Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.03.2023, Az. VI ZR 19/22

6. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 2524

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Gegenstand

Verkehrssicherungspflichten einer Kraftfahrzeugvertragshändlerin: Bestellung und Weitergabe von Ersatzschlüsseln für Kraftfahrzeuge


Leitsatz

Zu den Verkehrssicherungspflichten, insbesondere Prüfpflichten einer Kraftfahrzeugvertragshändlerin bei der Bestellung und Weitergabe von Ersatzschlüsseln für Kraftfahrzeuge.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des [X.] vom 16. Dezember 2021 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die beklagte Vertragshändlerin der [X.] aus übergegangenem Recht auf Ersatz von Versicherungsleistungen für gestohlene Kraftfahrzeuge in Anspruch.

2

Die Klägerin hat als Kaskoversicherer diverse Kraftfahrzeuge gegen Diebstahl versichert. In den Jahren 2015 und 2016 wurden vier bei ihr versicherte Fahrzeuge, drei der Marke [X.] und eines der Marke [X.], gestohlen. Dabei setzten die Diebe echte Ersatzschlüssel ein, die - streitig zuletzt nur noch bezüglich des Fahrzeugs der Marke [X.] - von der [X.] bei der [X.] bestellt und dann an ein Unternehmen in [X.], die [X.] A. (im Folgenden: [X.]), weitergegeben worden waren. Die [X.] ist ein sogenannter NORA-Kunde ("Nicht [X.] Abnehmer" von Originalteilen) der [X.]. Um diesen Status zu erreichen, muss ein Unternehmen einen Werkstattbetrieb nachweisen, der nicht Servicepartner der Vertriebsorganisation des [X.] sein darf, also entweder eine markenungebundene Werkstatt oder eine Markenwerkstatt eines anderen Fahrzeugherstellers ist.

3

Für die [X.]bestellung teilte die [X.] den Mitarbeitern der [X.] lediglich die Fahrzeug-Identifizierungsnummer ([X.]) zu dem jeweiligen Fahrzeug mit. Eine weitere Prüfung der Berechtigung der Bestellung beziehungsweise der Frage, ob sich der [X.] der Bestellung im Besitz des jeweiligen Fahrzeugs befindet, erfolgte nicht. Insbesondere wurde keine Legitimation in Form von Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen verlangt.

4

Die gestohlenen Fahrzeuge wurden teilweise in eine Zerlegehalle verbracht, wo im Zuge polizeilicher Durchsuchungen sowohl Fahrzeugteile als auch Belege über die [X.]bestellungen bei der [X.] sowie nachbestellte [X.] selbst aufgefunden wurden.

5

Die [X.] empfiehlt zum Verfahren bei fehlenden und defekten Fahrzeugschlüsseln in Kundendienst und Handel für die Beschaffung eines Ersatzschlüssels im Auftrag eines Kunden eine besondere Verfahrensweise und Dokumentation ("Nachweiskarte"), um Missbrauch zu verhindern. Sie fordert neben der Angabe der [X.] u.a. einen [X.] in Verbindung mit einer Legitimation (Pass/Ausweis), wenn der Kunde nicht persönlich bekannt ist, und regt eine Bestätigung durch Unterschrift sowie bei Verlust/Diebstahl des Altschlüssels die Information der Polizei und/oder seiner Versicherung an.

6

Die Klägerin behauptet, die [X.] seien von der [X.] an Diebe gelangt, welche die Fahrzeuge hiermit problemlos geöffnet und entwendet hätten. Sie ist der Auffassung, die Beklagte hätte die Nachbestellung von [X.] lediglich gegen eindeutige Berechtigungsnachweise - etwa in Form von Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen - abwickeln dürfen. Allein die Übermittlung der [X.] reiche hierfür nicht aus, weil diese an jedem Fahrzeug frei erkennbar sei und daher jederzeit ausgespäht werden könne.

7

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Ersatz der von ihr regulierten Versicherungsschäden in Höhe von 57.656,99 € nebst Zinsen.

8

Das [X.] hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Die Berufung der [X.] hatte - abgesehen von einer geringfügigen Korrektur des [X.] - keinen Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe

I.

9

Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 86 [X.]. Die [X.] seien der [X.] vorwerfbar zuzurechnen, wofür nicht die Beschaffung und Weiterleitung der [X.], sondern die unterlassene Prüfung der Berechtigung des Bestellers maßgeblich sei. Da die Beklagte als Vertragspartner der [X.] die Möglichkeit habe, Fahrzeugersatzschlüssel zu besorgen und in den Verkehr zu bringen, folge hieraus eine gesteigerte Verantwortung und damit eine besondere Prüfpflicht. Die Empfehlung der [X.] zum Verfahren bei fehlenden beziehungsweise defekten Fahrzeugschlüsseln in Kundendienst und Handel zeige, dass auch diese - für die Beklagte offenkundig - eine gesteigerte Missbrauchsmöglichkeit bei [X.] sehe. Die Versicherungsnehmer der Klägerin seien von der Sorgfaltspflicht der [X.] bei der [X.]bestellung umfasst, weil sie als Fahrzeugeigentümer von der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der [X.] unmittelbar betroffen seien. Der [X.] als Fachwerkstatt müsse bekannt sein, dass die [X.] von Nichtberechtigten in Erfahrung gebracht werden könne und von ihr als Berechtigungsnachweis nicht akzeptiert werden dürfe. Die Überprüfung der Bestellberechtigung sei der [X.] sowohl möglich als auch zumutbar gewesen. Selbst wenn es Aufgabe der [X.] gewesen wäre, die Voraussetzungen für eine rechtmäßige [X.]beschaffung zu prüfen, hätte dies die Beklagte nicht von ihrer eigenen Prüfpflicht entbunden. Für eine rechtsgeschäftliche Übertragung der Sicherungspflichten fänden sich im Vortrag der [X.] keine Anhaltspunkte. Diese habe als Bestellerin der [X.] die primäre Möglichkeit der Gefahrenbeherrschung durch Ablehnung der Ersatzbeschaffung gehabt.

Die Weiterleitung der Schlüssel an die [X.] sei im Sinne einer Mitverursachung adäquat kausal für die jeweiligen [X.], da an der Verwendung der [X.] zur Begehung der [X.] keine vernünftigen Zweifel beständen und eine andere Begehungsform objektiv nicht in Betracht komme. Dabei reiche es aus, dass mit dem [X.] das Fahrzeug geöffnet und das Lenkradschloss entriegelt werden könne, um das Fahrzeug aufzuladen und abzutransportieren. Ferner könne sich die Beklagte nicht unter Hinweis auf die fehlende Überprüfbarkeit der Berechtigung mit dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens entlasten, zumal es auch in [X.] Ausweisdokumente gebe, die dem [X.] hätten beigefügt werden können und eine Feststellung der Identität des Bestellers ermöglicht hätten. Durch das Erfordernis der [X.] würden jedenfalls der Aufwand und das Risiko der Entdeckung größer, sodass die Tatausführung zwar nicht in jedem Fall verhindert, aber doch erheblich erschwert werde. Der [X.] sei zumindest anzulasten, dass sie sich bezüglich der Möglichkeiten einer Identifizierung und Überprüfung bei [X.]bestellungen aus [X.] nicht erkundigt habe. Der Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden bestehe trotz des Diebstahls der Fahrzeuge durch Dritte, da die Beklagte durch die ungeprüfte Versendung der [X.] die erste Ursache gesetzt und die dadurch begründete Gefahrenlage sich gerade in dem nachfolgenden Diebstahl ausgewirkt habe. Das Verhalten ihrer Mitarbeiter sei der [X.] zuzurechnen, da sie als Arbeitgeber die Verantwortung für die Organisation der Betriebsabläufe trage und es ihr oblegen habe, konkrete Vorgaben zur Überprüfung der Berechtigung des Bestellers auch in Bezug auf [X.] zu machen sowie die Einhaltung dieser Vorgaben zu überwachen. Die Klägerin habe zudem einen Schadenersatzanspruch gegen die Beklagte gem. § 831 Abs. 1 Satz 1, § 86 Abs. 1 Satz 1 [X.], da deren Mitarbeiter Verrichtungsgehilfen seien und Vortrag der [X.] zur Exkulpation nicht vorliege.

II.

Das Urteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Zu Recht hat das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche der Klägerin aus übergegangenem Recht hinsichtlich der vier Autodiebstähle bejaht (§ 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 86 [X.]).

1. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte hinsichtlich der [X.]bestellungen und -lieferungen ihre Verkehrssicherungspflichten in Gestalt von Prüf- und Kontrollpflichten verletzt hat.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Zu berücksichtigen ist dabei, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. [X.] wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, eine Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. Senatsurteile vom 19. Januar 2021 - [X.], NJW 2021, 1090 Rn. 8 f. und [X.], [X.], 452 Rn. 24 f.; vom 11. Februar 2020 - [X.], NJW 2020, 2116 Rn. 14; vom 25. Februar 2014 - [X.], NJW 2014, 2104 Rn. 8 f.; vom 2. Oktober 2012 - [X.], [X.], 30 Rn. 6 f.; [X.], Urteile vom 23. April 2020 - [X.], NJW 2020, 3106 Rn. 24; vom 19. Juli 2018 - [X.], NJW 2018, 2956 Rn. 17 f.).

In Bezug auf ein und dieselbe Gefahrenquelle kann sich dabei auch die Verantwortlichkeit mehrerer Personen ergeben (vgl. [X.] in [X.], Stand: [X.], § 823 Rn. 307; [X.] in [X.], [X.], 82. Aufl., § 823 Rn. 48). In diesem Fall enden die Verkehrssicherungspflichten für denjenigen, der die Gefahr geschaffen hat, erst, wenn sichergestellt ist, dass der nachfolgende Beherrscher einer Gefahrenquelle die Gefahr erkannt hat und vernünftigerweise davon auszugehen ist, dass dieser Sicherungsmaßnahmen einleitet (vgl. Senatsurteil vom 12. November 1996 - [X.], NJW 1997, 582, juris Rn. 16; [X.], Urteil vom 18. Dezember 2020 - 5 U 91/18, juris Rn. 88; [X.] in BeckOGK [X.], Stand: 1.11.2022, § 823 Rn. 433). Unklarheiten in der Abgrenzung der [X.] dürfen dabei nicht im Sinne einer wechselseitigen Entlastung der [X.] zulasten des Geschädigten gehen; gegebenenfalls haften die mehreren [X.] gemäß § 840 Abs. 1 [X.] als Gesamtschuldner (vgl. [X.], Urteil vom 14. März 1985 - [X.], [X.], 641, juris Rn. 17; [X.] in [X.], [X.], 2021, § 823 Rn. [X.]; Wagner in MünchKomm[X.], 8. Aufl., § 823 Rn. 520).

Darüber hinaus können Verkehrssicherungspflichten mit der Folge eigener Entlastung delegiert werden, wodurch sich die Verkehrssicherungspflichten des ursprünglich Verantwortlichen auf Kontroll- und Überwachungspflichten verkürzen und der Übernehmende seinerseits deliktisch verantwortlich wird. Voraussetzung hierfür ist, dass die Übertragung klar und eindeutig vereinbart wird. Eines wirksamen Vertrages bedarf es insoweit nicht. Entscheidend ist, dass der in die Verkehrssicherungspflicht Eintretende faktisch die Verkehrssicherung für den Gefahrenbereich übernimmt und im Hinblick hierauf Schutzvorkehrungen durch den primär Verkehrssicherungspflichtigen unterbleiben, weil sich dieser auf das Tätigwerden des Beauftragten verlässt (vgl. Senatsurteile vom 13. Juni 2017 - [X.], NJW 2017, 2905 Rn. 9; vom 22. Januar 2008 - [X.], [X.], 1440 Rn. 9; vom 4. Juni 1996 - [X.], NJW 1996, 2646, juris Rn. 13; [X.], Urteil vom 23. April 2020 - [X.], NJW 2020, 3106 Rn. 28; [X.] in [X.], Stand: [X.], § 823 Rn. 352 ff.; [X.] in BeckOGK [X.], Stand: 1.11.2022, § 823 Rn. 435; [X.] in [X.], [X.], 82. Aufl., § 823 Rn. 50; Wagner in MünchKomm[X.], 8. Aufl., § 823 Rn. 526 ff.).

b) Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht Verletzungen der Verkehrssicherungspflicht der [X.] mit Recht bejaht.

Hier ergab sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Gefahr, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkennt, hat die Beklagte durch die Überlassung von [X.]n an die [X.] ohne vorherige Prüfung, ob diese sich berechtigt im Besitz der mit den [X.]n zu versorgenden Kraftfahrzeuge befand oder berechtigt für die jeweiligen Halter/Eigentümer handelte, die erhebliche Gefahrenlage für diese Eigentümer geschaffen, dass ihr Fahrzeug von [X.] genutzt und/oder entwendet wird. Durch die Nachbestellung und das Inverkehrbringen des [X.]s wird eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug geschaffen, welche die Gefahr des Missbrauchs durch Unbefugte in sich trägt (vgl. zu Sicherungspflichten des Fahrzeugbesitzers bezüglich der Fahrzeugschlüssel bzw. zur Verhinderung von Schwarzfahrten: Senatsurteil vom 15. Dezember 1970 - [X.], NJW 1971, 459, juris Rn. 28; [X.], Urteil vom 17. Februar 2004 - 9 U 161/03, NJW-RR 2004, 1097, juris Rn. 7; [X.], Urteil vom 8. Juli 2003 - 5 [X.], [X.], 879; [X.] in [X.], [X.], 28. Aufl., [X.]. 14 Rn. 188; [X.] in [X.], [X.], 2021, § 823 Rn. [X.]; [X.] in BeckOGK [X.], Stand: 1.11.2022, § 823 Rn. 414; Wagner in MünchKomm[X.], 8. Aufl., § 823 Rn. 454; zur Missbrauchsgefahr bei [X.] vgl. [X.], Urteil vom 5. März 2014 - [X.], NJW 2014, 1653 Rn. 19; [X.] in [X.], Mietrecht, 15. Aufl., § 535 Rn. 533). Dass die Gefahr sich aus missbräuchlichem Verhalten Dritter speist, steht der Annahme einer Verkehrssicherungspflicht nicht entgegen. Verkehrssicherungspflichten dienen auch der Verhütung solcher Gefahren, die aus unbefugtem oder missbräuchlichem Verhalten entstehen, wenn die Gefahr zweckwidriger Benutzung groß ist und dem [X.] Vorkehrungen gegen die missbräuchliche Nutzung möglich und zumutbar sind (vgl. Senatsurteil vom 11. März 1980 - [X.], [X.], 1745, juris Rn. 8 zu missbräuchlichem Verhalten des Rechtsgutsinhabers).

Dieser Gefahr und den tatsächlich eingetretenen [X.] durch die [X.] hätte - wie das Berufungsgericht zutreffend sieht - durch Prüfung der Berechtigung der Schlüsselanforderung und Plausibilisierung des Schlüsselverlustes vorgebeugt werden können. Vorkehrungen - etwa in Form der Vorlage eines Bestellschreibens des betroffenen Fahrzeughalters nebst Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen sowie eines Nachweises über den Defekt oder das Abhandenkommen des [X.] - waren der [X.] möglich und zumutbar. Dass eine solche Handhabung der Erwartung der betroffenen Verkehrskreise entsprach, ergibt sich bereits aus den Empfehlungen der [X.] zur Verfahrensweise und Dokumentation bei [X.]bestellungen zur Verhinderung von Missbrauch, auch wenn diese ausdrücklich die [X.]bestellung durch den Kunden anspricht und auf das vorliegende Verhältnis eines Vertragshändlers zu einem [X.] nicht unmittelbar anwendbar sein sollte. Da die [X.] für die [X.]beschaffung nicht den direkten Weg zum Hersteller wählte, weil ihr dieser auch als NORA-Kunde verschlossen war, sondern die Beklagte damit beauftragte, musste diese als verständige, umsichtige, vorsichtige und gewissenhafte Vertragshändlerin mit der Befugnis zur [X.]beschaffung im Bewusstsein der Missbrauchs- und Diebstahlsgefahren auch gegenüber der [X.] die Vorsicht wie gegenüber jedem nachbestellenden Kunden walten lassen, selbst wenn dies die Vereinbarungen der Vertriebsorganisation nicht explizit vorgesehen haben sollten und die bisherigen stichprobenartigen Überprüfungen der [X.], die sich auf den Einbau gelieferter Ersatzteile bezogen haben sollen, keine Hinweise auf Organisationslücken oder Unregelmäßigkeiten ergeben haben sollten.

Zu Recht hat das Berufungsgericht es für unerheblich gehalten, dass die Bestellung der [X.] durch und deren Auslieferung an einen in die NORA-Organisation eingebundenen Händler erfolgt ist. Entgegen der Auffassung der Revision durfte das Berufungsgericht die genannten Sicherheitsvorkehrungen trotz der Geschäftsbeziehung der [X.] zur [X.] für zumutbar halten. Dass dies die geltend gemachte, seit 2004 bestehende langjährige Vertrauensbeziehung zur [X.] bedroht und die wirtschaftlichen Interessen der [X.] damit ernstlich beeinträchtigt hätte, erscheint fernliegend, nachdem die Beklagte selbst vorgetragen hat, die [X.] zwischen 2012 und 2016 jährlich besucht und stichprobenartig auf die ordnungsgemäße Verbauung der gelieferten Ersatzteile kontrolliert zu haben, und die Beklagte sich für ihre Anforderungen auf den Schutz der gemeinsamen Kunden und die Empfehlungen des Herstellers hätte berufen können. Soweit der Senat in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Beaufsichtigung eines Fachunternehmens entschieden hat, dass der Beaufsichtigung durch das Erfordernis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sowie durch die Selbstständigkeit und Weisungsunabhängigkeit des Fachunternehmens Grenzen gesetzt seien und eine Kontrolle auf Schritt und Tritt nicht verlangt werden könne (vgl. Senatsurteile vom 1. Oktober 2013 - [X.], [X.], 78 Rn. 16; vom 26. September 2006 - [X.], [X.], 3628 Rn. 11; vom 30. September 1986 - [X.], NJW-RR 1987, 147, juris Rn. 8 mwN; [X.] in [X.], Stand: [X.], § 823 Rn. 369), lässt sich dies auf den Streitfall nicht übertragen, weil schon nicht festgestellt worden ist, dass von der [X.] im Zusammenhang mit der [X.]bestellung Verkehrssicherungspflichten auf die [X.] delegiert worden wären. Dass insoweit Sachvortrag zu einer Delegation übergangen worden wäre, macht die Revision nicht geltend, auch nicht, dass der [X.] als NORA-Kunde aufgrund von Vereinbarungen mit der [X.] oder der [X.] eine der [X.] vergleichbare Prüfungspflicht oblegen hätte. Das Berufungsgericht hat vielmehr unangegriffen festgestellt, dass die [X.] - anders als die Beklagte in ihrer Funktion als Vertragshändlerin der [X.] - nicht befugt war, die Schlüssel direkt von der [X.] zu beziehen, wodurch die [X.] letztlich - auch im Verhältnis zur [X.] - einem privaten Endkunden gleichgestellt wird. Das etwaige Fehlen unmittelbar einschlägiger Verhaltensempfehlungen der [X.] für die Auslieferung von [X.]n an [X.] sowie das Bestehen einer langjährigen Vertrauensbeziehung der [X.] zur [X.] sind hierfür unerheblich.

Danach kann sich die Beklagte - anders als die Revision meint - nicht damit entlasten, dass die der maßgeblichen Verkehrsauffassung zu Prüf- und Kontrollpflichten bei der [X.]beschaffung und -weitergabe entsprechende Empfehlung der [X.] zum Verfahren bei fehlenden beziehungsweise defekten Fahrzeugschlüsseln in Kundendienst und Handel verbindliche Regeln nur für den Fall vorsehe, dass der Partner der Vertriebsorganisation den Auftrag zur Beschaffung eines [X.]s unmittelbar vom Endabnehmer entgegennehme.

2. Dass das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Beklagte wegen der ihr im Zusammenhang mit der [X.]bestellung obliegenden internen Organisations- und Überwachungspflichten für ihre für sie handelnden Mitarbeiter einzustehen hat (§ 831 [X.]), greift die Revision nicht an. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht zu erkennen.

3. Auch den Kausalzusammenhang zwischen den Pflichtverletzungen, den Diebstählen und dem Schaden hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler bejaht.

a) Die Revision rügt ohne Erfolg, hinsichtlich des vierten Diebstahls (eines PKW der Marke [X.]) fehle es an widerspruchsfreien und damit das Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen, um diesen der [X.] zurechnen zu können. Das Berufungsgericht hat nicht offengelassen, ob bezüglich dieses Fahrzeugs ein [X.] oder eine [X.]bestellung in der [X.] aufgefunden wurden. Zwar findet sich eine entsprechende Formulierung in dem in Bezug genommenen Tatbestand des landgerichtlichen Urteils ("Schlüssel bzw. der Beleg über die Schlüsselbestellung"), das Berufungsgericht hat dies aber auf das Auffinden einer Schlüsselbestellung konkretisiert, indem es von Belegen für Schlüsselbestellungen für zwei der streitgegenständlichen Fahrzeuge gesprochen und dazu den Ermittlungsbericht und das darin befindliche Asservatenverzeichnis konkret in Bezug genommen hat. Dort ist für den [X.] nur eine Schlüsselbestellung verzeichnet.

Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe den Sachvortrag der [X.] unbeachtet gelassen, wonach die Beklagte an die [X.] Ersatzteile für Fahrzeuge der Marke [X.] geliefert habe, weshalb der Diebstahl eines Wagens der Marke [X.] nicht zugerechnet werden könne. Abgesehen davon, dass diese Aussage im Sinne einer Beschränkung auf Ersatzteile allein der Marke [X.] diesem schriftlichen Vortrag nicht klar zu entnehmen ist, wäre eine derartige Behauptung auch nicht entscheidungserheblich, da sie der streitgegenständlichen [X.]bestellung für ein Fahrzeug der Marke [X.], einer Konzernmarke der [X.], nicht entgegenstünde. Dafür spricht auch, dass die Instanzgerichte sich die Überzeugung gebildet haben, dass es sich bei der in der [X.] aufgefundenen Schlüsselbestellung um eine solche der [X.] auch bei dem PKW [X.] handelte.

b) Auch die Annahme eines Zurechnungszusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und eingetretenem Schaden trotz der Begehung der [X.] durch Dritte wird von der Revision nicht in Abrede gestellt. Rechtsfehler sind nicht ersichtlich.

c) Das Berufungsgericht hat der [X.] auch den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens zu Recht versagt. Dem tritt die Beklagte mit ihrer Revision nicht entgegen.

4. Entgegen der Auffassung der Revision sind die der [X.] auferlegten Prüfpflichten nicht zur Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit geeignet. Sie stellen keine unzulässigen Maßnahmen gleicher Wirkung gem. Art. 35 A[X.] dar.

a) Die der [X.] zum Schutz der Fahrzeugeigentümer vor der Auslieferung der [X.] auferlegten (deliktsrechtlichen) Prüf- bzw. Verkehrssicherungspflichten betreffen im Sinne der Differenzierung im Dritten Teil Titel II [X.]itel 3 A[X.] ("Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten") zwischen Einfuhr- (Art. 34) und Ausfuhrbeschränkungen (Art. 35) entgegen der Auffassung der Revision nicht Art. 34, sondern Art. 35 A[X.].

Nach Art. 35 A[X.] sind mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Hierunter fallen nationale Maßnahmen, die tatsächlich Ausfuhren - d.h. Waren, die den Markt des [X.] verlassen - stärker betreffen als den Absatz der Waren auf dem inländischen Markt dieses Mitgliedstaats (vgl. [X.], Urteile vom 17. September 2020 - [X.]/18, juris Rn. 29 - [X.]/Hidroelectrica; vom 28. Februar 2018 - [X.]/16, juris Rn. 43 mwN - [X.]; [X.] in Schwarze/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 4. Aufl., Art. 35 A[X.] Rn. 12). Nationale Maßnahmen, die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel eines Mitgliedstaats und für seinen Außenhandel schaffen, sodass die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staats zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen besonderen Vorteil erlangt, sind als Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen eingestuft worden ([X.], Urteile vom 8. November 1979, [X.], 15/79, [X.]. 1979, 3409, Rn. 7; vom 16. Dezember 2008 - [X.]/07, [X.]. 2008, [X.]-9998, Rn. 40). Diese Voraussetzungen erfüllen die der [X.] auferlegten Prüfpflichten aber nicht. Dem inländischen Händler werden lediglich bezüglich der Bestellung und Auslieferung von [X.] an eine Reparaturwerkstatt bestimmte Verhaltenspflichten in Form einer Prüfung der Berechtigung des Bestellers auferlegt. Dies berührt den inländischen wie den grenzüberschreitenden Vertrieb von [X.] rechtlich und tatsächlich in gleicher Weise. Die Frage, ob der ausländische Vertragspartner die Überprüfung der Berechtigung ebenso zuverlässig übernehmen könnte, ist für die Frage nach einer Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit unerheblich.

b) Eine Vorlage an den [X.] nach Art. 267 Abs. 3 A[X.] zur Klärung der Frage, ob sich die von dem Berufungsgericht aufgestellten Anforderungen bei der Vergabe von [X.]n "als gleichwirkende Maßnahme im Sinne des Art. 34 A[X.] (richtig: Art. 35 A[X.]) auch unter Berücksichtigung des Art. 36 A[X.]" darstellen, ist entgegen der Auffassung der Revision nicht veranlasst. Die Rechtslage ist insoweit von vornherein eindeutig ("acte clair", vgl. [X.], Urteile vom 6. Oktober 2021 - [X.]/19, NJW 2021, 3303 Rn. 33 - [X.] u.a.; vom 6. Oktober 1982 - [X.]/81, NJW 1983, 1257, juris Rn. 21 - Cilfit; [X.], NJW 2021, 1005 Rn. 15 mwN; [X.] in [X.]/[X.], [X.]/A[X.], 6. Aufl., Art. 267 A[X.] Rn. 33).

[X.]     

  

[X.]     

  

Müller

  

Allgayer     

  

Linder     

  

Meta

VI ZR 19/22

28.03.2023

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Celle, 16. Dezember 2021, Az: 11 U 68/21

§ 823 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.03.2023, Az. VI ZR 19/22 (REWIS RS 2023, 2524)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2524 NJW 2023, 2037 REWIS RS 2023, 2524

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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