Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.05.2020, Az. XIII ZB 86/19

13. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1075

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Gegenstand

Haftaufhebungsverfahren: Wirkung der Heilung von Mängeln des Haftantrags nur für die Zukunft


Leitsatz

Die Heilung von Mängeln des Haftantrags wirkt auch im Haftaufhebungsverfahren nur für die Zukunft. Wenn zusätzliche Feststellungen des Gerichts erforderlich sind, tritt die Heilung wie im Haftanordnungsverfahren mit der Entscheidung des Gerichts ein. Behebt die beteiligte Behörde dagegen selbst durch ausreichende eigene ergänzende Angaben die Defizite des Haftantrags, tritt die Heilung schon mit dem Eingang des Schriftsatzes bei Gericht ein.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Person des Vertrauens des Betroffenen werden der Beschluss des [X.] vom 6. Februar 2019 und der Beschluss der 25. Zivilkammer des [X.] vom 11. April 2019 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Vollzug der durch den Beschluss des [X.] vom 31. August 2018 angeordneten Haft den Betroffenen im Zeitraum vom 1. Oktober bis zum 12. November 2018 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen des Aufhebungsverfahrens nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Person des Vertrauens des Betroffenen in allen Instanzen werden der [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Mit Beschluss vom 31. August 2018 ordnete das Amtsgericht gegen den Betroffenen, einen pakistanischen Staatsangehörigen, Haft zur Sicherung seiner Abschiebung nach [X.] bis zum 30. November 2018 an. Grundlage dieser Anordnung war ein seit dem 18. Juli 2017 vollziehbarer Bescheid des [X.] vom 18. Mai 2017, durch den dieses einen Asylantrag des Betroffenen unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche und unter Androhung der Abschiebung in sein Heimatland als offensichtlich unbegründet abgelehnt hatte.

2

Mit am 30. September 2018 eingegangenem Schriftsatz hat sich für den Betroffenen unter Vorlage einer von diesem unterzeichneten entsprechenden Erklärung die eingangs genannte Person seines Vertrauens (fortan: Vertrauensperson) gemeldet. Diese hat sich einem etwaigen - allerdings nicht anhängigen - Beschwerdeverfahren angeschlossen und hilfsweise die Aufhebung der Haft beantragt. Der Betroffene ist am 12. November 2018 aus der Haft entlassen worden, weil die pakistanischen Behörden seine Identität nicht hatten feststellen können. Den für diesen Fall gestellten Antrag der Vertrauensperson festzustellen, dass der Betroffene durch den Vollzug der mit dem Beschluss vom 31. August 2018 angeordneten Haft in seinen Rechten verletzt worden sei, hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Die Beschwerde ist bei dem [X.] ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte die Vertrauensperson weiterhin zu Gunsten des Betroffenen die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vollzugs der mit dem Beschluss vom 31. August 2018 gegen diesen angeordneten Haft erreichen.

3

II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

4

1. Das Beschwerdegericht hält sowohl den ursprünglichen Aufhebungsantrag als auch den nach der Entlassung des Betroffenen aus der Haft gestellten Feststellungsantrag für zulässig. Die durch das Amtsgericht angeordnete Haft sei auch rechtswidrig gewesen, weil es an einem zulässigen Haftantrag der beteiligten Behörde gefehlt habe. Diese habe aber die fehlenden Angaben in ihrem Schriftsatz im Aufhebungsverfahren vom 12. November 2018 nachgeholt und damit geheilt. Der Feststellungsantrag sei daher im Ergebnis unbegründet.

5

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Vollzug der mit dem Beschluss des Amtsgerichts vom 31. August 2018 angeordneten Haft hat den Betroffenen in dem Zeitraum vom 1. Oktober bis zum 12. November 2018 in seinen Rechten verletzt. Die Haftanordnung hätte nämlich auf den durch die Vertrauensperson des Betroffenen gestellten Antrag hin aufgehoben werden müssen, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte und die gegen den Betroffenen angeordnete [X.] bis zu seiner Entlassung aus der Haft rechtswidrig war.

6

a) Die Rechtsbeschwerde der Vertrauensperson des Betroffenen ist zulässig. Insbesondere ist diese beschwerdebefugt, weil der Betroffene sie als Vertrauensperson benannt hat (§ 429 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG). Sie war, wie nach § 429 Abs. 2 FamFG erforderlich, bereits im ersten Rechtszug beteiligt, weil sie, was trotz der noch laufenden Beschwerdefrist möglich und von der Vertrauensperson auch so beabsichtigt war, den Haftaufhebungsantrag vor dem Amtsgericht gestellt hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26. Juli 2012 - [X.], juris Rn. 2, vom 29. November 2012 - [X.], [X.] 2013, 158 Rn. 3 und vom 19. Mai 2020 - [X.]/19 Rn. 13, z. Veröff. best.).

7

b) Das Rechtsmittel ist auch begründet.

8

aa) Das Beschwerdegericht geht zu Recht davon aus, dass ein Antrag auf Aufhebung der [X.] nach § 426 FamFG nicht nur auf nachträglich eintretende Umstände gestützt werden kann, sondern auch darauf, dass die Haft von Anfang an rechtswidrig war ([X.], Beschlüsse vom 18. September 2008 - [X.], [X.]-Report 2008, 1232 Rn. 18 f. - noch zum [X.], vom 28. April 2011 - [X.] 292/10, [X.] 2011, 200 Rn. 17 und vom 1. Juni 2017 - [X.] 39/17, [X.] 2017, 347 Rn. 6 beide zum FamFG). Einem so begründeten Antrag steht die Rechtskraft der Entscheidung nicht entgegen, soweit die Aufhebung nicht für einen vor dem Eintritt der Rechtskraft und vor dem Eingang des [X.] bei dem Amtsgericht liegenden Zeitraum beantragt wird ([X.], Beschlüsse vom 28. April 2011 - [X.] 292/10, [X.] 2011, 200 Rn. 17 und 12. Juli 2018 - [X.] 184/17, [X.] 2019, 78 Rn. 4). Richtig ist ferner, dass der Betroffene - und für ihn seine Vertrauensperson ([X.], Beschluss vom 29. November 2012 - [X.], [X.] 2013, 158 Rn. 3) - auch in einem Aufhebungsverfahren analog § 62 FamFG die Feststellung beantragen kann, durch den weiteren Vollzug der aufzuhebenden Haft in seinen Rechten verletzt worden zu sein, wenn er vor der Bescheidung des Antrags aus der Haft entlassen wird ([X.], Beschlüsse vom 24. September 2015 - [X.] 3/15, [X.] 2016, 56 Rn. 8 und vom 12. Juli 2018 - [X.] 184/17, [X.] 2019, 78 Rn. 4) .

9

bb) Mit zutreffender Begründung nimmt das Beschwerdegericht weiter an, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts vom 31. August 2018 rechtswidrig war, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

cc) Entgegen der Auffassung des [X.] ist die mangels zulässigen [X.] rechtswidrige Haft bis zur Entlassung des Betroffenen nicht rechtmäßig geworden, sodass die seit dem Tag nach dem Eingang des [X.] - dem 1. Oktober 2018 - vollzogene Haft den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

(1) Mängel des [X.] können allerdings nach der Rechtsprechung des [X.] auch im Haftaufhebungsverfahren geheilt werden ([X.], Beschluss vom 1. Juni 2017 - [X.] 39/17, [X.] 2017, 347 Rn. 15-17). Deshalb ist eine mangels zulässigen [X.] rechtswidrige, dessen ungeachtet rechtskräftig gewordene Haftanordnung nicht nach § 426 FamFG aufzuheben, wenn die fehlenden Angaben und Feststellungen im Aufhebungsverfahren nachgeholt werden; einer persönlichen Anhörung des Betroffenen bedarf es in diesem Fall mangels einer § 420 FamFG entsprechenden Vorschrift nicht ([X.], Beschlüsse vom 1. Juni 2017 - [X.] 39/17, [X.] 2017, 347 Rn. 18, vom 1. Juni 2017 - [X.] 42/17, juris Rn. 11 und vom 12. Juli 2018 - [X.] 184/17, [X.] 2019, 78 Rn. 8).

(2) Die Heilung wirkt indessen auch im Haftaufhebungsverfahren nur für die Zukunft ([X.], Beschlüsse vom 1. Juni 2017 - [X.] 39/17, [X.] 2017, 347 Rn. 16 und vom 12. Juli 2018 - [X.] 184/17, [X.] 2019, 78 Rn. 8). Wenn die fehlenden Angaben und Feststellungen im Aufhebungsverfahren nachgeholt werden und die Haft auf dieser Grundlage nicht zu beanstanden ist, scheidet nur die Aufhebung der Haftanordnung wegen Defiziten des [X.], Verfahrensfehlern bei der Anordnung der Haft oder Fehlern der Haftanordnung nach § 426 FamFG aus. Die auf dieser Grundlage vollzogene weitere Haft ist dann nicht rechtswidrig. In dem bis dahin verstrichenen Zeitraum seit dem Eingang des [X.] bleibt die Haft dagegen rechtswidrig; sie verletzt den Betroffenen in seinen Rechten, was auf seinen oder - hier - auf Antrag seiner Vertrauensperson hin festzustellen ist ([X.], Beschlüsse vom 1. Juni 2017 - [X.] 39/17, [X.] 2017, 347 Rn. 16 f. und vom 12. Juli 2018 - [X.] 184/17, [X.] 2019, 78 Rn. 8). Wenn zusätzliche Feststellungen des Gerichts erforderlich sind, tritt die Heilung - wie im Haftanordnungsverfahren (dazu: [X.], Beschluss vom 25. Januar 2018 - [X.] 71/17, InfAusIR 2018, 218 Rn. 9) - erst, aber auch schon mit der Entscheidung des Gerichts ein ([X.], Beschluss vom 12. Juli 2018 - [X.] 184/17, [X.] 2019, 78 Rn. 9). Behebt die beteiligte Behörde dagegen selbst durch ausreichende eigene ergänzende Angaben die Defizite des [X.], tritt die Heilung schon mit dem Eingang des Schriftsatzes bei Gericht ein (vgl. [X.], Beschlüsse vom 1. Juni 2017 - [X.] 39/17, [X.] 2017, 347 Rn. 16 f. und Beschluss vom 1. Juni 2017 - [X.] 42/17, juris Rn. 11).

(3) Danach war die Haft in dem Zeitraum vom 1. Oktober bis zum 12. November 2018 rechtswidrig. Denn sie beruhte in diesem Zeitraum auf einem unzulässigen Haftantrag; sie hätte deshalb gar nicht erst angeordnet und nach § 426 FamFG aufgehoben werden müssen. Der Antrag der Vertrauensperson des Betroffenen ist zwar schon am 30. September 2018 bei dem Amtsgericht eingegangen. Die Vertrauensperson des Betroffenen hat aber mit ihrem Hinweis auf den Beschluss des [X.] vom 24. September 2015 ([X.] 3/15, [X.] 2016, 56) zu erkennen gegeben, dass sie sich bei der Antragstellung an die in dieser Entscheidung aufgezeigten zeitlichen Grenzen der Feststellung der Rechtswidrigkeit halten und die Feststellung erst von dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung - hier von dem Ablauf des 30. September 2018 - an beantragen will. Die Haft des Betroffenen war auch bis zu dem Ablauf des Tags seiner Entlassung aus der [X.] rechtswidrig. Die Heilung hätte zwar nach den oben dargestellten Grundsätzen schon durch den am 12. November 2018 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz eintreten können, wenn dieser die Defizite des [X.] behoben hätte. Ob der Schriftsatz der beteiligten Behörde vom 12. November 2018 diesen Anforderungen entspricht, muss hier nicht entschieden werden. Denn die Haft war aus einem anderen Grund auch an diesem Tag rechtswidrig. Der wenige Stunden nach dem Schriftsatz eingegangenen ergänzenden Mitteilung der Behörde zufolge ist der Betroffene am gleichen Tag aus der [X.] entlassen worden, weil der Versuch, ihn nach [X.] abzuschieben, gescheitert und ein weiterer Versuch nicht absehbar war.

III. [X.] beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]     

      

Schmidt-Räntsch     

      

Kirchhoff

      

Picker     

      

Rombach     

      

Meta

XIII ZB 86/19

19.05.2020

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Düsseldorf, 11. April 2019, Az: 25 T 118/19

§ 417 Abs 2 S 2 FamFG, § 426 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.05.2020, Az. XIII ZB 86/19 (REWIS RS 2020, 1075)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1075

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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