Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.05.2010, Az. 8 AZR 872/08

8. Senat | REWIS RS 2010, 6430

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Gegenstand

Betriebsübergang - fehlerhafte Unterrichtung - Widerspruch - Verwirkung


Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 5. August 2008 - 6 [X.]/08 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darum, ob zwischen ihnen nach dem Widerspruch des [X.] gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses infolge eines [X.]etriebsübergangs weiter ein Arbeitsverhältnis besteht.

2

Der [X.]läger war seit dem 16. Juni 1999 bei der [X.]eklagten als Einrichter im [X.]ereich „Com [X.]D ([X.]obile Devices)“ beschäftigt. Sein letzter [X.]ruttomonatsverdienst belief sich auf 2.200,00 Euro.

3

Aufgrund eines Vertrages vom 6. Juni 2005 mit der [X.] (Sitz in [X.]) übertrug die [X.]eklagte mit Wirkung vom 30. September 2005 die Vermögensgegenstände dieses Geschäftsbereiches in [X.] im Wege der Einzelrechtsübertragung („Asset Deal“) auf die [X.] (im Folgenden: [X.]). Diese Gesellschaft wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 30. August 2005 gegründet. Gesellschafter waren die [X.] und die [X.] Am 16. September 2005 wurde die [X.] in das Handelsregister beim [X.] eingetragen. Die beiden Gesellschafter der [X.] verfügten über ein Stammkapital von jeweils 25.000,00 Euro. Im Zusammenhang mit der Übertragung der Vermögensgegenstände von der [X.]eklagten auf die [X.] zahlte die [X.]eklagte an die [X.] einen dreistelligen [X.]illionenbetrag.

4

Die [X.]eklagte informierte mit Schreiben vom 29. August 2005 die [X.]itarbeiter des Geschäftsbereiches „Com [X.]D“ ([X.]obile Devices) über die „Übertragung der Aktivitäten“ dieses „[X.]“. Dieses Schreiben hat folgenden Wortlaut:

        

„Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses           

        

Sehr geehrter Herr …

        

wie Ihnen bereits durch verschiedene [X.] bekannt ist, werden unsere Aktivitäten des Geschäftsgebietes Com [X.]D ([X.]obile Devices) zum 01.10.2005 in die [X.] GmbH & Co. OHG (im Folgenden: [X.]) übertragen.

        

[X.] ist ein weltweit führender Anbieter von [X.], wie beispielsweise [X.], [X.], [X.]ameras und Scannern. [X.]nd im Handygeschäft wird [X.] in den nächsten Jahren zu einem führenden globalen Anbieter.

        

In seinem asiatischen Heimatmarkt zählt [X.] schon heute zu den am schnellsten wachsenden Anbietern im [X.]. Durch den Zusammenschluss mit [X.] kann [X.] seine ehrgeizigen internationalen Expansionspläne umsetzen. [X.] bietet [X.] eine globale Organisation mit führenden [X.]arktpositionen in West- und Osteuropa sowie im Wachstumsmarkt Lateinamerika. Zudem erhält [X.] durch den [X.]auf einen starken, weltweit bekannten [X.]arkennamen, [X.]obiltelefontechnologie und Softwarekompetenz sowie globalen Zugang zu der breiten [X.]undenbasis von [X.]. Daneben bekommt [X.] einen auf drei [X.]ontinenten hervorragend etablierten Fertigungsverbund von [X.].

        

Die Übertragung des Geschäftsgebietes erfolgt auf Grund eines [X.]aufvertrags im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf [X.]. [X.]it diesem [X.]etriebsübergang wird gem. § 613a [X.]G[X.] [X.] Ihr neuer Arbeitgeber, der in alle Rechte und Pflichten Ihres Arbeitsverhältnisses mit der [X.] AG eintritt. Es wird also anlässlich des [X.]etriebsübergangs - sofern nicht in der Überleitungsvereinbarung andere Regelungen getroffen sind - unverändert mit [X.] fortgeführt (insbesondere keine Veränderungen bei dem jeweiligen Einkommenssystem, Altersversorgung, Jubiläumsregelung, Dienstzeitregelung). Ebenso gelten die jeweiligen Tarifverträge (einschließlich des Ergänzungstarifvertrags [X.]/[X.]) gem. § 613a [X.]G[X.] weiter.

        

Die Höhe und Zusammensetzung des bisherigen Einkommens bleibt ebenso wie eine bestehende freiwillige, widerrufliche Sonderzulage anlässlich des [X.]etriebsübergangs unverändert.

        

Im Einzelnen gilt für Sie die beiliegende, mit dem Gesamtbetriebsrat der [X.] AG vereinbarte Regelung zur Überleitung der [X.]eschäftigungsbedingungen (Überleitungsvereinbarung), die [X.]estandteil dieses Schreibens ist.

        

Die bestehenden [X.] und örtlichen [X.]etriebsvereinbarungen gelten bis zu einer eventuellen Neuregelung weiter, sofern in der Überleitungsvereinbarung nichts Abweichendes geregelt ist.

        

[X.] haftet ab dem Zeitpunkt des [X.]etriebsübergangs unbeschränkt für alle, auch die rückständigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis.

        

Zusätzlich haftet die [X.] AG für solche Verpflichtungen, die vor dem [X.]etriebsübergang entstanden sind und spätestens ein Jahr danach fällig werden; soweit sie nach dem 1.10.2005 fällig werden, haftet sie nur zeitanteilig.

        

Eine [X.]ündigung wegen des [X.]etriebsübergangs ist gesetzlich gem. § 613a Abs. 4 [X.]G[X.] ausgeschlossen; das Recht zu [X.]ündigungen aus anderen Gründen bleibt unberührt.

        

Sie werden auch nach dem 1.10.2005 durch Ihren bisherigen [X.]etriebsrat weiter betreut; an den Standorten in [X.], [X.] und [X.] / G Strasse gilt dies solange, bis durch Neuwahlen eigene [X.]etriebsratsgremien gewählt sind, längstens bis zum 31.1.2006.

        

Für den Standort [X.] wurde der örtliche [X.]etriebsrat informiert, dass an diesem Standort aufgrund von Produktivitätssteigerungen in der Fertigung der Abbau von ca. 340 [X.]itarbeitern im [X.]ereich der Lohngruppen 2 bis 7 geplant ist.

        

Dem Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses auf [X.] können Sie nach § 613 a Abs. 6 [X.]G[X.] schriftlich widersprechen. Ihr Widerspruch hätte zur Folge, dass Ihr Arbeitsverhältnis nicht auf [X.] übergeht. Wir möchten Sie jedoch bitten, von diesem Recht nur nach sorgfältiger Abwägung Gebrauch zu machen, denn Ihr Widerspruch sichert Ihnen keinen Arbeitsplatz bei der [X.] AG, da die Com [X.]D - Aktivitäten vollständig auf [X.] übertragen werden und damit diese Arbeitsplätze bei der [X.] AG entfallen, so dass es letztlich zu betriebsbedingten [X.]eendigungen des Arbeitsverhältnisses kommen kann.

        

Sollten Sie trotz dieser Überlegungen dennoch widersprechen wollen, bitten wir darum, Ihren etwaigen Widerspruch unverzüglich, jedoch spätestens innerhalb von 1 [X.]onat nach Zugang dieses Schreibens schriftlich an

        

Herrn R [X.], Com HR CG, [X.]

        

oder an

        

Herrn Dr. V E, [X.]

        

zu richten.

        

Für Fragen steht Ihnen Ihre Personalorganisation gerne zur Verfügung.

        

Wir würden uns freuen, wenn Sie mit gleichem Arbeitseinsatz und hoher [X.]otivation Ihre Arbeit bei [X.] weiterführen und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg.

        

...“   

5

Der [X.]läger widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die [X.] zunächst nicht und arbeitete für diese ab dem 1. Oktober 2005 weiter.

6

Nachdem der [X.]läger erfuhr, dass für die [X.] ein Insolvenzverfahren drohte, kündigte er im September 2006 das Arbeitsverhältnis mit der [X.]etriebserwerberin zum 15. Oktober 2006 und wechselte zu einem neuen Arbeitgeber. Die [X.] stellte am 29. September 2006 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, dem zum 1. Januar 2007 stattgegeben wurde.

7

[X.]it Anwaltsschreiben vom 17. April 2007 widersprach der [X.]läger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die [X.]etriebserwerberin gegenüber der [X.]eklagten. Diese wies den Widerspruch mit Schreiben vom 27. April 2007 als unbegründet zurück und kündigte am 22. Oktober 2007 vorsorglich ein etwa bestehendes Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2007. Hiergegen hat der [X.]läger [X.]ündigungsschutzklage vor dem [X.] erhoben (- 8 Ca 3171/07 -).

8

Der [X.]läger meint, er habe auch noch im April 2007 dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen können, weil die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 [X.]G[X.] durch die [X.]nterrichtung der [X.]eklagten über den [X.]etriebsübergang nicht in Gang gesetzt worden sei. Die [X.]nterrichtung sei in mehrfacher Hinsicht grob fehlerhaft erfolgt, die [X.]eklagte habe arglistig Tatsachen verschwiegen.

9

Der [X.]läger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der [X.]eklagten aufgrund der Übernahme der [X.]obilfunksparte der [X.]eklagten durch die [X.] GmbH & Co. OHG nicht beendet worden ist.

Zur [X.]egründung ihres Antrages auf [X.]lageabweisung hat die [X.]eklagte die Ansicht vertreten, den [X.]läger mit Schreiben vom 29. August 2005 ordnungsgemäß nach § 613a Abs. 5 [X.]G[X.] über den beabsichtigten [X.]etriebsübergang unterrichtet zu haben. Daher sei der Widerspruch wegen Ablaufs der einmonatigen Widerspruchsfrist verspätet. Jedenfalls sei aber das Recht zum Widerspruch verwirkt. Durch die Eigenkündigung und den Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber habe der [X.]läger auf sein Widerspruchsrecht verzichtet.

Das Arbeitsgericht hat die [X.]lage abgewiesen. Die [X.]erufung des [X.] blieb vor dem [X.] ohne Erfolg. [X.]it der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der [X.]läger sein [X.]lageziel weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist unbegründet, da die Klage unbegründet ist. Das zwischen den Parteien früher bestehende Arbeitsverhältnis ist ab 1. Oktober 2005 nach § 613a Abs. 1 [X.] auf die [X.] übergegangen. Der von dem Kläger am 17. April 2007 gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses erklärte Widerspruch ist wegen Verwirkung unwirksam.

A. Das [X.] hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Zwar sei die Unterrichtung der Beklagten über den Betriebsübergang nach § 613a Abs. 5 [X.] fehlerhaft gewesen und habe die Widerspruchsfrist nicht in Gang gesetzt. Der Kläger habe aber sein Recht zum Widerspruch verwirkt. Dies ergebe sich einmal aus dem langen Zeitraum zwischen Betriebsübergang und der vorausgegangenen Information einerseits und dem Widerspruch des [X.] im April 2007 andererseits. Der Kläger habe zum anderen das Umstandsmoment verwirklicht, da er vor Ausübung des Widerspruchsrechts eine Eigenkündigung erklärt habe. Davon wie von dem Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber habe die Beklagte im September 2006 Kenntnis erhalten, da sie aufgrund eines Dienstleistungsvertrages mit der [X.] deren Personalakten führte und somit auch über den konkreten Verlauf des Arbeitsverhältnisses des [X.] im Bild war.

B. Die Entscheidung des [X.]s hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

I. Die Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis des [X.] aufgrund seines Widerspruchs vom 17. April 2007 nicht zum 1. Oktober 2005 auf die [X.] übergegangen ist, sondern mit der Beklagten fortbesteht, ist unbegründet.

1. In einer Reihe von gleichgelagerten Fällen hat der [X.] entschieden, dass das Unterrichtungsschreiben der Beklagten vom 29. August 2005 über den beabsichtigten [X.] auf die [X.] den Anforderungen des § 613a Abs. 5 [X.] nicht genügt (vgl. 25. Februar 2010 - 8 [X.] -; 23. Juli 2009 - 8 [X.] - [X.] § 613a Unterrichtung Nr. 10 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 114 und 23. Juli 2009 - 8 [X.] - [X.] § 613a Widerspruch Nr. 10 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 113).

2. Die unzulängliche Unterrichtung durch die Beklagte hatte die einmonatige Widerspruchsfrist für den Kläger (§ 613a Abs. 6 Satz 1 [X.]) nicht in [X.] gesetzt (st. Rspr., vgl. [X.] 22. Januar 2009 - 8 [X.] - mwN, [X.] § 613a Unterrichtung Nr. 4 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 105).

3. Das Recht des [X.] zum Widerspruch war im Zeitpunkt seiner Ausübung am 17. April 2007 verwirkt.

a) Der [X.] hat bereits mehrmals entschieden, dass das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers verwirken kann (vgl. zB 24. Juli 2008 - 8 [X.]/07 - [X.] § 613a Nr. 347).

Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 [X.]). Mit der Verwirkung wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat ([X.]). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist.

Schon nach der Rechtsprechung des [X.] vor dem Inkrafttreten des § 613a Abs. 5 und 6 [X.] konnte das Widerspruchsrecht wegen Verwirkung ausgeschlossen sein. An dieser Rechtsprechung hat der [X.] im Einklang mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum auch nach der neuen Rechtslage festgehalten. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber eine Widerspruchsfrist eingeführt hat, schließt eine Anwendung der allgemeinen Grundsätze nicht aus, weil jedes Recht nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von [X.] und Glauben ausgeübt werden kann (15. Februar 2007 - 8 [X.] - mwN, [X.], 289 = [X.] § 613a Nr. 320 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 64).

Angesichts der gesetzlichen Regelung kann hinsichtlich des [X.]s nicht auf eine feststehende Monatsfrist, beispielsweise von sechs Monaten abgestellt werden. Im Gesetzgebungsverfahren sind nämlich Vorschläge auf Aufnahme einer generellen Höchstfrist von drei ([X.]. 831/1/01 S. 2) bzw. sechs Monaten (BT-Drucks. 14/8128 S. 4) nicht aufgegriffen worden. Abzustellen ist vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalles ([X.] 15. Februar 2007 - 8 [X.] - [X.] 121, 289 = [X.] § 613a Nr. 320 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 64). Dabei ist, wie der [X.] bereits zur Verwirkung der Geltendmachung eines Betriebsübergangs (27. Januar 2000 - 8 [X.] -) ausgeführt hat, davon auszugehen, dass bei schwierigen Sachverhalten die Rechte des Arbeitnehmers erst nach längerer Untätigkeit verwirken können. Außerdem ist die Länge des Zeitablaufes in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner unzumutbar machen, sind, desto schneller kann ein Anspruch verwirken. Es müssen letztlich besondere Verhaltensweisen sowohl des Berechtigten als auch des Verpflichteten vorliegen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit [X.] und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen ([X.] 15. Februar 2007 - 8 [X.] - mwN, aaO).

b) Die Beurteilung der Frage, ob ein Recht verwirkt ist, obliegt zwar grundsätzlich den [X.]en, die den ihnen zur Begründung des [X.] vorgetragenen Sachverhalt eigenverantwortlich zu würdigen haben (vgl. [X.] 17. Januar 2007 - 7 [X.] - [X.] AÜG § 10 Fiktion Nr. 116). Vom Revisionsgericht ist das Berufungsurteil jedoch darauf zu überprüfen, ob das [X.] die von der Rechtsprechung entwickelten rechtlichen Voraussetzungen der Verwirkung beachtet sowie alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat und ob die Bewertung dieser Gesichtspunkte von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen wird (vgl. [X.] 12. Dezember 2006 - 9 [X.] - mwN, EzA [X.] 2002 § 242 Verwirkung Nr. 1).

c) Vorliegend hat das [X.] die Voraussetzungen für eine Verwirkung des Widerspruchsrechts im Ergebnis richtig bestimmt.

aa) Das [X.] ist erfüllt.

Die Frist für das für die Verwirkung maßgebliche [X.] beginnt nicht erst mit der umfassenden Unterrichtung des Arbeitnehmers über den Betriebsübergang und seine Folgen zu laufen (vgl. [X.] 27. November 2008 - 8 [X.] - [X.] § 613a Nr. 363 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 106). Damit setzt auch nicht erst die Kenntnis des Arbeitnehmers von der Fehlerhaftigkeit der Unterrichtung die Frist für die Beurteilung des Vorliegens des [X.]s in [X.]. Bei dem [X.] handelt es sich nicht um eine gesetzliche, gerichtliche oder vertraglich vorgeschriebene Frist, für welche bestimmte Anfangs- und Endzeitpunkte gelten, die in den §§ 186 ff. [X.] geregelt sind. Vielmehr hat bei der Prüfung, ob ein Recht verwirkt ist, eine Gesamtbetrachtung stattzufinden, bei der das Zeit- und das Umstandsmoment zu berücksichtigen und in Relation zu setzen sind.

Erfolgt die Prüfung entsprechend diesen Grundsätzen, so ist es nicht geboten, ähnlich wie bei gesetzlichen, gerichtlichen oder vertraglichen Fristen für das so genannte [X.] einen bestimmten Fristbeginn, wie etwa die Kenntnis des Berechtigten von bestimmten Tatsachen festzulegen. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob der Verpflichtete aufgrund des Zeitablaufes, in dem der Berechtigte sein Recht nicht ausgeübt hat, und den Umständen des Einzelfalles, zu denen auch der jeweilige Informationsstand des Berechtigten gehört, darauf vertrauen durfte, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Grundsätzlich ist der gesamte Zeitablauf seit der Rechtsentstehung von Bedeutung, im Falle der Beklagten jedenfalls der Zeitraum ab Ende September 2005, weil zu diesem Zeitpunkt die aus ihrer Sicht durch ihr Unterrichtungsschreiben vom 29. August 2005 in Gang gesetzte gesetzliche einmonatige Widerspruchsfrist (§ 613a Abs. 6 Satz 1 [X.]) für den Kläger ablief.

Der Kläger hat sein Widerspruchsrecht erst über 18 Monate nach dem vollzogenen Betriebsübergang vom 1. Oktober 2005 ausgeübt, nämlich mit Anwaltsschreiben vom 17. April 2007. Vor Ablauf eines Monats nach der Unterrichtung in Schriftform muss der Arbeitgeber wegen der in § 613a Abs. 6 Satz 1 [X.] normierten Monatsfrist mit einem Widerspruch des Arbeitnehmers rechnen. Durch die Unterrichtung über den Betriebsübergang gibt der Arbeitgeber grundsätzlich zu erkennen, dass er mit dieser die Widerspruchsfrist von einem Monat in Gang setzen will und nach Fristablauf die Erklärung von Widersprüchen nicht mehr erwartet ([X.] 23. Juli 2009 - 8 [X.] - [X.] § 613a Widerspruch Nr. 10 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 113).

Dies gilt auch, wenn die Unterrichtung unvollständig oder fehlerhaft war. Der Zeitraum von über 19 Monaten zwischen der Unterrichtung über den Betriebsübergang und der Erklärung des Widerspruchs und von über 18 Monaten nach Ablauf der hypothetischen gesetzlichen Widerspruchsfrist ist nach der Rechtsprechung des [X.]s grundsätzlich geeignet, das Vorliegen des [X.]s zu bejahen und erfüllt im Streitfall insbesondere auch deshalb das [X.], weil der Kläger durch die Eigenkündigung und die Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses mit einem dritten Arbeitgeber ein besonders gewichtiges Umstandsmoment gesetzt hatte (vgl. 25. Februar 2010 - 8 [X.] - und 2. April 2009 - 8 [X.]/07 - [X.] § 613a Widerspruch Nr. 6).

bb) Der Kläger hat durch die Eigenkündigung im September 2006 zum 15. Oktober 2006 und die sich anschließende Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses zu einem dritten Arbeitgeber das Umstandsmoment verwirklicht.

Das Umstandsmoment ist erfüllt, wenn der Arbeitgeber davon ausgehen durfte, der Widerspruch werde nicht mehr ausgeübt. Dies ist dann der Fall, wenn er aufgrund des Verhaltens des Arbeitnehmers annehmen durfte, dieser habe den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den [X.] und diesen damit als seinen neuen Arbeitgeber akzeptiert (vgl. [X.] 27. November 2008 - 8 [X.]/07 -; 21. August 2008 - 8 AZR 407/07 - [X.] § 613a Nr. 348). Dies ist regelmäßig dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gegenüber dem [X.] disponiert hat (vgl. [X.] 27. November 2008 - 8 [X.] - [X.] § 613a Nr. 363 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 106; 20. März 2008 - 8 [X.], 1354).

Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer (zunächst) widerspruchslos beim [X.] weiterarbeitet und von diesem die Arbeitsvergütung entgegennimmt, stellt ebenso wenig eine Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses dar (vgl. [X.] 27. November 2008 - 8 [X.]/07 -; 24. Juli 2008 - 8 [X.]/07 - [X.] § 613a Nr. 347) wie Vereinbarungen mit dem [X.], durch welche einzelne Arbeitsbedingungen, zB Art und Umfang der zu erbringenden Arbeitsleistung oder die Höhe der Arbeitsvergütung, geändert werden. Als Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses stellen sich nur solche Vereinbarungen oder Verhaltensweisen des Arbeitnehmers dar, durch welche es zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommt, zB Abschluss eines Aufhebungsvertrages ([X.] 27. November 2008 - 8 [X.] - [X.] § 613a Nr. 363 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 106) bzw. die Hinnahme einer vom [X.] ausgesprochenen Kündigung ([X.] 24. Juli 2008 - 8 [X.]/07 - aaO), oder durch welche das Arbeitsverhältnis auf eine völlig neue rechtliche Grundlage gestellt wird (zB die Begründung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses; [X.] 23. Juli 2009 - 8 [X.] - [X.] § 613a Widerspruch Nr. 10 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 113).

Aufgrund der Eigenkündigung und der Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses mit einem dritten Arbeitgeber durfte die Beklagte davon ausgehen, der Kläger werde sein Widerspruchsrecht nicht mehr ausüben (Erfüllung des [X.]).

4. Entgegen den mit der Revision vorgebrachten Überlegungen ist es unerheblich, ob und ggf. ab wann die Beklagte von der Eigenkündigung des [X.] und seinem neuen Arbeitsverhältnis Kenntnis hatte und wodurch. Auf die Verletzung etwaiger Datenschutzbestimmungen, auf die sich der Kläger beruft, kommt es nicht an, da sich die Beklagte auf Verwirkung berufen darf, unabhängig davon, ob ihr alle von dem Kläger verwirklichten [X.] bekannt geworden sind.

Bei der Verwirkung des Widerspruchsrechts im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang genügt es, dass einer der Verpflichteten von den vertrauensbildenden Umständen Kenntnis hat. Jedenfalls im unmittelbaren Verhältnis zwischen [X.] und [X.] sieht das Gesetz grundsätzlich eine gemeinsame Verpflichtung und Berechtigung beider aus dem Arbeitsverhältnis vor. Daraus folgt, dass immer dann, wenn sich der [X.] als neuer Arbeitgeber mit Erfolg auf [X.] berufen könnte, diese auch der [X.] als früherer Arbeitgeber für sich in Anspruch nehmen darf.

Die Unterrichtungspflicht des § 613a Abs. 5 [X.] trifft als Gesamtschuldner sowohl den bisherigen Arbeitgeber als auch den neuen Betriebsinhaber. Der von einem Betriebsübergang betroffene Arbeitnehmer erlangt die Fortdauer seines Widerspruchsrechts sowohl durch Informationsfehler des einen wie des anderen. Wenn das Gesetz in der Frage der Informationspflicht zum Betriebsübergang den alten und neuen Arbeitgeber als Einheit sieht, legt dies nahe, [X.] und [X.] auch hinsichtlich des Informationsstandes zum Arbeitnehmerverhalten einheitlich aufzufassen. Auch Art. 3 Abs. 2 der [X.] 2001/23/[X.] fingiert einen gleichen Informationsstand von Veräußerer und Erwerber über die Rechte und Pflichten der übergegangenen Arbeitsverhältnisse. Entscheidend kommt hinzu, dass nach § 613a Abs. 6 Satz 2 [X.] der Arbeitnehmer den Widerspruch sowohl gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber ([X.]) als auch gegenüber dem neuen Inhaber ([X.]) erklären darf. Der Widerspruch kann aber nicht gegenüber dem neuen Arbeitgeber verwirkt sein, weil dieser die eingetretenen „Umstände“ kennt, gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber wegen dessen Unkenntnis jedoch nicht. Für das Schuldverhältnis von [X.] und [X.] als Gesamtschuldner gegenüber dem Arbeitnehmer als Berechtigtem ist in § 613a [X.], insbesondere in dessen Abs. 6, „ein anderes“ normiert (§ 425 Abs. 1 [X.]). Neuer und alter Arbeitgeber dürfen sich wechselseitig auf die Kenntnis des anderen vom Arbeitnehmerverhalten berufen. Eine nachgewiesene Kenntnis des in Anspruch genommenen Verpflichteten von einem bestimmten Arbeitnehmerverhalten ist nicht erforderlich, wenn feststeht, dass dieses Verhalten wenigstens dem anderen Verpflichteten bekannt geworden ist ([X.] 23. Juli 2009 - 8 [X.] - [X.] § 613a Widerspruch Nr. 10 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 113; 2. April 2009 - 8 [X.]/07 - [X.] § 613a Widerspruch Nr. 6).

5. Indem die Beklagte sich auf die Verwirkung des Widerspruchsrechts beruft, verstößt sie nicht ihrerseits gegen [X.] und Glauben (§ 242 [X.]).

a) Das [X.] hat nur festgestellt, dass die Beklagte nicht ausreichend informiert hat. Es hat jedoch nicht ausdrücklich festgestellt, dass die Beklagte bewusst und zielgerichtet Falschinformationen weitergegeben hat, um die Arbeitnehmer und damit auch den Kläger von einem Widerspruch abzuhalten. Dagegen hat der Kläger keinen zulässigen und begründeten Revisionsangriff erhoben, sodass der [X.] an diese Feststellungen gebunden ist (§ 559 Abs. 2 ZPO). Weiter hat der Kläger selbst in der Revisionsinstanz eingeräumt, mit seiner Eigenkündigung auf eine für ihn deutlich gewordene wirtschaftliche Schieflage der [X.]in reagiert zu haben. Dies steht im Widerspruch zu seinem Vorbringen, er sei durch arglistige Täuschung im Informationsschreiben vom 29. August 2005 von der Einlegung eines Widerspruchs abgehalten worden. Denn als er erkannte oder erkennen musste, dass die von der Beklagten gegebenen Informationen falsch waren, reagierte er nicht mit einem Widerspruch, sondern mit einer Eigenkündigung des auf die [X.]in übergegangenen Arbeitsverhältnisses. Der Kläger zog es vor, ein neues, ganz anderes Arbeitsverhältnis zu begründen.

b) Im Übrigen führt auch die nicht ordnungsgemäße Unterrichtung über den [X.] nicht dazu, dass die Beklagte sich nicht auf die Verwirkung des Widerspruchsrechts berufen könnte. Dies wäre ein widersinniges Ergebnis. Einerseits behielte der Kläger sein Widerspruchsrecht wegen der fehlerhaften Unterrichtung länger, als in § 613a Abs. 6 Satz 1 [X.] normiert. Andererseits könnte das Widerspruchsrecht deshalb nicht verwirken, weil der Kläger nicht entsprechend den Vorgaben des § 613a Abs. 5 [X.] unterrichtet worden war. Dies hätte zur Folge, dass im Falle einer fehlerhaften Unterrichtung durch den alten Arbeitgeber eine Verwirkung des Rechts zum Widerspruch in der Regel nicht eintreten könnte. Dies widerspräche dem Grundsatz, dass jedes Recht verwirken kann.

II. Der Kläger hat nach § 97 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Döring    

        

    Schuckmann    

                 

Meta

8 AZR 872/08

20.05.2010

Bundesarbeitsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Wesel, 6. Februar 2008, Az: 8 Ca 1702/07, Urteil

§ 613a Abs 1 BGB, § 613a Abs 5 BGB, § 613a Abs 6 S 1 BGB, § 186 BGB, § 242 BGB, § 425 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.05.2010, Az. 8 AZR 872/08 (REWIS RS 2010, 6430)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6430

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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