Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.11.2013, Az. 9 AZR 727/12

9. Senat | REWIS RS 2013, 1277

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Gegenstand

Urlaubsabgeltung - lang andauernde Arbeitsunfähigkeit


Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 11. Juli 2012 - 5 [X.] - wird zurückgewiesen.

2. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 11. Juli 2012 - 5 [X.] - teilweise aufgehoben.

3. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. März 2011 - 4 Ca 3439/10 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

 Die Klage wird abgewiesen.

4. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Abgeltung von insgesamt 79 Urlaubstagen abzüglich bereits gezahlter Urlaubsabgeltung.

2

Der 1970 geborene Kläger war bei der Beklagten als Lagerist in der [X.] vom 20. Mai 2003 bis zum 31. August 2010 beschäftigt. Sein monatliches Bruttoentgelt betrug zuletzt 1.900,00 [X.]. Nach § 9 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags vom 3. Januar 2004 fanden auf das Arbeitsverhältnis die jeweils gültigen Tarifverträge für die Arbeitnehmer in den [X.] Betrieben des Groß- und Außenhandels Anwendung. Im maßgeblichen [X.] für die Arbeitnehmer/innen in den [X.] Betrieben des Groß- und Außenhandels und der Verbundgruppen in der ab dem 1. September 2008 geltenden Fassung ([X.]) heißt es zum Urlaub ua. wie folgt:

        

§ 14 

        

Urlaub

        

…       

        

3.    

Arbeitnehmer/innen, die im Laufe eines Kalenderjahres eintreten oder ausscheiden, erhalten je vollen Monat der Betriebszugehörigkeit 1/12 des Jahresurlaubs.

        

…       

        
        

6.    

Im Übrigen gelten die Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes.

        

…       

        
        

8.    

Urlaubsdauer

                 

Der Urlaub beträgt in Arbeitstagen ([X.])

                 

…       

                 

nach Vollendung des 25. Lebensjahres

29 Arbeitstage

                 

nach Vollendung des 40. Lebensjahres

30 Arbeitstage.

        

…       

        

§ 19   

        

Geltendmachung von Ansprüchen

        

…       

        

2.    

Gegenseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind innerhalb der beiderseitigen Ausschlussfrist von zwei Monaten seit Fälligkeit des Anspruchs schriftlich geltend zu machen. Wird der Anspruch schriftlich abgelehnt, so ist innerhalb von zwei Monaten nach Ablehnung Klage zu erheben. Werden diese Fristen nicht eingehalten, so verfällt der Anspruch ersatzlos.

        

…“    

        

3

Der Kläger war vom 29. Juli 2008 bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses am 31. August 2010 arbeitsunfähig krank. [X.] gewährte ihm die Beklagte 8 Urlaubstage. Die Urlaubsvergütung betrug je Urlaubstag 87,69 [X.] brutto. Die Beklagte zahlte an den Kläger nach entsprechender Abrechnung vom 30. September 2010 eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 4.018,56 [X.] brutto. In der Abrechnung heißt es zu diesem Zahlbetrag „Urlaubsabgeltung“. In einer von der Beklagten gefertigten Aufstellung errechnete sie die Urlaubsabgeltungsansprüche wie folgt:

        

Jahr 2008

13 Tage abzugeltender Urlaub in Höhe von 1.135,68 [X.]

        

Jahr 2009

20 Tage abzugeltender Urlaub in Höhe von 1.747,20 [X.]

        

Jahr 2010

13 Tage abzugeltender Urlaub in Höhe von 1.135,68 [X.]

4

Die Berechnung der Urlaubsabgeltung ist dem Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] am 15. Februar 2012 übergeben worden. Auf der Grundlage einer Abrechnung vom 31. Januar 2011 zahlte die Beklagte an den Kläger eine weitere Urlaubsabgeltung in Höhe von 524,16 [X.] brutto. In der Abrechnung heißt es hierzu wiederum lediglich „Urlaubsabgeltung“. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2010 hatte der Kläger die Beklagte zuvor mit Fristsetzung zum 15. November 2010 aufgefordert, weitere 2.908,95 [X.] Urlaubsabgeltung zu zahlen. Er berechnete seinen abzugeltenden Urlaub wie folgt:

        

„Rest 2008

21 Tage

        

Urlaub 2009

29 Tage

        

Urlaub 2010

29 Tage

        

Gesamt:

79 Tage“

        

5

Der Kläger errechnete hieraus einen Abgeltungsbetrag in Höhe von 6.927,51 [X.] abzüglich bereits gezahlter 4.018,56 [X.]. Die spätere Zahlung in Höhe von 524,16 [X.] brutto war darin noch nicht berücksichtigt.

6

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.384,79 [X.] brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2010 zu zahlen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 1.595,58 [X.] brutto stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das [X.] hat der Klage auf die Berufung der Beklagten in Höhe von 164,83 [X.] brutto stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die Anschlussberufung des [X.] hat es zurückgewiesen. Mit der für beide Parteien zugelassenen Revision verfolgen diese ihre ursprünglichen Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe

9

A. Die Revision des [X.] ist unbegründet. Die Revision der [X.]n ist begründet. Das [X.] hat der Klage zu Unrecht in Höhe von 164,83 Euro brutto stattgegeben, anstatt sie insgesamt abzuweisen. Die [X.] ist nicht verpflichtet, weiteren Urlaub gemäß § 7 Abs. 4 [X.] abzugelten.

I. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses standen dem Kläger noch 49 Tage Urlaub zu.

1. Etwaige Urlaubsansprüche (gesetzlicher Urlaub nach dem [X.] und tariflicher Mehrurlaub) des [X.] aus dem [X.] sind am 31. März 2010 und damit vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 3 [X.] erloschen. [X.] konnten damit nicht mehr entstehen.

Besteht die Arbeitsunfähigkeit auch am 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres fort, so gebietet auch das Unionsrecht keine weitere Aufrechterhaltung des Urlaubsanspruchs (vgl. [X.] 22. November 2011 - [X.]/10 - [[X.]] Rn. 38, Slg. 2011, [X.]). Der zunächst aufrechterhaltene Urlaubsanspruch erlischt somit gemäß § 7 Abs. 3 [X.] zu diesem Zeitpunkt (vgl. [X.] 7. August 2012 - 9 [X.] - Rn. 32 ff.). Der [X.] sieht zugunsten des [X.] keine längere Übertragungsdauer vor. Er regelt die Übertragung von Urlaub nicht, sondern verweist in § 14 Ziff. 6 allgemein auf die Bestimmungen des [X.].

2. Für das [X.] standen dem Kläger bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch 29 Tage Urlaub zu.

a) Gemäß § 14 Ziff. 8 [X.] beträgt der jährliche Urlaubsanspruch nach Vollendung des 25. und bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres 29 Arbeitstage.

b) Dieser Urlaubsanspruch war zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht verfallen. Ein Verfall nach § 7 Abs. 3 [X.] hätte erst am 31. März 2011 und damit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintreten können. Dies gilt nicht nur für den gesetzlichen Urlaub, sondern nach § 14 Ziff. 6 [X.] auch für den tariflichen Mehrurlaubsanspruch, da der [X.] auch für den Verfall auf das [X.] verweist.

3. Für das [X.] standen dem Kläger bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses 20 Tage gesetzlicher Urlaub zu.

a) Es war der volle gesetzliche Mindesturlaub entstanden. Der Kläger hatte die sechsmonatige Wartezeit des § 4 [X.] erfüllt. Da er nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, fand keine [X.] des Urlaubsanspruchs nach § 5 [X.] statt (Umkehrschluss aus § 5 Abs. 1 Buchst. c [X.] ). Der nach § 14 Ziff. 3 [X.] gekürzte tarifliche Urlaubsanspruch hätte ebenfalls (höchstens) 20 Tage betragen.

b) Eine Kürzung des gesetzlichen Urlaubs kommt auch nach dem [X.] nicht in Betracht. Eine tarifliche [X.] des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nach erfüllter Wartezeit ist nach § 13 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 3 Abs. 1 [X.] unzulässig ([X.] 20. Januar 2009 - 9 [X.]/07 - Rn. 21).

c) Der gesetzliche Urlaubsanspruch für das [X.] hätte nach § 7 Abs. 3 [X.] erst zum 31. März 2012 und damit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen können.

4. Entgegen der Auffassung der [X.]n sind die Urlaubsansprüche des [X.] nicht vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der tariflichen Ausschlussfristen in § 19 Ziff. 2 [X.] verfallen. Tarifliche Ausschlussfristen sind auf Urlaubsansprüche regelmäßig nicht anwendbar ([X.] 18. November 2003 - 9 [X.] - zu [X.] 1 d der Gründe, [X.]E 108, 357). Denn der Urlaubsanspruch unterliegt nach § 7 [X.] einem eigenständigen Fristenregime. Das gilt hier auch für etwaige tarifliche Mehrurlaubsansprüche. Die gegenüber § 19 Ziff. 2 [X.] speziellere Regelung in § 14 Ziff. 6 [X.] bestimmt auch für den tariflichen Mehrurlaub die Geltung der Bestimmungen des [X.].

II. Dem Kläger stand damit insgesamt ein [X.] für 49 Urlaubstage in Höhe von 4.296,81 Euro brutto zu (49 Tage x 87,69 Euro brutto je Tag).

1. Die [X.] zahlte hierauf insgesamt eine Abgeltung in Höhe von 4.542,72 Euro brutto. Damit verbleibt kein weiterer [X.] (§ 362 Abs. 1 BGB).

2. Die Zahlung erfolgte auch auf den gesamten [X.]. Die [X.] nahm keine nach [X.] differenzierende Leistungsbestimmung iSv. § 366 Abs. 1 BGB vor. Sie gab in den Abrechnungen vom 30. September 2010 und vom 31. Januar 2011 als Leistungszweck der Zahlungen von 4.018,56 Euro brutto bzw. 524,16 Euro brutto jeweils nur „Urlaubsabgeltung“ an. Dies war nach §§ 133, 157 BGB so zu verstehen, dass jeglicher etwaig bestehender [X.] erfüllt werden sollte (vgl. [X.] 16. Juli 2013 - 9 [X.] - Rn. 19). Die in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] am 15. Februar 2012 überreichte Aufstellung stellt allenfalls eine unwirksame nachträgliche Leistungsbestimmung dar. Die Bestimmung muss nach dem Wortlaut des Gesetzes bei der Leistung erfolgen, eine nachträgliche Bestimmung ist grundsätzlich unwirksam ([X.] 26. März 2009 - I ZR 44/06 - Rn. 46; vgl. auch 23. Februar 1999 - [X.] - zu II 2 b der Gründe, [X.]Z 140, 391). Damit erfüllte die [X.] jeglichen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses etwaig bestehenden [X.] (vgl. [X.] 16. Juli 2013 - 9 [X.] - aaO).

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 91 Abs. 1 ZPO.

        

    Brühler    

        

    Suckow    

        

    Krasshöfer    

        

        

        

    Matth. Dipper    

        

    Neumann    

                 

Meta

9 AZR 727/12

12.11.2013

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Chemnitz, 23. März 2011, Az: 4 Ca 3439/10, Urteil

§ 7 Abs 3 BUrlG, § 7 Abs 4 BUrlG, § 4 BUrlG, § 5 BUrlG, § 13 Abs 1 BUrlG, § 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.11.2013, Az. 9 AZR 727/12 (REWIS RS 2013, 1277)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1277

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