Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2023, Az. I ZB 1/23

1. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 6369

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Gegenstand

Zwangsvollstreckung: Vollstreckung einer Gerichtskostenforderung im elektronischen Übermittlungsweg


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss des [X.] - Zivilkammer 51 - vom 1. Dezember 2022 aufgehoben.

Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers wird der Beschluss des [X.] vom 12. September 2022 abgeändert.

Die Gerichtsvollzieherin wird angewiesen, die Ausführung des [X.] zum Aktenzeichen [X.] nicht mit der Begründung zu verweigern, er erfülle nicht die Voraussetzungen der § 7 Satz 1 und 2 [X.], § 753 Abs. 4 und 5, §§ 130a, 130d ZPO.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Schuldner.

Gründe

1

A. Das für den Gläubiger, den [X.], handelnde [X.] - [X.] - betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen Gerichtskostenforderungen.

2

Die [X.] beantragte am 5. Juli 2022 die Abnahme der Vermögensauskunft und bei unentschuldigtem Fernbleiben des Schuldners den Erlass eines Haftbefehls. Der Antrag ist qualifiziert elektronisch signiert. Er wurde über das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) des [X.]s an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Amtsgerichts zur Weiterleitung an den zuständigen Gerichtsvollzieher übermittelt.

3

Die Gerichtsvollzieherin bat um Übersendung eines [X.] auf dem Postweg.

4

Das Amtsgericht hat die hiergegen gerichtete Erinnerung des Gläubigers zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers ist vor dem [X.] erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen [X.] weiter.

5

B. Das Beschwerdegericht hat angenommen, auch mit Blick auf die verpflichtende elektronische Einreichung des [X.] durch den Gläubiger sei eine Einreichung des den Titel ersetzenden [X.] in Papierform weiterhin erforderlich.

6

Gemäß § 7 Satz 2 [X.] ersetze der [X.] die nach § 754 ZPO grundsätzlich erforderliche Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Schuldtitels an das Vollstreckungsorgan. An den [X.] seien hohe Anforderungen zu stellen; es dürften keinerlei Zweifel an seiner Echtheit bestehen. Der unterschriebene [X.] sei daher schriftlich einzureichen und mit einem Dienstsiegel zu versehen. Hierdurch werde gewährleistet, dass aus dem Schriftstück die Person erkennbar werde, die für seinen Inhalt die Verantwortung übernehme. Eine Prüfung durch den Gerichtsvollzieher sei nur dann möglich, wenn er das Original des [X.] in den Händen halte. Durch § 753 Abs. 4 und 5 und die §§ 130 ff. ZPO habe keine Vereinfachung des [X.] erreicht werden sollen, so dass diese Anforderungen auch bei einer elektronischen Einreichung des [X.] Geltung beanspruchten. Der Gläubiger hätte den Haftbefehl zudem in Papierform vorlegen müssen, weil dieser dem Schuldner bei der Verhaftung auszuhändigen sei.

7

Weder die qualifizierte elektronische Signatur noch die einfache Signatur in Kombination mit einem sicheren Übermittlungsweg könnten die durch den [X.] aufgestellten Anforderungen an den [X.] erfüllen. Die qualifizierte elektronische Signatur ersetze zwar die Unterschrift und gebe daher die Person wieder, die die Verantwortung für den [X.] übernehme; allerdings fehle es an einem Pendant zum Dienstsiegel. Die Versendung aus einem besonderen elektronischen Behördenpostfach möge zwar ein Dienstsiegel ersetzen; allerdings fehle es an einer Unterschrift. Zudem sei ausschließlich der Verhaftungsantrag qualifiziert elektronisch signiert und der [X.] lediglich als Anlage beigefügt.

8

C. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

9

I. Gerichtskosten werden gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 2 Abs. 1 Justizbeitreibungsgesetz ([X.]) von den [X.] vollstreckt, soweit die Landesregierungen keine anderen Behörden bestimmen. Die Abnahme der Vermögensauskunft beantragen die [X.] nach § 7 Satz 1 [X.] bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher; dieser Antrag ersetzt nach § 7 Satz 2 [X.] den vollstreckbaren Schuldtitel. Gleiches gilt für den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2014 - [X.], [X.] 2015, 146 [juris Rn. 15]; Beschluss vom 6. April 2023 - [X.], [X.], 1271 [juris Rn. 11]).

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 [X.], § 753 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO können schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien als elektronisches Dokument beim Gerichtsvollzieher eingereicht werden. Für das elektronische Dokument gelten § 130a ZPO, auf dieser Grundlage erlassene Rechtsverordnungen sowie § 298 ZPO entsprechend. § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmt, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss. Zu den sicheren Übermittlungswegen gehört nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Gemäß § 753 Abs. 5 ZPO in Verbindung mit § 130d Satz 1 ZPO sind Behörden verpflichtet, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.

II. Das [X.] - [X.] - ist für den [X.] zur Vollstreckung von Ansprüchen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 [X.] berufen (§ 1 Satz 1 Nr. 31 Ermächtigungsübertragsverordnung [X.], § 1 Satz 1 Verordnung über Zuständigkeiten der [X.] TH). Als Vollstreckungsbehörde ist es im Streitfall befugt, die Anträge auf Abnahme der Vermögensauskunft (§ 802c Abs. 1 Satz 1 ZPO) und auf Erlass eines Haftbefehls (§ 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO) zu stellen. [X.] ist dessen ungeachtet der [X.] als Gläubiger der [X.] Forderung. Soweit § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] bestimmt, dass an die Stelle des Gläubigers die Vollstreckungsbehörde tritt, betrifft dies die Vertretungsbefugnis und nicht die Gläubigerstellung (vgl. [X.], [X.], 1271 [juris Rn. 14] mwN).

III. Der [X.] des Gläubigers genügt entgegen der Auffassung des [X.] den Formanforderungen im elektronischen Rechtsverkehr.

1. Wie der [X.] nach dem Beschluss des [X.] entschieden hat, entspricht der [X.] nach § 7 Satz 1 und 2 [X.] den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert worden ist oder von der ihn verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO). Weitere Formerfordernisse bestehen nicht. Insbesondere können die nach der [X.]srechtsprechung geltenden Anforderungen an einen in Papierform eingereichten [X.] (vgl. [X.], [X.] 2015, 146 [juris Rn. 16]) auf einen elektronisch eingereichten [X.] nicht übertragen werden. Der [X.] muss daher weder zusätzlich in Papierform eingereicht noch mit einem Dienstsiegel versehen werden (vgl. [X.], [X.], 1271 [juris Rn. 15, 22, 27 und 32]).

2. Im Streitfall sind diese Formanforderungen eingehalten.

a) Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass der [X.] qualifiziert elektronisch signiert ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO). Die qualifizierte elektronische Signatur bezieht sich entgegen der Annahme des [X.] auf den gesamten [X.] vom 5. Juli 2022, der sowohl den Antrag auf Abnahme der Vermögensauskunft als auch den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls enthält.

b) Daher kommt es nicht darauf an, ob der [X.] zudem auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wurde (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 ZPO), und zwar nicht - wie vom Beschwerdegericht angenommen - über das besondere elektronische Behördenpostfach, sondern über das diesem nach § 6 Abs. 2 Halbsatz 1 [X.] gleichstehende elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des Oberlandesgerichts.

3. Entgegen der Auffassung des [X.] folgt aus der Vorschrift des § 802g Abs. 2 Satz 2 ZPO, nach der der Gerichtsvollzieher dem Schuldner von Amts wegen bei der Verhaftung eine beglaubigte Abschrift des Haftbefehls aushändigt, kein Formerfordernis für den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls.

D. Danach ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der [X.] kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO).

E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Schuldner hat im Rechtsbeschwerdeverfahren Kenntnis von der Sache erlangt (zu diesem Erfordernis vgl. [X.], Beschluss vom 6. April 2023 - [X.]/22, juris Rn. 23 mwN).

Koch     

  

Feddersen     

  

Pohl

  

Schmaltz     

  

Odörfer     

  

Meta

I ZB 1/23

27.07.2023

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Berlin, 1. Dezember 2022, Az: 51 T 381/22

§ 130a Abs 3 S 1 ZPO, § 130d Abs 3 S 2 ZPO, § 754 ZPO, § 7 S 1 JBeitrO, § 7 S 2 JBeitrO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2023, Az. I ZB 1/23 (REWIS RS 2023, 6369)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6369

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

VII ZB 2/23

Zitiert

I ZB 115/22

I ZB 84/22

I ZB 27/14

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