Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.12.2012, Az. IV ZR 21/11

4. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 135

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Gegenstand

Eintrittspflicht der Kfz-Kaskoversicherung: Schaden durch Aufprall des Wohnanhängers auf den ziehenden Pkw


Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil der 6. Zivilkammer des [X.] vom 21. Dezember 2010 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 4. August 2010 zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Kraftfahrzeugvollversicherung wegen Beschädigung seines versicherten Kraftfahrzeugs in Anspruch.

2

In den Versicherungsvertrag sind die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (Stand: 1. Mai 2005, im Folgenden: [X.] 2005) einbezogen, deren § 12 Abs. 6 lautet:

"Die Vollversicherung umfasst darüber hinaus

a) Schäden durch Unfall, d.h. durch ein unvorhergesehenes, unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis; Brems-, Betriebs- und reine Bruchschäden sind keine Unfallschäden. Nicht versichert sind insbesondere gegenseitige Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug ohne Einwirkung von außen,

b) …"

3

Im Juli 2009 kam der Pkw des [X.] mit angehängtem Wohnwagen auf einer Autobahn aufgrund unerwartet starker Spurrillen ins Schleudern. Dabei kollidierte der Wohnanhänger mit dem Pkw und beschädigte diesen.

4

Der Kläger verlangt von der Beklagten Ersatz des [X.] der veranschlagten Reparaturkosten [X.] von 2.855,62 € abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung von 300 €. Die Beklagte lehnt eine Leistung mit der Begründung ab, dass es sich um einen nicht versicherten Betriebsschaden handele.

5

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision hat Erfolg.

7

I. Nach Auffassung des [X.] ist das schadenbegründende Ereignis zwar ein Unfall i.S. des § 12 Abs. 6 a) Satz 1 Halbsatz 1 [X.] 2005. Die Leistungspflicht sei aber nach Satz 2 dieser Klausel ausgeschlossen, weil der Schaden an dem Pkw durch den Anhänger ohne Einwirkung von außen verursacht worden sei. Die Einwirkung der Spurrillen auf das Gespann sei nicht von außen gekommen; sie habe nur die letztlich den Schaden verursachende Ereigniskette in Gang gesetzt. Der Schaden sei nicht durch [X.], sondern durch die Kollision mit dem Anhänger verursacht worden. Wenn durch die Fahrbahnbeschaffenheit ein Schleudervorgang ausgelöst werde, der nur wegen Vorhandenseins eines Anhängers zu einem Schaden des ziehenden Fahrzeugs führe, realisiere sich das typische, nicht versicherte Gespannrisiko.

8

II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht die begehrte Entschädigung aus der Kraftfahrzeugvollversicherung versagt.

9

1. Es hat § 12 Abs. 6 a) Satz 2 [X.] 2005 unzutreffend so ausgelegt, dass ein durch die Fahrbahnbeschaffenheit ausgelöster Schleudervorgang nicht als Einwirkung von außen mit mechanischer Gewalt anzusehen sei.

a) Die Auslegung der dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Bestimmung des § 12 [X.] 2005 ist in der Revisionsinstanz voll überprüfbar. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind wie revisible Rechtsnormen zu behandeln und können vom Revisionsgericht frei ausgelegt werden, wenn sie über den Bezirk des [X.] hinaus verwendet werden und eine unterschiedliche Auslegung durch verschiedene Berufungsgerichte denkbar ist ([X.], Beschluss vom 21. August 2008 - [X.], [X.], 139 Rn. 8; [X.], Urteil vom 5. Juli 2005 - [X.], NJW 2005, 2919 unter [X.] b aa m.w.N.). Das ist bei den hier in Rede stehenden Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung ([X.] 2005), die von Kraftfahrzeugversicherern im gesamten [X.] verwendet werden, der Fall.

b) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach gefestigter Rechtsprechung des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die [X.] eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an (Senatsurteile vom 11. Dezember 2002 - [X.], [X.]Z 153, 182, 185 f.; vom 23. Juni 1993 - [X.], [X.]Z 123, 83, 85; jeweils m.w.N.).

aa) Unter Anlegung dieses Maßstabs hat der Senat in dem Urteil vom 6. März 1996 ([X.], [X.], 622 unter 3 b) entschieden, der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 II e [X.] a.F. - der § 12 Abs. 6 a) Satz 1 [X.] 2005 entspricht - nicht entnehmen, dass Schäden durch einen Aufprall des Anhängers auf den ihn ziehenden Pkw, die also Schäden durch ein plötzlich von außen einwirkendes Ereignis seien, als nicht versicherte [X.] angesehen werden sollten. [X.] sind solche, die durch normale Abnutzung, durch Material- oder Bedienungsfehler an dem Fahrzeug oder seinen Teilen entstehen, ferner Schäden, die zwar auf einer Einwirkung mechanischer Gewalt beruhen, aber zum normalen Betrieb des Kraftfahrzeugs gehören (Senatsurteil vom 23. Oktober 1968 - [X.], [X.], 32, 33). Einen solchen Betriebsschaden hat der Senat in dem 1996 entschiedenen Fall, in dem ein Camping-Anhänger durch die Sogwirkung eines vorbeifahrenden Lkw instabil wurde und gegen die hintere rechte Seite des ziehenden Pkws prallte, verneint. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer sehe trotz der Verbindung von Pkw und Camping-Anhänger in diesen zwei Fahrzeuge, von denen eines auf das andere mit mechanischer Gewalt von außen eingewirkt habe. Die starre Verbindung dieser beiden Fahrzeuge führe im Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers noch nicht dazu, Pkw und Anhänger als eine Betriebseinheit im technischen Sinne zu sehen; dies umso weniger, als der Pkw auch allein zum Betrieb geeignet und bestimmt sei (Senatsurteil vom 6. März 1996 aaO; anders noch Senatsurteil vom 2. Juli 1969 - [X.], [X.], 940).

bb) Diese Beurteilung verändert sich durch den in § 12 Abs. 6 a) [X.] 2005 hinzugefügten Satz 2 nur insoweit, als gegenseitige Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug ohne Einwirkung von außen als [X.] anzusehen und daher vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind. Nach dem Wortlaut, von dem der durchschnittliche Versicherungsnehmer ausgeht, kommt es allerdings bei solchen Schäden ebenso wie bei anderen [X.] der in § 12 Abs. 6 a) Satz 1 Halbsatz 2 [X.] 2005 beschriebenen Art darauf an, ob sie "ohne Einwirkung von außen" verursacht worden sind. Dies wird er etwa bei Material- oder Bedienungsfehlern annehmen, die sich auf eines der zu dem Gespann gehörenden Fahrzeuge beziehen. Als Einwirkung von außen wird er hingegen Ursachen ansehen, die weder von dem ziehenden noch von dem gezogenen Fahrzeug ausgehen. Solche Ursachen können auch in der Fahrbahnbeschaffenheit oder den Witterungsverhältnissen liegen (vgl. [X.], 1346; a.A. OLG Stuttgart VersR 2005, 643 f.).

cc) Ausgehend davon ist nach dem unstreitigen Sachverhalt eine Einwirkung von außen in den unerwartet starken Spurrillen zu sehen, durch die der Wohnanhänger ins Schleudern geriet. Spurrillen sind - wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat - Unebenheiten in der Fahrbahn, die die Richtungsstabilität eines Fahrzeugs nachteilig beeinflussen und somit eine äußere, mechanische Einwirkung auf das Fahrzeug darstellen. Da der Anhänger infolge der Spurrillen ins Schleudern geriet und dann gegen den Pkw prallte, wurde dieser durch eine von außen kommende Einwirkung beschädigt.

2. Der Senat hat in der Sache abschließend zu entscheiden, weil der an dem Pkw des [X.] entstandene Schaden der Höhe nach unstreitig ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Mayen                             [X.]                                       Dr. Karczewski

                [X.]                                           Dr. Brockmöller

Meta

IV ZR 21/11

19.12.2012

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Braunschweig, 21. Dezember 2010, Az: 6 S 377/10 (140)

§ 12 Abs 6 Buchst a S 1 AKB 2005, § 12 Abs 6 Buchst a S 2 AKB 2005

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.12.2012, Az. IV ZR 21/11 (REWIS RS 2012, 135)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 135

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