Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.09.2011, Az. X B 144/10

10. Senat | REWIS RS 2011, 3597

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Gegenstand

Festsetzung von Aussetzungszinsen - Beendigung des Zinslaufs durch Zahlung - Unterlassene Beiziehung von Akten - Übergehen von Beweisanträgen - Begründungszwang bei der Nichtzulassungsbeschwerde


Leitsatz

1. NV: Für die Festsetzung von Aussetzungszinsen ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, aus welchem Grund ein Antrag auf Herabsetzung der festgesetzten Steuer endgültig erfolglos bleibt .

2. NV: Der Steuerpflichtige hat --trotz gewährter Aussetzung der Vollziehung-- die Möglichkeit, den Zinslauf für die Aussetzungszinsen jederzeit durch Zahlung zu beenden .

Tatbestand

1

I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) richtet sich gegen ein Urteil, mit dem das Finanzgericht ([X.]) eine Klage gegen die Festsetzung von Aussetzungszinsen nach §§ 237 Abs. 1 und 2, 238, 239 der Abgabenordnung ([X.]) abgewiesen hat. Die Kläger begründen ihre Beschwerde im Wesentlichen damit, die Festsetzung von Aussetzungszinsen komme nach dem gesetzgeberischen Willen nicht in Betracht, wenn allein durch Verschulden und willkürliches Verhalten des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) die Kläger in dem der Aussetzung der Vollziehung zu Grunde liegenden Verfahren nicht hätten obsiegen können. Weiter rügen sie Verfahrensmängel, namentlich die Verweigerung der Beiziehung bestimmter Akten und der Gewährung von Akteneinsicht sowie das Übergehen von [X.].

Entscheidungsgründe

2

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet, soweit sie sich gegen die Festsetzung der Aussetzungszinsen an sich wendet (unten 1.); im Übrigen ist sie unzulässig, da sie nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) genügt (unten 2. und 3.).

3

1. Die Zulassung der Revision ist nicht zur Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) geboten.

4

a) Zwar ist die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O auch dann zuzulassen, wenn ein Rechtsfehler des [X.] zu einer "greifbar gesetzwidrigen" Entscheidung geführt hat. Voraussetzung hierfür ist, dass die Entscheidung des [X.] in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte (ständige Rechtsprechung des [X.] --[X.]--, z.B. Beschluss vom 17. März 2010 [X.]/09, [X.], 1277, m.w.N.). Diese Voraussetzung kann etwa dann vorliegen, wenn das [X.] eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat (vgl. [X.] vom 28. Juli 2003 [X.], [X.] 2003, 1597), wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder wenn es auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (vgl. [X.] vom 8. Februar 2006 [X.]/04, [X.] 2006, 1116). Unterhalb dieser Schwelle liegende (auch erhebliche) Rechtsfehler reichen dagegen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit bzw. eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung anzunehmen (vgl. [X.] vom 7. Juli 2005 [X.], [X.] 2005, 2031). Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich genommen nicht die Zulassung der Revision (z.B. Senatsbeschluss vom 4. August 2010 [X.]/09, [X.], 2102; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34, jeweils m.w.N.).

5

b) Im Streitfall liegt kein Rechtsfehler vor, erst recht kein zu greifbarer Gesetzwidrigkeit führender Fehler.

6

Die Kläger machen sinngemäß geltend, die Festsetzung der Aussetzungszinsen entspreche im vorliegenden Fall nicht dem gesetzgeberischen Willen. Die Vorschrift des § 237 Abs. 1 und 2 [X.] sehe als Lebenssachverhalt einen "normalen" Ablauf vor. Daran fehle es, wenn durch die willkürliche Wegnahme von Unterlagen der Kläger durch das [X.] sowie die Verweigerung der Herausgabe dieser Akten --also durch schuldhaftes Verhalten der [X.] den Klägern die Möglichkeit genommen werde, im Verfahren vor dem [X.] zu obsiegen.

7

Diese Auffassung trifft nicht zu. Die Festsetzung der Aussetzungszinsen gemäß §§ 237 Abs. 1 und 2, 238, 239 [X.] ist auch im vorliegenden Fall von dem den Normen zu Grunde liegenden gesetzgeberischen Willen gedeckt; Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts sind nicht erkennbar.

8

Dem Steuerpflichtigen sollen durch § 237 Abs. 1 und 2 [X.] die Zinsvorteile aus der --wie im Nachhinein festgestellt-- unberechtigt in Anspruch genommenen Aussetzung der Vollziehung genommen werden (grundlegend z.B. Senatsurteil vom 22. Mai 2007 [X.], [X.] 2007, 1817; [X.] in [X.]/[X.]/ [X.] --[X.]--, § 237 [X.] Rz 6). Damit ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, aus welchem Grund ein Hauptsacheantrag auf Herabsetzung der festgesetzten Steuer endgültig erfolglos bleibt (vgl. Senatsurteil vom 27. November 1991 [X.], [X.], 311, [X.] 1992, 319). Der Steuerpflichtige hat es überdies in der Hand, die erfolgte Aussetzung der Vollziehung in Anspruch zu nehmen und vorläufig von einer Begleichung der Steuerschuld abzusehen oder --trotz gewährter Aussetzung der [X.] den [X.] jederzeit durch Zahlung zu beenden (vgl. Senatsurteil in [X.], 311, [X.] 1992, 319; [X.] in [X.], § 237 [X.] Rz 36). Einwände gegen Verfahrensweisen und -handlungen des [X.] sind mit Rechtsbehelfen gegen diese Maßnahmen oder, wenn solche nicht zur Verfügung stehen, im Rahmen des jeweiligen Rechtsbehelfs gegen die diesen Maßnahmen folgenden Verwaltungsentscheidungen zu treffen. Ist darüber allerdings rechtskräftig entschieden --wie hier über die Festsetzung der den Aussetzungszinsen zu Grunde liegenden [X.], so ist damit auch über diese Einwände abschließend entschieden.

9

2. Die geltend gemachten Verfahrensmängel haben die Kläger nicht --den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O entsprechend-- schlüssig gerügt.

Die Darlegung eines Verfahrensmangels erfordert nach § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O die genaue Angabe der Tatsachen, aus denen sich der gerügte [X.] schlüssig ergibt. Darüber hinaus ist --außer bei den absoluten [X.] gemäß § 119 [X.]O-- darzulegen, dass --ausgehend von der sachlich-rechtlichen Auffassung der [X.] die angefochtene Entscheidung auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann (z.B. Senatsbeschluss vom 30. Juli 2002 [X.]/02, [X.] 2003, 56; vgl. Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 116 Rz 48 f. und § 120 Rz 66 f., m.w.N.). An diesen Darlegungen fehlt es. Ob die Kläger überdies ihr Rügerecht entsprechend §§ 155 [X.]O, 295 der Zivilprozessordnung verloren haben, kann aus diesem Grunde dahinstehen.

a) Soweit die Kläger sinngemäß rügen, das [X.] habe verschiedene Akten nicht beigezogen und dadurch den Klägern das Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 [X.]O) dadurch verwehrt, dass diese zur Stützung ihrer Rechtsauffassung insoweit nichts haben vorbringen können, haben sie nicht dargestellt, inwiefern die Entscheidung des [X.] --auf der Grundlage dessen materiell-rechtlicher Auffassung-- im Falle der begehrten Aktenbeiziehung anders hätte ausfallen können (Senatsbeschluss vom 1. August 2005 [X.], [X.] 2005, 2222). Abgesehen davon wäre die unterlassene Beiziehung von Akten keine Verletzung rechtlichen Gehörs, sondern eine Verletzung der aus § 76 [X.]O folgenden Sachaufklärungspflicht, zu deren Darlegung allerdings ebenfalls gehört, was das [X.] von Amts wegen hätte aufklären sollen und warum dies zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die pauschale Bezugnahme auf den Vortrag im Klageverfahren grundsätzlich dem Zweck des Begründungszwangs bei der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gerecht wird, den [X.] davon zu entlasten, selbst das Vorliegen etwaiger Zulassungsgründe gemäß § 115 Abs. 2 [X.]O anhand der Akten ermitteln zu müssen (vgl. [X.] vom 26. Januar 1995 III [X.]/93, [X.] 1995, 709, m.w.N.; vgl. Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 116 Rz 27).

b) Ebenso unschlüssig ist die von den Klägern erhobene Rüge, das [X.] habe ihnen keine Akteneinsicht gewährt und damit ihnen die Möglichkeit zur rechtlichen Stellungnahme genommen, womit das [X.] ihnen das Recht auf Gehör versagt habe.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird für das finanzgerichtliche Verfahren u.a. dadurch verwirklicht, dass die Prozessbeteiligten das Recht haben, die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten (insbesondere der beklagten Behörde) einzusehen (§ 78 [X.]O). Damit wird gewährleistet, dass die Beteiligten zu den in den vorgelegten und beigezogenen Akten enthaltenen Tatsachen Stellung nehmen können, bevor sie das Gericht zur Grundlage seiner Entscheidung macht. Falls das Gericht die Akteneinsicht zu Unrecht verweigert, gleichwohl aber die Akten auswertet, liegt ein Verfahrensfehler vor (vgl. Senatsbeschlüsse in [X.] 2005, 2222, und vom 11. November 2008 [X.]/07, [X.] 2009, 198, m.w.N.).

Die schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs --hier durch die (angebliche) Versagung der begehrten Akteneinsicht-- setzt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] insbesondere die substantiierte Darlegung des Beschwerdeführers voraus, was er bei rechtzeitiger Gewährung der Akteneinsicht noch vorgetragen hätte und dass dies die Entscheidung des [X.] --auf der Basis der von diesem vertretenen [X.] hätte beeinflussen können (z.B. Senatsbeschlüsse in [X.] 2005, 2222, und in [X.] 2009, 198; vgl. Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 119 Rz 12, m.w.N.). An einem dahingehenden Vortrag mangelt es im Streitfall.

c) Soweit darüber hinaus sinngemäß das Übergehen von [X.] als Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O gerügt wird, fehlt es ebenso an einer dem § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O entsprechenden hinreichenden Darlegung des Verfahrensmangels.

Wird das Übergehen von Beweisanträgen gerügt, so muss neben dem Beweisthema und dem angebotenen Beweismittel insbesondere substantiiert vorgetragen werden, inwiefern das Urteil des [X.] auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann und welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätte (z.B. [X.] vom 9. Dezember 1998 [X.]/97, [X.] 1999, 802, m.w.N.). An einem solchen Vortrag fehlt es ebenso.

d) Sollten die Kläger mit ihrem Vorbringen Verfahrensmängel des [X.] rügen, können sie damit im vorliegenden Verfahren grundsätzlich nicht gehört werden. Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O sind Verstöße des [X.] gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts; Fehler des [X.] im Besteuerungsverfahren oder im außergerichtlichen Vorverfahren fallen grundsätzlich nicht darunter (z.B. [X.]-Beschlüsse vom 9. Mai 2007 [X.], [X.] 2007, 1526, und vom 22. Oktober 1994 [X.]/94, [X.] 1995, 610; vgl. Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 77). Die fehlerhafte Beurteilung von Vorschriften der Abgabenordnung und anderer das Besteuerungsverfahren regelnder Vorschriften sind deshalb aus der Sicht der Revisionsinstanz keine Verfahrens-, sondern lediglich materiell-rechtliche Mängel (Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 77; vgl. z.B. [X.] vom 25. Januar 2006 [X.], [X.] 2006, 961).

3. Wenn die Kläger mit ihrem Vorbringen, dass "die Interpretation der Bestimmungen über die Aussetzungszinsen in der Form, dass es auch bei staatlicher Willkür, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, keine Ausnahme von Aussetzungszinsen gibt", die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O geltend machen wollen, genügt auch das den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O nicht. Diese Regelung erfordert hinsichtlich des Zulassungsgrundes des § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O, dass die Kläger eine bestimmte, für die Entscheidung des [X.] erhebliche Rechtsfrage herausstellen und substantiiert darauf eingehen, inwieweit diese Rechtsfrage im allgemeinen Interesse an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts der höchstrichterlichen Klärung bedarf (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 7. Juni 2011 [X.]/10, nicht veröffentlicht, juris). Entsprechende Angaben sind nicht vorhanden.

Meta

X B 144/10

05.09.2011

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 23. Juni 2010, Az: 14 K 16/09, Urteil

§ 237 Abs 1 AO, § 237 Abs 2 AO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 119 Nr 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.09.2011, Az. X B 144/10 (REWIS RS 2011, 3597)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3597

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