Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.08.2012, Az. 9 AZR 760/10

9. Senat | REWIS RS 2012, 4063

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Gegenstand

Urlaubsabgeltung - Tilgungsbestimmung bei Urlaubsgewährung - gesetzlicher Mindesturlaub und übergesetzlicher Mehrurlaub


Leitsatz

Differenziert eine Regelung in einem Arbeits- oder Tarifvertrag hinsichtlich des Umfangs des Urlaubsanspruchs nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und einem übergesetzlichen Mehrurlaub, liegt in Höhe des gesetzlichen Urlaubs Anspruchskonkurrenz mit der Folge vor, dass ein Arbeitgeber mit der Freistellung des Arbeitnehmers von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung auch ohne ausdrückliche oder konkludente Tilgungsbestimmung beide Ansprüche ganz oder teilweise erfüllt.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. September 2010 - 5 [X.] - teilweise aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Teil- und Schlussurteil des [X.] vom 27. Januar 2010 - 7 Ca 1179/09 - insgesamt zurückgewiesen.

2. Die Kosten der ersten Instanz und der Berufung hat die Klägerin zu 31 % und die Beklagte zu 69 % zu tragen. Die Kosten der Revision hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über einen Anspruch der Klägerin auf Urlaubsabgeltung für weitere zehn Urlaubstage aus dem [X.] sowie einen Anspruch auf Zahlung restlichen Urlaubsgelds für dieses Jahr.

2

Die Klägerin war vom 1. Februar 1986 bis zum 28. Februar 2009 bei der Beklagten als Büroangestellte beschäftigt und im Rahmen einer Fünftagewoche mit den Aufgaben einer Sachbearbeiterin für die Lohn- und Gehaltsabrechnungen betraut. In dem für das Arbeitsverhältnis aufgrund vertraglicher Bezugnahme geltenden Manteltarifvertrag für das Installateur- und Heizungsbauer-, Klempner-, Behälter- und Apparatebauer-Handwerk im [X.] vom 13. August 2007 ([X.]), gültig ab 1. Juli 2007, heißt es ua.:

        

„§ 6   

        

Grundsätze der Urlaubsgewährung

        

1.    

Jeder Arbeitnehmer hat nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen in jedem Urlaubsjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub.

                 

Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.

        

…       

                 
        

§ 7     

        

Allgemeine Urlaubsbestimmungen

        

1.    

Der Zeitpunkt des Urlaubs richtet sich nach dem aufgestellten Urlaubsplan. Soweit kein Urlaubsplan besteht, kann der Urlaubsanspruch, abgesehen vom [X.], ab 1. April in voller Höhe geltend gemacht werden.

        

…       

        

6.    

[X.] erlischt drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde oder dass der Urlaub aus betrieblichen Gründen nicht genommen werden konnte.

                 

Liegt eine ununterbrochene Krankheit während eines gesamten Kalenderjahres vor und dauert diese Krankheit auch noch am 31.03. des folgenden Kalenderjahres an, so erlischt der Anspruch für das zurückliegende Kalenderjahr, es sei denn, die Arbeitsunfähigkeit ist durch einen Betriebsunfall/Wegeunfall im Sinne des [X.] (Sozialgesetzbuch) verursacht.

        

7.    

Der Anspruch auf bezahlten Urlaub wird um so viel Tage gekürzt, wie der Arbeitnehmer seit seinem letzten Urlaub oder, falls er noch keinen Urlaub genommen hat, seit seinem Eintritt in den Betrieb unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben ist (Fehltage). Der Mindesturlaub gem. [X.] darf jedoch nicht unterschritten werden.

                 
        

§ 8     

        

Urlaubsdauer

        

1.    

[X.] beträgt für alle Arbeitnehmer 30 Arbeitstage.

        

2.    

Der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte regelt sich nach den gesetzlichen Bestimmungen.

        

…       

                 
        

§ 9     

        

Urlaubsvergütung

        

1.    

Bei der Berechnung der Urlaubsvergütung sind zugrunde zu legen

                 

100 % des Arbeitsentgelts plus 40 % zusätzliches Urlaubsgeld, ausgehend von der tariflichen Arbeitszeit von 7,4 Stunden pro Tag.

        

…“    

3

Die Beklagte gewährte der Klägerin im [X.] 15 Tage Urlaub und zahlte ihr für dieses Jahr tarifliches Urlaubsgeld [X.]. 1.049,71 Euro brutto. Vom 29. April 2008 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses war die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig krank. Sie verlangte mit Schreiben vom 20. Februar 2009 von der Beklagten ohne Erfolg ua. die Abgeltung von 15 Urlaubstagen aus dem [X.] sowie die Zahlung von weiterem tariflichen Urlaubsgeld für dieses Jahr.

4

Die Klägerin hat behauptet, es bestehe bei der Beklagten eine betriebliche Übung, wonach Urlaub bis zum 31. Dezember des Folgejahres genommen werden könne. Da die Beklagte bei der Urlaubsgewährung im [X.] keine Tilgungsbestimmung getroffen habe, finde § 366 Abs. 2 BGB Anwendung mit dem Ergebnis, dass mit der Gewährung von 15 Urlaubstagen der tarifliche Mehrurlaubsanspruch von zehn Urlaubstagen und der gesetzliche Urlaubsanspruch in Höhe von fünf Urlaubstagen erfüllt worden sei. Demzufolge habe die Beklagte noch 15 Tage gesetzlichen Urlaub aus dem [X.] abzugelten, der aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit nicht vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen sei. Neben der Urlaubsabgeltung stehe ihr das beanspruchte weitere tarifliche Urlaubsgeld für das [X.] zu.

5

Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Interesse - beantragt,

        

die Beklagte zur Zahlung weiterer 1.537,89 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. März 2009 zu verurteilen.

6

Die Beklagte hat zu ihrem Antrag auf Klageabweisung die Auffassung vertreten, der übergesetzliche Mehrurlaub für das [X.] sei angesichts der eigenständigen Regelung in § 7 [X.] verfallen. § 366 BGB sei weder direkt noch analog anwendbar. Im Übrigen wäre bei einer Anwendung dieser Norm von einer konkludenten Tilgungsbestimmung dergestalt auszugehen, dass sie mit der Freistellung der Klägerin im [X.] zunächst den gesetzlichen Urlaubsanspruch erfüllt habe.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und der Klägerin ua. Urlaubsabgeltung für fünf Tage gesetzlichen Resturlaub aus dem [X.] sowie für diese fünf Tage weiteres tarifliches Urlaubsgeld zugesprochen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das [X.] das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte zur Abgeltung weiterer zehn Urlaubstage aus dem [X.] sowie zur Zahlung weiteren tariflichen Urlaubsgelds für diese zehn Tage verurteilt. Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der [X.] ist begründet. Der Klägerin steht weder Urlaubsabgeltung für weitere zehn Urlaubstage aus dem [X.] zu, noch hat sie Anspruch auf weiteres tarifliches Urlaubsgeld für dieses Jahr.

9

I. Ein Anspruch der Klägerin auf Abgeltung von weiteren zehn Tagen gesetzlichen Urlaub aus dem [X.] folgt nicht aus § 7 Abs. 4 [X.], wonach der Urlaub abzugelten ist, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Da keine Arbeitspflicht an sechs Tagen in der Woche bestand, sondern die Klägerin im Rahmen einer Fünftagewoche beschäftigt war, standen dieser im Kalenderjahr nach § 3 Abs. 1 [X.] 20 Urlaubstage zu. Darüber, dass die Beklagte der Klägerin insgesamt 15 Urlaubstage aus dem [X.] gewährte, besteht kein Streit. Demzufolge hatte die Beklagte gemäß § 7 Abs. 4 [X.] nur fünf Tage gesetzlichen Urlaub abzugelten, wozu sie das Arbeitsgericht rechtskräftig verurteilt hat.

1. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin gewährte die Beklagte mit der Freistellung der Klägerin von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung im [X.] zunächst nicht nur den tariflichen [X.]. Auf eine Tilgungsbestimmung der [X.] kam es nicht an. Mit der Freistellung der Klägerin von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung an 15 Tagen im [X.] hat die Beklagte sowohl den gesetzlichen als auch den tariflichen Urlaubsanspruch gemäß § 362 Abs. 1 BGB teilweise zum Erlöschen gebracht.

2. Der Hinweis der Klägerin auf die Regelung in § 366 Abs. 2 BGB gibt kein anderes Ergebnis vor. Allerdings trifft es zu, dass der Senat in seiner Entscheidung vom 5. September 2002 (- 9 [X.]/01 - zu [X.] 2 b aa der Gründe, [X.] 102, 321) auf diese Bestimmung zurückgegriffen und angenommen hat, nach der [X.] des § 366 Abs. 2 BGB sei davon auszugehen, dass ein Arbeitgeber zunächst auf den gesetzlichen und sodann auf den tariflichen/vertraglichen Urlaubsanspruch leiste, wenn er Urlaubsansprüche erfülle. Wenn eine arbeits- oder tarifvertragliche Regelung hinsichtlich des Umfangs des Urlaubsanspruchs nicht zwischen gesetzlichen und arbeits- oder tarifvertraglichen Urlaubsansprüchen unterscheidet und den Arbeitnehmern einen über den gesetzlichen Anspruch hinausgehenden Anspruch auf Erholungsurlaub einräumt, kommt entgegen der Rechtsansicht des [X.] ein Rückgriff auf die [X.] in § 366 Abs. 2 BGB jedoch ebenso wenig in Betracht wie eine analoge Anwendung dieser Vorschrift.

a) In Konstellationen wie der vorliegenden sind die Anwendungsvoraussetzungen des § 366 Abs. 2 BGB nicht erfüllt. Die Norm regelt den Fall, dass der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet ist und das von ihm Geleistete zur Tilgung sämtlicher Schulden nicht ausreicht. Voraussetzung ist mithin eine Mehrheit von Schuldverhältnissen, wobei § 366 BGB das Schuldverhältnis im engeren Sinne meint (vgl. [X.]/Olzen (2011) § 366 Rn. 14). § 366 BGB gilt auch bei einer Mehrheit von Forderungen aus demselben Schuldverhältnis ([X.]/[X.] BGB 71. Aufl. § 366 Rn. 2; [X.]/[X.] 6. Aufl. § 366 Rn. 2). Aus dem systematischen Verhältnis zu § 367 BGB folgt jedoch, dass es sich um selbstständige Forderungen handeln muss ([X.]/Olzen aaO [X.]). Treffen gesetzliche und tarif- oder arbeitsvertragliche [X.] zusammen, handelt es sich, soweit sich diese Ansprüche decken, grundsätzlich nicht um selbstständige Urlaubsansprüche (vgl. [X.] 26. April 2010 - 17 Sa 1772/09 -; [X.] 2. Dezember 2009 - 17 [X.] - zu II 1 der Gründe; [X.] [X.] 2011, 77, 78; [X.]/[X.] § 1 Rn. 4). Insoweit handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch auf Erholungsurlaub, der auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen beruht (vgl. [X.]/[X.] 2. Aufl. Bd. 2 § 7 [X.] Rn. 53; [X.]/[X.] Urlaubsrecht 2. Aufl. § 7 [X.] Rn. 15; [X.]/[X.] 5. Aufl. § 7 [X.] Rn. 14). Anders verhält es sich bei unterschiedlichen Urlaubsansprüchen, zB dem Anspruch auf Erholungsurlaub einerseits und dem Anspruch auf Bildungs- oder Sonderurlaub andererseits (vgl. [X.] 1. Oktober 1991 - 9 [X.] - zu II 1 b der Gründe, [X.] 68, 308; [X.]/[X.] aaO).

b) Die Regelungen des § 366 BGB sind auch nicht analog mit dem Ergebnis anzuwenden, dass zunächst ausschließlich auf den den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigenden, nur tarifvertraglich begründeten Teil des Urlaubsanspruchs geleistet wird ([X.]/[X.] 12. Aufl. § 7 [X.] Rn. 54). Dies würde das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke voraussetzen. Eine solche Lücke ist nach dem Regelungsplan des Gesetzes nicht zu erkennen (vgl. [X.] [X.] 2011, 77, 79). Die Unabdingbarkeit des gesetzlichen Urlaubsanspruchs spricht dafür, dass die Freistellung zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub - zumindest auch - in Bezug auf das [X.] als Anspruchsgrundlage erfolgt (vgl. [X.]/[X.] § 7 [X.] Rn. 15; [X.]/[X.] § 7 [X.] Rn. 53).

3. Der Urlaubsanspruch aus § 6 Ziff. 1 iVm. § 8 Ziff. 1 [X.], wonach der Erholungsurlaub in jedem Kalenderjahr für alle Arbeitnehmer 30 Arbeitstage beträgt, ist gegenüber dem gesetzlichen Anspruch auf Erholungsurlaub gemäß §§ 13 Abs. 1 [X.] kein eigenständiger Anspruch, soweit sich beide Ansprüche decken.

a) § 8 Ziff. 1 [X.] differenziert schon seinem Wortlaut nach bei der Festlegung der Höhe des Urlaubsanspruchs nicht zwischen dem gesetzlichen Mindest- und dem tariflichen [X.]. Die Vorschrift bestimmt, dass der Urlaub für alle Arbeitnehmer 30 Arbeitstage beträgt. Dieser Urlaub soll erkennbar nicht zusätzlich zum gesetzlichen Erholungsurlaub gewährt werden, sondern schließt diesen mit ein.

b) Auch die sonstigen tariflichen Urlaubsregelungen des [X.] enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass die in § 8 Ziff. 1 [X.] angeordnete [X.] sich erst aus der Addition zweier eigenständiger Urlaubsansprüche ergibt, nämlich dem gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch einerseits und einem diesen aufstockenden, gesonderten tariflichen Urlaubsanspruch andererseits. Aus der Regelung in § 7 Ziff. 7 [X.] folgt nichts anderes. Danach wird der Anspruch auf bezahlten Urlaub zwar um so viele Tage gekürzt, wie der Arbeitnehmer seit seinem letzten Urlaub oder, falls er noch keinen Urlaub genommen hat, seit seinem Eintritt in den Betrieb unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben ist, jedoch darf der Mindesturlaub nach dem [X.] nicht unterschritten werden. Die inhaltliche Differenzierung zwischen dem Mindesturlaub nach dem [X.] und dem [X.] zwingt noch nicht zu der Annahme, dass, soweit sich die Urlaubsansprüche decken, zwei selbstständige Urlaubsansprüche nebeneinander bestehen. Hätten die Tarifvertragsparteien des [X.] insoweit neben dem gesetzlichen Anspruch auf Erholungsurlaub einen eigenständigen tariflichen Urlaubsanspruch regeln wollen, hätte die Möglichkeit, den Urlaub zu kürzen, nicht in § 7 Ziff. 7 Satz 2 [X.] eingeschränkt werden dürfen, sondern bereits in § 7 Ziff. 7 Satz 1 [X.] auf den tariflichen [X.] beschränkt werden können und müssen, weil der gesetzliche Mindesturlaub gemäß § 13 Abs. 1 [X.] nicht gekürzt werden darf. Dass den Tarifvertragsparteien Letzteres bewusst war, zeigt die Regelung in § 7 Ziff. 7 Satz 2 [X.]. Wenn sie die [X.] in § 7 Ziff. 7 Satz 1 [X.] nicht auf den tariflichen [X.] bezogen und in § 7 Ziff. 7 Satz 2 [X.] nur klargestellt haben, dass der Mindesturlaub nach dem [X.] nicht unterschritten werden darf, wird daraus deutlich, dass sie von einem einheitlichen Urlaubsanspruch ausgegangen sind, soweit sich die gesetzlichen und tariflichen Urlaubsansprüche decken. Dieses Verständnis der Tarifvertragsparteien des [X.] kommt zudem in der Formulierung: „Der Anspruch auf bezahlten Urlaub wird um so viel Tage gekürzt ...“, zum Ausdruck.

4. Der Annahme, dass es keiner Tilgungsbestimmung des Arbeitgebers bedarf und dieser mit der Freistellung des Arbeitnehmers von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung sowohl den gesetzlichen als auch den übergesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub ganz oder teilweise erfüllt, wenn im Arbeits- oder Tarifvertrag nicht hinreichend deutlich zwischen gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub unterschieden wird, steht nicht entgegen, dass ein arbeits- oder tarifvertraglicher [X.] bezüglich seiner Entstehungsvoraussetzungen, seiner Übertragung, seiner Kürzung bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, seines Verfalls oder seiner Abgeltung eigenen Regeln unterliegen kann (vgl. [X.] [X.] 2011, 77, 78 f.). Diese Fragen sind jeweils getrennt zu betrachten (vgl. [X.] 22. Mai 2012 - 9 [X.] - Rn. 24, [X.] 2012, 987; 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 27, [X.] 137, 328).

II. Die Beklagte ist auch nicht nach § 7 Abs. 4 [X.] iVm. § 8 Ziff. 1 [X.] verpflichtet, tariflichen [X.] im Umfang von zehn Tagen abzugelten. Soweit der tarifliche Urlaubsanspruch nicht durch Freistellung erfüllt worden war, verfiel er noch vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/[X.] und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. [X.] 299 vom 18. November 2003 S. 9; im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) gewährleisteten und von §§ 13 Abs. 1 [X.] begründeten Anspruch auf [X.] von vier Wochen übersteigen, frei regeln (vgl. [X.] 3. Mai 2012 - [X.]/10 - [[X.]] Rn. 34 ff. [X.], [X.] Richtlinie 2003/88/[X.] Nr. 8 = EzA [X.]-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 9; [X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 21, [X.] 137, 328). Diese Befugnis schließt die Befristung des [X.]s ein. Nach § 7 Ziff. 6 [X.] erlosch der Urlaubsanspruch der Klägerin am 31. März 2008. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin noch nicht arbeitsunfähig erkrankt.

III. Die tariflichen [X.]sansprüche sind auch dann vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen, wenn zugunsten der Klägerin davon ausgegangen wird, dass bei der [X.] die betriebliche Übung besteht, nach der Urlaubsansprüche entgegen der Regelung in § 7 Ziff. 6 [X.] auch ohne das Vorliegen besonderer Übertragungsgründe nicht nur bis zum 31. März, sondern bis zum 31. Dezember des Folgejahres übertragen werden. Dabei kann unentschieden bleiben, ob eine solche betriebliche Übung bezüglich des gesetzlichen Mindesturlaubs mit § 13 Abs. 1 [X.] vereinbar ist oder die grundsätzliche Bindung des Urlaubs an das Urlaubsjahr zulasten der Arbeitnehmer in unzulässiger Weise auflöst (zur Übertragung des Urlaubs durch betriebliche Übung bei Vorliegen von [X.]: vgl. [X.] 21. Juni 2005 - 9 [X.]/04 - zu II 3 b bb der Gründe, [X.] InsO § 55 Nr. 11 = EzA [X.] § 7 Nr. 114). Denn die noch nicht erfüllten tariflichen [X.]sansprüche aus dem [X.] verfielen jedenfalls mit Ablauf des [X.] am 31. Dezember 2008. Der nur aufgrund der Verlängerung des [X.] durch betriebliche Übung fortbestehende Urlaubsanspruch verfiel, obwohl die Klägerin zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig krank war.

Durch eine betriebliche Übung entstehen vertragliche Ansprüche (vgl. [X.] 21. Juni 2005 - 9 [X.]/04 - zu II 3 b aa der Gründe, [X.] InsO § 55 Nr. 11 = EzA [X.] § 7 Nr. 114). Die Arbeitsvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von § 3 Abs. 1 [X.] begründeten [X.]sanspruch von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und Abs. 4 [X.] beschränkt. Dem Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs steht nach dem klaren Richtlinienrecht und der gesicherten Rechtsprechung des [X.] kein Unionsrecht entgegen (vgl. [X.] 24. März 2009 - 9 [X.] - Rn. 81 [X.], [X.] 130, 119). Insofern ist es vorliegend auch unerheblich, dass ein Übertragungszeitraum nach der Rechtsprechung des [X.] die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt wird, deutlich überschreiten muss ([X.] 22. November 2011 - [X.]/10 - [[X.]] Rn. 38, [X.] Richtlinie 2003/88/[X.] Nr. 6 = EzA [X.]-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7; 3. Mai 2012 - [X.]/10 - [[X.]] Rn. 41, [X.] Richtlinie 2003/88/[X.] Nr. 8 = EzA [X.]-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 9). Auch diese Rechtsprechung des [X.] ist nur von Bedeutung für den durch die Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten [X.] von vier Wochen. Dieser Mindesturlaub ist der Klägerin teilweise gewährt worden und, soweit er nicht mehr gewährt werden konnte, ist die Beklagte vom Arbeitsgericht rechtskräftig zur Abgeltung dieses Urlaubs verurteilt worden. Durch die geltend gemachte betriebliche Übung wäre der [X.] bis zum 31. Dezember 2008, nicht jedoch darüber hinaus aufrechterhalten worden. Er wäre damit jedenfalls noch vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen, sodass ein [X.] nicht entstehen konnte.

IV. Die Klägerin hat gegenüber der [X.] keinen Anspruch auf Urlaubsgeld für weitere zehn Urlaubstage aus dem [X.]. Ist das Urlaubsgeld zum Urlaub und zur Urlaubsvergütung akzessorisch, wird es nur geschuldet, wenn auch ein Anspruch auf Urlaubsvergütung besteht (vgl. [X.] 12. Oktober 2010 - 9 [X.] - Rn. 21, 25, [X.] 136, 46). Da der Anspruch der Klägerin auf weitere zehn Tage Urlaub spätestens am 31. Dezember 2008 verfiel, steht ihr auch ein Anspruch auf Urlaubsgeld für diese Tage nicht zu. Das [X.] hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass das im [X.] geregelte Urlaubsgeld zum Urlaub und zur Urlaubsvergütung akzessorisch ist. Die Tarifvertragsparteien haben die Akzessorietät von Urlaubsanspruch und Urlaubsgeld bereits im Wortlaut des § 9 [X.] mit der Formulierung „zusätzliches Urlaubsgeld“ deutlich zum Ausdruck gebracht. Nach § 9 Ziff. 1 [X.] ist das „zusätzliche Urlaubsgeld“ darüber hinaus ein Bestandteil der Urlaubsvergütung. Diese haben die Tarifvertragsparteien um das „zusätzliche Urlaubsgeld“ aufgestockt, indem sie festgelegt haben, dass der Urlaubsvergütung „100 % des Arbeitsentgelts plus 40 % zusätzliches Urlaubsgeld“ zugrunde zu legen sind.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

    Klose    

        

        

        

    Neumann    

        

    Matth. [X.]    

                 

Meta

9 AZR 760/10

07.08.2012

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Mönchengladbach, 27. Januar 2010, Az: 7 Ca 1179/09, Urteil

§ 362 Abs 1 BGB, § 366 BGB, § 3 Abs 1 BUrlG, § 7 Abs 3 BUrlG, § 7 Abs 4 BUrlG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.08.2012, Az. 9 AZR 760/10 (REWIS RS 2012, 4063)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4063

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Referenzen
Wird zitiert von

B 13 R 35/17 R

3 ZB 14.34

3 Ca 594/19

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