [X.] 175/07 - AP [X.] § 613a Nr. 347). Umgekehrt gilt, je mehr Zeit seit dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs verstrichen ist und je länger der Arbeitnehmer bereits für den Erwerber gearbeitet hat, desto geringer sind die Anforderungen an das Umstandsmoment.

4. Die Beurteilung der Frage, ob ein Recht verwirkt ist, obliegt grundsätzlich den [X.]en, die den ihnen zur Begründung des [X.] vorgetragenen Sachverhalt eigenverantwortlich zu würdigen haben. Allerdings unterliegt der revisionsrechtlichen Überprüfung, ob das [X.] die von der Rechtsprechung entwickelten rechtlichen Voraussetzungen der Verwirkung beachtet sowie alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat und die Bewertung dieser Gesichtspunkte von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen wird (vgl. [X.] 11. November 2010 - 8 [X.] 185/09 -; 20. Mai 2010 - 8 [X.] 734/08 - AP [X.] § 613a Widerspruch Nr. 19 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 119).

5. Diesem Überprüfungsmaßstab hält die Entscheidung des [X.]s stand.

a) Zwischen der Unterrichtung des [X.] mit Schreiben vom 23. November 2005 über den bevorstehenden [X.] und seinem Widerspruch mit Schreiben vom 29. September 2008 liegt ein Zeitraum von 34 Monaten. Damit ist, wie das [X.] zutreffend ausgeführt hat, das sogenannte [X.] erfüllt. Die Frist für das für die Verwirkung maßgebliche [X.] beginnt nicht erst ab einem bestimmten Zeitpunkt zu laufen, insbesondere nicht erst mit der umfassenden Unterrichtung oder Kenntnis des Arbeitnehmers über den Betriebsübergang und dessen Folgen. Bei dem [X.] handelt es sich nicht um eine gesetzliche, gerichtliche oder vertraglich vorgegebene Frist, für welche bestimmte Anfangs- und Endzeitpunkte gelten, wie sie in den §§ 186 ff. [X.] geregelt sind. Vielmehr hat bei der Prüfung, ob ein Recht verwirkt ist, immer eine Gesamtbetrachtung stattzufinden, bei welcher das Zeit- und das Umstandsmoment zu berücksichtigen und in Relation zu setzen sind ([X.] 27. November 2008 - 8 [X.] 174/07 - [X.]E 128, 328 = AP [X.] § 613a Nr. 363 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 106). Nach der Rechtsprechung des [X.]s kann je nach den Umständen des Einzelfalles zur Erfüllung des [X.]s ein Zeitraum von neun Monaten (vgl. [X.] 24. Februar 2011 - 8 [X.] 699/09 -), von über einem Jahr (vgl. [X.] 27. November 2008 - 8 [X.] 174/07 - aaO; 15. Februar 2007 - 8 [X.] 431/06 - [X.]E 121, 289 = AP [X.] § 613a Nr. 320 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 64) oder ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren (vgl. [X.] 9. Dezember 2010 - 8 [X.] 614/08 -) genügen.

b) Die widerspruchslose Weiterarbeit des [X.] bei der [X.] ab dem 1. Januar 2006 stellt kein Umstandsmoment dar, das zur Verwirkung des Widerspruchsrechts des nicht ordnungsgemäß nach § 613a Abs. 5 [X.] unterrichteten [X.] führte (vgl. [X.] 20. März 2008 - 8 [X.] 1016/06 - NZA 2008, 1354; 24. Februar 2011 - 8 [X.] 469/09 - BB 2011, 1787).

c) Ebenso hat der Kläger ein Umstandsmoment nicht dadurch verwirklicht, dass er gegen die Kündigung der [X.] vom 3. Dezember 2007 Kündigungsschutzklage erhoben hat.

aa) In ständiger Rechtsprechung hat der [X.] entschieden, dass es ein Umstandsmoment darstellt, welches das Vertrauen des bisherigen Arbeitgebers in die Nichtausübung des Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 6 [X.] rechtfertigen kann, wenn der Arbeitnehmer über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses dadurch disponiert hat, dass er einen Aufhebungsvertrag mit dem [X.] geschlossen oder eine von diesem nach dem Betriebsübergang erklärte Kündigung hingenommen hat (vgl. [X.] 22. April 2010 - 8 [X.] 805/07 - [X.] 2010, 368; 22. April 2010 - 8 [X.] 871/07 -; 22. April 2010 - 8 [X.] 982/07 -; 21. Januar 2010 - 8 [X.] 870/07 -; 20. März 2008 - 8 [X.] 1016/06 - NZA 2008, 1354 und 27. November 2008 - 8 [X.] 225/07 -).

bb) Daran hält der [X.] fest. Sinn einer Kündigungsschutzklage ist es, den einseitig erklärten [X.] durch Geltendmachung des Kündigungsschutzes zu durchbrechen. Damit disponiert der Arbeitnehmer gerade nicht über den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Dagegen lässt eine unterlassene oder nicht rechtzeitig erhobene Kündigungsschutzklage die Kündigung von Anfang an rechtswirksam werden, § 7 KSchG. Grundsätzlich ist mit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage keine Aussage darüber verbunden, wer künftig Arbeitgeber sein soll oder als solcher noch - nämlich bei Einlegung eines Widerspruchs - in Betracht kommt. Ziel ist es, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gegen den [X.] zu schützen. Daher kann auch bei einem wie vorliegend sehr gewichtigen [X.] ein angestrengter Kündigungsschutzprozess gegen die [X.] kein Umstandsmoment im Sinne der Verwirkung darstellen.

d) Rechtsfehlerfrei hat das [X.] darauf abgestellt, dass die weiter zu berücksichtigenden Umstände in Wechselwirkung mit dem [X.] zur Verwirkung des Widerspruchsrechts führen.

aa) Im Schreiben vom 27. Juni 2008 wurden alle Mitarbeiter durch die [X.] über die beabsichtigte Einstellung des Geschäftsbetriebs zum 31. Dezember 2008 informiert. Ausdrücklich heißt es, dass die Erwerberin ([X.]) „nicht existenzfähig“ sei und der [X.] die Mittel sicherstelle, die notwendig seien, um den Geschäftsbetrieb bis zum 31. Dezember 2008 aufrechtzuerhalten. In diesem Schreiben wird ausdrücklich auf die „prekäre“ Situation bei der Erwerberin hingewiesen. Zum 1. Juli 2008 wurde darüber hinaus für die [X.] ein Liquidator bestellt. Damit hatte der Kläger von den für ihn maßgeblichen Umständen Kenntnis, um eine Entscheidung darüber, ob er den Arbeitgeberwechsel hinnimmt oder ihm widerspricht, treffen zu können.

bb) Das [X.] hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Berufungsurteils (dort S. 18, letzter Absatz) festgestellt, dass auch der Kläger das an alle Mitarbeiter gerichtete Informationsschreiben vom 27. Juni 2008 erhalten hat. Diese Feststellung greift die Revision nicht mit einer Verfahrensrüge an, weswegen der [X.] daran gebunden ist (§ 559 Abs. 2 ZPO).

cc) Gleichwohl hat der Kläger von seinem Widerspruchsrecht zunächst keinen Gebrauch gemacht. Erst zeitgleich mit dem Antrag des Liquidators beim [X.], das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] zu eröffnen und der Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters durch das Amtsgericht am 29. September 2008 sah sich der Kläger zum Widerspruch veranlasst. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehr als drei Monate seit dem Schreiben vom 27. Juni 2008 verstrichen, in denen der Kläger das Vertrauen beim [X.]n, er werde sein Widerspruchsrecht nicht ausüben, gestärkt hat. Für den Kläger war nicht nur die prekäre wirtschaftliche Situation der [X.] infolge des Schreibens vom 27. Juni 2008 offenkundig, sondern darüber hinaus musste er aufgrund dieses Schreibens davon ausgehen, dass spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008 seine berufliche Situation und Zukunft ungesichert sein würden. Trotz dieser Perspektive reagierte der Kläger nicht zeitnah auf das Schreiben vom 27. Juni 2008. Für den [X.]n wurde so der Eindruck, der Kläger werde dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht widersprechen, nachhaltig verstärkt. Ob der Kläger gehalten war, den Widerspruch unverzüglich (dh. ohne schuldhaftes Zögern, § 121 Abs. 1 Satz 1 [X.]) oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu erklären, kann vorliegend dahinstehen. Auf jeden Fall war mit einem Zeitraum von mehr als drei Monaten ein dem Kläger zuzubilligender, angemessener Zeitraum, in dem er gegebenenfalls Rechtsrat einholen und sich über die Ausübung seines Widerspruchsrechts klarwerden konnte, für die Erklärung des Widerspruchs abgelaufen. Mit seinem Verhalten hatte der Kläger den Eindruck erweckt und damit die Vertrauensbildung beim [X.]n verstärkt, dass er auch angesichts der ausweglosen Situation für die [X.] von einem etwaigen Widerspruchsrecht nicht Gebrauch machen werde.

dd) Zu Unrecht rügt die Revision, zur Bejahung des [X.] hätte es der Feststellung einer „Vertrauensinvestition“ des [X.]n durch das [X.] bedurft. Entgegen der Ansicht des [X.] setzt der Verwirkungseinwand nicht voraus, dass der Verpflichtete eine konkret feststellbare Vermögensdisposition im Vertrauen auf die Nichtinanspruchnahme getroffen haben muss. Richtig ist vielmehr, dass die Verwirkung eines Rechts nur in Betracht kommt, wenn die verspätete Inanspruchnahme für die Gegenseite - wie hier - unzumutbar erscheint. Diese Unzumutbarkeit muss sich jedoch nicht aus wirtschaftlichen Dispositionen des Verpflichteten ergeben. Solche können das Umstandsmoment zwar verstärken, sind jedoch nicht Voraussetzung für die Annahme desselben (MünchKomm [X.]/[X.] 5. Aufl. § 242 [X.] Rn. 333; [X.]/[X.]/Olzen [2009] § 242 Rn. 295, 311). Zudem ist in diesem Zusammenhang im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen eine typisierende Betrachtungsweise angezeigt (vgl. [X.] Verjährung und Verwirkung 2. Aufl. Rn. 267; [X.]/[X.] 70. Aufl. § 242 [X.] Rn. 95). Nach einem Betriebs- oder [X.] kann davon ausgegangen werden, dass der [X.] mit zeitlichem Abstand zum Betriebsübergang zunehmend seine Kalkulation auf der Grundlage vorgenommen hat, dass die nach seiner und des Erwerbers Ansicht übergegangenen Arbeitsverhältnisse nicht mehr mit ihm bestehen. Einer konkret feststellbaren Vermögensdisposition des Verpflichteten, dh. des bisherigen Arbeitgebers, bedarf es daher nicht.

ee) Zur Verwirkung des Widerspruchsrechts genügt es, dass einer der Verpflichteten von den vertrauensbildenden Umständen Kenntnis erlangt hat. Daraus folgt, dass immer dann, wenn sich der [X.] auf [X.] berufen könnte, diese auch der [X.] für sich in Anspruch nehmen kann. Neuer und alter Arbeitgeber können sich wechselseitig auf die Kenntnis des anderen vom Arbeitnehmerverhalten berufen, eine nachgewiesene subjektive Kenntnis des in Anspruch genommenen Verpflichteten von einem bestimmten Arbeitnehmerverhalten ist nicht erforderlich, wenn feststeht, dass dieses Verhalten wenigstens dem anderen Verpflichteten bekannt geworden ist (st. Rspr., vgl. [X.] 27. November 2008 - 8 [X.] 174/07 - [X.]E 128, 328 = AP [X.] § 613a Nr. 363 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 106).

Danach käme es für die Annahme der Verwirkung nicht auf die Kenntnis der die Verwirkung begründenden Umstände beim [X.]n an. Allerdings lag diese auch beim [X.]n vor, da der Geschäftsführer der [X.] zugleich Geschäftsführer des [X.]n war.

III. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Volz    

        

    Burr    

                 

Meta

8 AZR 204/10

22.06.2011

Bundesarbeitsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Hamburg, 15. April 2009, Az: 13 Ca 479/08, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.06.2011, Az. 8 AZR 204/10 (REWIS RS 2011, 5573)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5573

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