Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.02.2024, Az. XIII ZB 42/21

13. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 2125

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Leitsatz

Dem nach Erledigung als Feststellungsantrag weiterverfolgten Haftaufhe-bungsantrag steht nicht die materielle Rechtskraft der Entscheidung des Landgerichts über die Beschwerde gegen die Haftanordnung entgegen, wenn darin nicht über einen Feststellungsantrag entschieden wurde.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Person des Vertrauens wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 14. Juli 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zu anderweitiger Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.] und des Verfahrens vor dem [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben 2012 nach [X.]. Er stellte unter falschem Namen und mit der Behauptung, er sei libyscher Staatsbürger, einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 17. September 2013 abgelehnt wurde. Ihm wurde die Abschiebung angedroht. Die gegen den Bescheid eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos. Seit November 2013 wurden dem Betroffenen wegen fehlender Heimreisedokumente Duldungen ausgestellt. Im Januar 2021 teilte die [X.] Botschaft mit, dass der Betroffene als [X.] Staatsangehöriger identifiziert worden sei. Seit Mai 2021 war der Betroffene unbekannten Aufenthalts.

2

Am 21. Juni 2021 wurde er festgenommen. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 22. Juni 2021 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 21. Juli 2021 angeordnet.

3

Die dagegen eingelegte Beschwerde des Betroffenen, der am 14. Juli 2021 abgeschoben wurde, hat das [X.] mit Beschluss von diesem Tag zurückgewiesen. Die Beschwerde der Person des Vertrauens des Betroffenen (fortan: Vertrauensperson) sowie deren Antrag auf Haftaufhebung vom 25. Juni 2021 hat es im selben Beschluss als unzulässig verworfen. Gegen die Verwerfung des [X.] wendet sich die Vertrauensperson mit der Rechtsbeschwerde und begehrt die Feststellung, dass der Vollzug der vom Amtsgericht angeordneten Haft den Betroffenen für den [X.]raum ab dem 22. Juni 2021 in seinen Rechten verletzt hat.

4

II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

5

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit erheblich - ausgeführt, die Beschwerde der Vertrauensperson sei unzulässig. Sie sei im ersten Rechtszug nicht beteiligt worden. Für den Antrag auf Aufhebung der Freiheitsentziehung reiche zwar die Benennung der Vertrauensperson durch den Betroffenen aus, jedoch sei der Antrag unzulässig, weil bereits die Beschwerde des Betroffenen anhängig gewesen sei.

6

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

7

a) Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. [X.] ist im Umfang der Anfechtung des Beschlusses rechtsbeschwerdebefugt.

8

aa) Nach § 70 Abs. 1 FamFG ist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ein Beteiligter befugt, wobei gemäß § 7 Abs. 3 FamFG auch derjenige Beteiligter ist, den das [X.] von Amts wegen oder auf Antrag hinzugezogen hat, soweit dies im FamFG oder einem anderen Gesetz vorgesehen ist (sog. "[X.]"). In [X.] ist ein solcher [X.] gemäß § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG eine vom Betroffenen benannte Vertrauensperson ([X.], Beschluss vom 9. Mai 2023 - [X.], [X.] 2024, 39 Rn. 3).

9

bb) [X.] ist durch die angefochtene Entscheidung formell beschwert. Ihre Rechtsbeschwerde richtet sich allein gegen die Verwerfung des [X.]. Wie sich aus dem Tenor und der Begründung der angefochtenen Entscheidung ergibt, hat das [X.] den Antrag der Vertrauensperson auf Aufhebung der Freiheitsentziehung als unzulässig verworfen. [X.] hatte den [X.] nach § 426 Abs. 2 FamFG mit ihrem Schreiben vom 25. Juni 2021 aus eigenem Recht als Person des Vertrauens im Interesse des Betroffenen gestellt.

cc) Der Rechtsbeschwerdeberechtigung steht nicht entgegen, dass die Vertrauensperson im ersten Rechtszug des Haftanordnungsverfahrens, der mit Erlass des die Haft anordnenden Beschlusses des Amtsgerichts vom 22. Juni 2021 endete (vgl. [X.], [X.] 2024, 39 Rn. 9), nicht beteiligt war. Die Regelung des § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG, wonach das Recht zur Beschwerde einer vom Betroffenen benannten Person seines Vertrauens nur zusteht, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden ist, gilt nicht für die Stellung des [X.] gemäß § 426 Abs. 2 FamFG. Diesen Antrag kann die Vertrauensperson unabhängig von einer förmlichen Beteiligung durch das [X.] stellen ([X.], Beschluss vom 19. Mai 2020 - [X.]/19, [X.] 2020, 387 Rn. 13). Das Haftaufhebungsverfahren ist ein gegenüber dem [X.] eigenständiges Verfahren mit unterschiedlichen Voraussetzungen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Mai 2020 - [X.]/19, [X.] 2020, 387 Rn. 23; vom 23. Februar 2021 - [X.] 52/20, juris Rn. 14). Der Betroffene kann daher auch nach Eintritt formeller Rechtskraft im Haftanordnungsverfahren die Aufhebung der Haft ab dem [X.]punkt des Eingangs des [X.] bei [X.] beantragen. Die Haftanordnung kann nicht in materielle Rechtskraft erwachsen ([X.], Beschluss vom 22. März 2022 - [X.] 5/21, juris Rn. 8).

dd) Der Rechtsbeschwerdebefugnis der Vertrauensperson steht auch nicht entgegen, dass das Beschwerdegericht über den [X.] erstmals entschieden hat und damit keine zweitinstanzliche Entscheidung vorliegt. Trotzdem ist das [X.] in [X.] gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 GVG Beschwerdegericht, gegen dessen Entscheidung gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG allein die Rechtsbeschwerde statthaft ist.

b) Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

aa) Zu Unrecht hat das [X.] den Antrag der Vertrauensperson auf Aufhebung der Haft gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG als unzulässig verworfen. Darüber hätte zunächst das Amtsgericht entscheiden müssen. Die angegriffene Entscheidung kann schon deshalb keinen Bestand haben (vgl. [X.], Beschlüsse vom 21. Juli 2016 - [X.], juris Rn. 4; vom 25. April 2022 - [X.] 19/21, juris Rn. 5).

bb) Der [X.] der Vertrauensperson vom 25. Juni 2021 ist entgegen der Auffassung des [X.] zulässig. Dem nach Erledigung als Feststellungsantrag weiterverfolgten [X.] steht nicht die materielle Rechtskraft der Entscheidung des [X.]s über die Beschwerde gegen die Haftanordnung entgegen.

(1) Hat sich der [X.] durch die Entlassung des Betroffenen erledigt und begehrt der Betroffene - wie hier - in der Folge gemäß § 62 FamFG die Feststellung, durch die Haft in seinen Rechten verletzt zu sein, kann über den Gegenstand dieses Antrags - anders als bei der Aufhebung einer noch andauernden Haft - grundsätzlich nur einmal abschließend entschieden werden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20. April 2021 - [X.] 93/20, juris Rn. 21; vom 22. März 2022 - [X.] 5/21, juris Rn. 9). Einer Entscheidung über den Feststellungsantrag im Aufhebungsverfahren steht die materielle Rechtskraft einer Entscheidung des [X.] entgegen, mit der über den Feststellungsantrag im [X.] entschieden wurde.

(2) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das [X.] hat über den - hilfsweise für den Fall der Erledigung - gestellten Feststellungsantrag keine Entscheidung getroffen. Es geht in seiner am Tag der Abschiebung des Betroffenen getroffenen Entscheidung von einer fortbestehenden Haft aus. Feststellungen zur Erledigung der Haft hat es demgemäß nicht getroffen.

cc) Dem [X.] fehlt für die [X.] ab seinem Eingang auch nicht das Rechtsschutzinteresse. Ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten Haft kann nach ständiger Rechtsprechung des [X.] entgegen dem Wortlaut des § 62 Abs. 1 FamFG nicht nur in einem Beschwerdeverfahren, sondern auch in einem Haftaufhebungsverfahren gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG vor dem Amtsgericht gestellt werden ([X.], Beschluss vom 24. September 2015 - [X.], [X.] 2016, 56 Rn. 8; vom 19. Mai 2020 - [X.]/19, [X.] 2020, 387 Rn. 15). Gegenstand der Feststellung ist dabei nicht die ohnehin gemäß § 426 Abs. 1 FamFG von Amts wegen zu treffende Entscheidung über die Aufhebung, sondern die Rechtswidrigkeit der Haft, die bei Verweigerung ihrer Aufhebung fortdauert. An dieser Feststellung hat der Betroffene ein nach § 62 FamFG gesetzlich anerkanntes Rechtsschutzinteresse. Für einen Antrag der Vertrauensperson, diese Feststellung im Interesse des Betroffenen zu treffen, gilt nichts Anderes ([X.], [X.] 2020, 387, juris Rn. 15). Einen solchen Feststellungsantrag hat die Vertrauensperson von Anfang an gestellt. Anders als das [X.] meint, ist derselbe Gegenstand nicht bereits mit der Beschwerde des Betroffenen anhängig geworden. Den Beteiligten wird mit § 426 Abs. 2 FamFG die Möglichkeit eingeräumt, unabhängig von der Beschwerde die Aufhebung der Haft zu beantragen ([X.], [X.] 2020, 387 Rn. 23).

c) Die angefochtene Entscheidung ist damit gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

aa) [X.] ist nicht gemäß § 74 Abs. 6 Satz 1 zur Endentscheidung reif. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist der in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen auf seine Zulässigkeit zu überprüfende Haftantrag der beteiligten Behörde vom 21. Juni 2021 nach § 417 Abs. 1 FamFG zulässig. Es fehlt nicht an ausreichenden Angaben zur erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung gemäß § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG.

(1) Der Haftantrag genügt dem Begründungserfordernis bereits dann, wenn die beteiligte Behörde zu den anzusprechenden Gesichtspunkten nachvollziehbar so vorträgt, dass der Haftrichter konkrete Nachfragen stellen kann (vgl. [X.], Beschlüsse vom 15. Dezember 2020 - [X.] 93/19, juris Rn. 10; vom 26. September 2023 - [X.] 65/21, juris Rn. 10). Diesem Maßstab entsprechen die Angaben des Antrags. Die Dauer der beantragten Haft von vier Wochen wird damit begründet, dass eine Abschiebung nach [X.] nach Rücksprache mit dem zuständigen [X.] in diesem [X.]raum realisiert werden könne. Ein Passersatzdokument für den Betroffenen mit Gültigkeit bis zum 16. August 2021 liege bereits vor. Für die [X.] ohne Sicherheitsbegleitung würden nach Auskunft des [X.] in der Regel vier Wochen benötigt. Unter Hinzurechnung einiger Tage für allfällige Verzögerungen werde daher Haft bis zum 21. Juli 2021 beantragt. Diese Angaben sind ausreichend. Da dem Betroffenen weder Reisedokumente besorgt werden mussten noch eine Sicherheitsbegleitung geplant war, bezog sich der beantragte [X.]raum allein auf die [X.]. Eine nähere Erläuterung des hierfür erforderlichen [X.]aufwands war vorliegend nicht geboten, nachdem sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle zum üblicherweise erforderlichen [X.]bedarf berufen hatte und im Hinblick auf den zum maßgeblichen [X.]punkt nach pandemiebedingten Störungen wiederaufgenommenen außereuropäischen Flugverkehr auch weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass eine Flugbuchung zum Zwecke einer Abschiebung schneller hätte erfolgen können.

(2) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt es nicht darauf an, dass das Beschwerdegericht am 14. Juli 2021 auf Nachfrage weitere Auskünfte zu den Modalitäten der Abschiebung eingeholt hat, ohne den Betroffenen zu den so gewonnenen ergänzenden Angaben anzuhören. Mängel des [X.] können zwar grundsätzlich nur mit Wirkung für die Zukunft behoben werden und nur dann, wenn der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 12. Februar 2020 - [X.] 38/19, juris Rn. 13; vom 14. Juli 2020 - [X.] 74/19, juris Rn. 12, jeweils mwN). Vorliegend bestanden jedoch keine Mängel, die den Haftantrag unzulässig machten. Vielmehr enthielt der Antrag bereits die notwendigen Mindestangaben zur Haftdauer. Zu diesen Angaben ist der Betroffene vom Ausgangsgericht persönlich angehört worden.

bb) Nach alledem ist die Sache gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Das Amtsgericht wird dabei Gelegenheit haben, sich mit dem Vortrag in der Begründung des [X.] und in der Rechtsbeschwerdebegründung im Einzelnen zu befassen. Sollte sich der [X.] danach als erfolgreich erweisen, wird es zu beachten haben, dass der Betroffene - anders als im Rechtsbeschwerdeverfahren beantragt - mit dem [X.] nur die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft ab dem [X.]punkt des Eingangs des [X.] vom 25. Juni 2021 bei [X.] erreichen kann.

3. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG

[X.]     

      

[X.]     

      

Tolkmitt

      

Picker     

      

Kochendörfer     

      

Meta

XIII ZB 42/21

20.02.2024

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Dresden, 14. Juli 2021, Az: 2 T 362/21

§ 62 FamFG, § 426 Abs 2 S 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.02.2024, Az. XIII ZB 42/21 (REWIS RS 2024, 2125)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 2125

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