Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.10.2008, Az. 2 StR 391/08

2. Strafsenat | REWIS RS 2008, 1440

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 391/08 vom 15. Oktober 2008 in der Strafsache gegen wegen Raubes u. a. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 15. Oktober 2008, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am [X.] Dr. [X.], [X.] am [X.] [X.], [X.]in am [X.] Roggenbuck, [X.] am [X.] [X.], Prof. Dr. [X.], Oberstaatsanwalt beim [X.] als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 29. Februar 2008 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen wurde. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an ei-ne andere [X.] des [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen "Raubes in einem minder schweren Fall in Tateinheit mit Körperverletzung sowie der versuchten räuberi-schen Erpressung in sechs Fällen und der Nötigung in vier Fällen" unter Einbe-ziehung einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs [X.] verurteilt und die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt. 1 Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die [X.] der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschränkt. Sie hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Entscheidung des [X.], die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abzulehnen, weil ein Hang des Angeklagten zur [X.] - 4 [X.] erheblicher strafbarer Handlungen nicht sicher festzustellen sei, hält [X.] Überprüfung nicht stand. [X.] 1. Der heute 29-jährige vielfach vorbestrafte Angeklagte konsumierte be-reits im Alter von neun Jahren Alkohol sowie Nikotin und beging kleinere Straf-taten. Mit 12 Jahren begann er mit dem [X.] von Cannabis und Kokain. [X.] anderem durch Urteil des [X.] [X.] vom 17. Mai 1995 wurde er - damals 15 Jahre alt - wegen "versuchten Mordes in Tateinheit mit räuberi-schem Angriff auf einen Kraftfahrer in Tateinheit mit versuchtem schweren Raub" zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Gemeinsam mit einem Freund hatte er versucht, einen Taxifahrer unter Zuhilfenahme eines zuvor selbst gefertigten [X.] und eines Messers zu töten, um sich in den Besitz des Taxis zu bringen, was nur an dem heftigen Widerstand des an-schließend schwer traumatisierten Opfers scheiterte. 3 Wegen "gemeinschaftlichen schweren Raubes" wurde er am 21. Juni 2000 erneut zu einer Jugendstrafe von drei Jahren, am 30. August 2005 nun-mehr als Erwachsener wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheits-strafe von "vier Monaten und vier Wochen" und zuletzt am 24. Januar 2007 we-gen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheits-strafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. 4 2. Nach seiner letzten Haftentlassung lebte der Angeklagte - wie bereits zuvor - erneut von illegalen Einkünften unter anderem aus dem Drogenhandel. Am 13. November 2006 begab er sich zu einem seiner Drogenabnehmer, trat dessen Wohnungseingangstür ein, schlug ihm ins Gesicht, raubte dessen [X.] und zwang ihn unter der Drohung, ihm ansonsten die Ohren abzuschnei-den, sich in verschiedene Handy-Shops zu begeben, um dort zwecks [X.] - 5 - gung von Handys entsprechende Verträge abzuschließen, was in allen Fällen misslang. Weiterhin zwang er sein Opfer unter Verwendung einer auf einen Dritten ausgestellten EC-Karte in Supermärkten und Textilgeschäften für ihn einzukaufen. Schließlich misshandelte er - insoweit nicht abgeurteilt - einen an-deren Drogenabnehmer, in dessen Wohnung er sich gegen seinen [X.]en ein-quartiert hatte. Bei all diesen Taten war die Schuldfähigkeit des Angeklagten, einer Persönlichkeit mit dissozialen Zügen, trotz vorausgegangenem [X.] von "liquid Ecstasy" und Cannabis - nicht erheblich eingeschränkt; [X.] war bei ihm keine Drogenabhängigkeit zu erkennen. 3. Die [X.] hat - obwohl der Sachverständige aus medizinisch-psychiatrischer Sicht eine ungünstige Rückfallprognose gestellt hatte - die [X.] in der Sicherungsverwahrung mit der Begründung abgelehnt, die Voraussetzungen für einen Hang zu erheblichen Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB lägen bei normativer Betrachtung nicht vor. Der noch junge Angeklagte habe sich durch das jetzige Strafverfahren und die bislang verbüßte Haft beeindruckt gezeigt und glaubhaft angegeben, sich tief-gehendere Gedanken um seine Zukunft und die seiner Kinder zu machen. Er wolle seine kriminelle Karriere beenden und während der bevorstehenden Haft die Hochschulreife erwerben, um anschließend ein Studium im Medienbereich aufzunehmen, wodurch er Kontakt mit einem anderen Personenkreis erhalten würde. Vor diesem Hintergrund sei eine Therapiemöglichkeit hinsichtlich der bei dem Angeklagten bestehenden Dissozialität gegeben, so dass die Prognose hinsichtlich seiner Gefährlichkeit für die Allgemeinheit "nicht ganz negativ" zu beurteilen sei. 6 Im Übrigen wäre die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungs-verwahrung unverhältnismäßig, da die [X.] nur zu geringen wirtschaftli-chen Schäden geführt hätten und die angewandte Gewalt in den unteren [X.] - 6 - reich denkbarer Gewaltanwendungen einzuordnen sei. Zudem habe sich der Angeklagte schon im Oktober 2006 noch vor Begehung der [X.] den Strafverfolgungsbehörden stellen wollen, was dann allerdings doch nicht [X.] sei. I[X.] 1. Die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsver-wahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB ergeben sich rechtsfehlerfrei aus dem angefochtenen Urteil, so dass es darauf ankommt, ob auch die materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind. 8 2. Die Begründung, mit der das [X.] einen "Hang zu erheblichen Straftaten" im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB bei dem Angeklagten verneint hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar ist der Tatrichter nicht gehindert, von dem Gutachten eines vernommenen Sachverständigen abzuweichen; denn dieses kann stets nur eine Grundlage der eigenen Über-zeugungsbildung sein. [X.] der Tatrichter jedoch eine Frage, zu der er einen Sachverständigen gehört hat, in Widerspruch zu dessen Gutachten lösen, muss er sich in einer Weise mit den Darlegungen des Sachverständigen ausein[X.]etzen, die erkennen lässt, dass er mit Recht eigene Sachkunde in [X.] genommen hat ([X.], 114; [X.]/[X.] in [X.]. § 66 Rdn. 247). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Tatrichter das Sachverständigengutachten als von zutreffenden Anknüpfungspunkten ausge-hend, nachvollziehbar und überzeugend charakterisiert ([X.]). An einer sol-chen Auseinandersetzung fehlt es hier. Die Urteilsgründe sind lückenhaft und weisen [X.] auf. 9 a) Das Merkmal des Hangs verlangt einen eingeschliffenen Zustand des [X.], der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. [X.] ist [X.] - 7 - nach derjenige, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist, oder der aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung, deren Ursache unerheblich ist, immer [X.] straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Das Vorliegen eines solchen Hanges hat der Tatrichter unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des [X.] und seiner Taten maßgebenden Umstände darzulegen ([X.], 27 f; 2005, 265 f; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1 und 8; [X.]/[X.] aaO § 66 Rn. 126 ff.). b) Daran gemessen ist die von der [X.] vorgenommene Ge-samtwürdigung des [X.] und seiner Taten lückenhaft. So setzt sich das [X.] nicht damit auseinander, dass die bei dem Angeklagten diagnosti-zierte dissoziale Persönlichkeit - die Missachtung [X.] Normen, die Unfähig-keit zum Lernen aus Erfahrung, seine große Gewaltbereitschaft - ihren Ur-sprung bereits in seiner Kindheit findet; so begann seine polytrope Delinquenz schon geraume Zeit vor seiner Strafmündigkeit und zog sich wie ein roter Fa-den durch sein bisheriges Leben. Sämtliche zur Bewährung ausgesetzte Stra-fen oder nach Teilverbüßung ausgesetzte Strafreste mussten nach Widerruf vollständig vollstreckt werden ([X.]), eine während einer früheren [X.] begonnene Sozialtherapie musste abgebrochen werden ([X.]). Zwar hat sich der Angeklagte während der Haft jeweils angepasst verhalten, seinen Realschulabschluss erworben und eine Ausbildung absolviert ([X.], 62). Dies hat ihn jedoch in keinem Fall davon abgehalten, sich nach den jeweiligen Haft-entlassungen unter Ausschlagung sämtlicher Hilfsangebote sofort wieder in das kriminelle Milieu sowie in die Drogenszene einzugliedern und binnen kürzester Zeit erhebliche Straftaten zu begehen. Hinzu kommt eine geringe [X.], die nur mäßige Einsicht in seine vorhandene dissoziale Störung ([X.]3) sowie seine nur eingeschränkte Fähigkeit zur Beibehaltung längerfristiger Beziehungen ([X.]1). 11 - 8 - Diese ungünstigen Prognosemerkmale hätte das [X.] nicht nur erwähnen, sondern im Rahmen der von ihm zu erstellenden Gefahrenprognose den wenig konkreten Absichtserklärungen des Angeklagten gegenüberstellen und in die Gesamtabwägung einbeziehen müssen. Die bloße Möglichkeit oder allein die Hoffnung auf künftige Besserung vermag jedenfalls die Gefahr im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht auszuräumen. 12 c) Darüber hinaus weist die vom [X.] vorgenommene Gesamt-würdigung [X.] auf. So ist es bereits für sich genommen nicht nach-vollziehbar, angesichts der Schwere der [X.] - Raub in Tateinheit mit Körperverletzung (Einsatzstrafe zwei Jahre und neun Monate), räuberische Er-pressungen und Nötigungen - die Verhältnismäßigkeit einer Maßregelanord-nung abzulehnen. Hinzu kommt, - was das [X.] verkennt - dass in die Gesamtbetrachtung nicht nur die [X.], sondern auch die die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB begründenden Symptomtaten - darun-ter ein versuchter Mord - einzubeziehen sind ([X.], 39). 13 d) Das Urteil beruht auf diesen Fehlern. Der [X.] kann nicht ausschlie-ßen, dass die [X.] bei rechtsfehlerfreier Würdigung zu der Annahme eines Hanges und der Verhältnismäßigkeit der Maßregel und damit letztlich zur Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gelangt wäre. Über die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist deshalb neu zu befinden. 14 - 9 - Für die neue Hauptverhandlung weist der [X.] darauf hin, dass - [X.] als das [X.] offenbar meint ([X.]) - bei Vorliegen der Vorausset-zungen des § 66 Abs. 1 StGB die Maßregelanordnung zwingend ist und nicht wie in den Fällen des § 66 Abs. 2 und 3 StGB im Ermessen des Gerichts steht. 15 [X.] [X.] Roggenbuck Appl [X.]

Meta

2 StR 391/08

15.10.2008

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.10.2008, Az. 2 StR 391/08 (REWIS RS 2008, 1440)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 1440

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