Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.01.2011, Az. X B 204/10

10. Senat | REWIS RS 2011, 10289

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Gegenstand

Rechtliches Gehör in Fällen der Beiziehung bzw. unterbliebenen Beiziehung von Akten


Leitsatz

1. NV: Wenn das FG dem Antrag eines Beteiligten auf Beiziehung bestimmter Akten nicht vollständig nachkommt, liegt darin jedenfalls keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör .

2. NV: Weil die beklagten Finanzbehörden gesetzlich verpflichtet sind, die Steuerakten nach Empfang der Klageschrift von Amts wegen an das FG zu übermitteln (§ 71 Abs. 2 FGO), wird der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht verletzt, wenn das FG nicht ausdrücklich mitteilt, dass die Finanzbehörde ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachgekommen ist und die Steuerakten übersandt hat .

Tatbestand

1

I. Im Klageverfahren war zwischen den Beteiligten streitig, ob [X.] vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassen wurden.

2

Mit der Beschwerde rügen die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) im Wesentlichen eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.

3

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hat auf eine Stellungnahme verzichtet.

Entscheidungsgründe

4

II. Die Beschwerde ist unzulässig.

5

Die Kläger haben die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) entsprechenden Weise dargelegt.

6

1. Sie haben die Rüge der Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht schlüssig erhoben.

7

a) Soweit die Kläger ihre Rüge darauf stützen, dass das Finanzgericht ([X.]) nicht sämtliche von den Klägern genannten Verwaltungsakten beigezogen hat, kann diese Verfahrensgestaltung schon im Ansatz keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör darstellen. Inhalt dieses Anspruchs ist gemäß § 96 Abs. 2 [X.]O im Wesentlichen, dass ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (vgl. auch Lange in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 96 [X.]O Rz 216 ff.). Wenn das [X.] bestimmte Akten --die teilweise offenbar gar nicht mehr existierten-- aber nicht beizieht, kann dies schon deshalb keine Verletzung rechtlichen Gehörs darstellen, weil das [X.] den Inhalt nicht beigezogener und ihm daher unbekannt gebliebener Akten im Urteil denklogisch nicht verwerten kann (vgl. auch Beschlüsse des [X.] --BFH-- vom 12. November 2003 [X.], [X.], 511, unter II.2., und vom 30. Januar 2007 [X.], [X.], 1324, unter II.3.). Die Kläger machen nicht einmal sinngemäß geltend, dass das [X.] sich von dem Inhalt der nicht beigezogenen Akten in anderer Weise Kenntnis verschafft und diese bei seiner [X.]ntscheidung verwertet hätte.

8

Sollte die [X.] der Kläger zugleich als Rüge mangelnder Sachaufklärung zu verstehen sein, wäre sie ebenfalls unzulässig. Denn es fehlt an jeglichen Ausführungen dazu, warum das [X.] --das diese Akten ausdrücklich als unerheblich bezeichnet hatte-- auch auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung die beantragte Aktenbeiziehung hätte durchführen müssen (vgl. dazu auch [X.] vom 4. März 1992 [X.]/91, [X.], 574, [X.] 1992, 562, und vom 15. Juni 2000 [X.], [X.], 1445, unter 3. vor a).

9

b) Soweit die Kläger ihre [X.] sinngemäß darauf stützen, sie hätten erst durch das angefochtene Urteil erfahren, dass das [X.] die [X.]inkommensteuer- und Rechtsbehelfsakten beigezogen habe, ist die Rüge ebenfalls unschlüssig. Denn diese Behauptung der Kläger widerspricht dem klaren Inhalt der Akten: Der Berichterstatter des [X.] hatte den Prozessbevollmächtigten der Kläger bereits mit Schreiben vom 17. September 2009 darüber informiert, dass sich einige derjenigen Steuerbescheide, die den angefochtenen [X.] zeitlich vorangegangen waren, "nicht in den beigezogenen Steuerakten befinden". Spätestens hierdurch ist den Klägern die Beiziehung der Steuerakten bekanntgeworden.

Im Übrigen sind die beklagten Finanzbehörden schon aufgrund des § 71 Abs. 2 [X.]O verpflichtet, die Steuerakten nach [X.]mpfang der Klageschrift --von Amts wegen-- an das Gericht zu übermitteln. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet keinen ausdrücklichen Hinweis des [X.] auf die Selbstverständlichkeit, dass das [X.] seiner gesetzlichen Pflicht zur Aktenübersendung nachgekommen ist. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist auf die Beiziehung von Akten vielmehr nur dann hinzuweisen, wenn deren Verwertung ohne einen solchen Hinweis die Beteiligten überraschen würde, wie es beispielsweise bei Akten eines fremden Verfahrens (vgl. Beschluss des [X.] vom 25. Oktober 1966  2 BvR 217/66, [X.] 20, 347) oder --je nach Lage des einzelnen [X.] auch bei den Handakten eines Betriebsprüfers (vgl. [X.] vom 25. Oktober 2005 [X.], [X.], 749) geboten sein kann (vgl. zum Ganzen auch Lange in [X.], § 96 [X.]O Rz 246).

Soweit die Kläger erstmals in der Beschwerdebegründung behaupten, die [X.]inkommensteuervorgänge aus dem [X.] einschließlich der angefochtenen Änderungsbescheide vom 28. Dezember 1993 seien bei ihrem Prozessbevollmächtigten unauffindbar, so dass schon aus diesem Grund eine Akteneinsicht geboten sei, bleibt unerfindlich, weshalb sie auf diesen angeblichen --in ihrem eigenen Machtbereich eingetretenen-- Aktenverlust nicht schon im finanzgerichtlichen Verfahren hingewiesen haben.

2. Im Übrigen wird aus der Beschwerdebegründung nicht ansatzweise erkennbar, auf welche der gesetzlichen Zulassungsgründe (vgl. § 115 Abs. 2 [X.]O) sich die Kläger berufen wollen.

a) Dies gilt zunächst für die von den Klägern vorgebrachte Rechtsauffassung, die negativen Feststellungsbescheide vom 30. November 1993 seien nach den Grundsätzen des "detournement de pouvoir" nichtig. [X.]s handelt sich hierbei um eine materiell-rechtliche Rüge, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führen kann (vgl. [X.] vom 24. September 2008 IX [X.]/08, [X.], 39).

Im Übrigen hat sich das [X.] Hamburg in seinem rechtskräftigen Urteil vom 29. Juni 2004 V 95/03 ausführlich mit diesem [X.]inwand befasst, aber gleichwohl die Wirksamkeit sowie Rechtmäßigkeit der negativen Feststellungsbescheide bejaht. Die Kläger, die auch an dem damaligen Klageverfahren beteiligt waren, sind gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]O an die [X.] dieser [X.]ntscheidung gebunden.

b) Soweit die Kläger anführen, dem [X.] sei "ein Irrtum unterlaufen", indem es eine Bekanntgabe der Feststellungsbescheide vom 15. Juni 1989 an die [X.]rblasserin ([X.]), deren Gesamtrechtsnachfolger die Kläger sind, verneint habe, wird ebenfalls kein Zulassungsgrund geltend gemacht.

Zudem war diese Rechtsauffassung des [X.] nicht entscheidungserheblich für das [X.]rgebnis des Klageverfahrens. Denn das [X.] hat ausdrücklich ausgeführt, selbst bei unterstellter Wirksamkeit der Bekanntgabe der Feststellungsbescheide vom 15. Juni 1989 an [X.] wäre die Klage abzuweisen gewesen, weil eine entsprechende negative Feststellung dann jedenfalls durch die geänderten [X.]inkommensteuerbescheide vom 11. September 1989 zutreffend und unter Wahrung der Festsetzungsfrist umgesetzt worden wäre.

c) Mit der darüber hinaus vorgebrachten Auffassung, die Feststellungsbescheide vom "30.6.1989" (gemeint wohl: 15. Juni 1989) seien nichtig, weil darin nicht ausdrücklich die Feststellung aufgenommen worden sei, dass [X.] nicht mehr Gesellschafterin sei, setzen sich die Kläger in Widerspruch zu ihrem sonstigen Vorbringen. Denn wenn die Kläger die Aufnahme einer derartigen ausdrücklichen Regelung in die für die [X.] ergangenen Feststellungsbescheide für erforderlich halten, bestätigt dies nur, dass das --von den Klägern an anderer Stelle ihrer Argumentation verneinte-- Regelungsbedürfnis für den [X.]rlass der negativen Feststellungsbescheide tatsächlich bestanden hat.

Meta

X B 204/10

19.01.2011

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 8. September 2010, Az: 3 K 12136/06, Urteil

§ 71 Abs 2 FGO, § 96 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.01.2011, Az. X B 204/10 (REWIS RS 2011, 10289)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10289

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