Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2023, Az. I ZB 113/22

1. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 6371

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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des [X.] - Zivilkammer 51 - vom 2. November 2022 aufgehoben.

Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des [X.] vom 18. August 2022 abgeändert.

Die Gerichtsvollzieherin wird angewiesen, die Ausführung des [X.] zum Aktenzeichen [X.] nicht mit der Begründung zu verweigern, er erfülle nicht die Voraussetzungen der §§ 130a, 130d, 753 Abs. 4 Satz 1 und 2, Abs. 5 ZPO; § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Satz 1 und 2 JBeitrG.

Der Schuldner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1

A. Das für die Gläubigerin, die [X.], handelnde [X.] betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer gegen ihn in [X.] verhängten [X.].

2

Das [X.] beantragte im Juli 2022 die Abnahme der Vermögensauskunft und bei unentschuldigtem Fernbleiben des Schuldners den Erlass eines Haftbefehls. Der Antrag ist qualifiziert elektronisch signiert, trägt den Nachnamen der Bearbeiterin, jedoch weder ein Dienstsiegel noch eine Unterschrift. Er wurde über das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) des [X.] an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Amtsgerichts zur Weiterleitung an den zuständigen Gerichtsvollzieher übermittelt.

3

Die Gerichtsvollzieherin bat um Übersendung eines [X.] auf dem Postweg.

4

Das Amtsgericht hat die hiergegen gerichtete Erinnerung der Gläubigerin zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist vor dem [X.] erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren [X.] weiter.

5

B. Das Beschwerdegericht hat angenommen, auch mit Blick auf die verpflichtende elektronische Einreichung des [X.] durch die Gläubigerin sei eine Einreichung des den Titel ersetzenden [X.] in Papierform weiterhin erforderlich.

6

Gemäß § 7 Satz 2 [X.] ersetze der [X.] die nach § 754 ZPO grundsätzlich erforderliche Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Schuldtitels an das Vollstreckungsorgan. An den [X.] seien hohe Anforderungen zu stellen; es dürften keinerlei Zweifel an seiner Echtheit bestehen. Der unterschriebene [X.] sei daher schriftlich einzureichen und mit einem Dienstsiegel zu versehen. Hierdurch werde gewährleistet, dass aus dem Schriftstück die Person erkennbar werde, die für seinen Inhalt die Verantwortung übernehme. Eine Prüfung durch den Gerichtsvollzieher sei nur dann möglich, wenn er das Original des [X.] in den Händen halte. Durch § 753 Abs. 4 und 5 und die §§ 130 ff. ZPO habe keine Vereinfachung des [X.] erreicht werden sollen, so dass diese Anforderungen auch bei einer elektronischen Einreichung des [X.] Geltung beanspruchten.

7

Weder die qualifizierte elektronische Signatur noch die einfache Signatur in Kombination mit einem sicheren Übermittlungsweg könnten die durch den [X.] aufgestellten Anforderungen an den [X.] erfüllen. Die qualifizierte elektronische Signatur ersetze zwar die Unterschrift und gebe daher die Person wieder, die die Verantwortung für den [X.] übernehme; allerdings fehle es an einem Pendant zum Dienstsiegel. Die Versendung aus einem besonderen elektronischen Behördenpostfach möge zwar ein Dienstsiegel ersetzen; allerdings fehle es an einer Unterschrift.

8

C. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

9

I. Das [X.] ist nach § 74 Abs. 1 Satz 4, §§ 87, 87f Abs. 1, § 87n [X.] zuständig für die Vollstreckung von [X.]en im Wege der Vollstreckungshilfe für einen anderen Mitgliedstaat der [X.] nach dem Rahmenbeschluss 2005/214[X.] des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen. Die Vorschriften des [X.] sind in diesem Verfahren nach § 87n Abs. 2 Satz 4 [X.] anwendbar, soweit im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen nichts anderes bestimmt ist (vgl. hierzu auch [X.]/[X.], 42. Edition [Stand 1. Juli 2023], § 1 [X.] Rn. 21). Bestimmungen über die Abnahme der Vermögensauskunft und den Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft enthält das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen nicht. Insbesondere ist die in § 87n Abs. 2 Satz 1 [X.], § 96 OWiG eröffnete Möglichkeit der Vollstreckungsbehörde, Erzwingungshaft zur Zahlung der [X.] zu beantragen, keine andere Bestimmung im Sinne des § 87n Abs. 2 Satz 4 [X.], weil sie nicht die Erzwingung der Vermögensauskunft, sondern die (eingriffsintensivere) Erzwingung der Zahlung selbst betrifft (vgl. [X.]/[X.], OWiG, 7. Aufl., § 96 Rn. 5 mwN).

Die Abnahme der Vermögensauskunft beantragt die Vollstreckungsbehörde gemäß § 7 Satz 1 [X.] bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher; dieser Antrag ersetzt gemäß § 7 Satz 2 [X.] den vollstreckbaren Schuldtitel. Gleiches gilt für den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2014 - [X.], [X.] 2015, 146 [juris Rn. 15]). Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 [X.], § 753 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO können schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien als elektronisches Dokument beim Gerichtsvollzieher eingereicht werden. Für das elektronische Dokument gelten § 130a ZPO, auf dieser Grundlage erlassene Rechtsverordnungen sowie § 298 ZPO entsprechend. § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmt, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss. Zu den sicheren Übermittlungswegen gehört nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Gemäß § 753 Abs. 5 ZPO in Verbindung mit § 130d Satz 1 ZPO sind Behörden verpflichtet, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.

II. Das [X.] ist im Streitfall befugt, die Anträge auf Abnahme der Vermögensauskunft (§ 802c Abs. 1 Satz 1 ZPO) und auf Erlass eines Haftbefehls (§ 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO) wegen der Vollstreckung einer gegen den Schuldner in [X.] verhängten [X.] zu stellen. [X.] ist dessen ungeachtet die [X.], die Vollstreckungshilfe für die Republik [X.] leistet und in dieser Funktion Gläubigerin der [X.] Forderung ist. Soweit § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] bestimmt, dass an die Stelle des Gläubigers die Vollstreckungsbehörde tritt, betrifft dies die Vertretungsbefugnis und nicht die Gläubigerstellung (vgl. [X.], Beschluss vom 6. April 2023 - [X.], [X.], 1271 [juris Rn. 14] mwN).

III. Der [X.] des Gläubigers genügt entgegen der Auffassung des [X.] den Formanforderungen im elektronischen Rechtsverkehr.

1. Wie der [X.] nach dem Beschluss des [X.] entschieden hat, entspricht der [X.] nach § 7 Satz 1 und 2 [X.] den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert worden ist oder von der ihn verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO). Weitere Formerfordernisse bestehen nicht. Insbesondere können die nach der [X.]srechtsprechung geltenden Anforderungen an einen in Papierform eingereichten [X.] (vgl. [X.], [X.] 2015, 146 [juris Rn. 16]) auf einen elektronisch eingereichten [X.] nicht übertragen werden. Der [X.] muss daher weder zusätzlich in Papierform eingereicht noch mit einem Dienstsiegel versehen werden (vgl. [X.], [X.], 1271 [juris Rn. 15, 22, 27 und 32]).

2. Im Streitfall sind diese Formanforderungen eingehalten. Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass der [X.] qualifiziert elektronisch signiert ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO).

D. Danach ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der [X.] kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO).

E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Schuldner hat im Rechtsbeschwerdeverfahren Kenntnis von der Sache erlangt (zu diesem Erfordernis vgl. [X.], Beschluss vom 6. April 2023 - [X.]/22, juris Rn. 23 mwN).

Koch     

  

Feddersen     

  

Pohl

  

Schmaltz     

  

Odörfer     

  

Meta

I ZB 113/22

27.07.2023

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Berlin, 2. November 2022, Az: 51 T 330/22

§ 74 IRG, § 87 IRG, § 87f IRG, § 87n IRG, § 6 JBeitrO, § 7 S 1 JBeitrO, § 7 S 2 JBeitrO, § 130a Abs 3 S 1 ZPO, § 130d ZPO, § 753 ZPO, § 754 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2023, Az. I ZB 113/22 (REWIS RS 2023, 6371)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6371

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I ZB 115/22

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I ZB 27/14

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