Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.12.2015, Az. I ZR 275/14

I. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 449

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[X.]:[X.]:[X.]:2015:171215BIZR275.14.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZR 275/14
vom
17. Dezember
2015
in Sachen

-
2
-
Der [X.]
Zivilsenat des [X.] hat am 17.
Dezember
2015 durch [X.]
Dr.
Büscher, die Richter Prof.
Dr.
Schaffert, Dr.
Kirchhoff, Prof.
Dr.
Koch und Fed[X.]en

beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revi-sion in dem Urteil des 18.
Zivilsenats
des Oberlandesgerichts [X.] vom 6.
Februar 2014 wird auf Kosten der Klägerin
zurückgewie-sen.
Der Streitwert wird auf 330.000

Gründe:
[X.] Die Klägerin wendet sich im Wege der [X.] ge-gen die Vollstreckung aus einem Beschluss, mit dem das [X.] ge-mäß §§
9, 14 Anerkennungs-
und Vollstreckungsausführungsgesetz ([X.]) die Vollstreckungsklausel für ein Urteil des [X.] (Amts-
und [X.]) erteilt hat.
Im Verfahren vor dem [X.] begehrte die Klägerin erfolg-los die Ungültigerklärung eines Schiedsspruchs des [X.], demzufolge die Klägerin an den Beklagten 2,35
Mio.
US-Dollar
zu zahlen hat. Nach dem Urteil
des [X.]
hat die Klägerin dem Beklagten die Verfahrenskosten in Höhe von 1.641.692
SEK
und weiteren 132.483

US-Dollar
zu erstatten.

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3
-
Dem Schiedsspruch
des Internationalen Schiedsgerichts Stockholm, der
vom Kammergericht für vorläufig vollstreckbar erklärt worden ist ([X.] 2001, 146), liegt
folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Polizeibehörde der Stadt St.
Petersburg und die vom Beklagten ge-führte S.

Group of Companies mit Sitz in [X.] hatten im Jahr
1991 die
A.
K.

O.

Kompany, eine Aktiengesellschaft [X.]
Rechts, gegründet. Unternehmensgegenstand waren der Handel mit techni-schen Geräten, insbesondere Polizeiausrüstungen, sowie Sicherheits-
und Be-wachungsdienstleistungen. Die Polizeibehörde brachte vereinbarungsgemäß eine Liegenschaft in das Gesellschaftsvermögen ein. Die im vorliegenden Ver-fahren klagende [X.] beschlagnahmte diese Liegenschaft im Jahr 1996. Daraufhin nahm der Beklagte die Klägerin vor dem Schiedsgericht auf eine Entschädigung wegen Enteignung nach dem Vertrag zwischen der [X.] und der [X.] über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen vom 13.
Juni 1989 in Anspruch.
Gegen die Vollstreckung aus dem Urteil des [X.] wendet die Klägerin -
soweit für das vorliegende Verfahren noch von Bedeutung
-
die Aufrechnung mit einer vom Bezirksgericht [X.] im Juni 2006 rechts-kräftig titulierten Schadensersatzforderung wegen Nichtabführung von Steuern in Höhe von 65.612.140
US-Dollar
ein.
Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der
Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Gegen die Nichtzulassung der Revision in Bezug auf die Aufrechnung wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
I[X.] Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-führt, es fehle hinsichtlich der [X.] an der internationalen Zuständigkeit [X.] Gerichte. Die [X.] sei zwar zivil-rechtlich eingekleidet, betreffe aber in der Sache hoheitliche Steuerforderungen. Ausweislich der Urteilsgründe des Bezirksgerichts [X.] habe einer
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-
hoheitlichen Verfolgung dieser Ansprüche lediglich ein Fristablauf entgegenge-standen. Grundlage der Forderung sei jedenfalls eine Norm des Steuerrechts, nämlich Art.
6 der Vorschrift des staatlichen Steueramtes der [X.] vom 14.
Mai 1993, Nr.
20 "Über die Besteuerung des Einkommens und der Gewinne ausländischer juristischer Personen".
Dass die Forderung rechts-kräftig festgestellt sei, spiele keine Rolle. Zwar komme es bei einer rechtskräftig festgestellten Gegenforderung an sich auf die internationale Zuständigkeit nicht an. Dies sei aber an[X.], wenn die Forderung im Inland nicht gemäß §
328 ZPO anerkennungsfähig sei. So liege der Fall hier, weil es sich um eine öffent-lich-rechtliche Forderung handele.
II[X.]
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, die auf die Verletzung von [X.] greifen nicht durch und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern auch im Übrigen keine Entscheidung des Revisionsgerichts (§
543 Abs.
2 Satz
1 ZPO).
1. Ohne Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde den [X.] der [X.] im Hinblick auf die Frage geltend, welche Rechtsordnung für die Qualifikation der Rechtsnatur der ausländischen Auf-rechnungsforderung maßgeblich ist.
a) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist der Auffassung, dass die Frage, welches Recht für die Qualifikation heranzuziehen sei, grundsätzliche Bedeu-tung habe. Der [X.] habe in seiner Entscheidung zur Anerken-nung einer [X.] Verurteilung zu "punitive damages" diese Frage offen gelassen ([X.], Urteil vom 4.
Juni 1992 -
IX
ZR
149/91, [X.]Z 118, 312); sie sei auch seither nicht geklärt worden. Zwar habe der [X.] später ausgeführt, die Frage, ob Ansprüche eines ausländischen Staats als [X.] zu beurteilen seien, bestimme sich nach inländischem Recht ([X.], Beschluss vom 4.
Oktober 2005
-
VII
ZB
8/05, [X.], 2274); in jenem 8
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-
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-
Fall habe sich der Anspruch aber aus internationalen Verträgen ergeben. In einer weiteren Entscheidung des [X.]
sei der öffentlich-recht-liche Charakter der Forderungen unstreitig gewesen ([X.], Beschluss vom 25.
November 2010

VII
ZB
120/09, [X.], 78). Vorliegend sei richtiger-weise für die Qualifikation auf das [X.] Recht abzustellen; dies führe zu einer zivilrechtlichen Einordnung der zur Aufrechnung gestellten Forderung.
b) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung liegt nicht vor.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine ent-scheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage [X.], die über den Einzelfall hinaus Bedeutung für die Allgemeinheit hat ([X.], Beschluss
vom 19.
Juli 2007 -
1
BvR 650/03, NJW-RR 2008, 26, 29; [X.], Beschluss vom 1.
Oktober 2002 -
XI
ZR
71/02, [X.]Z 152, 182, 190; [X.] vom 11.
Mai 2004 -
XI
ZB
39/03, [X.]Z 159, 135, 137).
Die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage ist nicht klärungsbedürftig.
In der Rechtsprechung wird heutzutage -
soweit ersichtlich
-
einhellig die -
auch vom Berufungsgericht vertretene
-
Auffassung vertreten, dass bei Anwendbarkeit
des §
328 ZPO -
also bei Nichtbestehen
völkerrechtli-cher
Verträge über die Anerkennung und Vollstreckung
-
für die Qualifikation einer ausländischen Forderung ausschließlich die lex fori des diese Beurteilung vornehmenden Gerichts maßgeblich ist
([X.], Beschluss vom 4.
Oktober 2005 -
VII
ZB
9/05, [X.], 2274; BSG, Urteil vom 26.
Januar 1983 -
1
S
2/82, [X.], 250 = [X.] 1983, 349, 354; [X.], [X.] 1994, 513). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass über die Frage, ob eine ausländische Forde-rung im Inland durchsetzbar ist, allein das inländische Recht zu entscheiden hat ([X.], Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd.
III/1 Rn.
500; [X.], Die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Forderungen ausländischer [X.] durch [X.] Gerichte, S.
37
f.). Soweit der [X.] in der von der Nichtzulassungsbeschwerde zitierten "[X.] ([X.]Z 118, 312, 336) die Bestimmung der für die Qualifikation maßgeblichen 11
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-
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-
Rechtsordnung offen gelassen hat, ist dem keine Abweichung von der [X.] zu entnehmen und ergibt sich auch kein [X.].
Nur in Bezug auf Staatsverträge zieht die Rechtsprechung zur [X.] die Rechtsordnung des [X.] heran, um auf diese Weise die
mög-lichst wirksame Anwendung der Staatsverträge sicherzustellen, indem ausge-schlossen wird, dass Urteils-
und Vollstreckungsstaat vertragliche Begriffe un-terschiedlich auslegen (so zum Übereinkommen der [X.] über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen vom 27.
September 1968 [X.], Beschluss vom 26.
November 1975 -
VIII
ZB
26/75, [X.]Z 65, 292, 298; Beschluss vom 10.
Oktober 1977

VIII
ZB
10/76, NJW 1978, 1113; [X.]
aaO Rn.
500 [bei Fn.
1522]). Diese Rechtsprechung steht aber der Qualifikation einer ausländischen Forderung nach der lex fori im staatsvertragsfreien Bereich nicht entgegen. Gleiches gilt für die autonome Qualifikation des Begriffs der Zivil-
und Handelssache im Be-reich der unionsrechtlichen Zuständigkeitsordnung (s. nur [X.], NJW 1977, 489, 490 -
Eurocontrol).
In der Literatur ist die Auffassung, dass im staatsvertragsfreien Bereich die lex fori für die Qualifikation maßgeblich sei, ganz vorherrschend ([X.]/
[X.], ZPO, 31.
Aufl., §
328 Rn.
80; [X.].ZPO/[X.], 4.
Aufl., §
328 Rn.
57; [X.]/[X.], Internationales Verfahrensrecht in [X.], 14.
Aufl. Rn.
185; [X.] aaO Rn.
500; [X.], Internationales Zivil-verfahrensrecht, 6.
Aufl.,
Rn.
909; [X.] aaO
S.
37; Vischer, [X.] 1991, 209, 211; vgl. auch [X.], Inländische Gerichtsbarkeit
und internationale Zustän-digkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, S.
43). Vereinzelt wird vertreten, es müsse eine Doppelqualifikation vorgenommen werden; danach kann eine [X.] nur angenommen werden, wenn sowohl nach dem Urteilsstaat als auch dem [X.] eine solche vorliegt (Schütze, [X.] [X.] Zivilprozessrecht, 2.
Aufl. Rn.
17; [X.]. in [X.]/Schütze, ZPO, 4.
Aufl., §
328 Rn.
24). Diese Ansicht führt vorliegend zu keinem anderen Er-14
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-
gebnis, weil es danach auch auf die Qualifikation der Gegenforderung nach [X.]m Rechtsverständnis ankommt. Für die Maßgeblichkeit der [X.] hat im Jahr 1950 allein [X.] ([X.] 151 [1950/1951] 268, 272) plädiert.
Angesichts dieses Meinungsbildes in Rechtsprechung und Literatur ist eine
Klärungsbedürftigkeit im Sinne der [X.] nicht gegeben. Es steht praktisch nicht in Frage, dass im -
vorliegend im Verhältnis zur Russi-schen Föderation gegebenen
-
staatsvertragsfreien Bereich
das inländische Recht über
die Qualifikation entscheidet.
Der Senat teilt im Übrigen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es sich bei der geltend gemachten [X.] um eine steuerrecht-liche Forderung, also eine solche des öffentlichen Rechts handelt, deren
Aner-kennung nach §
328 ZPO nicht in Betracht kommt.
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß §
544 Abs.
4 Satz
2 Halbsatz
2 ZPO abgesehen
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8
-
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
97 Abs.
1 ZPO.

Büscher
Schaffert
Kirchhoff

Koch
Fed[X.]en
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 18.01.2008 -
3 [X.]/07 -

O[X.], Entscheidung vom 06.02.2014 -
18 [X.] -

19

Meta

I ZR 275/14

17.12.2015

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.12.2015, Az. I ZR 275/14 (REWIS RS 2015, 449)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 449

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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I ZR 275/14

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