Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2023, Az. I ZB 78/22

1. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 6406

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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 27. September 2022 aufgehoben.

Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers wird der Beschluss des [X.] vom 15. Juni 2022 abgeändert.

Die Gerichtsvollzieherin wird angewiesen, die Ausführung des [X.] zum Aktenzeichen 8 [X.] 344/22 nicht mit der Begründung zu verweigern, er erfülle nicht die Voraussetzungen der § 7 Satz 1 und 2 [X.], § 753 Abs. 4 und 5, §§ 130a, 130d ZPO.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Schuldnerin.

Gründe

1

A. Die für den Gläubiger, das [X.], handelnde Gerichtskasse [X.] betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung wegen Gerichtskostenforderungen.

2

Die Gerichtskasse beantragte im Mai 2022 die Abnahme der Vermögensauskunft und bei unentschuldigtem Fernbleiben der Schuldnerin den Erlass eines Haftbefehls. Der nicht qualifiziert elektronisch signierte Antrag schließt mit der Angabe "gez. [X.] Sachbearbeiter/in" und einem maschinell aufgedruckten Siegel der Gerichtskasse. Er wurde über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (nachfolgend auch: EGVP) der Gerichtskasse an das EGVP des Amtsgerichts zur Weiterleitung an den zuständigen Gerichtsvollzieher übermittelt. Der Prüfvermerk enthält die Angabe "Diese Nachricht wurde von der Justiz versandt".

3

Die Gerichtsvollzieherin teilte der Gerichtskasse mit, der [X.] könne erst dann bearbeitet werden, wenn er über einen sicheren Übermittlungsweg oder qualifiziert elektronisch signiert über das EGVP eingereicht werde.

4

Das Amtsgericht hat die hiergegen gerichtete Erinnerung des Gläubigers zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers ist vor dem [X.] erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen [X.] weiter.

5

B. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Gläubiger habe den [X.] zwar entsprechend den Vorgaben des § 130a Abs. 1 Satz 1 ZPO ordnungsgemäß elektronisch eingereicht, insbesondere auf einem sicheren Übermittlungsweg. Allerdings sei auch mit Blick auf die verpflichtende elektronische Einreichung des [X.]s durch den Gläubiger eine Einreichung des den Titel ersetzenden [X.]s in Papierform weiterhin erforderlich. Gemäß § 7 Satz 2 [X.] ersetze der [X.] die nach § 754 ZPO grundsätzlich erforderliche Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Schuldtitels an das Vollstreckungsorgan. An den [X.] seien hohe Anforderungen zu stellen; es dürften keinerlei Zweifel an seiner Echtheit bestehen. Der unterschriebene [X.] sei daher schriftlich einzureichen und mit einem Dienstsiegel zu versehen. Hierdurch werde gewährleistet, dass aus dem Schriftstück die Person erkennbar werde, die für seinen Inhalt die Verantwortung übernehme. Eine Prüfung durch den Gerichtsvollzieher sei nur dann möglich, wenn er das Original des [X.]s in den Händen halte. Durch § 753 Abs. 4 und 5 und die §§ 130 ff. ZPO habe keine Vereinfachung des [X.] erreicht werden sollen, so dass diese Anforderungen auch bei einer elektronischen Einreichung des [X.]s Geltung beanspruchten.

6

C. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

7

I. Gerichtskosten werden gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 2 Abs. 1 Justizbeitreibungsgesetz ([X.]) von den [X.] vollstreckt, soweit - wie im [X.] - die Landesregierungen keine anderen Behörden bestimmen. Die Abnahme der Vermögensauskunft beantragen die [X.] nach § 7 Satz 1 [X.] bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher; dieser Antrag ersetzt nach § 7 Satz 2 [X.] den vollstreckbaren Schuldtitel. Gleiches gilt für den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2014 - [X.], [X.] 2015, 146 [juris Rn. 15]; Beschluss vom 6. April 2023 - [X.], [X.], 1271 [juris Rn. 11]).

8

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 [X.], § 753 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO können schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien als elektronisches Dokument beim Gerichtsvollzieher eingereicht werden. Für das elektronische Dokument gelten § 130a ZPO, auf dieser Grundlage erlassene Rechtsverordnungen sowie § 298 ZPO entsprechend. § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmt, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss. Zu den sicheren Übermittlungswegen gehört nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Gemäß § 753 Abs. 5 ZPO in Verbindung mit § 130d Satz 1 ZPO sind Behörden verpflichtet, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.

9

II. Die Gerichtskasse ist im Streitfall befugt, die Anträge auf Abnahme der Vermögensauskunft (§ 802c Abs. 1 Satz 1 ZPO) und auf Erlass eines Haftbefehls (§ 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO) zu stellen. [X.] ist dessen ungeachtet das [X.] als Gläubiger der [X.] Forderung. Soweit § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] bestimmt, dass an die Stelle des Gläubigers die Vollstreckungsbehörde tritt, betrifft dies die Vertretungsbefugnis und nicht die Gläubigerstellung (vgl. [X.], [X.], 1271 [juris Rn. 14] mwN).

III. Der [X.] des Gläubigers genügt entgegen der Auffassung des [X.] den Formanforderungen im elektronischen Rechtsverkehr.

1. Wie der [X.] nach dem Beschluss des [X.] entschieden hat, entspricht der [X.] nach § 7 Satz 1 und 2 [X.] den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert worden ist oder von der ihn verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO). Weitere Formerfordernisse bestehen nicht. Insbesondere können die nach der [X.]srechtsprechung geltenden Anforderungen an einen in Papierform eingereichten [X.] (vgl. [X.], [X.] 2015, 146 [juris Rn. 16]) auf einen elektronisch eingereichten [X.] nicht übertragen werden. Der [X.] muss daher weder zusätzlich in Papierform eingereicht noch mit einem Dienstsiegel versehen werden (vgl. [X.], [X.], 1271 [juris Rn. 15, 22, 27 und 32]).

2. Im Streitfall sind die Formanforderungen nach § 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 2 ZPO eingehalten.

a) Der [X.] ist (einfach) signiert. Hierfür reicht die maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens der verantwortenden Person aus (vgl. [X.], [X.], 1271 [juris Rn. 16]). Diesem Erfordernis ist durch die Angabe "gez. [X.] Sachbearbeiter/in" genügt.

b) Die Einreichung erfolgte zudem auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO.

aa) Nach § 6 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach ([X.]) können Behörden zur Übermittlung elektronischer Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg bei Einhaltung bestimmter Anforderungen ein besonderes elektronisches Behördenpostfach nutzen. Unter anderem muss nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 [X.] feststellbar sein, dass das elektronische Dokument vom Postfachinhaber versandt wurde. Gemäß § 6 Abs. 3 Halbsatz 1 [X.] steht das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach eines Gerichts einem besonderen elektronischen Behördenpostfach gleich, soweit diese Stelle Aufgaben einer Behörde nach Absatz 1 wahrnimmt. Die Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs durch eine berechtigte Person wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis ([X.]) bestätigt (vgl. [X.], [X.], 1271 [juris Rn. 19]).

bb) Auch diese Anforderungen sind im Streitfall erfüllt. Die Gerichtskasse ist Teil des Amtsgerichts und wird gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 [X.] als Vollstreckungsbehörde tätig. Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass der [X.] vom EGVP der Gerichtskasse an das elektronische Postfach des Amtsgerichts mit einem vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis übersandt wurde.

D. Danach ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der [X.] kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO).

E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Schuldnerin hat im Rechtsbeschwerdeverfahren Kenntnis von der Sache erlangt (zu diesem Erfordernis vgl. [X.], Beschluss vom 6. April 2023 - [X.]/22, juris Rn. 23 mwN).

Koch     

  

Schwonke     

  

Feddersen

  

Schmaltz     

  

Odörfer     

  

Meta

I ZB 78/22

27.07.2023

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Kleve, 27. September 2022, Az: 4 T 82/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2023, Az. I ZB 78/22 (REWIS RS 2023, 6406)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6406


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 505 M 352/22

Amtsgericht Moers, 505 M 352/22, 15.06.2022.


Az. I ZB 78/22

Bundesgerichtshof, I ZB 78/22, 20.12.2023.

Bundesgerichtshof, I ZB 78/22, 27.07.2023.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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I ZB 115/22

I ZB 84/22

I ZB 27/14

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